Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 03.08.2011, Az. 2 StR 190/11

2. Strafsenat | REWIS RS 2011, 4227

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BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES

URTEIL

2 StR 190/11

vom
3. August 2011
in der Strafsache
gegen

wegen vorsätzlicher Körperverletzung

-
2
-

Der 2.
Strafsenat des [X.] hat in der Sitzung vom 3. August 2011, an der teilgenommen
haben:

[X.] am Bundesgerichtshof
Prof. Dr. Fischer

als Vorsitzender,

die [X.] am Bundesgerichtshof
Dr. [X.],
[X.],
[X.],
die [X.]in am Bundesgerichtshof
Dr. [X.],

Staatsanwalt

als Vertreter der [X.],

Justizangestellte

als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:

-
3
-

1.
Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des [X.] vom 8.
November 2010 mit den [X.] aufgehoben,
a)
soweit von der Anordnung der Sicherungsverwahrung abgesehen wurde,

b)
im Strafausspruch, insoweit zugunsten des Angeklagten.

2.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhand-lung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmit-tels, an eine andere [X.] des [X.].

Von Rechts wegen

Gründe:

Das [X.] hat den Angeklagten wegen vorsätzlicher Körperverlet-zung unter Einbeziehung zweier [X.] von einem Jahr und zwei Jahren aus dem Urteil des [X.] vom 11.
Mai
2010 zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und vier Monaten verurteilt. Mit ihrer auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkten, mit der Sachrüge begründeten Re-vision wendet sich die Staatsanwaltschaft namentlich gegen die vom Landge-richt abgelehnte
Anordnung der Sicherungsverwahrung. Das vom Generalbun-desanwalt vertretene Rechtsmittel führt zur Aufhebung der Entscheidung über die Sicherungsverwahrung und -
insoweit zu Gunsten des Angeklagten (§
301 StPO)
-
des gesamten Strafausspruchs.
1
-
4
-

1. Nach den
Feststellungen des [X.]s ist der zur Tatzeit 44jährige Angeklagte seit vielen Jahren alkoholabhängig.
a)
Bereits vor der [X.] verurteilte ihn das [X.] Aachen im Jahre 1999 wegen Totschlags zu einer Freiheitsstrafe von neun Jah-ren, die er bis März 2008 verbüßte. Die wegen der Alkoholabhängigkeit des Angeklagten zugleich angeordnete Unterbringung in einer Entziehungsanstalt wurde von 1999 bis 2002 erfolglos vollzogen. Der Verurteilung lag zugrunde, dass der Angeklagte
am 28.
Dezember 1998 mit dem späteren Tatopfer [X.] über Stunden hinweg große Mengen Alkohol konsumiert hatte, bis sie schließlich in Streit geraten waren. Im Verlaufe dessen hatte der Angeklagte über einen längeren Zeitraum derart brutal und heftig auf das am Boden liegen-de Tatopfer eingeschlagen und -getreten, dass dieses kurze Zeit später an sei-nen Verletzungen verstorben war.
Am 11.
Mai 2010 verurteilte ihn das [X.] wegen versuch-ter gefährlicher Körperverletzung und gefährlicher Körperverletzung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten. Dem lag zugrunde, dass er wenige Monate nach seiner Haftentlassung zu seiner Freundin in deren Wohnung gezogen war. Ungefähr zeitgleich hatte er begonnen, wieder regel-mäßig Alkohol zu trinken und infolge dessen ohne nachvollziehbaren Anlass zunehmend aggressiver zu reagieren. Am 24.
Januar 2009 hatte er im stark betrunkenen Zustand nach einem Streit einen Stuhl nach der Tochter seiner Lebensgefährtin geworfen. Anschließend hatte er seiner Lebensgefährtin [X.] ins Gesicht geschlagen, die nunmehr Flüchtende zu Boden gestoßen und ihr mit beschuhten Füßen mehrfach und mit erheblicher Wucht in den Bauch und gegen die Beine getreten.
b)
Nach den zur Sache getroffenen Feststellungen kam es auch in der anschließenden Beziehung des Angeklagten zu der später Geschädigten
K.

vor allem deshalb zu Streitigkeiten, weil der Angeklagte infolge sei-nes Alkoholkonsums zu Aggressionen neigte. Am 7.
März 2010 fühlte er sich 2
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durch eine Bemerkung der Geschädigten provoziert, weshalb er mit Händen und Fäusten zunächst auf deren Körper und Kopf einschlug. Nachdem die flüchtende Geschädigte infolge weiterer Schläge schließlich zu Boden gegan-gen war, trat der Angeklagte -
ohne dass Feststellungen
zur Art seines Schuh-werks getroffen werden konnten
-
mindestens [X.] mit dem beschuhten Fuß auf sie ein. Die Kammer hat weiter festgestellt, dass der Angeklagte [X.] seiner zur Tatzeit erheblichen Alkoholisierung in Verbindung mit der bei ihm aufgrund seiner langjährigen Alkoholabhängigkeit bereits eingetretenen Persönlichkeitsdepravation nicht ausschließbar in seiner Steuerungsfähigkeit erheblich vermindert war. Für diese Tat hat sie eine [X.] von zwei Jahren festgesetzt.
c)
Von der Anordnung der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt nach §
64 Satz 1 StGB hat die Kammer abgesehen. Die vorliegende Tat gehe zwar auf einen Hang des Angeklagten, alkoholische Getränke im Übermaß zu sich zu nehmen, zurück, und dieser Hang begründe
auch die Gefahr künftiger erheblicher Straftaten. Eine Entziehungstherapie sei jedoch aufgrund der bei dem Angeklagten bereits eingetretenen alkoholbedingten [X.] nicht erfolgversprechend. Er sei abstinenzunfähig und nicht in der Lage, seine Alkoholabhängigkeit als Problem zu erkennen und entsprechend zu han-deln.
Die sachverständig beratene [X.] hat -
ohne Ausführungen zu den formellen Voraussetzungen zu machen
-
eine Unterbringung in der Siche-rungsverwahrung abgelehnt, weil bei dem Angeklagten ein Hang zur Begehung erheblicher Straftaten im Sinne des §
66 Abs.
1 Nr.
3 StGB a.F. nicht vorliege. Es bestehe zwar das Risiko, dass der Angeklagte auch weiterhin alkoholbedingt Straftaten wie die bereits verübten begehen werde und daher für die [X.] gefährlich sei. Die zu erwartenden Straftaten beruhten indes nicht auf ei-nem bestehenden eingeschliffenen inneren Zustand bzw. einer auf [X.] Anlage beruhenden oder durch Übung erworbenen intensiven Neigung zu 6
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Rechtsbrüchen, sondern stellten sich -
wie auch die früheren Taten
-
"jeweils in Verbindung mit der Erkrankung des Angeklagten als situativ entstandene und eskalierte Konflikt-
bzw. [X.] dar", die eine [X.] gerade nicht begründeten ([X.] S.
21).
2.
Die Begründung, mit der das [X.] die Anordnung der Siche-rungsverwahrung abgelehnt hat, begegnet durchgreifenden rechtlichen Beden-ken. Die [X.] lassen besorgen, dass das [X.] seiner Entscheidung ein unzutreffendes Verständnis
des Hanges im Sinne des §
66 Abs.
1 Nr.
3 StGB a.F. zu Grunde gelegt hat.
Die [X.] hat nicht bedacht, dass für die Annahme eines Hanges ein "dauerhafter Entschluss", Straftaten zu begehen, nicht erforderlich ist. [X.] kann eine entsprechende, in der Persönlichkeit liegende Neigung auch bei sog. Gelegenheits-
und [X.] zu bejahen sein, denn auch sol-che Taten können auf einem eingeschliffenen Verhaltensmuster beruhen und damit Ausfluss eines inneren Hanges zu Straftaten sein ([X.], 238, 239). Entscheidend ist -
und damit hat sich die [X.] nicht aus-einandergesetzt
-, ob frühere Taten einen symptomatischen Charakter aufwei-sen und damit Indizwert für das Vorliegen eines gefährlichen Hanges haben
[X.] 58.
Aufl. §
66 Rn.
24). Auf die Ursache für das eingeschliffene Verhaltensmuster kommt es dabei nicht
an (vgl. Senat, Urteil vom 11.
September 2002 -
2
StR 193/02;
[X.]R StGB §
66 Abs.
1 Hang
11, [X.], Urteil vom 11.
März 2010 -
3
StR 538/09; vgl. auch Fischer aaO
§
66 Rn.
25 mwN). Einen Hang kann auch haben, wer [X.] ist und aus innerer Haltlosigkeit [X.] nicht genügend widerstehen kann ([X.] NStZ 2003, 310, 311; NStZ-RR 2003, 107, 108) oder wer aufgrund erhöhter Aggressionsbe-reitschaft dazu neigt, mit einer strafbaren Handlung auf einen äußeren Tatan-stoß zu reagieren ([X.] NStZ 1994, 280; NStZ-RR 2010, 238, 239). Selbst wenn sich eine Suchterkrankung als alleinige Ursache für die Kriminalität eines Täters feststellen lässt, scheidet die Annahme eines
Hanges im Sinne des §
66 8
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StGB nicht aus ([X.], Urteil vom 8.
Juli 2010 -
4
StR 210/10). Entsprechend ist auch dann, wenn sich die Straftaten als Ausdruck einer Persönlichkeitsstörung und der damit einhergehenden Neigung zu aggressivem
Ausagieren darstellen, ein symptomatischer Zusammenhang zwischen der abgeurteilten Tat und den die formellen Voraussetzungen der Sicherungsverwahrung begründenden Ta-ten für die Neigung des Angeklagten zur Begehung von erheblichen Straftaten nicht ausgeschlossen (vgl. [X.], 238, 239).
3.
Über die Anordnung der Sicherungsverwahrung ist daher neu zu [X.].
a)
Die formellen Voraussetzungen für die zwingende Anordnung der Si-cherungsverwahrung nach §
66 Abs.
1 Nr.
1 StGB a.F. liegen entgegen der Auffassung der Revision nicht vor. Der Angeklagte wurde zwar zweimal wegen vorsätzlicher Straftaten zu Freiheitsstrafen von mindestens einem Jahr verur-teilt; doch nur die Verurteilung aus 1999 erfolgte vor Begehung der [X.] am 7.
März 2010. Die
Verurteilung wegen
der beiden am 24.
Januar 2009 [X.] Taten erfolgte erst mit Urteil vom 11.
Mai 2010, weshalb es an der für §
66 Abs.
1 StGB notwendigen Feststellung der kriminellen Intensität des [X.] fehlt, die verlangt, dass er mindestens zweimal die Warnfunktion eines Strafurteils missachtet haben muss ([X.]St 52, 225, 226;
35, 6, 12; vgl.
[X.] LK StGB 12.
Aufl. §
66 Rn.
49).
Nach den Urteilsfeststellungen sind aber die formellen Voraussetzungen nach §
66 Abs.
2 StGB a.F. erfüllt. Der Angeklagte hat wegen drei
vorsätzlicher Taten -
der hier abgeurteilten Tat und zwei gesamtstrafen fähiger Taten
-
Frei-heitsstrafen zwischen einem Jahr und zwei Jahren verwirkt und ist wegen die-ser Taten zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von über drei Jahren verurteilt worden. Dem steht nicht entgegen, dass in die Gesamtstrafe bereits abgeurteilte Strafta-ten einbezogen wurden. §
66 Abs.
2 StGB a.F. verlangt lediglich, dass der Täter in dem Verfahren, in dem über die Frage der Sicherungsverwahrung zu [X.] ist, wegen einer Tat verurteilt wird ([X.] NStZ 2002, 536, 537).
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b)
Das am 1.
Januar 2011 in [X.] getretene Gesetz zur Neuordnung des Rechts der Sicherungsverwahrung und zu begleitenden Regelungen vom 22.
Dezember 2010 ([X.]
I S. 2300) hat nichts zugunsten des Angeklagten geändert (vgl. §
2 Abs.
6 StGB; Art.
316e Abs.
2 [X.]). Sowohl bei der [X.] als auch bei den beiden Vortaten handelt es sich
um Katalogtaten im Sinne des §
66 Abs.
1 Satz 1, Abs.
2 StGB in der seit dem 1.
Januar 2011 wirk-samen Fassung (vgl. Art.
316e Abs.
1, 2 [X.]).
c)
Eine Anordnung der Sicherungsverwahrung kommt auch unter Be-rücksichtigung der vom Bundesverfassungsgericht
in seinem Urteil vom 4.
Mai 2011 (NJW 2011, 1931 ff.) aufgestellten Anforderungen an die befristete weite-re Anwendung der als
verfassungswidrig erklärten Regelungen des [X.] über die Sicherungsverwahrung
noch in Betracht. Danach darf die Anwendung der Regelungen nur noch nach Maßgabe einer strikten Verhältnis-mäßigkeitsprüfung erfolgen, und der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz wird in der Regel nur gewahrt
sein, wenn "eine Gefahr schwerer Gewalt-
oder Sexualstra-fen aus konkreten Umständen in der Person oder dem Verhalten des Betroffe-nen abzuleiten"
ist ([X.] aaO S. 1946).
Aufgrund der Urteilsfeststellungen kann nicht ausgeschlossen werden, dass eine entsprechende Gefahrprognose gestellt werden kann. Im Rahmen dessen wird der neue Tatrichter jedoch ergänzend klarstellen müssen, welche konkreten Rechtsgüter gefährdet sind. Die Ausführungen des [X.]s
in dem angefochtenen Urteil
lassen nicht mit der notwendigen Klarheit erkennen, ob es seine Prognose, von dem Angeklagten seien auch in Zukunft Straftaten wie die bereits verübten zu erwarten, durch den angebrachten Zusatz, "nämlich speziell (gefährliche) Körperverletzungsdelikte seien zu befürchten", einschrän-ken wollte
([X.] S.
22).

4.
Die gebotene Aufhebung des Urteils, soweit das [X.] davon abgesehen hat, die Sicherungsverwahrung anzuordnen, führt,
insoweit zuguns-ten des Angeklagten (§ 301 StPO), zur Aufhebung des Strafausspruchs. Der 13
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Senat kann trotz an sich [X.] nicht ausschließen, dass die verhängte [X.] und die Gesamtstrafe niedriger ausgefallen wären, wenn das [X.] zugleich auf Sicherungs-verwahrung erkannt hätte (vgl. [X.] NJW 1980, 1055, 1056; [X.], 480, NStZ-RR 2003, 107, 108).

Fischer

[X.]

Berger

Eschelbach

[X.]

Meta

2 StR 190/11

03.08.2011

Bundesgerichtshof 2. Strafsenat

Sachgebiet: StR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 03.08.2011, Az. 2 StR 190/11 (REWIS RS 2011, 4227)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2011, 4227

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