Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 27.05.2020, Az. 1 WB 80/19

1. Wehrdienstsenat | REWIS RS 2020, 4022

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Gegenstand

Sonderurlaub für Familienheimfahrten


Leitsatz

Der Bewilligung von Sonderurlaub für Familienheimfahrten nach § 18 Abs. 1 und 2 SUrlV steht nicht entgegen, wenn ein Berechtigter an einem Tag der Woche Telearbeit zu Hause verrichtet.

Tenor

Das [X.] wird unter Aufhebung des Bescheides vom 28. Juni 2019 verpflichtet, dem Antragsteller nachträglich Sonderurlaub für den 21. Juni 2019 zu gewähren.

Die dem Antragsteller im Verfahren vor dem [X.] erwachsenen notwendigen Aufwendungen werden dem [X.] auferlegt.

Tatbestand

1

Das Verfahren betrifft die Gewährung von Sonderurlaub für eine Familienheimfahrt.

2

Der Antragsteller, ein Oberstleutnant, beantragte am 15. Mai 2019 die Gewährung von Sonderurlaub für eine Familienheimfahrt am 21. Juni 2019. Er ist beim [X.] ... eingesetzt. Sein Familienwohnsitz liegt in dem rund 400 km entfernten A. Mit Bescheid vom 28. Juni 2019 lehnte das [X.] die Gewährung des [X.] ab. Die Voraussetzungen für eine Bewilligung lägen nicht vor, weil die regelmäßige Arbeitszeit des Antragstellers nicht an fünf Tagen in der Woche in einer Entfernung von mindestens 150 km vom Wohnort abgeleistet werde. Der Antragsteller leiste an einem Tag Telearbeit am häuslichen Arbeitsplatz und erfüllte deswegen nicht die Voraussetzungen.

3

Mit dem am 14. Juli 2019 eingegangenen Widerspruch machte der Antragsteller geltend, dass er die tatbestandlichen Voraussetzungen der [X.]bestimmung erfülle. Er arbeite an fünf Tagen in der Woche und sein Familienwohnsitz sei mehr als 150 km vom Dienstort entfernt. Zwar verrichte er immer montags von 7:00 bis 16:00 Uhr bei sich zu Hause Telearbeit, danach reise er aber von 16:15 Uhr bis ca. 20:30 Uhr nach .... Also sei er auch an fünf Tagen in der Woche von seiner Familie getrennt. Für alle fünf Tage werde auch Trennungsgeld gewährt. Daher stehe ihm nach der [X.] zu. Auf Rückfrage teilte der Antragsteller mit, dass sein Widerspruch als Antrag auf gerichtliche Entscheidung zu werten sei.

4

Der Antragsteller beantragt,

ihm unter Aufhebung des Bescheides vom 28. Juni 2019 Sonderurlaub für Familienheimfahrten zu gewähren.

5

Das [X.] beantragt,

den Antrag abzuweisen.

6

Das [X.] hat den Antrag am 23. Dezember 2019 vorgelegt und trägt ergänzend vor, dass nach einer Auskunft des [X.], für Bau und Heimat vom 16. Mai 2019 der Zweck der [X.]regelung nur bei einer Fünf-Tage-Arbeitswoche am Dienstort eingreife. Wenn mobiles Arbeiten dazu führe, dass der Betroffene nicht fünf Arbeitstage von seinem Wohnort getrennt sei, bestehe nach dem Zweck der Regelung kein [X.]anspruch. Dies solle auch bei der nächsten Änderung der Verordnung ausdrücklich klargestellt werden.

7

Auf Nachfrage erklärte der Antragsteller, dass er nach Ablehnung des [X.] am Freitag den 21. Juni 2019 sieben Stunden Gleitzeit genommen habe. Das [X.] erklärte, dass im Falle eines Obsiegens (nachträgliche [X.]gewährung) eine Gutschrift der Überstunden möglich wäre. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Akten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

8

Der zulässige [X.]ntrag hat in der Sache Erfolg.

9

1. Das Verpflichtungsbegehren des Soldaten hat sich insbesondere nicht durch Zeitablauf erledigt. Denn er hat am 21. Juni 2019 im Einverständnis mit seiner Dienststelle Gleitzeit unter dem stillschweigenden Vorbehalt genommen, dass im Falle eines Erfolges seines Rechtsmittels nachträglich Sonderurlaub bewilligt und die angerechnete Gleitzeit seinem Zeitkonto wieder gutgeschrieben wird. Es ist auch mit [X.]blauf des Kalenderjahres 2019 weder rechtlich noch tatsächlich unmöglich geworden, nachträglich für den gewünschten Tag Sonderurlaub zu gewähren und die unter Vorbehalt genommene Gleitzeit in das Zeitguthaben des Jahres 2020 zu übernehmen (vgl. [X.], [X.]eschluss vom 27. Januar 2010 - 1 W[X.] 38.09 - [X.] 232.2 § 7 [X.]ZV [X.] Rn. 24).

2. Der [X.] ist begründet. Der [X.]escheid des [X.] vom 28. Juni 2019 ist rechtswidrig. Er verletzt den [X.]nspruch des [X.]ntragstellers auf [X.]ewilligung von Sonderurlaub für eine Familienheimfahrt.

a) Dieser Rechtsanspruch auf Sonderurlaub beruht auf § 9 der Verordnung über den Urlaub der Soldatinnen und Soldaten ([X.] - SUV) vom 14. Mai 1997 ([X.] 1134), zuletzt geändert durch Verordnung vom 20. [X.]ugust 2013 ([X.] [X.] 3286). Danach gelten für den Sonderurlaub die Vorschriften für [X.] und [X.]undesbeamte entsprechend, sofern sich aus den folgenden Vorschriften nichts anderes ergibt. Da die [X.] für den vorliegenden Fall keine spezielle Regelung enthält, gilt für Familienheimfahrten § 18 der Verordnung über den Sonderurlaub von [X.] und [X.]undesbeamten sowie für [X.]innen und [X.] im [X.]undesdienst ([X.]verordnung - [X.]) vom 1. Juni 2016 ([X.] 1284) entsprechend. Danach haben bestimmte [X.] einen [X.]nspruch auf Sonderurlaub für Familienheimfahrten unter Fortzahlung der [X.]ezüge, wenn die regelmäßige [X.]rbeitszeit auf mindestens fünf [X.]rbeitstage in der Woche verteilt ist und wenn die kürzeste Reisestrecke zwischen der Familienwohnung und der Dienststelle mindestens 150 km beträgt.

b) Diese [X.]nspruchsvoraussetzungen erfüllt der [X.]ntragsteller. Er ist erstens unstreitig zum [X.]ezug von Trennungsgeld nach § 3 [X.]bs. 3 Satz 2 [X.]uchst. a [X.] berechtigt, weil er mit seiner Ehegattin in häuslicher Gemeinschaft in [X.] lebt, einen getrennten Haushalt in [X.] führt und weil ihm nicht zugemutet werden kann, täglich zum Familienwohnsitz zurückzukehren (§ 3 [X.]bs. 1 Satz 1 [X.]). Zweitens beträgt die kürzeste Entfernung zwischen der Familienwohnung und der Dienststelle - wie es § 18 [X.]bs. 2 [X.] [X.] vorschreibt - mit rund 400 km eindeutig mehr als 150 km. Dass der [X.]ntragsteller an einem Tag in der Woche zu Hause Telearbeit leistet, führt nicht - wie es im angegriffenen [X.]escheid anklingt - dazu, dass der häusliche [X.]rbeitsplatz zeitweise zur Dienststelle wird. Die regelmäßige [X.]rbeitszeit des [X.]ntragstellers ist drittens auf fünf [X.]rbeitstage in der Woche verteilt (§ 18 [X.]bs. 2 Nr. 1 [X.]). Der [X.]ntragsteller arbeitet vier Tage in der Dienststelle und einen Tag an seinem Telearbeitsplatz zu Hause. Dies ist in der Telearbeitsplatzvereinbarung vom 20. März 2019 zwischen ihm und dem [X.]undesministerium der Verteidigung ausdrücklich geregelt.

c) Die Vorschrift des § 18 [X.]bs. 2 Nr. 1 und 2 [X.] ist auch nicht dahingehend einschränkend auszulegen, dass der Sonderurlaub nur gewährt wird, wenn an fünf [X.]rbeitstagen pro Woche mehr als 150 km entfernt von der Familienwohnung an der Dienststelle gearbeitet wird. Dagegen spricht bereits der Wortlaut der Vorschrift, wonach lediglich die [X.]nspruchsvoraussetzungen, weite Entfernung und [X.], kumulativ vorliegen müssen. Der [X.] stellt aber keine Verbindung zwischen der Verteilung der [X.]rbeitszeit auf die Wochentage und dem Ort der Dienstleistungserbringung her. Eine entsprechende Einschränkung gebietet auch nicht der Zweck der Regelung, Fernpendlern mit doppelter Haushaltsführung und fünftägiger [X.]rbeitswoche einen Freizeitausgleich für die Familie zu gewähren. Wer bei einer fünftägigen [X.]rbeitswoche einen Tag zu Hause arbeitet, kann sich an diesem Tag ebenfalls nicht wie an einem arbeitsfreien Tag um die Familie und seine privaten [X.]elange kümmern. Dies hat auch der [X.]ntragsteller durch die Schilderung seines montäglichen Tagesablaufs bei Erbringung der Telearbeit deutlich gemacht.

Der Einwand des [X.]undesministeriums des Innern, für [X.]au und Heimat, dass § 18 [X.]bs. 2 [X.] nach seinem Sinn und Zweck eine [X.] an der Dienststelle voraussetze und im Falle einer eintägigen Telearbeit keine fünftägige Trennung von der Familie vorliege, greift nicht durch. Denn die Vorschrift des § 18 [X.]bs. 2 [X.] stellt weder auf die durchgehende Präsenz an der Dienststelle noch auf die Dauer der Trennung von der Familie ab. Der [X.]nspruch ist, wie der Verweis des § 18 [X.]bs. 1 Satz 1 [X.] auf die Trennungsgeldberechtigung nach § 3 [X.]bs. 3 Satz 2 [X.]uchst. a und b [X.] zeigt, nur ausgeschlossen, wenn der [X.] ungeachtet der Entfernung im Sinne von § 3 [X.]bs. 1 Satz 1 [X.] täglich zum gemeinsamen Wohnort zurückkehrt (vgl. [X.], [X.]eschlüsse vom 22. Juli 1997 - 1 W[X.] 20.97 - [X.]E 113, 114 <115 f.> und vom 13. November 2002 - 2 [X.] 21.02 - [X.] 11 [X.]rt. 143a GG Nr. 3 Rn. 4). Hat er dagegen wie der [X.]ntragsteller an der Dienststelle einen getrennten Haushalt und kehrt er gelegentlich - etwa an einem [X.]bend der Woche - zum Wohnort zurück, steht ihm die Trennungsgeldberechtigung, an die § 18 [X.]bs. 1 [X.] anknüpft, weiterhin zu.

Gegen das Erfordernis einer durchgehenden fünftägigen [X.]bwesenheit vom Familienwohnort spricht ferner der Rechtsgrund der [X.]regelung des § 18 [X.]. Es handelt sich - wie bei der Vorläuferregelung des § 11 [X.] in der Fassung vom 25 [X.]pril 1997 ([X.] 978) - um eine auf der Fürsorgepflicht des Dienstherrn beruhende typisierende Regelung, die dienstlich veranlasste zeitliche Mehrbelastungen ausgleichen soll, die mit dem [X.] und der Vorhaltung einer Zweitwohnung verbunden sind (vgl. [X.], [X.]eschluss vom 13. November 2002 - 2 [X.] 21.02 - [X.] 11 [X.]rt. 143a GG Nr. 3 Rn. 4). Diese zeitlichen Mehrbelastungen bleiben bei einer [X.] unabhängig davon bestehen, ob ein [X.]rbeitstag am heimischen Telearbeitsplatz verbracht wird oder nicht. Denn dadurch verkürzen sich weder die Reisezeiten noch der mit dem Unterhalt der Zweitwohnung verbundene zeitliche [X.]ufwand.

d) Der nach § 9 SUV i.V.m. § 18 [X.] grundsätzlich bestehende [X.]nspruch auf einen Tag Sonderurlaub für eine Familienheimfahrt, den der [X.]ntragsteller im [X.]pril und Mai 2019 erworben hat, ist auch nicht durch Nr. 342 [X.] [X.]-1420/12 ausgeschlossen. Zum einen lässt sich eine entsprechende Einschränkung der Dienstvorschrift nicht entnehmen. Zum anderen kann eine Verwaltungsvorschrift den in einer Rechtsverordnung aus [X.] gewährten Rechtsanspruch auf Sonderurlaub weder erweitern noch ausschließen (vgl. [X.], [X.]eschluss vom 22. Juli 1997 - 1 W[X.] 20.97 - [X.]E 113, 114 <116>).

3. Da nicht ersichtlich ist, dass die Gewährung des [X.] am beantragten Tag dienstlichen Interessen i.[X.]. § 18 [X.]bs. 3 [X.] widersprochen hätte, war das [X.]undesministerium der Verteidigung unter [X.]ufhebung des [X.]escheids vom 28. Juni 2019 zu verpflichten, den Sonderurlaub nachträglich zu bewilligen. Dies hat zur Folge, dass dem Soldaten die am 21. Juni 2019 ersatzweise genommenen sieben Überstunden wieder gutzuschreiben sind.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 21 [X.]bs. 2 Satz 1 i.V.m. § 20 [X.]bs. 1 Satz 1 W[X.]O.

Meta

1 WB 80/19

27.05.2020

Bundesverwaltungsgericht 1. Wehrdienstsenat

Beschluss

Sachgebiet: WB

§ 9 SoldUrlV, § 18 Abs 1 SUrlV 2016, § 18 Abs 2 SUrlV 2016, § 3 Abs 1 S 1 TGV, § 3 Abs 3 S 2 Buchst a TGV, § 3 Abs 3 S 2 Buchst b TGV

Zitier­vorschlag: Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 27.05.2020, Az. 1 WB 80/19 (REWIS RS 2020, 4022)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2020, 4022

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