Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 17.01.2023, Az. 1 W-VR 32/22

1. Wehrdienstsenat | REWIS RS 2023, 635

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Gegenstand

Vorläufiger Rechtsschutz gegen den Widerruf von Sonderurlaub


Tenor

Die aufschiebende Wirkung der Beschwerde des Antragstellers vom 29. November 2022 gegen den Bescheid des [X.] vom 23. November 2022 wird angeordnet.

Die dem Antragsteller im Verfahren vor dem [X.] einschließlich der im vorgerichtlichen Verfahren (§ 3 Abs. 2 [X.]) erwachsenen notwendigen Aufwendungen werden dem [X.] auferlegt.

Tatbestand

1

Der Antragsteller begehrt vorläufigen Rechtsschutz gegen den Widerruf von Sonderurlaub.

2

Der ... geborene Antragsteller ist Berufssoldat. Auf seinen Antrag wird er mit Ablauf des 14. Juli 2024 aus dem Dienstverhältnis eines Berufssoldaten entlassen.

3

Am 26. bzw. 30. September 2022 beantragte er zur Vorbereitung des Berufswechsels und Aufnahme eines Studiums die Gewährung von Sonderurlaub unter Wegfall der Bezüge für den Zeitraum vom 1. Dezember 2022 bis 14. Juli 2024. Seine Vorgesetzten befürworteten diesen Antrag.

4

Mit dem Antragsteller am 21. Oktober 2022 ausgehändigten Bescheid des [X.] vom 18. Oktober 2022 wurde er antragsgemäß für den Zeitraum vom 1. Dezember 2022 bis 14. Juli 2024 unter Bezugnahme auf § 9 Soldatenurlaubsverordnung in Verbindung mit Nr. 350 [X.] [X.]12 zur Vorbereitung eines Berufswechsels (Aufnahme eines Studiums an der [X.]) unter Wegfall der Geld- und Sachbezüge beurlaubt.

5

Mit Studienbeginn zum 1. Dezember 2022 immatrikulierte sich der Antragsteller im Masterstudiengang Wirtschaftsrecht an der [X.]. Am 25. Oktober 2022 unterzeichnete er einen Arbeitsvertrag, nach dem er ab dem 16. Januar 2023 eine Tätigkeit als Business Developer aufnehmen soll.

6

Mit E-Mail vom 17. November 2022 wies das [X.] das [X.] an, die Gewährung von Sonderurlaub aufzuheben und erläuterte seine Auffassung zur Rechtswidrigkeit der Gewährung.

7

Nachdem der Antragsteller nach eigenen Angaben am 17. November 2022 über die mögliche Aufhebung der Gewährung von Sonderurlaub unterrichtet worden war, erläuterte er ergänzend seine Beweggründe und beantragte unter dem 21. und 23. November 2022 unter Bezugnahme auf befürwortende Stellungnahmen seiner Vorgesetzten und einer Truppenpsychologin erneut die Gewährung von Sonderurlaub.

8

Mit dem Antragsteller am 24. November 2022 ausgehändigten Bescheid vom 23. November 2022 hob das [X.] den Bescheid vom 18. Oktober 2022 über die Gewährung von Sonderurlaub auf. Eine erneute Prüfung habe ergeben, dass unter Berücksichtigung der zum Zeitpunkt der Gewährung vorliegenden begründenden Antragsunterlagen die rechtlichen Voraussetzungen für eine Gewährung von Sonderurlaub nicht vorlägen. Zum einen mangele es an einem für die Gewährung erforderlichen wichtigen Grund. Zum anderen bestehe wegen der durch die [X.] finanzierten Ausbildung des Antragstellers und des Bedarfs entsprechender Fachkenntnis ein dienstliches Interesse an seinem Verbleib.

9

Unter dem 29. November 2022 erhob der Antragsteller Beschwerde gegen den Widerruf und beantragte, die Vollziehung des Bescheides bis zur Entscheidung über die Beschwerde auszusetzen. Für die Gewährung des [X.] gebe es wichtige Gründe. Aus diesen sei zumindest dem erneuten Antrag stattzugeben. Andernfalls drohten ihm finanzielle Nachteile. Der bereits gewährte Sonderurlaub dürfe nur aus zwingenden dienstlichen Gründen widerrufen werden, die hier nicht ersichtlich seien. Wegen seiner Vermögensdispositionen sei der Widerruf zudem unverhältnismäßig. Er habe einen Vertrag über eine Krankenversicherung abgeschlossen, sich immatrikuliert und habe einen Arbeitsvertrag abgeschlossen.

Am 21. Dezember 2022 hat der Antragsteller eine gerichtliche Eilentscheidung beantragt und zu ihrer Begründung sein Beschwerdevorbringen wiederholt und vertieft. Insbesondere trägt er vor, die Gewährung von Sonderurlaub sei rechtmäßig gewesen. Die Differenzierung des [X.] zwischen der Absolvierung des gesamten Studiums und dem Abschluss des Studiums sei willkürlich und gleichheitswidrig. Es handele sich um ein als reinen Online-Studiengang aufgebautes und daher höchst flexibles Masterstudium, das in etwa 1 1/2 Jahren beendet werden könne. Die Hochschule bewerbe es wegen seiner Flexibilität als Teilzeitstudium, ohne dass es sich aber um ein solches handele. Seine berufliche Tätigkeit stehe der Ausübung des Studiums nicht entgegen, da es auf die Absolvierung neben einer Berufstätigkeit ausgelegt sei. Selbst wenn die Voraussetzungen für die Gewährung von Sonderurlaub nicht vorlägen, fehle es jedenfalls an den zwingenden dienstlichen Gründen für den Widerruf. Das pauschale Interesse an der Dienstleistung des Antragstellers und der Ableistung der Mindestdienstzeit genüge hierfür nicht.

Der Antragsteller beantragt,

die aufschiebende Wirkung der Beschwerde gegen den Bescheid vom 23. November 2022 über den Widerruf des [X.] anzuordnen,

hilfsweise die Vollziehung des Bescheides vom 23. November 2022 über den Widerruf des [X.] bis zu einer rechtskräftigen Entscheidung auszusetzen bzw. den Sonderurlaub, wie mit Bescheid vom 18. Oktober 2022 gewährt, einstweilig wiederherzustellen,

hilfsweise dem [X.] im Wege der einstweiligen Anordnung aufzugeben, dem Antragsteller bis zu einer rechtskräftigen Entscheidung in der Hauptsache auf seine vorsorglichen Anträge vom 21. November 2022 und vom 23. November 2022 Sonderurlaub zu gewähren.

Das [X.] beantragt,

den Antrag zurückzuweisen.

Es bestünden weder ein Anordnungsgrund noch ein Anordnungsanspruch. Die Gewährung von Sonderurlaub sei nach § 9 SUV i. V. m. § 24 Nr. 1 [X.] zu widerrufen gewesen, weil zwingende dienstliche Gründe dies forderten. Die Sonderurlaubsgewährung sei rechtswidrig gewesen. Es habe an einem wichtigen Grund im Sinne von Nr. 350 und 352 AR [X.]12 gefehlt. Der Antragsteller habe den Sonderurlaub nicht zur Erlangung eines Studienabschlusses, sondern zur Absolvierung des gesamten Studiums begehrt. Er habe zudem ein Fernstudium begonnen, das auch neben der beruflichen Tätigkeit absolviert werden könne. Der Sonderurlaub diene auch nicht der Vorbereitung eines Berufswechsels, vielmehr solle dieser direkt vollzogen werden. Nach dem Referentenentwurf zu § 22 [X.] sei ein privat durchgeführtes Studium oder die Vereinbarung eines privatrechtlichen Studiums kein wichtiger Grund im Sinne der Norm. Für mehr als drei Monate dürfe Sonderurlaub zudem nur in besonders begründeten Ausnahmefällen gewährt werden. Hieran fehle es erst recht. Das [X.] sei für die Gewährung von Sonderurlaub in dieser Länge nicht zuständig. Außerdem bestehe ein dienstliches Interesse an der Dienstleistung durch den Antragsteller bis zum Ablauf seiner Dienstzeit am 14. Juli 2024. Die vom Dienstherrn finanzierte Ausbildung des Antragstellers müsse für den Dienstherrn nach dem Sinn und Zweck des § 46 Abs. 3 [X.] nutzbar sein. Dies ändere auch die Einstufung des Antragstellers als nicht verwendungsfähig nicht, die sich nur auf eine bestimmte Verwendung beziehe und nichts über die Zeitdauer der Einstufung sage. Gewichtige dienstliche Nachteile im Sinne von § 24 Nr. 1 [X.] folgten daher daraus, dass der Antragsteller für mehr als drei Jahre keinen Dienst leisten würde, ohne dass die Voraussetzungen hierfür vorlägen. Außerdem würde die notwendige Mindestdienstzeit nach § 46 Abs. 3 [X.] unterlaufen. Der Widerruf sei eine gebundene Entscheidung. Auf den [X.] nach § 24 Abs. 2 Nr. 1 [X.] komme es nach § 46 VwVfG nicht an. Zudem könne die Anhörung im Beschwerdeverfahren nachgeholt werden.

Wegen der Einzelheiten des Sachverhaltes wird auf den Inhalt der Akten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

1. Der Antrag, die aufschiebende Wirkung der Beschwerde vom 29. November 2022 gegen den Aufhebungsbescheid des [X.] vom 23. November 2022 anzuordnen, ist gemäß § 17 Abs. 6 Satz 2 und 3 [X.] (hier [X.] m. § 21 Abs. 2 Satz 1 [X.]) zulässig, nachdem das [X.] unter dem 4. Januar 2023 eine Abhilfe abgelehnt und damit auch deutlich gemacht hat, dass es dem unter dem 29. November 2022 gestellten Antrag nach § 3 Abs. 2 [X.] nicht entsprechen wird.

Der Antragsteller hat den richtigen Rechtsweg beschritten, weil Streitigkeiten um eine Beurlaubung (§ 28 [X.]) den [X.] zugewiesen sind (§ 82 Abs. 1 [X.] [X.] m. § 17 Abs. 1 Satz 1 [X.]; vgl. BVerwG, Beschluss vom 30. September 2020 - 1 WB 78.19 - [X.] 449.3 § 9 SUV Nr. 10 Rn. 24 m. w. N.).

Der als Hauptantrag formulierte Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung seines Rechtsbehelfs gegen den Widerruf der Gewährung von Sonderurlaub ist statthaft (§ 21 Abs. 2 Satz 1 [X.] m. § 17 Abs. 6 Satz 2 [X.]). Denn damit wäre die Wirksamkeit des [X.] vorläufig beseitigt und damit zugleich die Wirksamkeit der Gewährung von Sonderurlaub bis zu einer rechtskräftigen Entscheidung in der Hauptsache wiederhergestellt.

2. Der Antrag ist bereits im Hauptantrag begründet, sodass über die Hilfsanträge nicht zu entscheiden ist.

Der Gesetzgeber hat dem öffentlichen Interesse an der sofortigen Vollziehbarkeit truppendienstlicher Maßnahmen grundsätzlich den Vorrang vor den persönlichen Belangen des Soldaten eingeräumt (§ 17 Abs. 6 Satz 1 [X.]). Die Anordnung der aufschiebenden Wirkung kommt deshalb nur in Betracht, wenn sich bereits bei summarischer Prüfung durchgreifende Zweifel an der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Maßnahme ergeben oder dem Soldaten durch deren sofortige Vollziehung unzumutbare, insbesondere nicht wieder gutzumachende Nachteile entstünden (stRspr, vgl. z. B. BVerwG, Beschluss vom 2. Februar 2015 - 1 [X.] 3.14 - juris Rn. 22 m. w. N.).

Nach summarischer Prüfung ist der Bescheid des [X.] der [X.] vom 23. November 2022 rechtswidrig.

a) Er ist zwar voraussichtlich nicht bereits aus formellen Gründen aufzuheben.

Die unstreitig unterbliebene, aber nach § 24 Abs. 2 Nr. 1 [X.] erforderliche Anhörung der Vertrauensperson zur Aufhebung der Gewährung von Sonderurlaub für den Antragsteller kann jedenfalls im Beschwerdeverfahren grundsätzlich nachgeholt werden (vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 20. Juni 2005 - 1 WB 60.04 - [X.] 252 § 20 [X.] Nr. 1 S. 3 f. und vom 11. Januar 2007 - 1 [X.] 7.06 - [X.] 449.7 § 23 [X.] Nr. 4 Rn. 27) und rechtfertigt daher gegenwärtig für sich genommen den Erfolg eines Rechtsbehelfs nicht. Da dem Antragsteller zumindest fernmündlich die Aufhebung des Bescheides vom 18. Oktober 2022 angekündigt wurde und er hierzu schriftlich Stellung genommen hat, ist dem Erfordernis seiner Anhörung (§ 28 Abs. 1 VwVfG) voraussichtlich genügt. In den Grenzen des § 45 Abs. 2 VwVfG sind auch Mängel der Begründung des Bescheides nach § 39 Abs. 1 VwVfG heilbar.

b) Jedoch ist der Bescheid über die Aufhebung der Gewährung von Sonderurlaub bei summarischer Prüfung materiell rechtswidrig.

aa) Es fehlt voraussichtlich an den nach § 9 SUV [X.] m. § 24 Nr. 1 SUrlV erforderlichen zwingenden dienstlichen Gründen.

(1) Zwingende dienstliche Gründe liegen vor, wenn ohne den Widerruf der Dienstbetrieb erheblich beeinträchtig würde oder andere gewichtige dienstliche Nachteile ernsthaft zu besorgen wären (BVerwG, Beschluss vom 20. Februar 2002 - 1 WB 5.02 - [X.] 236.12 § 9 SUV Nr. 7 zur Vorgängernorm). Nach der - vom [X.] selbst in Bezug genommenen - Begründung des [X.] des [X.] zur Verordnung über den Sonderurlaub für Bundesbeamtinnen und Bundesbeamte sowie für [X.]innen und [X.] des Bundes (Bearbeitungsstand: 21. April 2016) liegen zwingende dienstliche Gründe im Sinne von § 24 Nr. 1 SUrlV vor, wenn bei Abwesenheit der Beamtin oder des Beamten die ordnungsgemäße Erledigung der Dienstgeschäfte nicht mehr gewährleistet wäre. Dies bedeute, dass mit großer Wahrscheinlichkeit eine schwerwiegende Beeinträchtigung der Aufgabenerfüllung droht und die ordnungsgemäße Aufgabenerfüllung nicht durch andere Maßnahmen sichergestellt werden kann.

(2) Gründe von diesem Gewicht sind weder im angegriffenen Bescheid noch in der Stellungnahme des [X.] dargelegt oder sonst ersichtlich.

Zwar weist das [X.] mit Recht darauf hin, dass ein dienstliches Interesse an der Dienstleistung des Antragstellers bis zum Ablauf seiner Dienstzeit besteht. Der Dienstherr hat den Antragsteller ausgebildet und diese mit öffentlichen Mitteln finanzierte Investition in sein Personal muss er für eine angemessene [X.] nutzen können (vgl. § 46 Abs. 3 Satz 1 Halbs. 2 [X.]). § 24 Nr. 1 SUrlV verlangt aber ausdrücklich nicht bloß das Vorliegen dienstlicher Gründe, sondern das Vorliegen zwingender dienstlicher Gründe. Damit verlangt die Norm schon ihrem Wortlaut nach für den nicht im Ermessen der Behörde stehenden Widerruf eines gewährten [X.] ein besonderes Gewicht der durch den Widerruf verfolgten dienstlichen Interessen, das durch die oben beschriebenen gravierenden Gefährdungen der Erfüllung dienstlicher Aufgaben charakterisiert ist. Dass dienstliche Gründe für die Weiterverwendung des Antragstellers sprechen, ist zwar eine notwendige, aber noch keine hinreichende Bedingung für den Widerruf nach der angeführten Bestimmung. Hinzukommen muss vielmehr, dass zumindest vorübergehend eine Verwendung des Antragstellers auf einem Dienstposten unerlässlich ist, um die ordnungsgemäße Erfüllung der Aufgaben einer (Teil)Einheit sicherzustellen. Dies ist hier weder dargelegt, noch ersichtlich, zumal die Vorgesetzten des Antragstellers dessen Antrag auf Sonderurlaub befürwortet hatten.

Das Fehlen der Voraussetzungen für die Gewährung von Sonderurlaub begründet für sich genommen ebenfalls keine zwingenden dienstlichen Gründe für den Widerruf eines erteilten [X.]. Nach dem Wortlaut des § 24 Nr. 1 SUrlV ist die Rechtswidrigkeit der Gewährung von Sonderurlaub weder eine notwendige noch eine hinreichende Voraussetzung für den Widerruf.

[X.]) Der Aufhebungsbescheid kann voraussichtlich auch nicht auf die - auf truppendienstliche Maßnahmen entsprechend anwendbare (vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 28. Februar 2012 - 1 WB 22.11 - [X.] 450.1 § 17 [X.] Nr. 82 Rn. 18 m. w. N. und vom 25. Februar 2021 - 1 [X.] 13.20 - [X.] 316 § 49 VwVfG Nr. 56 Rn. 24) - Vorschrift des § 48 VwVfG gestützt werden.

(1) Zwar spricht Vieles dafür, dass die Gewährung von Sonderurlaub mit Bescheid vom 18. Oktober 2022 rechtswidrig gewesen ist.

(a) Zum einen fehlt dem [X.] die Zuständigkeit für die Erteilung. Nach § 22 Abs. 1 Satz 2 SUrlV kann Sonderurlaub für mehr als drei Monate nur durch die oberste Dienstbehörde oder die von ihr bestimmte unmittelbar nachgeordnete Behörde genehmigt werden. Zwar hatte das [X.] als oberste Dienstbehörde mit Erlass vom 10. April 2014 - [X.] 1 - Az 10-01-00 - das ihm unmittelbar nachgeordnete [X.] für Soldaten bis einschließlich der Besoldungsgruppe [X.] mit der Entscheidung über Sonderurlaub unter Wegfall der Bezüge für mehr als sechs Monate beauftragt. Unabhängig davon, dass der Bescheid vom 18. Oktober 2022 nicht - wie von diesem Erlass vorgesehen - "im Auftrag des [X.]" gezeichnet wurde, galt der Auftrag nur "bis zum Abschluss der bevorstehenden Anpassung der Vorschriften- und Erlasslage", also jedenfalls nicht mehr mit dem Wirksamwerden der seit 31. August 2015 geltenden Zentralen Dienstvorschrift ([X.]) [X.]/12 "Ausführung der [X.]", die in Nr. 505 Buchst c dezidiert eine Zuständigkeit des [X.] für Sonderurlaub nach Nr. 350 - 352 mit einer Dauer von mehr als sechs Monaten vorsah, während das [X.] für Sonderurlaub nur in den in [X.] aufgezählten - hier nicht vorliegenden - Sonderfällen entscheiden sollte. Entsprechendes gilt aktuell nach den Bestimmungen in [X.] und 505 AR [X.]/12. Mithin ist eine aktuell wirksame und für den vorliegenden Bescheid eingreifende Beauftragung des [X.] der [X.] mit der in Rede stehenden Entscheidung nicht ersichtlich. Dieser sachliche Zuständigkeitsmangel war aber nicht offensichtlich im Sinne des § 44 Abs. 1 VwVfG und führte daher nicht zur Nichtigkeit der Sonderurlaubsbewilligung (vgl. [X.], in: [X.]/[X.], VwVfG, 23. Aufl. 2022, § 44 Rn. 15).

(b) Zum anderen dürften voraussichtlich die Erteilungsvoraussetzungen nach § 9 SUV [X.] m. §§ 3, 22 Abs. 1 SUrlV nicht vorliegen.

Hiernach kann gemäß § 22 Abs. 1 Satz 1 SUrlV Sonderurlaub unter Wegfall der Bezüge gewährt werden, wenn ein wichtiger Grund vorliegt und dienstliche Gründe nach § 3 Nr. 2 SUrlV nicht entgegenstehen (vgl. auch Nr. 350 Satz 1 [X.] [X.]/12 bzw. AR [X.]/12). Sonderurlaub für mehr als drei Monate kann nach § 22 Abs. 1 Satz 2 SUrlV nur in besonders begründeten Fällen erteilt werden (vgl. auch Nr. 350 Satz 2 [X.] [X.]/12 bzw. AR [X.]/12).

(aa) Die Frage, ob ein wichtiger Grund für die Gewährung von Sonderurlaub anzunehmen ist, unterliegt in vollem Umfang der gerichtlichen Nachprüfung (vgl. auch zum Nachfolgenden BVerwG, Beschluss vom 21. März 2013 - 1 WB 24.12 - [X.] 449.3 § 9 SUV Nr. 9 Rn. 18 m. w. N.). Der [X.] der [X.] erfordert grundsätzlich, dass Berufssoldaten und Soldaten auf [X.] die freiwillig übernommenen Verpflichtungen zur Dienstleistung voll erfüllen. Da eine Beurlaubung aus wichtigem Grund die Erfüllung der Dienstpflicht tangiert, kann sie nicht schon in Betracht gezogen werden, wenn der Soldat seine Belange selbst für wichtig erachtet, sondern nur, wenn sie bei objektiver Betrachtung gewichtig und schutzwürdig sind. Je länger der beantragte Sonderurlaub dauern soll, umso stärker wird das öffentliche Interesse an der vollen Dienstleistung des Soldaten berührt und umso höhere Anforderungen sind an die Gewichtigkeit und Schutzwürdigkeit des geltend gemachten [X.] zu stellen. Handelt es sich um einen besonders langen Sonderurlaub, können die persönlichen Belange des Soldaten als wichtiger Grund nur dann anerkannt werden, wenn er sich in einer Ausnahmesituation befindet, die sich als eine wirkliche Zwangslage darstellt.

Insbesondere sind wichtige Gründe für die Gewährung von Sonderurlaub ein Studienabschluss, Studienreisen, der Besuch von Tagungen, Erntehilfe im Familienbetrieb oder die Vorbereitung eines Berufswechsels außerhalb der Berufsförderung (Nr. 352 [X.] bzw. AR [X.]/12).

([X.]) Derartige Gründe sind vom Antragsteller bei summarischer Prüfung nicht vorgebracht. Es kommt daher nicht mehr darauf an, ob auch eine besondere Begründung für die Dauer des [X.] über drei Monate hinaus besteht.

Zwar mag ein Studium als Vorbereitung eines Berufswechsels grundsätzlich vom Begriff des wichtigen Grundes erfasst sein. Vorliegend steht jedoch ein Online-Studium an einer Fernhochschule in Rede, das der Antragsteller neben einer Berufstätigkeit für ein privatwirtschaftliches Unternehmen absolvieren will und nach eigenen Angaben auch absolvieren kann. Hiernach ist nicht ersichtlich, wieso für die Teilnahme an dem Studiengang eine (vollständige) Freistellung vom militärischen Dienst durch Sonderurlaub erforderlich sein und deshalb einen hinreichend gewichtigen Grund darstellen sollte.

Der Wunsch, als [X.] für ein privates Unternehmen arbeitsvertraglich tätig zu werden, begründet keinen wichtigen Grund im oben angeführten Sinn. Das [X.] weist zutreffend darauf hin, dass die Gewährung von Sonderurlaub die erst mit dem 15. Juli 2024 wirksam werdende Entlassung des Antragstellers faktisch vorzieht und damit § 46 Abs. 3 Satz 1 Halbs. 2 [X.] unterläuft. Der Wunsch nach einer beruflichen Veränderung ist bis zum 14. Juli 2024 kein privater Grund für eine Beurlaubung, der bei objektiver Betrachtung so gewichtig und schutzwürdig wäre, dass er das öffentliche Interesse, zur Erfüllung des Auftrages der [X.] die freiwillig übernommene Verpflichtung des Antragstellers zur Dienstleistung überwiegen würde.

(2) Zweifelhaft ist bereits, ob der Bescheid vom 23. November 2022, den das [X.] dezidiert als gebundene Entscheidung im Sinne eines Widerrufs nach § 9 SUV [X.] m. § 24 Nr. 1 SUrlV behandelt, in eine Ermessensentscheidung nach Maßgabe von § 48 VwVfG umgedeutet werden kann (vgl. [X.], in: [X.]/[X.], VwVfG, 23. Aufl. 2022, § 47 Rn. 17; § 47 Abs. 3 VwVfG).

Eine solche Entscheidung wäre jedenfalls ermessensfehlerhaft. Denn bei einer Rücknahme muss nach § 48 Abs. 1 Satz 1 VwVfG Ermessen ausgeübt werden. Ein Ermessen - insbesondere eine Abwägung der dienstlichen Interessen an einer Aufhebung mit dem schutzwürdigen Vertrauen des Antragstellers auf den Bestand der Gewährung von Sonderurlaub - ist gar nicht ausgeübt worden, sodass eine Umdeutung ausscheidet. Im Übrigen dürfte dem [X.] die sachliche Zuständigkeit für eine Rücknahme fehlen (vgl. BVerwG, Urteil vom 20. Dezember 1999 - 7 C 42.98 - BVerwGE 110, 226 <230 f.>).

3. [X.] beruht auf § 21 Abs. 2 Satz 1 [X.] m. § 20 Abs. 1 Satz 1 [X.].

Meta

1 W-VR 32/22

17.01.2023

Bundesverwaltungsgericht 1. Wehrdienstsenat

Beschluss

Sachgebiet: False

§ 47 VwVfG, § 48 VwVfG, § 9 SoldUrlV, § 33 Abs 1 SUrlV 2016, § 24 Nr 1 SUrlV 2016, § 22 Abs 1 S 1 SUrlV 2016

Zitier­vorschlag: Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 17.01.2023, Az. 1 W-VR 32/22 (REWIS RS 2023, 635)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2023, 635

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