Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 16.09.2004, Az. III ZB 33/04

III. Zivilsenat | REWIS RS 2004, 1605

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BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS [X.]/04
vom 16. September 2004 in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja [X.]: nein [X.]R: ja

ZPO §§ 485; 3

a) In dem selbständigen Beweisverfahren auf Begutachtung durch einen Sachverständi-gen (§ 485 Abs. 2 ZPO) ist der Sachvortrag des Antragstellers hinsichtlich des Haupt-anspruchs, zu dessen Geltendmachung die Begutachtung dienen soll, grundsätzlich nicht auf seine Schlüssigkeit oder Erheblichkeit zu prüfen. Ausnahmen können etwa gelten, wenn von vornherein ein Rechtsverhältnis, ein möglicher Prozeßgegner oder ein Anspruch nicht erkennbar ist.
b) Der Streitwert des selbständigen Beweisverfahrens ist mit dem [X.] oder mit dem Teil des [X.]es anzusetzen, auf den sich die Beweiserhebung [X.].

- 2 -

[X.], Beschluß vom 16. September 2004 - [X.]/04 - OLG [X.]

LG Kiel

- 3 -

[X.] hat am 16. September 2004 durch [X.] und [X.] [X.], Dr. [X.], [X.] und [X.]

beschlossen:
Auf die Rechtsmittel der Antragsteller werden die Beschlüsse des 16. Zivilsenats des [X.] in [X.] vom 13. April 2004 und der 11. Zivilkammer des [X.] vom 21. November 2003 aufgehoben.

Es ist nach Maßgabe der Antragsschrift vom 23. Oktober 2003
Beweis zu erheben.

Die weiter erforderlichen Anordnungen und Maßnahmen werden dem [X.] übertragen.

Der Streitwert für das Rechtsbeschwerdeverfahren wird auf
50.000 • festgesetzt.

Gründe:
[X.]

Die Antragsteller begehren im selbständigen Beweisverfahren die [X.] an einem Grundstück, das sie aufgrund des - 4 -

[X.] vom 30. August 2002 für 195.000 • im Zwangsverstei-gerungsverfahren erworben haben. Der Antragsgegner, ein von der Industrie- und Handelskammer zu [X.]öffentlich bestellter und vereidigter Sachverstän-diger für die Bewertung von bebauten und unbebauten Grundstücken, hatte zuvor auf Ersuchen des Zwangsversteigerungsgerichts den Verkehrswert des Grundstücks mit 248.000 • ermittelt; in dieser Höhe hatte das Gericht den Wert festgesetzt. Die Antragsteller werfen dem Antragsgegner Fehler bei der Wert-ermittlung vor, nämlich daß er zahlreiche Gebäudemängel und -schäden [X.] gelassen habe, deren Beseitigung einen Aufwand von weit mehr als 50.000 • erfordern werde und die sich deshalb deutlich [X.] hätten auswirken müssen.

Das [X.] hat den auf Einholung eines Sachverständigengutach-tens über die behaupteten Mängel und die Kosten von deren Beseitigung [X.] über die Frage, ob das vom Antragsgegner erstellte Wertgutachten zutref-fend war oder zu einem niedrigeren Ergebnis hätte führen müssen, gerichteten Antrag zurückgewiesen. Die sofortige Beschwerde der Antragsteller ist erfolg-los geblieben. Mit der vom [X.] zugelassenen [X.] verfolgen die Antragsteller ihr Begehren weiter.

I[X.]

Die Rechtsbeschwerde ist zulässig und auch begründet.

1. Die durch das [X.] vom 17. Dezember 1990 ([X.] I S. 2847) mit Wirkung vom 1. April 1991 neu gestalteten [X.] 5 -

mungen über das selbständige Beweisverfahren ermöglichen in § 485 Abs. 2 ZPO eine von einem Beweissicherungsbedürfnis, wie es etwa § 485 Abs. 1 ZPO voraussetzt, unabhängige Erhebung des [X.] ([X.]/[X.] ZPO 24. Aufl. 2004 § 485 Rn. 6 m.w.[X.]). Voraussetzung ist lediglich, daß der Antragsteller ein rechtliches Interesse an der zu treffenden Feststel-lung hat; ein solches ist anzunehmen, wenn die Feststellung der Vermeidung eines Rechtsstreits dienen kann.

2. Der Begriff des "rechtlichen Interesses" ist weit zu fassen. Insbesondere ist es dem Gericht grundsätzlich verwehrt, bereits im Rahmen des selbständi-gen Beweisverfahrens eine Schlüssigkeits- oder Erheblichkeitsprüfung vorzu-nehmen. Dementsprechend kann ein rechtliches Interesse dann verneint wer-den, wenn ein Rechtsverhältnis, ein möglicher Prozeßgegner oder ein [X.] nicht ersichtlich ist ([X.]/[X.] aaO Rn. 7a m.w.[X.]). Dabei kann es sich nur um völlig eindeutige Fälle handeln, in denen evident ist, daß der be-hauptete Anspruch keinesfalls bestehen kann (vgl. [X.] NJW-RR 1996, 573, 574; OLG Düsseldorf NJW-RR 2001, 1725, 1726).

3. Das Beschwerdegericht meint, ein rechtliches Interesse fehle bereits dann, wenn eine Anspruchsgrundlage für den behaupteten Schadensersatzan-spruch zwar theoretisch denkbar, aber offensichtlich nicht gegeben sei. Eine derartige Fallkonstellation liege hier vor.

4. Darin vermag der Senat dem Beschwerdegericht nicht zu folgen. Eine ganz offensichtliche Aussichtslosigkeit des [X.], zu dessen Vorbereitung das hier in Rede stehende selbständige Beweisverfahren dienen soll, kann hier nicht festgestellt werden. - 6 -

a) Die Antragsteller berühmen sich eines Anspruchs gegen den [X.], weil dieser als gerichtlich bestellter Sachverständiger in einem Zwangsversteigerungsverfahren grob fahrlässig ein Wertgutachten falsch er-stellt habe. Es seien gröbste Mängel des Hauses übersehen worden, so daß ein Wert von 248.000 • statt richtigerweise von allenfalls 190.000 • ermittelt worden sei. Das Amtsgericht habe den Verkehrswert auf der Basis des fal-schen Gutachtens mit 248.000 • festgesetzt, woraufhin sie, die Antragsteller, das Grundstück für 195.500 • ersteigert hätten. Wäre der Verkehrswert auf-grund eines zutreffenden Wertgutachtens mit etwa 190.000 • festgesetzt [X.], hätten sie das Grundstück für einen beträchtlich niedrigeren Betrag als 195.000 • ersteigert.

b) Auf der Grundlage dieses Vorbringens hat das Beschwerdegericht einen Schadensersatzanspruch der Antragsteller gegen den Antragsgegner nach § 839a BGB in Betracht gezogen. Diese Bestimmung ist durch das [X.] zur Änderung schadensersatzrechtlicher Vorschriften vom 19. Juli 2002 ([X.] I S. 2674) in das Bürgerliche Gesetzbuch eingefügt worden und schafft eine systematisch im Umfeld der Amtshaftung angesiedelte Haftung des ge-richtlichen Sachverständigen für solche Schäden, die einem Verfahrensbetei-ligten durch eine gerichtliche Entscheidung entstehen, die auf einem vorsätz-lich oder grob fahrlässig unrichtigen Gutachten beruht. Das Beschwerdegericht geht auch zutreffend davon aus, daß das hier in Rede stehende Schadenser-eignis - die Ersteigerung des Grundstücks - zeitlich in den Geltungsbereich dieser Bestimmung fallen kann, da es nach dem 31. Juli 2002 eingetreten ist (Art. 229 § 8 Abs. 1 EGBGB).
- 7 -

c) Das Beschwerdegericht meint, eine Haftung des Antragsgegners we-gen des behaupteten Fehlers nach § 839a BGB scheide schon deshalb aus, weil die gerichtliche Entscheidung, nämlich der Zuschlag vom 30. August 2002, nicht auf dem angeblich falschen Wertgutachten beruhe. Das [X.] nach dem [X.] sei als selbständiges Nebenverfahren ausge-staltet. Der [X.] werde nicht dadurch materiell unrichtig, daß zuvor der Wert des Grundstücks falsch festgesetzt worden sei. § 74a Abs. 5 Satz 4 [X.] schließe eine Anfechtung des Zuschlags wegen einer unrichtigen, aber rechtskräftigen [X.] ausdrücklich aus. Folglich beruhe ledig-lich der rechtskräftige [X.]sbeschluß, nicht aber der [X.] auf dem angeblich falschen Wertgutachten des Antragsgegners. Erst der [X.] könne aber zu einem Schaden der Antragsteller ge-führt haben.

d) Mit dieser Argumentation verläßt das Beschwerdegericht die ihm im Rahmen des selbständigen Beweisverfahrens zustehende eingeschränkte Prü-fungskompetenz, ob ein rechtliches Interesse der Antragsteller an der begehr-ten Tatsachenfeststellung anzunehmen ist. Die vom Berufungsgericht erörter-ten Gesichtspunkte betreffen rechtsgrundsätzliche Fragen zum Umfang der Haftung des gerichtlichen Sachverständigen nach § 839a BGB. [X.] hat auch der [X.] in zwei noch zum früheren Recht er-gangenen Entscheidungen für vergleichbare Fallkonstellationen in Betracht gezogen, daß nach neuem Recht eine Haftung des gerichtlichen [X.] nach § 839a BGB eintreten könne (Senatsurteil vom 6. Februar 2003 - [X.] = [X.], 1535, 1536; Urteil des V[X.] Zivilsenats vom 20. Mai 2003 - [X.] ZR 312/02 = NJW 2003, 2825, 2826 = [X.], 1049, 1050). Das selbständige Beweisverfahren ist - wie die Rechtsbeschwerde mit Recht rügt - - 8 -

nicht dazu geeignet, diese Fragen abschließend zu entscheiden; vielmehr nimmt der angefochtene Beschluß in unzulässiger Weise die Hauptsache vor-weg.

5. Die Sachentscheidungen beider Vorinstanzen können daher keinen [X.] haben. Der Senat macht von der ihm durch § 577 Abs. 5 Satz 1 ZPO eingeräumten Befugnis, in der Sache zu entscheiden, insoweit Gebrauch, als er die Anordnung trifft, daß die beantragte Beweisaufnahme durchzuführen ist. Die weiter erforderlichen Maßnahmen werden gemäß § 572 Abs. 3 ZPO dem [X.] als dem Gericht des ersten [X.] übertragen.

II[X.]

Der Senat bemißt den Streitwert für das Rechtsbeschwerdeverfahren nach dem vollen mutmaßlichen [X.], hier also nach dem in der [X.] angegebenen Minderwert des Grundstücks von 50.000 •.
1. Die Frage nach dem Streitwert des selbständigen Beweisverfahrens ist in der Rechtsprechung, insbesondere derjenigen der [X.]e, um-stritten. Die weit überwiegende Meinung bemißt ihn nach dem vollen Hauptsa-chewert; dem stimmt das Schrifttum nahezu einmütig zu. Einige [X.] setzen dagegen nur einen Bruchteil des [X.]es an (umfas-sende Darstellung des [X.] bei [X.]/[X.] aaO § 3 Rn. 16 Stichwort: "Selbständiges Beweisverfahren"). Auch das Beschwerdegericht teilt diese letztere Auffassung und hat im vorliegenden Fall den Streitwert daher auf - 9 -

die Hälfte des von den Antragstellern angegebenen Minderwerts, d.h. auf 25.000 •, festgesetzt.

2. Der Senat entscheidet diese Streitfrage nunmehr im Sinne der herr-schenden Meinung.

a) Die unterschiedlichen Positionen treten besonders charakteristisch einerseits in dem Beschluß des [X.], NJW-RR 1994, 761 f - voller Haupt-sachewert -, andererseits in dem Beschluß des OLG [X.] (des jetzigen [X.]), [X.] 2003, 257 ff - in der Regel die Hälfte des [X.] - zutage. Das OLG [X.] erblickt das zentrale Argument für den Abschlag darin, daß der Antrag gerade nicht auf Verurteilung zur Zahlung einer bestimmten Geldsumme, sondern auf Feststellung von Tatsachen und die Ermittlung von Grundlagen für einen möglichen künftigen Prozeß gerichtet sei. Es liege auf der Hand, daß dieses Verfahren keinen höheren Wert haben kön-ne als eine statt des Beweisverfahrens angestrengte Feststellungsklage mit gleichem Ziel. Würde in deren Rahmen Beweis erhoben, bestünde kein Streit, daß sich die [X.] nach dem bei [X.] ermäßigten [X.] richte, obwohl eine erfolgreiche Feststellungsklage wegen der mit dem [X.] verbundenen [X.] ein ungleich hö-heres wirtschaftliches Gewicht hätte als eine im Sinne des Antragstellers [X.] Beweisaufnahme im Rahmen eines selbständigen Beweisverfah-rens.

b) Dem hält das [X.] Köln jedoch mit Recht entgegen, daß das selbständige Beweisverfahren nach der gesetzlichen Neuregelung als vor-weggenommener Teil des späteren Hauptsacheverfahrens anzusehen ist. Dies - 10 -

ergibt sich mit besonderer Deutlichkeit aus dem Verwertungsgebot des § 493 Abs. 1 ZPO, wonach die selbständige Beweiserhebung einer Beweisaufnahme vor dem Prozeßgericht gleichsteht. Sie dient damit nicht der Verfolgung eines im Verhältnis dazu geringeren Rechtsschutzziels. Es kommt nicht darauf an, daß das selbständige Beweisverfahren nicht als solches auf die Schaffung ei-nes Titels ausgerichtet ist (was wegen § 492 Abs. 3 ZPO auch nur mit [X.] richtig ist), sondern darauf, daß es bestimmt und geeignet ist, in einem solchen Verfahren verwendet zu werden. Dem schließt sich der Senat an.

3. Dabei ist der vom Antragsteller bei Verfahrenseinleitung geschätzte Wert (§ 23 GKG a.F.; § 61 GKG n.F.) weder bindend noch maßgeblich; das Gericht hat nach Einholung des Gutachtens den "richtigen" [X.], bezogen auf den Zeitpunkt der Verfahrenseinleitung und das Interesse des Antragstellers, festzusetzen ([X.], 827, 828; [X.]/[X.] aaO m.w.[X.]). Dies kann beispielsweise bedeuten, daß dann, wenn im Beweisverfahren nicht alle behaupteten Mängel bestätigt werden, für die Streitwertfestsetzung diejenigen Kosten zu schätzen sind, die sich ergeben hätten, wenn jene Mängel festgestellt worden wären ([X.] [X.] 2001, 132). Für das jetzige Rechtsbeschwerdeverfahren hat es indessen - mangels entgegengesetzter Anhaltspunkte - bei den Angaben der [X.] als Grundlage für die [X.] zu verbleiben.

[X.] [X.] [X.]

[X.] [X.]

Meta

III ZB 33/04

16.09.2004

Bundesgerichtshof III. Zivilsenat

Sachgebiet: ZB

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 16.09.2004, Az. III ZB 33/04 (REWIS RS 2004, 1605)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2004, 1605

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