Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 21.01.2003, Az. VI ZB 51/02

VI. Zivilsenat | REWIS RS 2003, 4815

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[X.] ZB 51/02vom21. Januar 2003in dem [X.]:[X.]:ja[X.]R: [X.] § 485 Abs. 2Ein rechtliches Interesse an der Durchführung des selbständigen [X.] § 485 Abs. 2 ZPO kann bei [X.] nicht aus grundsätzlichenErwägungen ohne Prüfung der Umstände des Einzelfalles verneint werden.[X.], Beschluß vom 21. Januar 2003 - [X.]/02 - [X.]. Zivilsenat des [X.] hat am 21. Januar 2003 durch [X.] Richterin [X.], die Richterin [X.] und die RichterPauge, [X.] und Zollbeschlossen:Auf die Rechtsbeschwerde der Antragstellerin wird der [X.] des [X.] vom 25. Juli 2002aufgehoben. Die Sache wird zur anderweiten Entscheidung, auchüber die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Ober-landesgericht zurückverwiesen.Gegenstandswert: 30.000,- [X.]:[X.] Antragstellerin verlangt materiellen und immateriellen Schadenser-satz wegen einer Funktionseinschränkung an ihrer rechten Hand nach [X.] durch den Antragsgegner. Sie behauptet, es seien bei einem ope-rativen Eingriff vom Antragsgegner behandlungsfehlerhaft Nerven [X.].Der Haftpflichtversicherer des Antragsgegners erklärte sich auf die ent-sprechende Anfrage der Antragstellerin grundsätzlich mit der Durchführung ei-nes selbständigen Beweisverfahrens einverstanden, erbat aber im [X.] Kopien von ärztlichen Befundberichten der nachbehandelnden Ärzte- 3 -oder Krankenhäuser und kündigte an, nach Vorliegen sämtlicher Unterlagenunter Auswertung einer Stellungnahme des Versicherungsnehmers umgehendwieder auf die Angelegenheit zurückzukommen.Die Antragstellerin hat am 11. April 2002 beim [X.] dieDurchführung des selbständigen Beweisverfahrens durch Einholung einesSachverständigengutachtens zur Klärung der Frage, ob die [X.] einen Behandlungsfehler des Antragsgegners verursacht worden sei,beantragt. Das [X.] hat den Antrag abgelehnt, weil eine Zustimmungdes Antragsgegners fehle und die Voraussetzungen, unter denen ausnahms-weise in [X.] ein selbständiges Beweisverfahren in Fragekomme, nicht vorlägen. Die Beschwerde der Antragstellerin gegen [X.] des [X.]s hatte keinen Erfolg. Mit der zugelassenen Rechts-beschwerde verfolgt die Antragstellerin ihren Antrag auf Anordnung des selb-ständigen Beweisverfahrens weiter.[X.] Das [X.] hat übereinstimmend mit dem [X.] dasVorliegen einer Zustimmung des Antragsgegners zur Durchführung des selb-ständigen Beweisverfahrens gem. § 485 Abs. 1 ZPO verneint. Es hat die An-ordnung eines Verfahrens nach § 485 Abs. 2 ZPO abgelehnt, weil ein rechtli-ches Interesse an der beabsichtigten Feststellung nicht hinreichend dargelegtsei. Die vorprozessuale Beweissicherung komme in [X.] von der Zustimmung des Antragsgegners nur bei drohendem [X.] in Betracht. Im vorliegenden Fall habe aber die [X.] vorgetragen, daß bereits irreparable Dauerschäden eingetreten seien. [X.] komme die streitschlichtende Funktion, wie sie dem Gesetzgeber bei- 4 -der Fassung des § 485 Abs. 2 ZPO vorgeschwebt habe, in [X.] jedenfalls dann nicht zum Tragen, wenn nicht nur ein [X.] sei, sondern auch, ob und inwieweit dieser für die eingetretenen Ge-sundheitsschäden kausal geworden sei. Ein Beweissicherungsverfahren führe,wenn es - wie im vorliegenden Fall - erst mehrere Jahre nach einer als [X.] angesehenen ärztlichen Behandlung und nach weitgehender Manifestationder gesundheitlichen Schäden durchgeführt werde, in der Regel nur zu weiterenVerzögerungen bei der abschließenden Klärung der Haftungsfragen.2. [X.] ist statthaft (§ 574 Abs. 1 Nr. 2 ZPO). Sie ist imübrigen zulässig (§ 575 Abs. 1, 2 und 3 ZPO) und führt zur Aufhebung der an-gefochtenen Entscheidung.a) Nicht zu beanstanden ist allerdings entgegen der Ansicht der Rechts-beschwerde, daß das Beschwerdegericht in dem Schreiben des Haftpflichtver-sicherers des Antragsgegners vom 2. Oktober 2001 keine bindende Zustim-mung zum konkreten Beweisverfahren gesehen hat. Anders als bei der Ausle-gung einer privatrechtlichen Willenserklärung ist, worauf die [X.] hinweist, der [X.] bei der Überprüfung einer verfahrensrechtlichenErklärung, um die es sich bei der Zustimmung im Sinne des § 485 Abs. 1 ZPOhandelt, zwar nicht eingeschränkt (vgl. [X.]surteile vom 18. Juni 1996 - [X.]/95 - NJW-RR 1996, 1210 f. und vom 30. Januar 1979 - [X.]/78 -VersR 1979, 373 f.; [X.], Urteil vom 27. März 1996 - [X.] - [X.], 833 ff.; [X.]/[X.] ZPO, 23. Aufl., § 546 Rdn. 11). Das Beschwerde-gericht hat aber im vorliegenden Fall aus dem Inhalt des Schreibens des Haft-pflichtversicherers des Antragsgegners vom 2. Oktober 2001 den naheliegen-den Schluß gezogen, daß die Zustimmung zu einer Beweissicherung nicht vonvornherein versagt werden sollte, aber auch noch nicht bindend erteilt wordenist. Der Haftpflichtversicherer wollte zunächst in die eigene [X.] 5 -treten. Das Beschwerdegericht mußte deshalb dem Antrag nicht schon nach§ 485 Abs. 1 ZPO stattgeben.b) [X.] beanstandet jedoch mit Erfolg, daß das Be-schwerdegericht den Antrag zurückgewiesen hat, weil nach seiner [X.] grundsätzlich ein rechtliches Interesse im Sinne des§ 485 Abs. 2 ZPO an einer vorprozessualen Beweissicherung nicht bestehe.Die Frage ist in Rechtsprechung und Schrifttum umstritten.aa) Die ablehnende Meinung, die auch vom Beschwerdegericht vertretenwird, hält das selbständige Beweisverfahren in [X.] für nichtgeeignet, einen Rechtsstreit zu vermeiden, wenn nicht nur das Vorliegen einesBehandlungsfehlers, sondern auch die Kausalität der fehlerhaften Behandlungfür die eingetretenen Gesundheitsschäden und das Ausmaß der Schäden strei-tig seien. Es fehle dem Gericht die Möglichkeit, den Sachverhalt den besonde-ren Erfordernissen des Arzthaftungsprozesses entsprechend unter weitgehen-der Geltung des Amtsermittlungsgrundsatzes aufzuklären. Einer sachgerechtenBeweiserhebung müsse eine Schlüssigkeits- und Erheblichkeitsprüfung durchdas Gericht vorhergehen. Da der Antragsteller im selbständigen Beweisverfah-ren die [X.] vorgebe und der Gegner nur das Recht zur Stellung [X.] habe (vgl. [X.], Beschluß vom 4. November 1999 - [X.]/99 - [X.], 960, 961), könne von Seiten des Gerichts nicht auf einePräzisierung der [X.] hingewirkt werden (vgl. [X.], [X.] = [X.], 224 f.; [X.], [X.] 1997, 501; [X.], [X.]1998, 16 ff.; [X.] in [X.] 2000, 185, 187 f. für die zahnärztliche Haf-tung).bb) Dagegen führen die Befürworter eines selbständigen Beweisverfah-rens auch bei [X.] an, daß der Wortlaut des § 485 Abs. 2- 6 -ZPO eine grundsätzliche Ausklammerung der [X.] aus [X.] der Vorschrift nicht zulasse. Das rechtliche Interesse [X.] nach § 485 Abs. 2 ZPO sei generell weit auszule-gen (so MünchKomm/[X.], ZPO, 2. Aufl., § 485 Rdn. 13; [X.] in[X.]/[X.], ZPO, 24. Aufl., § 485 Rdn. 7; [X.]/[X.], ZPO, 3. Aufl.,§ 485 Rdn. 13; [X.]/[X.], aaO, § 485 Rdn. 7a m.w.N.). Auch wenn sich [X.] eines selbständigen Beweisverfahrens in [X.] häufigals unzureichend oder gar unerheblich erweise, sei das Risiko, daß das [X.] auf einer ungesicherten tatsächlichen Grundlage erstattet werde, [X.] zu tragen und über die Kostenfolge des § 96 ZPO zu regeln. [X.] stehe zwar auch das außergerichtliche Schlichtungsverfahren vor [X.] und Schlichtungsstellen der [X.] zur Verfügung. [X.] aber nicht gefolgert werden, daß dieses den Vorrang habe und das selb-ständige Beweisverfahren verdränge (vgl. [X.], [X.] 2002, 352 [X.], [X.], 891 f.; [X.], [X.], 3438 [X.], [X.], 887 f.; [X.], [X.], 1241 f.; OLGStuttgart, NJW 1999, 874 f.; [X.], [X.], 279 f; Mohr in [X.]1996, 454 f.; [X.]/[X.], Arzthaftungsrecht, 2. Aufl., Rdn. 232; [X.],Schriftenreihe der [X.] im [X.], [X.], 2001,11 ff.; befürwortend für Indikationsbewertungen bei zahnprothetischen Leistun-gen [X.] in [X.] 1999, 398 ff.).cc) Dieser Auffassung schließt sich der [X.] an. Der Wortlaut des § 485Abs. 2 ZPO läßt eine Ausnahme für Ansprüche aus dem [X.] zu. Die Voraussetzungen für eine teleologische Reduktion des [X.] sind nicht gegeben. Weder die Entstehungsgeschichte des § 485Abs. 2 ZPO noch sein Sinn und Zweck oder der Gesamtzusammenhang mit [X.] in § 485 Abs. 1 ZPO sprechen gegen eine generelle Zulässigkeit desselbständigen Beweisverfahrens bei [X.].- 7 -In der Begründung des Entwurfs für das [X.] (BT-Drucks. 11/3621 vom 1. Dezember 1988, [X.]) heißt es:"Insbesondere, wenn der Streit der Parteien nur von der [X.] Fragen abhängt, wird die vor- oder außergerichtliche Be-weisaufnahme als zweckmäßig angesehen. [X.]. für Bauprozesse(Punktesachen), Kraftfahrzeug- und Arzthaftungsprozesse wird ange-nommen, daß die gesonderte Begutachtung durch einen Sachverständi-gen häufig zu einer die Parteien zufriedenstellenden Klärung und damiteher zum Vergleich als in einen Prozeß führen würde.(...). Der Entwurf (...) schlägt vor, das bisherige Beweissicherungsverfah-ren zu erweitern und auf den [X.] für das schriftliche [X.] ganz, im Übrigen bei Zustimmung des Gegnerszu verzichten. Das Verfahren der §§ 485 ff. ZPO wird als selbständigesBeweisverfahren [X.] diese Erwägung des Gesetzgebers legt eine Zulässigkeit [X.] nach § 485 Abs. 2 ZPO nahe. Im übrigen sind dessen [X.] Ausschöpfung der gesetzlich vorgesehenen Möglichkeiten zur Sachaufklä-rung und zur vorprozessualen Einigung zwischen den Parteien grundsätzlichauch in [X.] zu erreichen. Sinn und Zweck der vorprozessualenBeweissicherung nach § 485 Abs. 2 ZPO ist es nämlich, die Gerichte von [X.] zu entlasten und die Parteien unter Vermeidung eines Rechtsstreits zueiner raschen und kostensparenden Einigung zu bringen (vgl. [X.]/[X.],aaO, vor § 485 Rdnr. 2; [X.] in [X.]/[X.], aaO, [X.]. vor § 485Rdnr. 2; [X.]/[X.], aaO, § 485 Rdnr. 2). Der [X.] verkennt nicht, daßsich das selbständige Beweisverfahren bei der Verletzung einer Person, um [X.] regelmäßig in [X.] geht, darauf beschränkt, den Zustand- 8 -dieser Person, die hierfür maßgeblichen Gründe und die Wege zur [X.] Schadens festzustellen (§ 485 Abs. 2 ZPO). Deshalb ist es zwar richtig,daß sich mit den möglichen tatsächlichen Feststellungen ein Arzthaftpflichtpro-zeß häufig nicht entscheiden lassen wird, weil damit noch nicht die rechtlichenFragen des Verschuldens des Arztes und der Kausalität der Verletzung für dengeltend gemachten Schaden geklärt sind. In der Rechtspraxis wird sich jedochbei Feststellung des Gesundheitsschadens und der hierfür maßgeblichenGründe nicht selten erkennen lassen, ob und in welcher Schwere ein Behand-lungsfehler gegeben ist. Deshalb kann die vorprozessuale Klärung eines Ge-sundheitsschadens und seiner Gründe durchaus prozeßökonomisch sein.Hiergegen spricht auch nicht zwingend, daß dem Gutachten unter Um-ständen ein geringer Beweiswert zukommen kann, weil der Antragsteller ohneHilfe durch das Gericht die [X.] vorgibt oder wesentliche Unterlagenfehlen, zumal der Antragsteller in der Regel anwaltlich vertreten sein wird. [X.] hat das Gericht auch in einem solchen Verfahren eigene Möglichkeitenden Sachverhalt weiter aufzuklären und zu versuchen, die Parteien zu einervergleichsweisen Einigung zu führen oder den Patienten zu veranlassen, vonder Weiterverfolgung der Ansprüche abzusehen. Es kann hierzu den Sachver-ständigen zur Anhörung laden, zur Ergänzung des Gutachtens auffordern, einweiteres Gutachten einholen oder die Parteien zur Erörterung laden (§§ 492Abs. 1, 411 Abs. 3, § 412 Abs. 1 ZPO; § 492 Abs. 3 ZPO). Insofern stellt sichdie Rechtslage nicht anders dar als beim Verfahren nach § 485 Abs. 1 ZPO.Auch dort ist das Gericht an die Formulierung der [X.] durch den [X.] gebunden (vgl. [X.]/[X.], aaO, Rdn. 7; [X.]/[X.], aaO,§ 485 Rdn. 4).3. Kann hiernach ein rechtliches Interesse an der Durchführung desselbständigen Beweisverfahrens nach § 485 Abs. 2 ZPO auch bei [X.] 9 -tungsansprüchen nicht aus grundsätzlichen Erwägungen ohne Prüfung derUmstände des Einzelfalles verneint werden, wird das Beschwerdegericht zuprüfen haben, ob im vorliegenden Fall die übrigen Voraussetzungen für die [X.] nach § 485 Abs. 2 ZPO gegeben sind.[X.] Pauge [X.] Zoll

Meta

VI ZB 51/02

21.01.2003

Bundesgerichtshof VI. Zivilsenat

Sachgebiet: ZB

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 21.01.2003, Az. VI ZB 51/02 (REWIS RS 2003, 4815)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2003, 4815

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