Bundesfinanzhof, Urteil vom 03.09.2015, Az. VI R 9/15

6. Senat | REWIS RS 2015, 5886

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Gegenstand

Kindergeld: Konsekutives Masterstudium als Teil der Erstausbildung


Leitsatz

Ein Masterstudium ist jedenfalls dann Teil einer einheitlichen Erstausbildung, wenn es zeitlich und inhaltlich auf den vorangegangenen Bachelorstudiengang abgestimmt ist und das --von den Eltern und dem Kind-- bestimmte Berufsziel erst darüber erreicht werden kann (entgegen BMF-Schreiben vom 7. Dezember 2011 IV C 4-S 2282/07/0001-01, BStBl I 2011, 1243).

Tenor

Auf die Revision der Klägerin werden das Urteil des [X.] vom 2. September 2014  15 K 15011/14 und der Bescheid der Beklagten vom 25. Oktober 2013 über die Aufhebung der Kindergeldfestsetzung für das Kind [X.] ab Mai 2013 in der Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 13. Januar 2014 aufgehoben.

Die Kosten des gesamten Verfahrens hat die Beklagte zu tragen.

Tatbestand

1

I. Streitig ist die Rechtmäßigkeit der Aufhebung einer Festsetzung von Kindergeld ab Mai 2013.

2

Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) ist Mutter ihres im August 1988 geborenen [X.], für den sie Kindergeld erhielt.

3

[X.] beendete im April 2013 den Studiengang Wirtschaftsmathematik an der [X.] mit dem Bachelor-Abschluss. Seit dem Wintersemester 2012/2013 war er bereits für den Masterstudiengang ebenfalls im Bereich Wirtschaftsmathematik eingeschrieben und führte diesen Studiengang nach Erlangung des [X.] fort. [X.] war [X.] als studentische Hilfskraft mit einer monatlichen Beschäftigungszeit von 80 Stunden beschäftigt. Daneben war er 1,5 Stunden wöchentlich als Nachhilfelehrer tätig.

4

Mit Bescheid vom 25. Oktober 2013 hob die Beklagte und Revisionsbeklagte (Familienkasse) die Festsetzung des Kindergeldes für [X.] ab Mai 2013 auf. [X.] absolviere ab Mai 2013 eine Zweitausbildung (Masterstudium), für die Kindergeld nicht gewährt werden könne, weil er einer Wochenarbeitszeit von mehr als 20 Stunden nachgehe.

5

Die nach erfolglosem Einspruchsverfahren erhobene Klage wies das [X.] (FG) ab.

6

Mit der Revision rügt die Klägerin die Verletzung materiellen Rechts.

7

Sie beantragt,
das Urteil des [X.] vom 2. September 2014  15 K 15011/14 sowie die Einspruchsentscheidung vom 13. Januar 2014 und den Bescheid vom 25. Oktober 2013 aufzuheben und Kindergeld für das Kind [X.] für den Zeitraum Mai bis August 2013 zu zahlen.

8

Die Familienkasse beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

9

II. Die Revision der Klägerin ist begründet. Das angefochtene Urteil ist aufzuheben und der Klage stattzugeben (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung --[X.]O--).

Die Vorentscheidung ist aufzuheben, weil sie § 32 Abs. 4 Satz 2 des Einkommensteuergesetzes (EStG) verletzt. [X.] hatte im Streitzeitraum eine erstmalige Berufsausbildung noch nicht abgeschlossen. Damit kommt es auf die Frage der Erwerbstätigkeit nicht an. Für Kindergeldzwecke ist [X.] als Kind nach § 63 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a EStG zu berücksichtigen.

1. Die Klägerin hat nach § 62 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. § 63 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 i.V.m. § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a EStG im Streitzeitraum einen Anspruch auf Kindergeld für ihren Sohn [X.]. Die Voraussetzungen des § 63 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a EStG liegen im Streitfall --wie auch von der Familienkasse eingeräumt-- vor. Danach ist ein über 18 Jahre altes Kind, das das 25. Lebensjahr noch nicht vollendet hat, zu berücksichtigen, wenn es --wie vorliegend [X.] im [X.] für einen Beruf ausgebildet wird.

2. Der Anspruch auf Kindergeld ist wegen der Erwerbstätigkeit von [X.] im Streitzeitraum nicht ausgeschlossen. Er hatte in diesem Zeitraum noch keine erstmalige Berufsausbildung i.S. des § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG abgeschlossen.

a) Nach § 63 Abs. 1 Satz 2 EStG i.V.m. § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG in der für den Streitzeitraum geltenden Fassung des [X.] vom 26. Juni 2013 ([X.], 1809, [X.], 802) wird ein Kind nach Abschluss einer erstmaligen Berufsausbildung oder eines Erststudiums in den Fällen des § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 EStG nur berücksichtigt, wenn es keiner Erwerbstätigkeit nachgeht.

aa) Die Voraussetzung "Abschluss einer erstmaligen Berufsausbildung" i.S. der Vorschrift liegt erst dann vor, wenn das Kind befähigt ist, einen von ihm angestrebten Beruf auszuüben. Dies hat zur Folge, dass auch erst dann der Verbrauch der Erstausbildung i.S. des § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG eintreten kann (Urteil des [X.] --[X.]-- vom 15. April 2015 V R 27/14, [X.], 500).

Da es im Rahmen des § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG auf das angestrebte Berufsziel des Kindes ankommt, muss der Tatbestand "Abschluss einer erstmaligen Berufsausbildung" nicht bereits mit dem ersten (objektiv) berufsqualifizierenden Abschluss (z.B. in einem öffentlich-rechtlich geordneten Ausbildungsgang) erfüllt sein ([X.]-Urteil vom 3. Juli 2014 III R 52/13, [X.], 427, [X.], 152, Rz 25 ff.). Dies folgt u.a. aus einer gegenüber § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a EStG (Kind, das "für einen Beruf ausgebildet wird") engeren Auslegung des Berufsausbildungsbegriffs ([X.]-Urteile in [X.], 427, [X.], 152, Rz 22, und in [X.], 500). Der erkennende Senat schließt sich dieser Auffassung aus den im [X.]-Urteil in [X.], 427, [X.], 152, Rz 22 ff. genannten Gründen an.

bb) Ob bereits der erste (objektiv) berufsqualifizierende Abschluss in einem öffentlich-rechtlich geordneten Ausbildungsgang zum Verbrauch der Erstausbildung führt oder ob bei einer mehraktigen Ausbildung auch ein nachfolgender Abschluss Teil der Erstausbildung sein kann, richtet sich danach, ob sich der erste Abschluss als integrativer Bestandteil eines einheitlichen Ausbildungsgangs darstellt ([X.]-Urteile in [X.], 427, [X.], 152, Rz 25, und in [X.], 500).

Mehraktige Ausbildungsmaßnahmen sind dann als Teil einer einheitlichen Erstausbildung zu qualifizieren, wenn sie zeitlich und inhaltlich so aufeinander abgestimmt sind, dass die Ausbildung nach Erreichen des ersten Abschlusses fortgesetzt werden soll und das --von den Eltern und dem [X.] bestimmte Berufsziel erst über den weiterführenden Abschluss erreicht werden kann ([X.]-Urteile in [X.], 427, [X.], 152, Rz 27 und 30, und in [X.], 500). Ist aufgrund objektiver Beweisanzeichen erkennbar, dass das Kind die für sein angestrebtes Berufsziel erforderliche Ausbildung nicht bereits mit dem ersten erlangten Abschluss beendet hat, kann auch eine weiterführende Ausbildung noch als Teil der Erstausbildung zu qualifizieren sein ([X.]-Urteile in [X.], 427, [X.], 152, Rz 30, und in [X.], 500). Davon ist jedenfalls dann auszugehen, wenn die Ausbildungsabschnitte in einem engen sachlichen Zusammenhang zueinander stehen (z.B. dieselbe Berufssparte, derselbe fachliche Bereich) und im engen zeitlichen Zusammenhang durchgeführt werden ([X.]-Urteile in [X.], 427, [X.], 152, Rz 30 a.E., und in [X.], 500). Diese Prüfung obliegt grundsätzlich dem [X.] als Tatsacheninstanz.

b) Das angefochtene Urteil ist von anderen Maßstäben ausgegangen und daher aufzuheben. Der erste berufsqualifizierende Abschluss von [X.], die Erlangung des [X.] im April 2013, hat noch nicht zu einem "Abschluss einer erstmaligen Berufsausbildung" geführt.

aa) Das von [X.] angestrebte Berufsziel konnte im Streitfall nur über einen weiteren Abschluss --also eine weiterführende Ausbildungsmaßnahme im Rahmen einer mehraktigen [X.] erreicht werden. Das bereits im Wintersemester 2012/2013 und damit vor Abschluss des Bachelorstudiengangs in Wirtschaftsmathematik im April 2013 begonnene Masterstudium im nämlichen Studiengang lässt erkennen, dass [X.] sein angestrebtes Berufsziel mit der Erlangung des [X.] noch nicht erreicht hatte.

bb) Entgegen der Auffassung des [X.] und der Familienkasse ist das Masterstudium von [X.] Bestandteil eines einheitlichen Ausbildungsgangs (anderer Ansicht [X.]/[X.], § 32 EStG Rz 81). Es steht in einem engen sachlichen und zeitlichen Zusammenhang zum vorangegangenen Bachelorstudiengang (entgegen Schreiben des [X.] --BMF-- vom 7. Dezember 2011 IV [X.] 4-S 2282/07/0001-01, [X.], 1243, Tz 19).

(1) Bei der Prüfung des sachlichen Zusammenhangs ist darauf abzustellen, ob die Ausbildungsabschnitte hinsichtlich der Berufssparte oder des fachlichen Bereichs im Zusammenhang stehen ([X.]-Urteile in [X.], 427, [X.], 152, und in [X.], 500). Im Streitfall ergibt sich ein solcher Zusammenhang allein schon aus dem Umstand, dass der Masterstudiengang auf dem vorherigen Bachelorstudium aufbaut (sog. konsekutives Masterstudium [X.] 19 Abs. 4 des Hochschulrahmengesetzes --HRG--).

(2) Die Ausbildungsgänge standen auch in einem engen zeitlichen Zusammenhang. Ein solcher erfordert, dass das Kind nach Abschluss eines ersten --objektiv berufsqualifizierenden-- Abschlusses den weiteren Ausbildungsabschnitt mit der gebotenen Zielstrebigkeit aufnimmt. Nur wenn im [X.] an einen solchen Abschluss der weitere Ausbildungsabschnitt nicht aufgenommen wird, obwohl damit begonnen werden könnte, und der Entschluss zur Fortsetzung auch sonst nicht erkennbar wird, wird der Zusammenhang und damit die Einheitlichkeit des Ausbildungsgangs aufgehoben ([X.]-Urteil in [X.], 500; [X.], [X.] 2014, 167, 169, unter 3.b aa). Danach war der enge zeitliche Zusammenhang im Streitfall gegeben. Denn [X.] hatte das Masterstudium bereits vor dem Abschluss des Bachelorstudiengangs begonnen.

cc) Mangels Abschlusses einer erstmaligen Berufsausbildung i.S. des § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG, kommt es auf die Erwerbstätigkeit des [X.] im Streitzeitraum nicht an. Damit entfällt eine Prüfung des § 32 Abs. 4 Satz 3 EStG.

c) [X.] ist als Kind auch dann zu berücksichtigen, wenn er aufgrund seiner Erwerbstätigkeit möglicherweise gegenüber seinen Eltern --mangels [X.] keinen Unterhaltsanspruch hatte. Zwar setzte nach früherer Rechtsprechung des [X.] der Kindergeldanspruch für über 18 Jahre alte Kinder eine typische Unterhaltssituation seitens der Eltern voraus (vgl. dazu z.B. [X.]-Urteile vom 2. März 2000 VI R 13/99, [X.]E 191, 69, [X.], 522, unter 2.a, und vom 19. April 2007 III R 65/06, [X.]E 218, 70, [X.], 756, unter [X.]). Diese Rechtsprechung wurde jedoch inzwischen aufgegeben ([X.]-Urteil vom 17. Juni 2010 III R 34/09, [X.]E 230, 61, [X.], 982, Rz 11 ff.). Das Erfordernis einer typischen Unterhaltssituation für den Kindergeldanspruch bei volljährigen Kindern ist seither vollständig entfallen (vgl. [X.]-Urteile vom 17. Oktober 2013 III R 22/13, [X.]E 243, 246, [X.], 257, Rz 15; vom 5. März 2014 XI R 32/13, [X.]/NV 2014, 1031, Rz 21, und in [X.], 500). Der erkennende Senat schließt sich dieser Auffassung an.

3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 [X.]O.

Meta

VI R 9/15

03.09.2015

Bundesfinanzhof 6. Senat

Urteil

vorgehend Finanzgericht Berlin-Brandenburg, 2. September 2014, Az: 15 K 15011/14, Urteil

§ 32 Abs 4 S 1 Nr 2 Buchst a EStG 2009, § 32 Abs 4 S 2 EStG 2009, § 32 Abs 4 S 3 EStG 2009, § 62 Abs 1 Nr 1 EStG 2009, § 63 Abs 1 S 1 Nr 1 EStG 2009, § 63 Abs 1 S 2 EStG 2009, § 19 Abs 4 HRG, EStG VZ 2013

Zitier­vorschlag: Bundesfinanzhof, Urteil vom 03.09.2015, Az. VI R 9/15 (REWIS RS 2015, 5886)

Papier­fundstellen: NJW 2015, 3807 NJW 2015, 3807 NJW 2015, 3807 NJW 2015, 3807 REWIS RS 2015, 5886

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2 K 155/17 (Niedersächsisches Finanzgericht)


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Wird zitiert von

13 K 178/17

S 3 KR 11/15

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