Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 01.06.2017, Az. IX ZR 114/16

IX. Zivilsenat | REWIS RS 2017, 10026

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[X.]:[X.]:[X.]:2017:010617UIXZR114.16.0

BUN[X.]SGERICHTSHOF

IM NAMEN [X.]S VOLKES

URTEIL

IX ZR 114/16

Verkündet am:

1. Juni 2017

Preuß

Justizangestellte

als Urkundsbeamtin

der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit

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Der IX.
Zivilsenat des [X.] hat auf die mündliche Verhandlung vom
9. März
2017
durch [X.] [X.],
die [X.] [X.], [X.], die Richterin Möhring
und den Richter Meyberg

für Recht erkannt:

Auf die Revision des [X.] wird das
Urteil
des 2. Zivilsenats des [X.] vom 25.
Mai 2016
aufgehoben.

Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsge-richt zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Tatbestand:

Der Kläger ist Verwalter in dem über das Vermögen des

H.

(nachfolgend: Schuldner) auf Antrag vom 5.
April 2013 am 25.
Juli 2013 eröff-neten Insolvenzverfahren.
Der Schuldner betrieb zwei Spielhallen. Aufgrund offener
Steuerverbindlichkeiten erließ der Beklagte im Zeitraum vom
22.
Sep-tember 2011 bis zum 30.
Mai 2012 insgesamt sechs
Pfändungs-
und Überwei-sungsverfügungen gegen den Schuldner, welche dessen einziges Geschäfts-konto betrafen. Die kontoführende Bank zahlte
zwischen dem 19.
Oktober 2011 und dem 2.
Oktober 2012 insgesamt 42.151,93

auf diese Verfügungen an den Beklagten. Die diesen Auszahlungen zugrundeliegenden Zahlungseingänge 1
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beruhten
darauf,
dass der Schuldner den Besuchern der Spielhallen auf deren Wunsch das in den Kassen vorhandene Bargeld auszahlte und
das Girokonto des jeweiligen Besuchers in Höhe der an ihn erfolgten Barauszahlung
mittels EC-Karte belastet
sowie ein entsprechender Betrag anschließend dem Konto
des Schuldners gutgeschrieben
wurde.

Das [X.] hat der Klage stattgegeben. Auf die Berufung des
Be-klagten hat das Berufungsgericht die Klage abgewiesen. Hiergegen wendet sich der
Kläger mit seiner
vom Berufungsgericht zugelassenen Revision.

Entscheidungsgründe:

Die Revision hat Erfolg.
Sie führt zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.

I.

Das Berufungsgericht hat ausgeführt, ein auf §
133 Abs.
1 [X.] des [X.] scheide aus, weil
den streitgegenständli-chen Zahlungen keine Rechtshandlung des Schuldners zugrunde
liege. Der Schuldner habe
weder durch aktives Tun
noch durch Unterlassen zur [X.] des Beklagten beigetragen. Durch die Beibehaltung der bisherigen [X.], wonach auf Kundenwunsch gegen [X.] Bargeld aus der Kasse herausgegeben wurde, habe der Schuldner nicht bewusst das Pfändungspfandrecht des Beklagten werthaltig gemacht. Er habe nur den [X.] beibehalten und hingenommen, dass die Kunden Zah-2
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lungen auf das gepfändete Konto erbrachten. Die
unterbliebene
Eröffnung ei-nes weiteren
Kontos stelle
auch kein der Rechtshandlung gleichgestelltes, not-wendigerweise zielgerichtetes
Unterlassen
dar, denn er habe seinen [X.] in der üblichen Art und Weise fortgeführt.

II.

Diese Ausführungen halten der rechtlichen
Nachprüfung nicht
in vollem Umfang stand. Mit der Begründung des Berufungsgerichts lässt sich das [X.] einer Rechtshandlung nicht verneinen, die
Entscheidung hierüber bedarf weiterer Feststellungen.

1. [X.] gemäß § 133 Abs. 1 [X.] setzt eine Rechtshandlung des Schuldners und damit dessen [X.], [X.] voraus. Der Schuldner muss darüber entscheiden können, ob er eine Leistung erbringt oder verweigert. Grundsätzlich fehlt es an einer solchen Rechtshandlung des Schuldners, wenn der Gläubiger eine Befriedigung im We-ge der Zwangsvollstreckung erlangt.

a) Nach der Rechtsprechung des Senats kann eine im Rahmen oder aus Anlass einer Zwangsvollstreckung erfolgte Vermögensverlagerung aber dann anfechtbar sein, wenn dazu zumindest auch eine selbstbestimmte Rechtshand-lung des Schuldners beigetragen hat. Fördert der Schuldner eine Vollstre-ckungsmaßnahme, kann dies die Qualifizierung der Vermögensverlagerung als Rechtshandlung des Schuldners rechtfertigen (vgl. [X.], Urteil vom 27. Mai 2003 -
IX ZR 169/02, [X.]Z 155, 75, 79; vom 10. Februar 2005 -

IX ZR 211/02, [X.]Z 162, 143, 147 ff; vom 3. Februar 2011 -
IX ZR 213/09, [X.], 501 5
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Rn. 5, 12; vom 19. September 2013 -
IX ZR 4/13, [X.], 2074 Rn. 9; vom 21. November 2013 -
IX ZR 128/13, [X.], 44 Rn. 7; vom 16. Januar 2014
-
IX ZR 31/12, [X.], 272 Rn. 7). Eine durch Zwangsvollstreckungsmaß-nahmen des Gläubigers erlangte Zahlung kann daher der Vorsatzanfechtung unterliegen, wenn eine [X.] oder eine
der Handlung gleichste-hende Unterlassung zum Erfolg der Vollstreckungsmaßnahme beigetragen hat. Ausreichend ist eine mitwirkende Rechtshandlung des Schuldners, ohne dass sie die einzige Ursache für die Gläubigerbenachteiligung bilden muss ([X.], Urteil vom
16. Januar 2014, aaO mwN).

b) Für Fälle, in denen der Gläubiger Vermögen des Schuldners durch eine Maßnahme der Zwangsvollstreckung erlangt, hält der Senat an dieser Rechtsprechung nicht uneingeschränkt fest. Nicht jeder auch nur entfernte [X.] des Schuldners rechtfertigt es, die vom Gläubiger durch eine Vollstreckungsmaßnahme erwirkte Vermögensverlagerung auch als [X.] zu werten. Andernfalls wäre für die Pfändung künfti-ger Forderungen, die selten ohne eine Mitwirkung des Schuldners entstehen, regelmäßig der Anwendungsbereich des § 133 Abs. 1 [X.] eröffnet. Dies [X.] nicht im Einklang mit dem Zweck dieser Norm, außerhalb des Zeitraums von drei Monaten vor dem Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens (§§ 130, 131 [X.]) die prinzipiell gleichen Befriedigungsmöglichkeiten der Gläubiger auch durch Maßnahmen der Zwangsvollstreckung zu gewährleisten.
Dies hat der Senat mit Urteil vom 1. Juni 2017 im Verfahren [X.] ([X.]) näher ausgeführt, hierauf wird Bezug genommen.

Gegenstand der Anfechtung ist in [X.] die vom Gläubiger mit Zwangsmitteln bewirkte Verlagerung von [X.] und nicht le-diglich ein dabei mitwirkender Verursachungsbeitrag des Schuldners. Die Mit-8
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wirkung des Schuldners kann es aber rechtfertigen, die Vollstreckung auch als Handlung des Schuldners anzusehen und sie einer freiwillig gewährten Befrie-digung gleichzustellen. Eine solche Gleichstellung setzt voraus, dass der [X.] bei wertender Betrachtung dazu führt, dass die [X.] zumindest auch als eigene, willensgeleitete Entscheidung des Schuldners anzusehen ist. In dieser Hinsicht muss der Beitrag des Schuldners ein der Vollstreckungstätigkeit des Gläubigers zumindest vergleichbares Ge-wicht erreichen.

Daran fehlt es, wenn der Schuldner sich darauf beschränkt, die berech-tigte Vollstreckung eines Gläubigers hinzunehmen, und sich angesichts einer bevorstehenden oder bereits eingeleiteten Vollstreckungsmaßnahme nicht [X.] verhält, als er dies auch ohne die Vollstreckungsmaßnahme
getan hätte. Dies ist in aller Regel anzunehmen, wenn sich der Schuldner in Kenntnis der Vollstreckungsmaßnahme nicht anders verhält als zuvor
und seinen Geschäfts-betrieb in der bisher geübten Weise fortsetzt (vgl. [X.], Urteil vom 16. Januar 2014, aaO Rn.
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f).

c) Entsprechendes gilt, soweit an ein Unterlassen des Schuldners [X.] werden soll
(vgl. [X.], Urteil vom 1. Juni 2017 -
[X.], [X.]). Nach § 129 Abs. 2 [X.] steht dieses einer Rechtshandlung gleich. Vorausset-zung ist nur, dass die Unterlassung auf einer Willensbetätigung beruht, also bewusst und gewollt erfolgt. An einer [X.] fehlt es, wenn der Schuldner es lediglich unterlässt, seinen Forderungseinzug nach der Pfändung seines [X.] umzustellen, etwa auf einen Einzug über ein [X.] oder neu zu [X.] anderes Bankkonto oder durch Bar-
oder Scheckzahlung.

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2. Nach diesen Maßstäben kann es im Streitfall an einer Schuldnerhand-lung nach § 133 Abs. 1 [X.] fehlen. Eine eigene Entscheidung ist dem Senat jedoch nicht möglich, weil es an den erforderlichen tatsächlichen Feststellungen fehlt.

a) Zunächst zutreffend stellt das Berufungsgericht darauf ab, dass durch das Zurverfügungstellen der [X.]smöglichkeit im electronic-cash-Verfahren
das gepfändete Konto aufgefüllt wurde, was
mitursächlich erst die Befriedigung des Beklagten ermöglichte.
Weiter zutreffend sieht das [X.], dass nicht jeder Mitwirkungsbeitrag des Schuldners als dessen Rechtshandlung gewertet werden kann.
Ob indes die maßgebliche Frage, wie sich der Schuldner auch ohne die Pfändung verhalten hätte,
in den Blick [X.] wurde, lassen die getroffenen Feststellungen nicht hinreichend erken-nen. Soweit
das Berufungsgericht feststellt, der Schuldner habe seinen [X.] lediglich in der üblichen Art und Weise fortgesetzt, ist dies nicht näher ausgeführt. An anderer Stelle stellt das Berufungsgericht darauf ab, dass der Schuldner
eine auch schon vor der Pfändung bestehende Zahlungsmög-lichkeit genutzt habe. Allein das Verwenden
eines vor der Pfändung bereits be-stehenden [X.], der zu Zahlungseingängen auf dem gepfändeten Konto führt, lässt jedoch keinen tragfähigen Schluss darauf zu, ob sich der Schuldner darauf beschränkt hat, seine Geschäftstätigkeit in gleicher Weise fortzusetzen, wie er es auch ohne Pfändung getan hätte.

b) Der Senat kann auch nicht aufgrund weiterer Umstände das Vorliegen einer Rechtshandlung abschließend beurteilen. Die in Nummer 2 der Bedin-gungen für die Teilnahme am electronic-cash-System der [X.] Kreditwirt-schaft geregelte Akzeptanzpflicht, der sich der Schuldner notwendigerweise 12
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unterworfen hatte, begründet keinen Kontrahierungszwang (vgl. Koch in [X.]/Bunte/[X.], [X.], 4. Aufl., §
68 Rn. 7)
dergestalt, dass
allein hiermit das Vorliegen einer [X.] verneint werden
könnte. Andererseits
sind weder der Umstand, dass ein dem unmittelbaren
Gläubigerzugriff unterliegender Vermögensgegenstand (Bargeld)
weggegeben wurde, noch dass
die den
Kunden erbrachte Leistung und der dafür angebote-ne bargeldlose
Zahlungsweg nicht
unabdingbare Voraussetzung zur Fortfüh-rung des Geschäftsbetriebs sind
oder damit in unabdingbarem Zusammenhang stehen, noch dass die
Teilnahme am electronic-cash-System unter Umständen gesonderter Erlaubnis bedarf oder Aufsicht unterliegt,
maßgebliche Kriterien,
um zu beurteilen, wie sich der Schuldner ohne Pfändung tatsächlich verhalten hätte. Allein hierauf gestützt kann das Vorliegen einer
[X.] also nicht bejaht werden.

c) Die Bedeutung des Gesichtspunkts, ob der Schuldner nach erfolgter Kontenpfändung seine Geschäftstätigkeit unverändert fortgeführt und sich damit auf die Hinnahme der berechtigten Zwangsvollstreckung des Beklagten [X.] hat, konnte der bisherigen höchstrichterlichen Rechtsprechung nicht entnommen werden. Den Parteien ist deshalb Gelegenheit zu geben, sich hier-zu zu äußern und ihren Vortrag zu ergänzen (§ 139 Abs. 2 ZPO).

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III.

Das angefochtene Urteil war danach aufzuheben und zur Nachholung der erforderlichen Feststellungen an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§
562 Abs. 1, § 563 Abs. 1 ZPO).

Kayser
[X.]
Pape

Möhring
Meyberg

Vorinstanzen:
[X.], Entscheidung vom 15.12.2015 -
12 [X.]/15 -

OLG [X.], Entscheidung vom 25.05.2016 -
2 U 3/16 -

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Meta

IX ZR 114/16

01.06.2017

Bundesgerichtshof IX. Zivilsenat

Sachgebiet: ZR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 01.06.2017, Az. IX ZR 114/16 (REWIS RS 2017, 10026)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2017, 10026

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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IX ZR 114/16

IX ZR 213/09

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IX ZR 31/12

IX ZR 48/15

2 U 3/16

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