Bundessozialgericht, Urteil vom 10.09.2020, Az. B 3 KR 15/19 R

3. Senat | REWIS RS 2020, 2478

© Bundessozialgericht, Dirk Felmeden

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Gegenstand

Krankenversicherung - Versorgung mit einer GPS-Uhr als Hilfsmittel - Unabhängigkeit und Selbstbestimmtheit in der persönlichen Bewegungsfreiheit - Grundbedürfnis der medizinischen Rehabilitation


Leitsatz

1. Zur Versorgung mit einer GPS-Uhr als Hilfsmittel der gesetzlichen Krankenversicherung zum Behinderungsausgleich.

2. Die Unabhängigkeit und Selbstbestimmtheit in der persönlichen Bewegungsfreiheit ist ein Grundbedürfnis der medizinischen Rehabilitation.

Tenor

Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des [X.] vom 17. September 2019 wird zurückgewiesen.

Die Beklagte hat dem Kläger die außergerichtlichen Kosten in allen Rechtszügen zu erstatten. Im Übrigen sind Kosten nicht zu erstatten.

Tatbestand

1

[X.] steht die Versorgung mit einer [X.]PS-Uhr durch die [X.]esetzliche Krankenversicherung ([X.]KV).

2

Der im Jahre 1999 geborene Kläger ist bei der [X.] gesetzlich krankenversichert. Er leidet infolge eines Morbus Down-Syndroms an einer stark ausgeprägten geistigen [X.]ehinderung mit [X.] bei Orientierungslosigkeit und Selbstgefährdung ([X.]d[X.] von 100, Merkzeichen H, [X.] und [X.]). Die zu 2. beigeladene Pflegekasse ordnete ihm den Pflegegrad 5 in der [X.] Pflegeversicherung zu (bis 31.12.2016 Pflegestufe 3). Der Kläger lebt im Haus seiner Mutter, die für sämtliche Angelegenheiten zur [X.]etreuerin bestellt wurde. Seit Abschluss der Förderschule besucht er täglich bis mittags eine Tagesförderstätte, wo ihm eine 1:1-[X.]etreuung zuteil wird. An Nachmittagen wird er auch von Mitarbeitern im Rahmen der Eingliederungshilfe und der Lebenshilfe einzeln betreut. Der im Februar 2015 gestellte Antrag auf Kostenübernahme für eine [X.]PS unterstützte Uhr der Marke "[X.]uard2me" blieb erfolglos. Es handele sich weder um ein Hilfsmittel im Sinne der [X.]KV noch um ein Pflegehilfsmittel im Sinne des S[X.][X.] XI, sondern um ein Überwachungssystem zur Positionsbestimmung. Um das [X.]efahrenpotential des Weglaufens zu minimieren, seien Maßnahmen wie zum [X.]eispiel das Abschließen von Türen oder die ständige persönliche [X.]egleitung außerhalb des häuslichen [X.]ereichs angezeigt ([X.]escheid vom 10.3.2015; Widerspruchsbescheid vom 20.8.2015). Das S[X.] hat die Klage abgewiesen, nachdem die zu [X.] als Trägerin der Eingliederungshilfe die Übernahme der Kosten für diese Uhr ebenfalls abgelehnt hatte ([X.]erichtsbescheid vom 18.4.2018).

3

Das LS[X.] Niedersachsen-[X.]remen hat den [X.]erichtsbescheid des S[X.] und den ablehnenden [X.]escheid der [X.] aufgehoben. Es hat die [X.]eklagte verurteilt, die Kosten für die "[X.]uard2me"-Uhr zu übernehmen, nachdem es weitere Ermittlungen zur Lebenssituation des [X.] durchgeführt hatte. Es handele sich um ein Hilfsmittel zum mittelbaren [X.]ehinderungsausgleich nach § 33 Abs 1 Satz 1 Var 3 S[X.][X.] V. Unerheblich sei, dass die Uhr nicht im Hilfsmittelverzeichnis des [X.]KV-Spitzenverbands gelistet sei, denn das Verzeichnis sei eine unverbindliche Auslegungshilfe. Die Uhr sei auch kein [X.]ebrauchsgegenstand des täglichen Lebens. Sie sei nach den Herstellerinformationen speziell für Menschen mit Weglaufneigung und [X.] konzipiert worden. Die Uhr werde am Arm fixiert, sodass ein selbstständiges Abstreifen verhindert werde. Das Hilfsmittel diene dem Ausgleich und der Abmilderung der Folgen der geistigen [X.]ehinderung und eröffne [X.]rundbedürfnisse des täglichen Lebens, insbesondere eine eigenständige Mobilität und eine höhere [X.]ewegungsfreiheit. Diesen Zwecken stehe die ständige Lokalisierbarkeit, die einer freiheitsentziehenden Maßnahme gleichkomme, nicht entgegen. [X.]islang sei der [X.]ewegungsradius des [X.] auf verschlossene Räume in der Wohnung bzw im abgegrenzten Nahbereich beschränkt gewesen. Zeitweilig sei ihm auch die Teilnahme an Ausflügen und gemeinschaftlichen Aktivitäten in der Tagesförderstätte verwehrt gewesen. Die Uhr sei auch kein in die Leistungszuständigkeit der [X.]eigeladenen zu 2. fallendes Pflegehilfsmittel, da sie nicht der Erleichterung der Pflege diene. Die Kostenübernahmepflicht der [X.]eigeladenen zu 1. scheitere daran, dass die Uhr keine selbstständige Teilhabe am Leben in der [X.]emeinschaft bewirke (Urteil vom 17.9.2019).

4

Mit der hiergegen eingelegten Revision rügt die [X.]eklagte die Verletzung materiellen Rechts. Das LS[X.] habe eine unzulässige Erweiterung des [X.]ehinderungsausgleichs im Sinne von § 33 Abs 1 Satz 1 Var 3 S[X.][X.] V vorgenommen. Hierfür könne nicht die Rechtsprechung des [X.]S[X.] (Urteil vom 15.3.2018 - [X.] 3 KR 12/17 R - juris) herangezogen werden. Die Uhr kompensiere nur mangelnde [X.]etreuungsressourcen, nicht aber die Einschränkungen in der Mobilität. Das LS[X.] habe den in der Rechtsprechung des [X.]S[X.] entwickelten Maßstab zum [X.]ehinderungsausgleich überdehnt und damit zugleich den [X.]ereich der medizinischen Rehabilitation überschritten. Aufgabe der [X.]KV sei jedoch weder die berufliche noch [X.] Rehabilitation.

5

Die [X.]eklagte beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen-[X.]remen vom 17. September 2019 aufzuheben und die [X.]erufung des [X.] gegen den [X.]erichtsbescheid des [X.] vom 18. April 2018 zurückzuweisen.

6

Der Kläger beantragt,
die Revision der [X.] zurückzuweisen.

7

Er hält das Urteil des LS[X.] für zutreffend.

8

Die [X.]eigeladenen zu 1. und 2. stellen keine Anträge.

Entscheidungsgründe

9

Die Revision der Beklagten gegen das stattgebende Urteil des [X.] ist unbegründet. Sie war daher zurückzuweisen (§ 170 Abs 1 Satz 1 [X.]).

Der Kläger hat gegen die Beklagte Anspruch auf Versorgung mit einer - gegebenenfalls leihweise zur Verfügung zu stellenden - GPS-Uhr als Hilfsmittel zum Ausgleich seiner Behinderung nach § 33 Abs 1 Satz 1 Var 3 SGB V.

1. Die auch im Revisionsverfahren von Amts wegen zu beachtenden Sachurteilsvoraussetzungen liegen vor. Die Klage ist als kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage 54 Abs 1 und 4 [X.]) zulässig. Gegenstand der Leistungsklage ist - entgegen der Ansicht des [X.] - nicht die Kostenübernahme, sondern die Versorgung mit dem Hilfsmittel im Sinne eines Sachleistungsanspruchs. Dies ergibt sich aus dem Inhalt des vom [X.] festgestellten Ablehnungsbescheids der Beklagten und aus dem vor dem [X.] protokollierten Antrag des [X.] auf Versorgung mit dem Hilfsmittel.

2. Rechtsgrundlage des geltend gemachten Versorgungsanspruchs mit dem Hilfsmittel ist § 33 Abs 1 Satz 1 Var 3 SGB V (idF des [X.] - [X.]-WSG vom [X.], [X.]). Danach haben Versicherte Anspruch auf Versorgung mit Hilfsmitteln, die im Einzelfall erforderlich sind, um eine Behinderung auszugleichen, soweit die Hilfsmittel nicht als allgemeine Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens anzusehen oder nach § 34 Abs 4 SGB V ausgeschlossen sind.

a) Die GPS gesteuerte Uhr ("[X.]") ist ein beweglicher Gegenstand. Von der Krankenkasse zu leistende Hilfsmittel zur medizinischen Rehabilitation (vgl auch § 47 Abs 1 [X.] bzw § 31 Abs 1 [X.] idF des [X.], [X.] 1046 - aF) sind solche, die getragen, mitgeführt oder zumindest bei einem Wohnungswechsel mitgenommen werden können. Dem Hilfsmittel steht nicht entgegen, dass es nicht ohne Hilfe anderer benutzt werden kann (vgl [X.], 97, 98 = [X.]-2200 § 182b [X.]). Die begehrte Uhr ist auch kein Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens. Nach den nicht mit Verfahrensrügen angegriffenen Feststellungen des [X.] (§ 163 [X.]) handelt es sich um eine vom Hersteller speziell für Demenzkranke bzw für Menschen mit eingeschränkter Orientierungsfähigkeit entwickelte GPS-Uhr, die am Handgelenk befestigt wird und die nicht eigenständig von dem behinderten Menschen entfernt werden kann. Die Funktionen des begehrten Hilfsmittels übersteigen damit die Anforderungen an eine handelsübliche GPS-Uhr für gesunde Menschen. Das Hilfsmittel ist auch nicht nach § 34 Abs 4 SGB V ausgeschlossen.

b) Zutreffend hat das [X.] kein rechtliches Hindernis darin gesehen, dass die GPS-Uhr nicht im Hilfsmittelverzeichnis ([X.]) des [X.] gelistet ist. Denn das [X.] nach § 139 Abs 1 SGB V ist seiner Funktion nach eine Auslegungs- und Orientierungshilfe für die Krankenkassen und die Leistungserbringer (zur Funktion des [X.], vgl nur [X.], 33 = [X.]-2500 § 139 [X.], Rd[X.]3). Im [X.] werden regelmäßig die objektiven Voraussetzungen der Verordnung des Hilfsmittels, wie beispielsweise die medizinische Indikation oder die Voraussetzungen eines besonderen Grundbedürfnisses (zB nur für Kinder), angegeben. In den seltenen und daher für die Praxis eher schwierigen Fällen, in denen andere Versorgungsmöglichkeiten nicht ausreichen, kann das [X.] für die Krankenkassen und die Leistungserbringer die nötige Orientierungshilfe bieten (vgl BSG [X.]-2500 § 139 [X.] Rd[X.]3).

c) Leistungen zum Zweck des [X.]s iS von § 33 Abs 1 Satz 1 Var 3 SGB V sind von der [X.] im Rahmen der medizinischen Rehabilitation zu erbringen und von den Aufgabenbereichen anderer Rehabilitationsträger und deren Eigenverantwortung abzugrenzen (vgl bereits BSG [X.]-2500 § 33 [X.] Rd[X.]8). Die [X.] hat nicht jegliche Folgen von Behinderung in allen Lebensbereichen - etwa im Hinblick auf spezielle Sport- oder Freizeitinteressen - durch Hilfsmittel auszugleichen und der Ausgleich für spezielle berufliche Anforderungen fällt in den Aufgabenbereich anderer Sozialleistungssysteme. Auch nach den Regelungen des Rechts der Rehabilitation und Teilhabe von Menschen mit Behinderungen nach dem [X.] ist die [X.] nur für Leistungen zur medizinischen Rehabilitation sowie für unterhaltssichernde und andere ergänzende Leistungen zuständig (§ 6 Abs 1 [X.], § 5 [X.] und 3 [X.]), nicht aber für die übrigen Teilhabeleistungen nach dem [X.] (Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben und am Leben in der [X.] - § 5 [X.] und 4 [X.] aF bzw Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben, an Bildung und Leistungen zur [X.] Teilhabe - § 5 [X.], 4 und 5 [X.] idF des Bundesteilhabegesetzes vom 23.12.2016, [X.] 3234 - [X.]).

d) Ein Hilfsmittel zum [X.] ist nach ständiger Rechtsprechung des [X.]s von der Krankenkasse nur zu gewähren, wenn es die Auswirkungen der Behinderung im gesamten täglichen Leben beseitigt oder mindert und damit ein allgemeines Grundbedürfnis des täglichen Lebens betrifft. Deshalb ist der Anspruch auf Hilfsmittel zum [X.] im Rehabilitationsrecht nach § 47 Abs 1 [X.] 3 [X.] (entspricht § 31 Abs 1 [X.] 3 [X.] aF zur [X.]) ausdrücklich auf solche zur Befriedigung von Grundbedürfnissen des täglichen Lebens begrenzt. Denn unter dem Oberbegriff der Rehabilitation als Leistungen zur Teilhabe in der [X.] (vgl zB § 5 [X.]) ist die medizinische Rehabilitation - in Abgrenzung zur beruflichen, [X.] und nach dem [X.] nun auch zur die Bildung betreffenden Rehabilitation - auf die Teilhabe am täglichen Leben, einschließlich der mit medizinischen Mitteln zu bewirkenden Selbstbestimmung und Selbstversorgung gerichtet (vgl [X.], 189 = [X.]-2500 § 13 [X.], Rd[X.] ff).

aa) Zu den allgemeinen Grundbedürfnissen des täglichen Lebens gehören danach das Gehen, Stehen, Sitzen, Liegen, Greifen, Sehen, Hören, die Nahrungsaufnahme, das Ausscheiden, die elementare Körperpflege, das selbstständige Wohnen sowie das Erschließen eines gewissen körperlichen und geistigen Freiraums (stRspr; vgl zB BSG [X.]-2500 § 33 [X.] Rd[X.]2 mwN). Zum Grundbedürfnis der Erschließung eines geistigen Freiraums gehört ua die Aufnahme von Informationen, die Kommunikation mit anderen Menschen sowie das Erlernen eines lebensnotwendigen Grundwissens bzw eines Schulwissens (BSG [X.]-2500 § 33 [X.]9 und 46; BSG [X.]-2500 § 33 [X.]1 Rd[X.]8). Zum körperlichen Freiraum gehört - zum Ausgleich bei eingeschränkter Bewegungsfreiheit - die Fähigkeit, sich in der eigenen Wohnung zu bewegen und die Wohnung zu verlassen, um bei einem kurzen Spaziergang "an die frische Luft zu kommen" oder um die - üblicherweise im Nahbereich der Wohnung liegenden - Stellen zu erreichen, an denen Alltagsgeschäfte zu erledigen sind (zB Supermarkt, Arzt, Apotheke, Geldinstitut, Post), nicht aber die Bewegung außerhalb dieses [X.]. Für einen größeren Radius, mithin über das zu Fuß Erreichbare, sind zusätzliche qualitative Momente verlangt worden (vgl [X.], 176 = [X.]-2500 § 33 [X.], Rd[X.]3 - Erreichbarkeit ambulanter medizinischer Versorgung für Wachkomapatientin; BSG [X.]-2500 § 33 [X.]7 - [X.] für Jugendliche; BSG [X.]-2500 § 33 [X.] 46 - behindertengerechtes Dreirad; BSG SozR 2200 § 182b [X.]3 - Faltrollstuhl).

bb) Hilfsmittel zum [X.] werden nicht mit dem vorrangigen Ziel eingesetzt, auf die Krankheit, dh auf den regelwidrigen Körper- oder Geisteszustand als solchen, kurativ-therapeutisch einzuwirken. Sie sollen vielmehr in erster Linie die mit diesem regelwidrigen Zustand bzw mit der Funktionsbeeinträchtigung verbundene (oder im Falle der Vorbeugung zu erwartende) [X.] ausgleichen, mildern, abwenden oder in sonstiger Weise günstig beeinflussen, um die Selbstbestimmung und gleichberechtigte Teilhabe am Leben in der [X.] zu vermeiden oder ihnen entgegenzuwirken (vgl § 1 [X.]). Bei der Beurteilung eines Anspruchs auf Versorgung mit einem Hilfsmittel zum [X.] ist daher dem Teilhabeaspekt die nach dem [X.] vorgesehene Bedeutung zuzumessen. Hilfsmittel zum [X.] zielen in erster Linie auf eine Verbesserung der beeinträchtigten Teilhabe in der [X.]. Neben dem Ausgleich von körperlichen Funktionen erfasst der [X.] auch den von geistigen Fähigkeiten oder von seelischer Gesundheit (§ 2 [X.]). Ein Einsatz im Rahmen einer ambulanten oder stationären Rehabilitationsmaßnahme in einer entsprechenden Rehabilitationseinrichtung ist nicht erforderlich.

cc) Ohne Wertungsunterschiede welche Art des [X.]s vorliegt, besteht im Bereich des [X.]s Anspruch auf die im Einzelfall ausreichende, zweckmäßige und wirtschaftliche Hilfsmittelversorgung, nicht jedoch auf eine Optimalversorgung. Deshalb besteht kein Anspruch auf ein teureres Hilfsmittel, soweit die kostengünstigere Versorgung für den angestrebten Nachteilsausgleich funktionell in gleicher Weise geeignet ist (stRspr; vgl zum Ganzen nur BSG [X.]-2500 § 33 [X.]6 S 153; BSG [X.]-2500 § 33 [X.] 44 S 249; BSG [X.]-2500 § 33 [X.] Rd[X.]8, jeweils mwN); anderenfalls sind die Mehrkosten gemäß § 33 Abs 1 Satz 6 SGB V von dem Versicherten selbst zu tragen (idF des [X.] vom [X.], [X.] 778, mWv 11.4.2017 iVm § 47 Abs 3 [X.] idF des [X.]). Die Krankenkassen können Versicherten das erforderliche Hilfsmittel auch leihweise überlassen (§ 33 Abs 5 Satz 1 SGB V).

e) Gemessen an diesen Vorgaben erfüllt die [X.] (Marke "[X.]") die aufgezeigten Anforderungen eines dem [X.] dienenden und erforderlichen Hilfsmittels der [X.].

aa) Der [X.] hat bislang entschieden, dass ein auf die Bedürfnisse behinderter Menschen abgestimmtes GPS-System als Teilhabeleistung zu gewähren ist, wenn dieses zur medizinischen Rehabilitation im Einzelfall erforderlich war, oder wenn sich ein blinder oder erheblich sehbehinderter Versicherter ohne diese Unterstützung im Nahbereich um die eigene Wohnung nicht zumutbar orientieren konnte. Seinerzeit hatte der [X.] dieses Hilfsmittel mangels Erforderlichkeit abgelehnt, unter Verweis auf einen bereits vorhandenen Blindenführhund (vgl BSG [X.]-2500 § 33 [X.]6 Leitsatz 1 und 2).

bb) Nach den nicht mit Verfahrensrügen angegriffenen Tatsachenfeststellungen des [X.] ermöglicht die speziell für Menschen mit eingeschränkter Orientierungsfähigkeit entwickelte GPS-Uhr dem Kläger einen höheren Grad an Selbstständigkeit und Selbstbestimmtheit in der Mobilität und bei Aufenthalten an verschiedenen Orten in seiner Wohnung und im Nahbereich. Durch das Tragen der Uhr kann sein Aufenthalt in verschlossenen Räumen der Wohnung oder im abgesperrten Nahbereich zumindest verringert werden. Dies fördert die Unabhängigkeit in der selbstbestimmten Mobilität ohne das Risiko einer erhöhten Selbstgefährdung. Dieser Vorteil ist ein anzuerkennendes Grundbedürfnis im Rahmen der medizinischen Rehabilitation. Die fortwährende Beobachtung oder Anwesenheit durch präsente Betreuungspersonen kann ggf reduziert werden. Der Einsatz der Uhr vergrößert damit die persönliche Bewegungsfreiheit, hier die Freiheit, sich an selbst gewählten Orten in einem begrenzten Bereich ohne Selbstgefährdung aufzuhalten. Darin liegt ein erheblicher [X.] bzw eine Milderung der Folgen der geistigen Behinderung. Es ist nicht ersichtlich, dass ein anderes sächliches Hilfsmittel dem Kläger hier eine vergleichbare Selbstbestimmung bringen könnte. Der erhöhte Einsatz von Dienstleistungen durch weitere Betreuungskräfte ist insofern keine Alternative zu einem Hilfsmittel in der [X.] (zur Differenzierung vgl bereits [X.], 97, 98 = [X.]-2200 § 182b [X.] S 2).

cc) Der Kläger bzw seine Betreuerin haben ausdrücklich den berechtigten Wunsch (s § 8 Abs 1 [X.]) nach größerer selbstbestimmter Bewegungsfreiheit geäußert. Die Bedenken der Beklagten, die [X.] habe - neben der aufgezeigten freiheitserweiternden - auch freiheitseinschränkende Wirkung für den Kläger, greifen daher nicht. Die Mutter des [X.], die für sämtliche Angelegenheiten zur Betreuerin bestellt wurde, hat durch den Leistungsantrag konkludent in die Nutzung des Hilfsmittels für ihren betreuten [X.] eingewilligt (vgl auch [X.] Beschluss vom 7.1.2015 - [X.] 395/14 - juris Rd[X.]6 = NJW 2015, 865 zu § 1906 BGB). Eine [X.] ist ohnehin nur mit Zustimmung des Berechtigten möglich (vgl § 8 Abs 4 [X.]). Da der Einsatz des Hilfsmittels hier im häuslichen, familiären Bereich erfolgt, liegt eine gegenüber dem Betreuungsgericht genehmigungspflichtige Maßnahme "in einem Krankenhaus, einem Heim oder einer sonstigen Einrichtung" iS von § 1906 Abs 4 BGB nicht vor (vgl [X.] Beschluss vom [X.] [X.]/18 - juris Rd[X.] = NJW-RR 2019, 968; vgl auch Knittel, Betreuungsrecht, Stand Juni 2018, BGB § 1906 Rd[X.]50 f mwN).

dd) Die Zweckbestimmung des Hilfsmittels steht der Gewährung zulasten der [X.] ebenfalls nicht entgegen. Abgrenzungen und Überschneidungen beim Einsatz von Hilfsmitteln hat der [X.] stets nach dem Schwerpunkt und der Zweckbestimmung des Hilfsmittels getroffen, auch in Abgrenzung zu Leistungen der [X.] Pflegeversicherung (vgl BSG [X.]-3300 § 40 [X.] Rd[X.]6 ff). Beim Einsatz von Hilfsmitteln des § 33 Abs 1 Satz 1 SGB V ist nach der Funktionalität und der schwerpunktmäßigen Zielrichtung bzw Zwecksetzung zu differenzieren (vgl nur [X.], 189 = [X.]-2500 § 13 [X.], Rd[X.]3 ff; zuletzt [X.] vom [X.] KR 7/19 R - Rd[X.]5, zur Veröffentlichung in [X.] vorgesehen). Unter Berücksichtigung dieser Maßgaben können die Bedenken der Beklagten, dass die GPS-Uhr in erster Linie nicht die fehlende Mobilität sondern fehlende [X.] kompensiere und bloße Überwachungsfunktion habe, nicht durchgreifen. Das Gerät ist nach den unangegriffenen Feststellungen des [X.] von seiner Konzeption her zweckgerichtet dafür bestimmt, Menschen mit Behinderungen, die eine fehlende Orientierungsfähigkeit bzw Weglauftendenz haben, eine Hilfestellung zu geben, um ihnen einen größeren selbstbestimmten Bewegungsfreiraum zu ermöglichen. Wenn durch den Einsatz dieses Gerätes auch personelle [X.] kompensiert werden, relativiert dies nicht die Zweckbestimmung des Hilfsmittels für Menschen mit Behinderungen.

ee) Im Übrigen stellen Überwachungsgeräte, die Versicherte nicht ohne die Hilfe einer anderen Person selbst bedienen können, im Bereich der Hilfsmittelversorgung der [X.] kein Novum dar, zB wenn durch bestimmte Messungen im Fall von Krampfanfällen bei an Epilepsie erkrankten Versicherten die Betreuungsperson alarmiert wird. Dazu sind am Handgelenk getragene Sensoren nicht unüblich (vgl zB im [X.] des [X.]-Spitzenverbands, Gruppe [X.]1 Messgeräte für Körperzustände im Innenraum, Untergruppe Überwachungsgeräte für Epilepsiekranke).

f) Der [X.] sieht sich bei dieser auf das zu befriedigende Grundbedürfnis nach Mobilität im Nahbereich gerichteten grundrechtsorientierten Auslegung des § 33 Abs 1 Satz 1 Var 3 SGB V im Einklang mit der Rechtsprechung des [X.] zum Paradigmenwechsel, den das Benachteiligungsverbot in Art 3 Abs 3 Satz 2 GG mit sich gebracht hat, und wodurch Menschen mit Behinderungen ermöglicht werden soll, so weit wie möglich ein selbstbestimmtes und selbstständiges Leben zu führen (zuletzt [X.] vom 30.1.2020 - 2 BvR 1005/18 - juris = NJW 2020, 1282). Der Anspruch auf ein Hilfsmittel der [X.] zum [X.] ist daher nicht von vornherein auf einen Basisausgleich im Sinne einer Minimalversorgung beschränkt. Vielmehr kommt ein Anspruch auf Versorgung im notwendigen Umfang bereits in Betracht, wenn das begehrte Hilfsmittel wesentlich dazu beiträgt oder zumindest maßgebliche Erleichterung verschafft, Versicherten auch nur den Nahbereich im Umfeld der Wohnung in zumutbarer und angemessener Weise zu erschließen (vgl [X.] vom [X.] KR 7/19 R - Rd[X.] 31, zur Veröffentlichung in [X.] vorgesehen).

Insbesondere das Recht auf persönliche Mobilität aus Art 20 der UN-Behindertenrechtskonvention ([X.]) ist bei der Auslegung des einfachen Rechts angemessen zu berücksichtigen (vgl [X.] aaO, Rd[X.] 39; zur Anwendung der [X.] vgl auch [X.]E 149, 293 Rd[X.] 86). Danach ist der erleichterte Zugang von Menschen mit Behinderungen zu hochwertigen Mobilitätshilfen, Geräten, unterstützenden Technologien durch die Vertragsstaaten sicherzustellen (vgl Art 20 Buchst b [X.]). Überdies hält Art 26 Abs 1 [X.] die Vertragsstaaten dazu an, wirksame und geeignete Maßnahmen für Menschen mit Behinderungen zu treffen, damit diesen ein Höchstmaß an Unabhängigkeit, umfassende körperliche, geistige, [X.] und berufliche Fähigkeiten sowie die volle Einbeziehung und Teilhabe am Leben in der [X.] ermöglicht werden (vgl auch Gesetzentwurf der Bundesregierung zum [X.], BT-Drucks 18/9522 [X.], erster Abs).

Für den Bereich der Hilfsmittelversorgung der medizinischen Rehabilitation in der [X.] sind im Rahmen des [X.]s (§ 33 Abs 1 Satz 1 Var 3 SGB V) solche speziellen, zeitgemäßen Geräte Versicherten zur Verfügung zu stellen, wenn sie im Einzelfall erforderlich sind, um die Mobilität des behinderten Menschen durch eine größere Unabhängigkeit und Selbstbestimmung in der persönlichen Bewegungsfreiheit in der Wohnung bzw im Nahbereich zu erhöhen bzw zu erleichtern. Diesem Zweck wird die begehrte [X.] gerecht. Aus Gründen des Wirtschaftlichkeitsprinzips (§ 12 Abs 1 SGB V) kann die Beklagte dem Kläger ein kostengünstigeres Produkt einer anderen Marke mit gleichwertiger Funktionalität, ggf auch leihweise, zur Verfügung stellen (§ 33 Abs 5 Satz 1 SGB V).

3. Vorliegend bedarf es keiner weiteren Abgrenzungen, ob ggf ein anderer Träger in der Leistungspflicht steht.

a) Ein Anspruch als Pflegehilfsmittel gegenüber der Beigeladenen zu 2. scheitert nach § 40 Abs 1 Satz 1 Halbsatz 2 SGB XI (idF des [X.]-Versorgungsstrukturgesetzes vom 22.11.2011, [X.] 2983) daran, dass vorrangig die beklagte Krankenkasse nach den aufgezeigten Maßgaben in der Leistungspflicht steht. Anspruch auf Gewährung eines Gegenstandes als Pflegehilfsmittel besteht nur, wenn der Gegenstand allein oder "ganz überwiegend" der Erleichterung der Pflege oder einem der beiden anderen in § 40 Abs 1 Satz 1 SGB XI genannten Zwecke dient. In diesem Sinne ist auch die Aussage des [X.]s zu verstehen, um ein "reines" Pflegehilfsmittel, das der [X.] nicht zugerechnet werden kann, handele es sich nur dann, wenn es im konkreten Fall allein oder doch jedenfalls "schwerpunktmäßig" der Erleichterung der Pflege dient (vgl [X.], 197 = [X.]-2500 § 33 [X.]6, Rd[X.]8 unter Hinweis auf BSG [X.]-3300 § 40 [X.] Rd[X.]6). Das trifft für die Zweckbestimmung dieses Hilfsmittels nicht zu.

b) Die Beklagte ist gegenüber dem Versicherten nach allen für ihn in seiner Bedarfssituation infrage kommenden Rechtsgrundlagen des geltend gemachten Anspruchs allein leistungszuständig (s § 14 Abs 1 und 2 [X.] aF; vgl ua BSGE 102, 90 = [X.]-2500 § 33 [X.]1, Rd[X.]3). Die Beklagte hat als zuerst angegangener Rehabilitationsträger den Anspruch des [X.] verneint, ohne den [X.] an die Beigeladene zu 1. weiterzuleiten. Für den Versorgungsanspruch des [X.] kann an dieser Stelle daher offenbleiben, ob das Hilfsmittel auch als Leistung der [X.] Rehabilitation in Betracht kommt. Der ablehnende Bescheid der Beigeladenen zu 1. hat zudem durch die Leistungspflicht der Beklagten gegenüber dem Kläger seine Erledigung gefunden.

Leistungen der [X.] Rehabilitation zielen darauf ab, Menschen, die aufgrund ihrer Behinderung von (Teil-)Bereichen des gesellschaftlichen Lebens ausgegrenzt sind, den Zugang zur [X.] zu ermöglichen, oder den Personen, die in die [X.] integriert sind, die Teilhabe zu sichern, wenn sich abzeichnet, dass sie von gesellschaftlichen Ereignissen und Bezügen abgeschnitten werden (zu § 55 Abs 1 [X.] vgl [X.], 171 = [X.]-3500 § 54 [X.] 5, Rd[X.]6; zum Ziel der Eingliederungshilfe vgl auch § 53 Abs 1 Satz 1 und Abs 3 Satz 2 [X.] sowie zB [X.], 67 = [X.]-3500 § 92 [X.], Rd[X.]4; BSG [X.]-3500 § 53 [X.] 4 Rd[X.]2). Daher dienen Leistungen der [X.] Rehabilitation unter Zugrundelegung eines individualisierten Förderverständnisses dazu, [X.] Folgen einer Behinderung zu beseitigen oder zu mildern (vgl zB BSG [X.]-1500 § 130 [X.] 4 Rd[X.]8 f mwN und [X.], 10 = [X.]-3250 § 14 [X.]6, Rd[X.]). Die Integration des [X.] in die [X.] kann auch gefördert werden, wenn der Einsatz der GPS-Uhr dem Kläger es eher ermöglicht, zB an Gruppenausflügen der Tageseinrichtung teilzunehmen und deren Außeneinrichtungen in einem eingegrenzten Bereich zu nutzen.

4. Schließlich ist insgesamt festzustellen, dass der Einsatz der GPS-Uhr auch eine erhebliche Selbstgefährdung für den Versicherten im Hinblick auf körperliche Schädigungen vorzubeugen vermag. Überdies kann das Gerät zu einem möglichst langen Wohnen in häuslicher Umgebung ohne Inanspruchnahme von stationären Einrichtungen beitragen. Damit wird auch dem Präventionsgedanken Rechnung getragen (vgl § 1 Satz 3 SGB V, § 3 [X.]).

5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 [X.]. Ein Anlass, den Beigeladenen zu 1. und 2. eine Kostenerstattung aufzuerlegen, besteht nicht. Sie haben im Revisionsverfahren keinen Sachantrag gestellt (vgl auch [X.] vom 28.4.2004 - B 6 KA 9/03 R - Rd[X.]1, insoweit in [X.]-2500 § 98 [X.] 3 nicht abgedruckt).

Meta

B 3 KR 15/19 R

10.09.2020

Bundessozialgericht 3. Senat

Urteil

Sachgebiet: KR

vorgehend SG Oldenburg (Oldenburg), 18. April 2018, Az: S 63 KR 363/15, Gerichtsbescheid

§ 12 Abs 1 SGB 5, § 33 Abs 1 S 1 Alt 3 SGB 5 vom 26.03.2007, § 33 Abs 1 S 6 SGB 5 vom 04.04.2017, § 33 Abs 5 S 1 SGB 5, § 34 Abs 4 SGB 5, § 139 Abs 1 SGB 5, § 2 SGB 9 2018, § 5 SGB 9 2018, § 8 Abs 1 SGB 9 2018, § 8 Abs 4 SGB 9 2018, § 14 Abs 1 SGB 9 vom 19.06.2001, § 14 Abs 2 SGB 9 vom 19.06.2001, § 31 Abs 1 SGB 9 vom 19.06.2001, § 1 SGB 9 2018, § 47 Abs 1 SGB 9 2018, § 40 Abs 1 S 1 Halbs 2 SGB 11 vom 22.12.2011, § 53 SGB 12 vom 27.12.2003, § 55 SGB 12 vom 27.12.2003, § 1906 Abs 4 BGB, Art 20 UNBehRÜbk, Art 26 Abs 1 UNBehRÜbk, Art 3 Abs 3 S 2 GG

Zitier­vorschlag: Bundessozialgericht, Urteil vom 10.09.2020, Az. B 3 KR 15/19 R (REWIS RS 2020, 2478)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2020, 2478

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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XII ZB 395/14

2 BvR 1005/18

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