Bundesgerichtshof, Beschluss vom 26.06.2018, Az. 1 StR 71/18

1. Strafsenat | REWIS RS 2018, 7176

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Gegenstand

Verfolgungsverjährung: Reichweite der Unterbrechungswirkung von Unterbrechungshandlungen bei Ermittlung wegen mehrerer Straftaten


Tenor

1. Auf die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des [X.] vom 17. Juli 2017 wird

a) das Verfahren in den Fällen B.II.1. und 2. der Urteilsgründe eingestellt; im Umfang der Einstellung fallen die Kosten des Verfahrens und die dem Angeklagten insoweit entstandenen notwendigen Auslagen der Staatskasse zur Last;

b) das vorgenannte Urteil im Schuldspruch dahingehend abgeändert, dass der Angeklagte wegen Betruges in 34 Fällen verurteilt ist.

2. Die weitergehende Revision wird verworfen.

3. Der Beschwerdeführer hat die verbleibenden Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.

Gründe

1

Das [X.] hat den Angeklagten wegen Betruges in 36 Fällen zu der Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und zehn Monaten verurteilt. Hiervon hat es einen Monat für vollstreckt erklärt.

2

Die auf mehrere sachlich-rechtliche Beanstandungen gestützte Revision des Angeklagten führt lediglich zu dem aus der Entscheidungsformel ersichtlichen geringen Teilerfolg (§ 349 Abs. 4 StPO). Im Übrigen erweist sich das Rechtsmittel als unbegründet [X.]. § 349 Abs. 2 StPO.

3

1. Der Senat stellt das die Fälle [X.] und 2. der Urteilsgründe (Taten zu Lasten des Geschädigten       R.      ) betreffende Verfahren aus prozessökonomischen Gründen ein. Die für die beiden vorgenannten Taten verhängten Einzelstrafen fallen im Hinblick auf die übrigen Einzelstrafen nicht beträchtlich ins Gewicht. Die Einstellung bedingt die vorgenommene Abänderung des Schuldspruchs.

4

2. Ein Verfahrenshindernis bezüglich der Taten [X.] der Urteilsgründe liegt nicht vor; entgegen der von der Revision vertretenen Rechtsauffassung sind die genannten Taten nicht verjährt.

5

a) Ausweislich der rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen ging im Fall [X.] der Urteilsgründe am 15. März 2010 ein von der geschädigten Anlegerin überwiesener Teilbetrag in Höhe von 4.500 Euro auf ein näher bezeichnetes, dem Angeklagten [X.] Konto ein. Erst damit war der erstrebte Vermögensvorteil tatsächlich vollständig erlangt und die Tat [X.]. § 78a Satz 1 StGB beendet (vgl. [X.], Beschluss vom 28. November 2017 - 3 StR 266/17, NStZ-RR 2018, 211, 212). Ohne verjährungsunterbrechende Handlungen wäre diese Tat gemäß § 78 Abs. 3 Nr. 4 StGB mit Ablauf des 14. März 2015 verjährt.

6

b) Wie der [X.] zutreffend aufgezeigt hat, ist für diese Tat die Verjährungsfrist jedoch wirksam vor deren Ablauf spätestens durch die Durchsuchungsbeschlüsse des [X.] vom 10. März 2015 ([X.]. 542 ff. Band III der [X.]) gemäß § 78c Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 StGB unterbrochen worden. Nach dieser Vorschrift wird die Verjährung durch jede richterliche Beschlagnahme- oder Untersuchungsanordnung unterbrochen. Diese Wirkung entfällt nur dann, wenn - was hier nicht der Fall ist - die richterlichen Anordnungsentscheidungen Mindestanforderungen an die Konkretisierung des [X.] nicht genügen und deshalb ihrerseits unwirksam sind (siehe nur [X.], Urteil vom 10. November 2016 - 4 StR 86/16, [X.], 45, 46 mwN).

7

Die Unterbrechungswirkung erfasst die hier fragliche Tat ([X.]) zum Nachteil der Geschädigten    [X.]  (vormals:     B.     ), obwohl die Durchsuchungsbeschlüsse sich ausdrücklich lediglich auf Taten des Angeklagten zu Lasten der Geschädigten A.    und [X.]beziehen. Wird, wie vorliegend, wegen mehrerer Taten im prozessualen Sinne des § 264 StPO ermittelt, so bezieht sich die Unterbrechungswirkung grundsätzlich auf alle verfahrensgegenständlichen Taten, sofern nicht der [X.] der tätig werdenden Strafverfolgungsorgane erkennbar auf eine oder mehrere Taten beschränkt ist ([X.] Rspr.; [X.], Beschlüsse vom 7. November 2001 - 1 [X.], [X.], 57 und vom 19. Juni 2008 - 3 StR 545/07, [X.], 205, 206; Urteil vom 10. November 2016 - 4 StR 86/16, [X.], 45, 47 mwN; siehe auch Beschluss vom 10. August 2017 - 1 [X.], [X.], 78, 79). Entscheidendes Kriterium für die sachliche Reichweite der Unterbrechungswirkung ist daher bei mehreren verfahrensgegenständlichen Taten der [X.] der Strafverfolgungsbehörden. Für dessen Bestimmung ist der Zweck der jeweiligen Untersuchungshandlung maßgeblich, der anhand des Wortlauts der Maßnahme und des sich aus dem sonstigen Akteninhalt ergebenden Sach- und Verfahrenszusammenhangs zu ermitteln ist (ebenfalls [X.] Rspr.; [X.], Beschlüsse vom 7. November 2001 - 1 [X.], [X.], 57 und vom 19. Juni 2008 - 3 StR 545/07, [X.], 205, 206; Urteil vom 10. November 2016 - 4 StR 86/16, [X.], 45, 47 mwN).

8

Bei Anlegen dieses Maßstabs bestehen keinerlei Anhaltspunkte für einen lediglich auf die Taten zu Lasten der Geschädigten A.    und [X.] beschränkten [X.]n bei Beantragung der am 10. März 2015 erlassenen Durchsuchungsbeschlüsse. Ausweislich der bereits vom [X.] angesprochenen Ermittlungsverfügung der Staatsanwaltschaft [X.] vom 13. November 2014 ([X.]. 429-430 Band III der [X.]) wurde die zuständige Kriminalpolizei angehalten, eine Aufstellung sämtlicher Anleger zu erstellen und diese mittels Serienbrief zu befragen. In Umsetzung dieser Verfügung erstellte die Kriminalpolizeiinspektion [X.] mit Aktenvermerk vom 11. Dezember 2014 eine Aufstellung geschädigter Anleger, die die Geschädigte der Tat 3,    [X.], noch unter ihrem früheren Namen      B.       umfas[X.] Die genannten Durchsuchungsbeschlüsse sind auf der Grundlage dieses Ermittlungsstands beantragt worden und lassen daher gerade keine Beschränkung des [X.]ns erkennen.

9

Vielmehr spricht auch der übrige Akteninhalt sowie der jeweils darauf bezogene Sach- und Verfahrenstand gegen einen solchen beschränkten [X.]n. So ergibt sich bereits aus einem Vermerk der Staatsanwaltschaft [X.] vom 5. Juli 2012 ([X.]. 158 f. Band I der [X.]), der Bestandteil eines an die Staatsanwaltschaft [X.] gerichteten Übernahmeersuchens ist, dass von einem wesentlich größeren Kreis Geschädigter als bisher angenommen auszugehen sei. Diesem Übernahmeersuchen ist mit Verfügung der Staatsanwaltschaft [X.] vom 31. August 2012 entsprochen worden. Darüber hinaus hat das Amtsgericht [X.] bereits am 20. März 2013 gegen den Angeklagten als damaligen Beschuldigten Beschlüsse zur Durchsuchung u.a. seiner Wohn- und Geschäftsräume sowie seines Pkw erlassen ([X.]. 255-257 und 261-263 Band II der [X.]). Nach dem Inhalt der entsprechenden Beschlüsse bezweckten diese auch das Auffinden von - den Gegenstand der Betrugsvorwürfe bildenden - Kaufverträgen über Inhaberschuldverschreibungen. Da diese Verträge bezüglich der Taten zu Lasten der in den Beschlüssen ausdrücklich genannten Geschädigten A.    und [X.]  bereits Bestandteil der [X.] waren, bezog sich die Durchsuchung notwendigerweise auf weitere Geschädigte. Demnach war der [X.] der Strafverfolgungsbehörden bei Erlass der Durchsuchungsbeschlüsse nicht auf die Taten zu Lasten der Geschädigten A.    und [X.] beschränkt. Die Verjährungsfrist ist daher auch bezüglich der übrigen verfahrensgegenständlichen Taten wirksam unterbrochen worden.

Das betrifft nicht allein die Tat [X.] der Urteilsgründe zu Lasten der Geschädigten     [X.] , sondern auch die weiteren verfahrensgegenständlichen Taten (insb. [X.]), bei denen die Beendigung später als bei Tat [X.] der Urteilsgründe eingetreten i[X.]

c) Angesichts dessen bedarf es keiner Entscheidung, ob die Verjährungsfrist(en) nicht ohnehin bereits durch die Durchsuchungsbeschlüsse des [X.] vom 20. März 2013 gemäß § 78c Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 StGB oder die Gewährung von Akteneinsicht für den Verteidiger des Angeklagten vom 29. Juli 2014 gemäß § 78c Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StGB (zur grundsätzlichen Unterbrechungswirkung der Gewährung von Akteneinsicht [X.], Beschluss vom 19. Juni 2008 - 3 StR 545/07, [X.], 205, 206 mwN) unterbrochen worden ist (sind).

3. Dem Angeklagten nachteilige sachlich-rechtliche Mängel enthält das angefochtene Urteil nicht.

4. Der Wegfall der für die Taten [X.] und 2. der Urteilsgründe verhängten Einzelstrafen stellt die Gesamtstrafe nicht in Frage. Angesichts der Strafzumessungserwägungen des [X.]s und der Höhe der entfallenden Strafen kann der Senat ausschließen, dass ohne Berücksichtigung dieser Einzelstrafen eine niedrigere Gesamtstrafe durch den Tatrichter verhängt worden wäre.

5. Der nur sehr geringe Teilerfolg der Revision lässt es nicht unbillig erscheinen, den Angeklagten mit den gesamten, nicht durch die Einstellungsentscheidung erfassten Kosten seines Rechtsmittels zu belasten (§ 473 Abs. 1 und 4 StPO).

[X.] am Bundesgerichtshof
Prof. Dr. Graf ist in den Ruhestand
getreten und daher gehindert zu
unterschreiben.

        

Jäger   

        

Bellay

Jäger 

                                   
        

   Radtke   

        

Cirener   

        

Meta

1 StR 71/18

26.06.2018

Bundesgerichtshof 1. Strafsenat

Beschluss

Sachgebiet: StR

vorgehend LG Augsburg, 17. Juli 2017, Az: 10 KLs 506 Js 126360/12

§ 53 StGB, § 78 Abs 1 S 1 StGB, § 78c Abs 1 S 1 Nr 4 StGB, § 264 StPO

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 26.06.2018, Az. 1 StR 71/18 (REWIS RS 2018, 7176)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2018, 7176

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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