Bundesfinanzhof, Urteil vom 08.08.2013, Az. V R 13/12

5. Senat | REWIS RS 2013, 3531

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Gegenstand

(Richtlinienkonforme enge Auslegung des § 4 Nr. 18 UStG - Betrieb eines Notfalldienstes - Bündel von Leistungen als einheitlicher Umsatz - Preisvergleich i.S. von § 4 Nr. 18 Buchst. c UStG)


Leitsatz

1. Die Steuerbefreiung nach § 4 Nr. 16 UStG geht der Steuerbefreiung für Leistungen von Wohlfahrtsverbänden und deren Mitgliedern in § 4 Nr. 18 UStG als lex specialis vor .

2. Zur Vermeidung eines Verstoßes gegen das Neutralitätsgebot kommt § 4 Nr. 18 UStG nur eine durch den Anwendungsbereich des § 4 Nr. 16 UStG begrenzte Wirkung zu .

3. Eine derartige durch den Anwendungsbereich des § 4 Nr. 16 UStG begrenzte Wirkung des § 4 Nr. 18 UStG kommt aber nur in Betracht, wenn die betreffenden Leistungen im Falle ihrer Ausführung durch privat-rechtliche Einrichtungen mit Gewinnstreben ihrer Art nach von § 4 Nr. 16 UStG umfasst werden könnten .

Tatbestand

1

I. Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger), ein eingetragener Verein (e.V.), der gemäß § 3 Abs. 2 seiner Satzung das Ziel verfolgt, der Gesundheit und der Wohlfahrt des Volkes zu dienen, ist Mitglied eines anerkannten Verbandes der freien Wohlfahrtspflege [X.] von § 23 Nr. 4 der [X.] (UStDV). Bei der Wahrnehmung seiner Aufgaben arbeitet der Kläger mit anderen Vereinigungen und Einrichtungen zusammen, die auf den gleichen oder ähnlichen Gebieten tätig sind. Zu seinem Aufgabenbereich zählt u.a. die Mitwirkung im Ärztlichen Notfalldienst.

2

Mit Vertrag vom 6. Mai 1975 traf der Kläger mit der Kassenärztlichen Vereinigung Nordrhein ([X.]), der als Körperschaft des öffentlichen Rechts gemäß § 75 Abs. 1 Satz 2 des Fünften Buches Sozialgesetzbuch (SGB V) auch die Sicherstellung eines ärztlichen Notdienstes obliegt, eine Vereinbarung, nach welcher der Kläger nachts sowie an den Wochenenden und Feiertagen als Erfüllungsgehilfe der [X.] folgende Leistungen zur Durchführung des ärztlichen Notdienstes zu erbringen hatte (§§ 1, 2 des Vertrages):

-       

Bereitstellen von zwei mit Funk ausgerüsteten Kraftwagen mit je einem Fahrer zur Beförderung von Notfallärzten bei der Durchführung des ärztlichen Notfalldienstes,

-       

Bereitstellen und Betrieb einer Leitzentrale zur Durchführung des für die Leistung der Kraftwagen erforderlichen Funk- und Fernsprechverkehrs,

-       

Annahme und Vermittlung eingehender Notfallrufe,

-       

Führen schriftlicher Aufzeichnungen über die Tätigkeiten unter Verwendung bestimmter Formblätter, deren Inhalt mit der [X.] abzustimmen ist,

-       

Fernmündliche Vermittlung von Konsiliarwünschen des [X.] an Fachärzte.

3

Außerdem bestand eine zwischen der [X.], der [X.] und dem Kläger vereinbarte "Dienstanweisung für den ärztlichen Notfalldienst" vom 1. April 1993, in der die Aufgaben des Dienstes und die erforderliche Ausstattung näher konkretisiert waren.

4

Im Wesentlichen nahm die vom Kläger eingerichtete Leitzentrale Anrufe von Notfallpatienten entgegen und leitete diese an die jeweils diensthabenden Ärzte weiter. Im Bedarfsfall wurde mit vom Kläger eingesetzten Fahrern, bei denen es sich um ausgebildete Rettungshelfer unter Einsatz von Zivildienstleistenden handelte, und mit den hierfür bereitgestellten Fahrzeugen der jeweils diensthabende Arzt in seiner Wohnung oder Praxis abgeholt und zu den Notfallpatienten gebracht. Auf Wunsch des Arztes hatten die Fahrer diesen in die Patientenwohnung zu begleiten und ihm zu assistieren. Waren zur Versorgung der Patienten weitere Hilfsmittel (insbesondere Kranken- oder Rettungswagen) erforderlich, so konnten diese ebenfalls über die Leitzentrale angefordert werden.

5

Die Leistungen des [X.] beschränkten sich dabei nicht auf die bloße Organisation und Durchführung der Beförderung der diensthabenden Ärzte zu den Notfallpatienten. Nach den Feststellungen des Finanzgerichts ([X.]) trat der Kläger mit seinen Hilfspersonen in mehrfacher Hinsicht unmittelbar, im eigenen Namen und zusätzlich zu der jeweiligen Behandlungsleistung des diensthabenden Notarztes gegenüber den Patienten in Erscheinung.

6

Für die Notfallpatienten waren die Mitarbeiter des [X.] durch Entgegennahme der Notfallanrufe erste Ansprechstation. Die Tätigkeit des [X.] stellte sich nach den Feststellungen des [X.] aus Sicht des Patienten als zusätzliche Leistung im Zusammenwirken mit der angefragten ärztlichen Behandlungsleistung im Sinne einer optimalen Patientenversorgung dar. Die Mitarbeiter des [X.] hatten hiernach die Patientenanrufe in dringende und weniger dringende Fälle einzuteilen und die entsprechenden angemessenen Maßnahmen einzuleiten. Auch die sich an die Konsultation der Leitstelle anschließende notärztliche Behandlung stellte sich aus Sicht des Patienten und auch tatsächlich als arbeitsteiliges Handeln des Arztes und des Mitarbeiters des [X.] im Sinne einer qualitativ besseren Patientenversorgung dar.

7

Die Leistungen des [X.] wurden von der [X.] durch die Zahlung eines [X.] pro Jahr, zahlbar in vierteljährlichen Raten, abgegolten.

8

In seiner Umsatzsteuererklärung für das Streitjahr (1993) erklärte der Kläger für den Bereich "ärztlicher Notdienst" zunächst steuerpflichtige Umsätze und hiermit zusammenhängende Vorsteuerbeträge. Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt --[X.]--) folgte dem zunächst. Im Rahmen einer beim Kläger durchgeführten Betriebsprüfung gelangte auch der Prüfer zu dem Ergebnis, dass die Umsätze des [X.] aus dem Bereich "ärztlicher Notdienst" der Regelbesteuerung unterlägen, jedoch die hierauf entfallenden Vorsteuerbeträge zu erhöhen seien. Das [X.] folgte den Prüfungsfeststellungen, unterwarf die streitigen Umsätze des [X.] nach wie vor dem Regelsteuersatz, erhöhte aber die Vorsteuerbeträge und setzte die Umsatzsteuer 1993 durch Änderungsbescheid vom 23. September 2008 entsprechend herab.

9

Mit seinem hiergegen gerichteten Einspruch machte der Kläger geltend, seine Umsätze aus dem Bereich "ärztlicher Notdienst" seien gemäß § 4 Nr. 18 bzw. § 4 Nr. 14 des Umsatzsteuergesetzes 1993 (UStG) steuerfrei, hilfsweise seien diese Umsätze gemäß § 12 Abs. 2 Nr. 8 Buchst. a UStG ermäßigt zu besteuern. Der Einspruch hatte keinen Erfolg.

Das [X.] gab der Klage mit dem in "Entscheidungen der Finanzgerichte" 2012, 2070 veröffentlichten Urteil statt und begründete sein Urteil im Wesentlichen wie folgt:

Die vom Kläger im Bereich "ärztlicher Notdienst" ausgeführten Leistungen seien gemäß § 4 Nr. 18 UStG von der Umsatzsteuer befreit. Der Kläger sei ein "amtlich anerkannter Verband der freien Wohlfahrtspflege" [X.] des § 4 Nr. 18 UStG i.V.m. § 23 UStDV, der nach seiner Satzung ausschließlich und unmittelbar gemeinnützige und mildtätige Zwecke verfolge. Seine Leistungen seien dem begünstigten Personenkreis auch unmittelbar zugutegekommen. Der Kläger habe durch seine Hilfspersonen im Wesentlichen Leistungen ohne Zwischenschaltung Dritter --tatsächlich-- an die Notfallpatienten und damit an nach seiner Satzung begünstigte Personen erbracht.

Außerdem könne sich der Kläger unmittelbar auf Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. g der [X.] vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern 77/388/[X.] (Richtlinie 77/388/[X.]) berufen.

Hiergegen wendet sich das [X.] mit der Revision. Zu deren Begründung trägt es im Wesentlichen vor, die Leistungen des [X.] seien nicht steuerfrei, weil sie den hilfesuchenden Notfallpatienten nicht "unmittelbar" [X.] von § 4 Nr. 18 Buchst. b UStG zugutekämen. Zivilrechtlich sei der Kläger nur gegenüber der [X.] zur Ausführung der streitigen Leistungen verpflichtet gewesen. Die [X.] habe durch die Einschaltung des [X.] ihre eigene sich aus § 75 SGB V ergebende Verpflichtung zur Sicherstellung eines ärztlichen Notdienstes erfüllt. Der Kläger habe seine Leistungen auch nicht gegenüber den Notfallpatienten, sondern gegenüber der [X.] abgerechnet. Eine unmittelbare Leistungsbeziehung habe somit nur zwischen dem Kläger und der [X.] bestanden. Die Fahrbereitschaft des [X.] sei den Notfallpatienten nur mittelbar zugutegekommen.

Das [X.] beantragt,
das Urteil des [X.] aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

Zur Begründung seines Antrags trägt er vor, die streitigen Leistungen seien den Notfallpatienten unmittelbar [X.] von § 4 Nr. 18 Buchst. c UStG zugutegekommen. Da es sich um personenbezogene Leistungen gehandelt habe, seien sie tatsächlich gegenüber den Notfallpatienten erbracht worden. Auf die Frage, wer zivilrechtlich Vertragspartei sei, komme es nicht an.

Entscheidungsgründe

II. Die Revision ist unbegründet; sie war daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung --[X.]O--).

Das [X.] hat zu Recht entschieden, dass die Voraussetzungen für die Steuerfreiheit nach § 4 Nr. 18 UStG vorliegen.

1. Steuerfrei sind nach § 4 Nr. 18 Satz 1 UStG
 "die Leistungen der amtlich anerkannten Verbände der freien Wohlfahrtspflege und der der freien Wohlfahrtspflege dienenden Körperschaften, Personenvereinigungen und Vermögensmassen, die einem Wohlfahrtsverband als Mitglied angeschlossen sind, wenn
 a) diese Unternehmer ausschließlich und unmittelbar gemeinnützigen, mildtätigen oder kirchlichen Zwecken dienen,
 b) die Leistungen unmittelbar dem nach der Satzung, Stiftung oder sonstigen Verfassung begünstigten Personenkreis zugutekommen und
 c) die Entgelte für die in Betracht kommenden Leistungen hinter den durchschnittlich für gleichartige Leistungen von Erwerbsunternehmen verlangten Entgelten zurückbleiben".

Die Vorschrift beruht unionsrechtlich auf Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. g der Richtlinie 77/388/[X.]. Steuerfrei sind danach
"die eng mit der Sozialfürsorge und der [X.] Sicherheit verbundenen Dienstleistungen und Lieferungen von Gegenständen, einschließlich derjenigen der Altenheime, durch Einrichtungen des öffentlichen Rechts oder andere von dem betreffenden Mitgliedstaat als Einrichtungen mit sozialem Charakter anerkannte Einrichtungen".

2. Das vom Kläger ausgeführte Bündel von Leistungen in Gestalt des [X.] der Notfallfahrzeuge einschließlich Fahrern, des [X.] und des Betriebes einer Leitzentrale, der Annahme und Vermittlung eingehender Notfallrufe, des Führens schriftlicher Aufzeichnungen über die Tätigkeiten sowie der fernmündlichen Vermittlung von Konsiliarwünschen des [X.] an Fachärzte, stellt einen einheitlichen, von § 4 Nr. 18 UStG umfassten Umsatz dar.

a) Zur Beantwortung der Frage, ob mehrere Leistungen steuerrechtlich zu nur einem Umsatz oder zu mehreren eigenständigen Umsätzen führen, gelten nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der [X.] ([X.]), der sich der [X.] ([X.]) angeschlossen hat, folgende Grundsätze (vgl. [X.]-Urteil vom 10. Januar 2013 V R 31/10, [X.]E 240, 380, [X.], 352; [X.]-Beschluss vom 28. Oktober 2010 V R 9/10, [X.]E 231, 360, [X.], 360, m.w.N.):

aa) In der Regel ist jede Lieferung oder Dienstleistung als eigene, selbständige Leistung zu betrachten. Bei einem Umsatz, der ein Bündel von Einzelleistungen und Handlungen umfasst, ist aber im Rahmen einer Gesamtbetrachtung zu bestimmen, ob zwei oder mehr getrennte Umsätze vorliegen oder ein einheitlicher Umsatz. Dabei sind unter Berücksichtigung eines Durchschnittsverbrauchers die charakteristischen Merkmale des Umsatzes zu ermitteln. Insoweit darf einerseits eine wirtschaftlich einheitliche Leistung nicht künstlich aufgespaltet werden. Andererseits sind mehrere formal getrennt erbrachte Einzelumsätze als einheitlicher Umsatz anzusehen, wenn sie nicht selbständig sind.

bb) Einen einheitlichen Umsatz hat der [X.] für zwei Fallgruppen bejaht.

(1) Zum einen liegt eine einheitliche Leistung vor, wenn eine oder mehrere Einzelleistungen eine Hauptleistung bilden und die andere Einzelleistung oder die anderen Einzelleistungen eine oder mehrere Nebenleistungen bilden, die das steuerliche Schicksal der Hauptleistung teilen. Eine Leistung ist insbesondere dann Neben- und nicht Hauptleistung, wenn sie für die Kundschaft keinen eigenen Zweck, sondern das Mittel darstellt, um die Hauptleistung des Leistungserbringers unter optimalen Bedingungen in Anspruch zu nehmen (vgl. z.B. [X.]-Urteil vom 10. März 2011 [X.]/09, [X.] u.a., [X.], 272 Rdnr. 54, m.w.N.).

(2) Zum anderen kann sich eine einheitliche Leistung daraus ergeben, dass zwei oder mehrere Handlungen oder Einzelleistungen des Steuerpflichtigen für den Kunden so eng miteinander verbunden sind, dass sie objektiv einen einzigen untrennbaren wirtschaftlichen Vorgang bilden, dessen Aufspaltung wirklichkeitsfremd wäre (vgl. z.B. [X.]-Urteil [X.] u.a. in [X.] 2011, 272 Rdnr. 53, m.w.N.; [X.]-Beschluss vom 19. Januar 2012 [X.]/11, [X.]. und [X.]., [X.] 2012, 674 Rdnr. 29; [X.]-Urteil vom 19. Juli 2012 [X.]/11, [X.], [X.], 945 Rdnr. 21).

b) Die hiernach erforderliche Gesamtbetrachtung aus Sicht des Durchschnittsverbrauchers ist im Wesentlichen das Ergebnis einer tatsächlichen Würdigung durch das [X.], die den [X.] grundsätzlich gemäß § 118 Abs. 2 [X.]O bindet (z.B. [X.]-Urteil vom 13. Januar 2011 V R 63/09, [X.]E 233, 64, [X.], 461, m.w.N.). Das [X.] hat den Sachverhalt nicht im Hinblick auf diese Frage gewürdigt. Da das [X.] aber die hierfür erforderlichen Feststellungen getroffen hat, kann der [X.] diese Würdigung selbst vornehmen ([X.]-Urteil vom 21. Februar 2013 V R 10/12, [X.]/NV 2013, 1635). Diese führt zur Annahme einer einheitlichen Leistung, weil die einzelnen Handlungen so eng mit dem Betrieb eines Notfalldienstes verbunden sind, dass sie objektiv einen einzigen untrennbaren wirtschaftlichen Vorgang bilden, dessen Aufspaltung wirklichkeitsfremd wäre.

3. Die nur subsidiär eingreifende Steuerbefreiung nach § 4 Nr. 18 UStG ist vorliegend anwendbar, weil andere, speziellere Steuerbefreiungen nach der Art der im Streitfall erbrachten Leistungen nicht einschlägig sind.

a) Der [X.] hat im Urteil vom 15. November 2012 [X.], [X.] ([X.] 2013, 35 Rdnr. 58) entschieden, dass das nationale Recht im Rahmen der Steuerbefreiung des § 4 Nr. 16 Buchst. e UStG keine sachlich unterschiedlichen Bedingungen für Einrichtungen mit Gewinnerzielungsabsicht einerseits und für die unter § 4 Nr. 18 UStG fallenden juristischen Personen ohne Gewinnerzielungsabsicht andererseits vorsehen darf. Zur Vermeidung eines Verstoßes gegen den durch das [X.]-Urteil [X.] in [X.] 2013, 35 präzisierten unionsrechtlichen Grundsatz der Neutralität der Mehrwertsteuer ist § 4 Nr. 18 UStG daher teleologisch dahingehend einzuschränken, dass eine andere nationale Regelung des § 4 UStG, die eine steuerbefreite Leistung genau bezeichnet (wie z.B. § 4 Nr. 14 und § 4 Nr. 16 UStG), der Steuerbefreiung in § 4 Nr. 18 UStG als lex specialis vorgeht. Eine derartige durch den Anwendungsbereich des § 4 Nr. 16 UStG begrenzte Wirkung des § 4 Nr. 18 UStG kommt aber nur in Betracht, wenn die betreffenden Leistungen --hier die des [X.] im Falle ihrer Ausführung durch privatrechtliche Einrichtungen mit Gewinnstreben ihrer Art nach von § 4 Nr. 16 Buchst. e UStG umfasst werden könnten. Das ist vorliegend nicht der Fall, weil der Betrieb eines ärztlichen Notfalldienstes unter keinem Gesichtspunkt von § 4 Nr. 16 UStG umfasst werden kann.

b) Liegen nach nationalem Recht die Voraussetzungen einer Steuerbefreiung vor und ist deren Versagung durch eine noch mit dem Wortlaut zu vereinbarende richtlinienkonforme enge Auslegung nicht möglich, kann sich der Steuerpflichtige auf die ihm günstigere nationale Regelung berufen (vgl. [X.]-Urteil vom 15. März 2007 V R 55/03, [X.]E 217, 48, [X.], 31).

4. Das ist vorliegend der Fall, denn die Tatbestandsmerkmale des § 4 Nr. 18 UStG sind erfüllt.

a) Zwischen den Beteiligten ist unstreitig, dass der Kläger, der Mitglied in einem "amtlich anerkannten Verband der freien Wohlfahrtspflege" i.S. des § 4 Nr. 18 UStG i.V.m. § 23 UStDV ist, nach seiner Satzung ausschließlich und unmittelbar gemeinnützige und mildtätige Zwecke verfolgt.

b) Im Ergebnis zutreffend hat das [X.] entschieden, dass die gemäß § 4 Nr. 18 Buchst. b UStG erforderliche Unmittelbarkeit vorliegt.

aa) Das Merkmal der Unmittelbarkeit i.S. von § 4 Nr. 18 Buchst. b UStG ist nach der Rechtsprechung des [X.] leistungsbezogen auszulegen. Daher muss die Leistung dem nach der Satzung begünstigten Personenkreis selbst unmittelbar und nicht nur mittelbar zugutekommen ([X.]-Urteile vom 7. November 1996 V R 34/96, [X.]E 181, 532, [X.] 1997, 366; vom 18. März 2004 V R 101/01, [X.]E 205, 342, [X.] 2004, 798, jeweils Leitsatz 1; vom 15. September 2011 V R 16/11, [X.]E 235, 521).

bb) Entscheidend ist dabei, dass es sich um personenbezogene Leistungen handelt, die unmittelbar den begünstigten Personen zugutekommen (vgl. [X.]-Urteile in [X.]E 181, 532, [X.] 1997, 366, unter II.2.c; vom 23. Juli 2009 V R 93/07, [X.]E 226, 435, [X.]/NV 2009, 2073, unter [X.]; in [X.]E 235, 521). Für das unmittelbare Zugutekommen kommt es nicht darauf an, wer Vertragspartner ist. Entscheidend ist, dass die Leistungen ohne Zwischenschaltung Dritter --tatsächlich-- an die nach der Satzung begünstigten Personen selbst erbracht werden ([X.]-Urteil in [X.]E 235, 521).

cc) Das ist vorliegend ungeachtet der schuldrechtlichen Vertragsbeziehungen der Fall. Nach den Feststellungen des [X.] nahm die vom Kläger eingerichtete Leitzentrale Anrufe von Notfallpatienten entgegen und leitete diese an die jeweils diensthabenden Ärzte weiter. Für die Notfallpatienten waren die Mitarbeiter des Klägers durch Entgegennahme der Notfallanrufe damit die erste Ansprechstation. Mit vom Kläger eingesetzten Fahrern, bei denen es sich um ausgebildete Rettungshelfer unter Einsatz von Zivildienstleistenden handelte, und mit den hierfür vom Kläger bereitgestellten Fahrzeugen wurde der jeweils diensthabende Arzt in seiner Wohnung oder Praxis abgeholt und zu den Notfallpatienten gebracht. Auf Wunsch des Arztes begleiteten die Fahrer diesen in die Patientenwohnung, um ihm zu assistieren. Waren zur Versorgung der Patienten weitere Hilfsmittel (insbesondere Kranken- oder Rettungswagen) erforderlich, so konnten diese ebenfalls über die Leitzentrale angefordert werden. Mit all diesen Handlungen, die sich nach den Feststellungen des [X.] nicht auf die bloße Organisation und Durchführung der Beförderung der diensthabenden Ärzte zu den Notfallpatienten beschränkten, wurde der Kläger bzw. das von ihm eingesetzte Personal unmittelbar gegenüber den Patienten tätig. Nach den Feststellungen des [X.] trat der Kläger mit seinen Hilfspersonen in mehrfacher Hinsicht unmittelbar, im eigenen Namen und zusätzlich zu der jeweiligen Behandlungsleistung des diensthabenden Notarztes gegenüber den Patienten in Erscheinung.

dd) [X.]. [X.]s vom 1. Dezember 2010 XI R 46/08 ([X.]E 232, 232) steht dieser Beurteilung schon deshalb nicht entgegen, weil es zur Frage der Unmittelbarkeit i.S. von § 4 Nr. 18 UStG keine Aussage getroffen hat, weil der Kläger in jenem Verfahren schon kein amtlich anerkannter Verband der freien Wohlfahrtspflege war.

c) Der Steuerbefreiung steht die Regelung des § 4 Nr. 18 Buchst. c UStG nicht entgegen.

Es liegt schon deshalb kein Verstoß gegen das sog. [X.] vor, weil nach den den [X.] bindenden Feststellungen des [X.] (§ 118 Abs. 2 [X.]O) die vom Kläger an die [X.] ausgeführten Leistungen von keinem Erwerbsunternehmen, das seine Umsätze nach kaufmännischen Grundsätzen kalkuliert, angeboten wurden. Zu Recht hat das [X.] entschieden, dass ein Preisvergleich i.S. von § 4 Nr. 18 Buchst. c UStG voraussetzt, dass nach Art und Umfang gleichartige Leistungen von Erwerbsunternehmen überhaupt angeboten werden (ebenso Hölzer in Rau/Dürrwächter, Umsatzsteuergesetz, § 4 Nr. 18 Rz 41).

d) Es kommt schließlich auch nicht darauf an, ob die Zweckbetriebsvoraussetzungen nach § 66 [X.] vorliegen. Wie der [X.] bereits ausdrücklich entschieden hat, wird das Merkmal der Unmittelbarkeit durch die jeweiligen Leistungsbeziehungen bestimmt, so dass Erwägungen des Gemeinnützigkeitsrechts der [X.] zur Auslegung des § 4 Nr. 18 UStG insoweit nicht heranzuziehen sind ([X.]-Urteile in [X.]E 235, 521; vom 18. Oktober 1990 V R 35/85, [X.]E 162, 502, [X.] 1991, 157, unter II.2.c). Denn § 4 Nr. 18 UStG schließt wirtschaftliche Geschäftsbetriebe nicht von der Steuerfreiheit aus, so dass es für die Steuerfreiheit --anders als für die Anwendung des ermäßigten Steuersatzes gemäß § 12 Abs. 2 Nr. 8 Buchst. a UStG-- auch nicht entsprechend § 64 Abs. 1 [X.] auf eine [X.] ankommt. Soweit sich aus Abschn. 103 Abs. 12 der [X.] 1996/2000 (jetzt Abschn. 4.18.1 Abs. 12 des [X.]) Abweichendes ergeben sollte, schließt sich der [X.] dem nicht an.

Meta

V R 13/12

08.08.2013

Bundesfinanzhof 5. Senat

Urteil

vorgehend FG Düsseldorf, 22. Februar 2012, Az: 5 K 3717/09 U, Urteil

§ 4 Nr 16 UStG 1993, § 4 Nr 18 UStG 1993, Art 13 Teil A Abs 1 Buchst g EWGRL 388/77, Abschn 103 Abs 12 UStR 1996, Abschn 103 Abs 12 UStR 2000, Abschn 4.18.1 Abs 12 UStAE, § 64 Abs 1 AO

Zitier­vorschlag: Bundesfinanzhof, Urteil vom 08.08.2013, Az. V R 13/12 (REWIS RS 2013, 3531)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2013, 3531

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