Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 14.12.2011, Az. XII ZB 171/11

XII. Zivilsenat | REWIS RS 2011, 393

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BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
XII ZB 171/11

vom

14.
Dezember
2011

in der Familiensache

-
2
-
Der XII.
Zivilsenat des [X.] hat am 14.
Dezember
2011 durch die Vorsitzende [X.]in Dr.
Hahne
und die [X.] Dose, Dr.
Klinkhammer, Dr.
Günter und Dr.
Nedden-Boeger
beschlossen:
1.
Der Betroffenen wird gegen die Versäumung der Frist zur [X.] Wiedereinsetzung in den [X.] Stand gewährt.
2.
Auf die Rechtsbeschwerde der Betroffenen wird der Beschluss des [X.] -
Zivilkammer
1
-
vom 11.
März 2011 aufgehoben, soweit darin die Beschwerde des [X.] gegen den Beschluss des Amtsgerichts
[X.]-Wandsbek vom 25.
Januar 2011 bezogen auf die Genehmi-gung der Unterbringung zurückgewiesen worden ist. Im Übrigen wird die Rechtsbeschwerde zurückgewiesen.
Die Sache wird im Umfang der Aufhebung zur erneuten [X.] und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechts-beschwerdeverfahrens, an das [X.] zurückverwiesen.
Wert: 6.000

-
3
-
Gründe:
I.
Für die Betroffene besteht seit Oktober 2009 eine rechtliche Betreuung. Sie leidet an einer organischen psychotischen Störung und ist an Multipler Skle-rose erkrankt. Sie hat sechs Kinder von vier [X.].
Durch die angefochtenen Beschlüsse hat das Amtsgericht die Unterbrin-gung der Betroffenen genehmigt, die sich seit Januar 2011 in einer Klinik [X.]. Außerdem hat es die Betreuung um die [X.]
"[X.]"
und "Entgegennahme und Öffnen der Post"
erweitert. Dagegen hat der Verfahrenspfleger Beschwerde eingelegt, die vom [X.] nach einer vom beauftragten [X.] durchgeführten Anhörung der Betroffenen zurückge-wiesen worden ist. Mit der von ihr eingelegten Rechtsbeschwerde erstrebt die Betroffene die Aufhebung der amtsgerichtlichen Beschlüsse.

II.
Die gemäß §
70 Abs.
3 Nr.
1 und 2 FamFG statthafte und auch im Übri-gen zulässige Rechtsbeschwerde ist teilweise begründet
und führt insoweit zur Aufhebung der Beschwerdeentscheidung.
1. a) Das [X.] hat die Voraussetzungen der Genehmigung einer Unterbringung nach §
1906 Abs.
1
Nr.
1 und Nr.
2 BGB
als gegeben erachtet. Die Erkrankung der Betroffenen mache auch eine "fach(pflege)psychiatrische Behandlung"
erforderlich. Die Behandlung im Krankenhaus habe bereits
eine signifikante Verbesserung erreichen können. Die Behandlung mit einem De-potmedikament sei weiterhin notwendig, was nur geschlossen-stationär möglich 1
2
3
4
-
4
-
sei, weil die Betroffene mutmaßlich damit überfordert wäre, die Medikation [X.] fortzusetzen. Ein Absetzen der Medikation und eine weniger strukturierte Umgebung bzw. das Fehlen eines engen therapeutischen Rahmens würde [X.] eine Verschlechterung bewirken. Daneben sei die Maßnahme auch im Sinne einer beschützenden Unterbringung gemäß §
1906 Abs.
1
Nr.
1 BGB zur Abwehr einer erheblichen Eigengefährdung gerechtfertigt. Die Betroffene sei nicht wohnfähig und wäre alsbald akut von Obdachlosigkeit bedroht. Die Unter-bringung sei auch verhältnismäßig. Da die Betroffene ihre Medikamente [X.] freiwillig nehme, bedürfe es keiner Entscheidung über die aus [X.] ohnehin nicht erforderliche ausdrückliche Genehmigung der Zwangs-medikation.
b) Die Betroffene sei wegen ihrer psychischen Krankheit auch nicht in der Lage,
ihre Angelegenheiten in den [X.]n "Entgegennahme und Öffnen der Post"
sowie "Wohnungsangelegenheiten"
selbstständig zu [X.]. Die Notwendigkeit der Betreuung in Wohnungsangelegenheiten ergebe sich daraus, dass die Betroffene nach Lage der Dinge nicht in ihre Wohnung
zurückkehren könne und die Suche nach einer neuen Unterkunft für die [X.] nach der geschlossenen Unterbringung anstehe. Der Aufgabenkreis "Entge-gennahme und Öffnen der Post"
sei notwendig, weil die Betroffene ihre Mitwir-kung nahezu vollständig verweigere und die
Betreuerin nicht über den laufen-den Schriftverkehr informiere.
2. Das hält hinsichtlich der Genehmigung der Unterbringung den von der Rechtsbeschwerde erhobenen Verfahrensrügen nicht stand.
Die vom [X.] durchgeführte Sachaufklärung genügt insoweit nicht den Anforderungen nach §
26 FamFG.
5
6
-
5
-
a) Die Rechtsbeschwerde rügt zu Recht, dass die Voraussetzungen für die Genehmigung der Unterbringung nach §
1906 Abs.
1
Nr.
1 und 2 BGB nicht hinreichend festgestellt sind.
[X.]) Eine Unterbringung ist nach
§
1906 Abs.
1
Nr.
1 BGB
nur zulässig, solange sie zum Wohl des Betreuten erforderlich ist, weil auf Grund einer [X.] Krankheit oder geistigen oder seelischen Behinderung des Betreuten die Gefahr besteht, dass er sich selbst tötet oder erheblichen gesundheitlichen Schaden zufügt. Zwar kann nach der Rechtsprechung
des Senats auch die Ge-fahr einer
völligen
Verwahrlosung
des Betroffenen die Unterbringung rechtferti-gen, wenn damit eine Gesundheitsgefahr durch körperliche Verelendung und Unterversorgung verbunden ist (Senatsbeschluss vom 13.
Januar
2010 -
XII
ZB
248/09
-
FamRZ 2010, 365 Rn.
14 mwN). Die Unterbringung nach §
1906 Abs.
1 Nr.
1 BGB muss aber auch erforderlich sein. Das ist zu vernei-nen, wenn die Gefahr durch andere Mittel als die freiheitsentziehende Unter-bringung abgewendet werden kann
(Senatsbeschluss vom 13.
Januar
2010 -
XII
ZB
248/09
-
FamRZ
2010, 365 Rn.
14 mwN).

Im vorliegenden Fall ist die Erforderlichkeit nicht festgestellt. Die Rechts-beschwerde weist zutreffend darauf hin, dass nach dem Sachverständigen-Gutachten
anstelle der Unterbringung für die Betroffene auch eine betreute Wohneinrichtung in Frage kommt, die -
ggf. als mildere Maßnahme
-
gegenüber der Unterbringung vorrangig ist. Warum von dieser
Möglichkeit kein Gebrauch gemacht worden ist, lässt sich dem angefochtenen Beschluss nicht entnehmen.
Damit fehlt es im Hinblick auf die Erforderlichkeit einer Unterbringung an einer hinreichenden Aufklärung.
[X.]) Auch die Voraussetzungen einer Unterbringung zur Heilbehandlung nach §
1906 Abs.
1
Nr.
2
BGB
sind nicht hinreichend festgestellt worden.
7
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9
10
-
6
-
Vor einer Unterbringungsmaßnahme hat nach §
321 Abs.
1 Satz
1 FamFG
eine förmliche Beweisaufnahme durch Einholung eines Gutachtens über die Notwendigkeit der Maßnahme stattzufinden. Der vom Amtsgericht
be-auftragte Sachverständige
hat in seinem Gutachten
die Voraussetzungen der Unterbringung zur Heilbehandlung jedoch als nicht gegeben erachtet. Das [X.] hat die geschlossen-stationäre Behandlung dennoch für [X.] gehalten, weil die Betroffene mutmaßlich damit überfordert würde, die [X.] ambulant fortzusetzen. Dafür hat es sich auf die Angaben des behan-delnden Arztes gestützt.
Nach
der Rechtsprechung
des Senats vermag die Anhörung des behan-delnden Arztes eine förmliche Beweisaufnahme indessen nicht zu ersetzen (Senatsbeschluss vom 15.
September 2010 -
XII
ZB
383/10
-
FamRZ
2010, 1726 Rn.
17). Das gilt nicht nur, wenn das Gericht von der Beauftragung eines geeigneten Gutachters absieht, sondern auch, wenn es zwar ein [X.] einholt, im Ergebnis aber -
wie hier
-
davon abweicht, ohne die Abweichung zu begründen und sich mit der abweichenden Einschätzung des Gutachters auseinanderzusetzen. Von dem Mangel ist auch die vom Amtsge-richt
ausdrücklich ausgesprochene Genehmigung der Zwangsmedikation mit einem Depotmedikament erfasst, weil schon ein hinreichender Grund für die Unterbringung zur Heilbehandlung demnach nicht festgestellt ist.
[X.]) Dass die Anhörung der Betroffenen vor dem beauftragten [X.] und nicht vor der gesamten Kammer stattgefunden hat, ist schließlich nicht zu [X.]. Den persönlichen Eindruck hat das [X.] in der Beschwerde-entscheidung nur zur Stützung der vom Gutachter angestellten Diagnose ver-wertet, die schon für sich genommen eine hinreichende Grundlage für die Fest-stellung einer psychischen Krankheit im Sinne von §
1906 Abs.
1 BGB
bietet.
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12
13
-
7
-
b) Im Hinblick auf die Erweiterung der [X.] der Betreuung
greifen die von der Rechtsbeschwerde erhobenen Verfahrensrügen nicht durch. Von der weiteren Begründung wird insoweit gemäß §
74 Abs.
7 FamFG
abge-sehen.
3. Die Entscheidung zur
Unterbringung beruht auf den aufgezeigten [X.]. Eine abschließende Sachentscheidung ist dem Senat insoweit nicht möglich, weil entsprechend den Vorgaben des Senats weitere tatrichterli-che Feststellungen erforderlich sind.

Hahne

Dose

Klinkhammer

Günter

Nedden-Boeger
Vorinstanzen:
[X.], Entscheidung vom 25.01.2011 -
707a [X.] 1819 -

LG [X.], Entscheidung vom 11.03.2011 -
301 [X.] -

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15

Meta

XII ZB 171/11

14.12.2011

Bundesgerichtshof XII. Zivilsenat

Sachgebiet: ZB

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 14.12.2011, Az. XII ZB 171/11 (REWIS RS 2011, 393)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2011, 393

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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