Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 11.09.2012, Az. XI ZR 476/11

XI. Zivilsenat | REWIS RS 2012, 3361

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BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
XI ZR 476/11

vom

11.
September 2012

in dem Rechtsstreit

-
2
-
Der XI.
Zivilsenat des [X.] hat durch [X.] [X.],
[X.]
Grüneberg, Maihold
und Pamp
und die Richterin Dr.
Menges

am 11.
September 2012

beschlossen:
Auf die Nichtzulassungsbeschwerde der Beklagten wird das Urteil des 14.
Zivilsenats in [X.] des [X.] vom 11.
Oktober 2011 aufgehoben.
Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Nichtzulassungsbeschwerdeverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Gegenstandswert: 57.500

Gründe:
I.
Die Klägerin nimmt die beklagte Bank aus abgetretenem Recht ihres Ehemannes auf Schadensersatz wegen einer angeblich fehlerhaften Anlagebe-ratung in Anspruch.
Der Ehemann der Klägerin, selbstständiger Apotheker, der seine [X.] gegen die Beklagte an seine Ehefrau abgetreten hat (im Folgenden: 1
2
-
3
-
Zedent), wandte sich auf Empfehlung einer Studienkollegin telefonisch an die beklagte Bank, um eine Beteiligung an der F.

Medien-fonds

GmbH und [X.] (im Folgenden: Medienfonds) zu erwerben. Nach einem Telefonat mit einer Mitarbeiterin der Beklagten, der Zeugin [X.]

, des-sen Inhalt im Einzelnen streitig ist, übermittelte ihm die Beklagte einen [X.] über eine Beteiligung an dem Medienfonds in Höhe von 50.000

zuzüglich 5% [X.], den er am 6.
Dezember 2003 unterschrieb und an die Be-klagte zurücksandte. Die Beklagte erhielt für den Vertrieb der Fondsbeteiligung eine Provision von 8,25%, die aus dem [X.] sowie aus einer im Prospekt aus-gewiesenen Vergütung für die Eigenkapitalvermittlung bezahlt wurde. Darauf wurde der Zedent von der Beklagten nicht hingewiesen.
Die Klägerin begehrt Erstattung der von ihrem Ehemann für die Fondsbe-teiligung und auf das [X.] geleisteten Zahlungen nebst Zinsen [X.] gegen Übertragung der Beteiligung an dem Medienfonds sowie Feststellung der Verpflichtung der Beklagten zum Ersatz künftigen Schadens aus der Beteili-gung und des Annahmeverzugs der Beklagten hinsichtlich der Übertragung der Fondsbeteiligung.
Das [X.] hat nach Vernehmung der Zeugin [X.]

und des [X.] die Klage abgewiesen, da zwischen diesem und der Beklagten kein An-lageberatungsvertrag, sondern lediglich ein Anlagevermittlungsvertrag zustande gekommen sei. Die Beweisaufnahme habe ergeben, dass sich der Zedent nicht mit einem Beratungsersuchen an die Beklagte gewandt habe und diese auch nur als Anlagevermittler tätig geworden sei. Deswegen habe sie nicht ungefragt auf die empfangene Rückvergütung hinweisen müssen.
Auf die Berufung der Klägerin hat das Berufungsgericht, das eine eigene Beweisaufnahme nicht durchgeführt hat, der Klage im Wesentlichen stattgege-3
4
5
-
4
-
ben. Es ist der Auffassung gewesen, aufgrund der Beweisaufnahme stehe fest, dass eine Anlageberatung erfolgt sei. Die Zeugin [X.]

habe dem Zedenten, der in dem Telefonat sein besonderes Interesse an einer Altersvorsorge zum Ausdruck gebracht
habe, die Beteiligung an dem Medienfonds als gut geeignet empfohlen. Den damit geschlossenen Beratungsvertrag habe die Beklagte ver-letzt, weil sie den Zedenten nicht ungefragt darüber aufgeklärt habe, dass sie für den Vertrieb der Beteiligung an dem Medienfonds eine umsatzunabhängige Provision erhalten habe.
Die Revision hat das Berufungsgericht nicht zugelassen. Dagegen richtet sich die Nichtzulassungsbeschwerde der Beklagten.

II.
Die Revision ist nach §
543
Abs.
2 Satz
1
Nr.
2 ZPO zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung zuzulassen, weil das angegriffene Urteil den [X.] auf rechtliches Gehör aus Art.
103
Abs.
1 GG verletzt (vgl. Senatsbeschlüsse vom 11.
Mai 2004 -
XI
ZB 39/03, [X.]Z
159, 135, 139
f., vom 9.
Februar 2010 -
XI
ZR
140/09, [X.], 515, 516 und vom 29.
November 2011 -
XI
ZR
50/11, juris Rn.
10). Aus demselben Grund sind das angefochtene Urteil gemäß §
544
Abs.
7 ZPO aufzuheben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzu-verweisen.
1. Zu Recht ist das Berufungsgericht allerdings davon ausgegangen, dass eine Bank verpflichtet ist, einen Anleger über an sie fließende Rückvergü-tungen aus einer offen ausgewiesenen Vertriebsprovision oder einem [X.] auf-zuklären, wenn zwischen beiden -
konkludent
-
ein Beratungsvertrag ge-6
7
8
-
5
-
schlossen worden ist (vgl. Senatsurteile vom 19.
Dezember 2006 -
XI
ZR
56/05, [X.]Z
170, 226 Rn.
22 f., vom 12.
Mai 2009 -
XI
ZR
586/07, [X.], 1274 Rn.
11 und vom 27.
Oktober 2009 -
XI
ZR
338/08, [X.], 2306 Rn. 31; [X.] vom 20.
Januar 2009 -
XI
ZR
510/07, [X.], 405 Rn.
13, vom 29.
Juni 2010 -
XI
ZR
308/09, [X.], 1694 Rn.
5 und vom 9.
März 2011 -
XI
ZR
191/10, [X.], 925 Rn.
20).
Diese Pflicht besteht hingegen nicht bei einem Auskunftsvertrag, der nach der Rechtsprechung des [X.] stillschweigend zustande kommt, wenn ein Anlagevermittler ohne Beratung ein Anlageprodukt vertreibt, der [X.] erkennbar die besonderen Erfahrungen und Kenntnisse des Vermittlers in Anspruch nehmen will und dieser die gewünschte Tätigkeit beginnt ([X.], Urteile vom 13.
Januar 2000 -
III
ZR
62/99, [X.], 426, 427, vom 12.
Februar 2004 -
III
ZR 359/02, [X.]Z
158, 110, 116, vom 12.
Mai 2005
-
III
ZR
413/04, [X.], 1219, 1220, vom 11.
Januar 2007 -
III
ZR
193/05, [X.], 585 Rn.
10 und vom 25.
Oktober 2007 -
III
ZR
100/06, [X.], 2228 Rn.
7 mwN). Das gilt ebenso, wenn eine Bank ohne Beratung ein Anlage-produkt vertreibt (vgl. auch Senatsurteil
vom 7.
Oktober 2008 -
XI
ZR 89/07, [X.]Z 178, 149
Rn. 11 f.).
2. Das Berufungsgericht hat jedoch den Anspruch der Beklagten auf rechtliches Gehör nach Art.
103
Abs.
1 GG verletzt, weil es zur Beantwortung der Frage, ob der Zedent und die Beklagte einen Beratungsvertrag oder einen Auskunftsvertrag
geschlossen haben, die erstinstanzlich vernommenen Zeugen entgegen §
529
Abs.
1
Nr.
1, §
398
Abs.
1 ZPO nicht erneut vernommen hat, obwohl es deren Aussage anders gewürdigt hat als das [X.].
a) Das Berufungsgericht ist nach §
529
Abs.
1
Nr.
1 ZPO grundsätzlich an die Tatsachenfeststellungen des Gerichts des ersten [X.] gebun-9
10
11
-
6
-
den. Bestehen Zweifel an der Richtigkeit und Vollständigkeit der entschei-dungserheblichen Feststellungen im erstinstanzlichen Urteil, ist in aller Regel eine erneute Beweisaufnahme geboten (vgl. [X.], NJW 2005, 1487,
NJW 2011, 49 Rn.
14; [X.], Beschlüsse vom 14.
Juli 2009 -
VIII
ZR
3/09, NJW-RR 2009, 1291 Rn.
5, vom 9.
Februar 2010 -
XI
ZR
140/09, [X.], 515, 516 und vom 21.
März 2012 -
XII
ZR
18/11, NJW-RR 2012, 704
Rn.
6). Das [X.] ist in einem solchen Fall nach §
398 ZPO verpflichtet, in erster In-stanz vernommene Zeugen erneut zu vernehmen, wenn es deren protokollierte Aussagen anders als die Vorinstanz verstehen oder würdigen will ([X.], NJW 2011, 49
Rn.
14; [X.], Beschlüsse vom 21.
Juni 2011 -
II
ZR
103/10,
[X.], 1533 Rn.
7, vom 10.
November 2010 -
IV
ZR
122/09,
NJW 2011, 1364 Rn.
6, vom 14.
Juli 2009
VIII
ZR
3/09,
NJW-RR 2009, 1291 Rn.
5 f. und Urteil vom 22.
Mai 2002
VIII
ZR
337/00,
NJW-RR 2002, 1500). Unterlässt es dies und wendet damit §
529
Abs.
1
Nr.
1 ZPO fehlerhaft an, ist die dadurch benach-teiligte Partei in ihrem Anspruch auf rechtliches Gehör nach §
103
Abs.
1 GG verletzt ([X.], NJW 2005, 1487;
[X.], Beschlüsse vom 5.
April 2006
-
IV
ZR
253/05, [X.], 949 Rn.
1, vom 14.
Juli 2009 -
VIII
ZR
3/09, NJW-RR 2009, 1291 Rn.
4, vom 9.
Februar 2010 -
XI
ZR
140/09, [X.], 515, 516 und vom 21.
März 2012 -
XII
ZR
18/11, NJW-RR 2012, 704 Rn.
6).
Die erneute Vernehmung eines Zeugen kann allenfalls dann unterblei-ben, wenn sich das Rechtsmittelgericht lediglich auf Umstände stützt, die weder die Urteilsfähigkeit, das Erinnerungsvermögen oder die Wahrheitsliebe des Zeugen noch die Vollständigkeit oder Widerspruchsfreiheit seiner Aussage be-treffen ([X.], Urteile vom 19.
Juni 1991 -
VIII
ZR
116/90, [X.], 1896, 1897
f. und vom 10.
März 1998 -
VI
ZR
30/97, NJW 1998, 2222, 2223 sowie Beschlüsse vom 9.
Februar 2010 -
XI
ZR
140/09, [X.], 515, 516 und vom 21.
März 2012 -
XII
ZR
18/11, NJW-RR 2012, 704 Rn.
7).
12
-
7
-
b) Danach verletzt das Berufungsurteil Art.
103
Abs.
1 GG.
aa) Das [X.] hat den von der Klägerin zu erbringenden Beweis des -
konkludenten
-
Abschlusses eines [X.] als nicht geführt angesehen. Es hat sich dafür auf die Aussage der von ihm vernommenen Zeu-gin [X.]

gestützt, der es in Übereinstimmung mit dem protokollierten Wort-laut dieser Vernehmung entnimmt, der Zedent habe keine Beratung gewünscht und ihm sei die Anlage von der Beklagten nicht empfohlen worden. Der Aussa-ge des ebenfalls als Zeugen vernommenen Zedenten ist das [X.] nicht gefolgt, da dieser ein erhebliches Interesse an einem für ihn günstigen Ausgang des Rechtsstreits habe und zu der weiter streitigen Tatsache, ob ihm der Pros-pekt vor
Zeichnung der Anlage zugesandt worden sei, die Unwahrheit gesagt habe.
Das Berufungsgericht hat die Beweisaufnahme abweichend vom [X.] gewürdigt, ohne sich durch erneute Vernehmung der Zeugen einen ei-genen Eindruck zu verschaffen. Im Gegensatz zum [X.] ist es auf Grundlage beider Zeugenaussagen zu der Überzeugung gelangt, der Zedent habe vor dem Kauf der Beteiligung eine eigene Einschätzung und Empfehlung der Zeugin eingeholt, worin ein Beratungsgespräch zu sehen sei. Die Zeugin habe dem Zedenten die Beteiligung an dem Medienfonds wegen seiner steuer-lichen Interessen als geeignet empfohlen.
[X.]) Diese abweichende Würdigung der Zeugenaussagen durch das Rechtsmittelgericht war nicht ausnahmsweise ohne erneute Vernehmung zu-lässig, weil weder die Urteilsfähigkeit, das Erinnerungsvermögen oder die Wahrheitsliebe der Zeugen noch die Vollständigkeit oder Widerspruchsfreiheit ihrer Aussage von Bedeutung gewesen wären. Insbesondere konnte sich das 13
14
15
16
-
8
-
Berufungsgericht bei seiner abweichenden Würdigung
nicht ausschließlich auf den protokollierten Inhalt der Beweisaufnahme stützen.
(1) Das Berufungsgericht hat der Aussage der Zeugin [X.]

eine von den Feststellungen des [X.]s abweichende Bedeutung zugemessen, ohne dass sich dafür eine Stütze in der ihm zur Verfügung stehenden protokol-lierten Vernehmung dieser Zeugin findet. Nach der Darstellung im Berufungsur-teil (S.
9) soll die Zeugin die Beteiligung an dem Medienfonds wegen der steu-erlichen Interessen des Zedenten "als gut geeignet empfohlen" haben. Eine solche Angabe der Zeugin findet sich weder im landgerichtlichen Urteil noch in der protokollierten Aussage. In der genannten Weise hat sich ausschließlich der Zedent geäußert.
(2) Auf die protokollierte Aussage des Zedenten durfte sich das [X.] ohne eigene Vernehmung nicht stützen, da ihr das [X.] aufgrund einer Würdigung der Glaubwürdigkeit des Zedenten nicht gefolgt ist. Für das [X.] war entscheidend, dass der Zedent bei seiner Zeugenaus-sage von seinem erheblichen Interesse am Ausgang des Rechtsstreits nicht unbeeinflusst geblieben sei und zu einer anderen Tatsache die Unwahrheit ge-sagt habe. Danach war es dem Berufungsgericht verwehrt, ohne erneute [X.] von der Verlässlichkeit der Aussage des Zedenten
auszugehen.
3. Das angefochtene Urteil beruht auf dieser Verletzung des rechtlichen Gehörs. Es ist nicht auszuschließen, dass das Berufungsgericht zu einer ab-weichenden Entscheidung gelangt wäre, wenn es beide Zeugen erneut ver-nommen hätte.
4. Im weiteren Verfahren werden bei Klärung der Frage, ob die Beklagte mit dem Zedenten konkludent einen Beratungsvertrag oder -
was hier auch in Betracht kommt
-
einen Auskunftsvertrag geschlossen hat, neben der Verneh-17
18
19
20
-
9
-
mung der Zeugen alle objektiven Umstände des vorliegenden Vertriebsge-sprächs umfassend zu würdigen sein. Insbesondere bedarf der Klärung, welche Beratungsleistung die Beklagte konkret erbracht hat, wenn ihr die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse des Zedenten, der nicht ihr Kunde war, unbe-kannt geblieben sein sollten.

[X.]

Grüneberg

Maihold

Pamp

Menges

Vorinstanzen:
LG [X.], Entscheidung vom 16.02.2010 -
8 O 1266/08 -

OLG Frankfurt in [X.], Entscheidung vom 11.10.2011 -
14 [X.] -

Meta

XI ZR 476/11

11.09.2012

Bundesgerichtshof XI. Zivilsenat

Sachgebiet: ZR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 11.09.2012, Az. XI ZR 476/11 (REWIS RS 2012, 3361)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2012, 3361

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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