Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 05.05.2015, Az. XI ZR 326/14

XI. Zivilsenat | REWIS RS 2015, 11640

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BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
XI ZR 326/14

vom

5.
Mai 2015

in dem Rechtsstreit

-
2
-
Der XI.
Zivilsenat des [X.] hat durch [X.]
Ellenberger,
die Richter
Dr.
Grüneberg
und
Maihold
sowie die Richterinnen Dr.
[X.] und Dr.
Derstadt

am 5.
Mai 2015

beschlossen:
Auf die Nichtzulassungsbeschwerde der Kläger wird das Urteil des 24.
Zivilsenats in [X.] des [X.] vom 13.
Juni 2014 aufgehoben.
Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Nichtzulassungsbeschwerdeverfahrens, an den 17. Zivilsenat des Berufungsgerichts zurückverwiesen.
Der Gegenstandswert für das Beschwerdeverfahren beträgt bis zu

Gründe:
I.
Die Kläger verlangen von der beklagten Sparkasse im Wege des [X.] wegen fehlerhafter Anlageberatung die Rückabwicklung des [X.] einer Lehman-Stufenzinsanleihe.

1
-
3
-
Der Kläger zu
1) zeichnete bei der [X.] auf vorherige Empfehlung seiner Eltern, die die streitgegenständliche Anleihe kurz zuvor ebenfalls [X.] hatten, am 1.
April 2008 für 60.000

für seine damals einjährige Tochter, die Klägerin zu
2), die von der [X.] emittierte [X.]

. Der Anlagebetrag stand ihm u.a. aus zuvor fällig gewordenen Anleihen der

-
Bank und der [X.] zur Verfügung. Bei der streitgegenständlichen Anleihe handelte es sich um eine festverzinsliche Anleihe mit einer Laufzeit von [X.] einem und maximal sechs Jahren und mit
einem anfänglichen Zinssatz von 4,5%
p.a., der sich jährlich um jeweils [X.] erhöhen sollte, d.h. bis zum [X.] auf 5,5%
p.a. Die Emittentin hatte das Recht, die Anleihe zu jedem Zinstermin zu kündigen und zum Nominalbetrag zurückzuzahlen. Im Rahmen des ca. 10-
bis 15-minütigen Gesprächs mit der Mitarbeiterin der [X.], der Zeugin [X.]

, wurde dem Kläger zu
1) als Anlagealternative auch ein [X.] der [X.] und eine Inhaberschuldverschreibung ange-boten, was der Kläger zu 1) jedoch ablehnte. Bei dem Gespräch lag die [X.] vor, die der Kläger allerdings erst zu einem späteren Zeit-punkt ausgehändigt erhielt. Der weitere Inhalt des Gesprächs ist zwischen den [X.]en streitig. An einem der folgenden Tage eröffnete der
Kläger zu 1) [X.] der Klägerin zu
2) ein Wertpapierdepot.
Im September 2008 ging die Muttergesellschaft der Emittentin in [X.], was auch deren Insolvenz nach sich zog. Aus der Insolvenzmasse erhiel-ten die Kläger zu
1) und
2) mehrere Zahlungen, die sie sich auf die Klageforde-rung anrechnen lassen.
Mit der Klage verlangen die Kläger

unter Berücksichtigung der Aus-schüttungen

die Zahlung von 60.000

Zug gegen Übereignung der erworbenen Lehman-Anleihe sowie die Zahlung 2
3
4
-
4
-
außergerichtlicher Anwaltskosten in Höhe von 1.393,37

e-haupten, von der [X.] fehlerhaft beraten worden zu sein. Insbesondere sei der Kläger zu
1) nicht ausreichend über das Emittentenrisiko bzw. das [X.] aufgeklärt worden. Auch habe die Beklagte weder Risikoprofile noch Anlageziele der Kläger erfragt.
Das [X.] hat der Klage nach Anhörung des Klägers zu
1) und Vernehmung der Mitarbeiterin der [X.], Frau [X.]

, und des [X.] des Klägers zu
1) als Zeugen stattgegeben. Auf die Berufung der [X.] hat das Berufungsgericht die Klage abgewiesen und dies im Wesentlichen wie
folgt begründet:
Nach dem Ergebnis der vor dem [X.] durchgeführten Beweisauf-nahme stehe fest, dass der Kläger zu
1) durch seine Eltern zu der streitgegen-ständlichen Anlage dergestalt motiviert worden sei, dass eine klassische Bera-tungssituation seitens der Bank nicht vorgelegen habe. Ihm seien zwar bei der [X.] sogar noch zwei alternative Finanzprodukte, darunter ein sicherer [X.], angeboten worden. Der Kläger zu
1) habe sich aber für die Anlage entschieden, die schon seine Eltern getätigt hätten. Die Beraterin [X.]

habe ihn über das Emittentenrisiko aufgeklärt. Über das Risiko eines Verlustes an sich sei eine Aufklärung nicht erforderlich gewesen, weil dieses allen Anlagen immanent sei. Im Übrigen habe sich der Kläger zu
1) sehenden Auges bewusst gegen den [X.] und für die Lehman-Anleihe entschieden. Ein besonderes Emittentenrisiko habe im April 2008 nicht bestanden. Über den fehlenden [X.] und die Gewinnmarge der [X.] habe nicht [X.] werden müssen. Der "Verlustempfindlichkeit" der Klägerin zu
2) komme im Hinblick auf die objektive Geeignetheit der Anlage keine besondere Bedeutung zu. Die Anlage sei nach der damaligen Kenntnis aller beteiligten Verkehrskreise als sicher einzustufen; im Übrigen habe der Kläger
zu
1)
keinen belastbaren 5
6
-
5
-
Vortrag dahingehend gehalten, es sei etwa auf eine Verfügbarkeit zu einem bestimmten Zeitpunkt als "Ausbildungsvorsorge" angekommen. Soweit das [X.] ausgeführt habe, der Kläger zu
1) habe "den Umfang und die Ge-staltung der Anlage erkennbar nicht verstanden", müsse sich der Kläger
zu
1)
fragen lassen, warum er bei dieser Sachlage den gleichfalls offerierten [X.] verschmäht und stattdessen die Lehman-Anleihe gewählt bzw. nicht nach-gefragt habe, um etwaige Unklarheiten auszuräumen.
Die Revision hat das Berufungsgericht nicht zugelassen. Dagegen richtet sich die Nichtzulassungsbeschwerde der Kläger.

II.
Die Revision ist nach §
543 Abs. 2 Satz
1 Nr. 2 Fall
2 ZPO zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung zuzulassen, da das angegriffene Urteil den Anspruch der Kläger auf rechtliches Gehör aus Art.
103 Abs. 1 GG verletzt (vgl. Senatsbeschlüsse vom 11.
Mai 2004

XI
ZB 39/03, [X.]Z
159, 135, 139
f., vom 9.
Februar 2010

XI
ZR
140/09, [X.], 515, 516 und vom 11.
September 2012

XI
ZR
476/11, juris Rn.
7). Aus demselben Grunde sind das angefochtene Urteil gemäß §
544 Abs.
7 ZPO aufzuheben und der [X.] zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zu-rückzuverweisen. Dabei hat der Senat von der auch und gerade im Anwen-dungsbereich des §
544 Abs.
7 ZPO bestehenden Möglichkeit des §
563 Abs.
1 Satz
2 ZPO Gebrauch gemacht.
1. Rechtsfehlerfrei ist das Berufungsgericht allerdings davon ausgegan-gen, dass zwischen den [X.]en stillschweigend ein Beratungsvertrag [X.] gekommen ist, aufgrund dessen die Beklagte verpflichtet war, die Kläger 7
8
9
-
6
-
über das allgemeine Emittentenrisiko der empfohlenen Anleihe aufzuklären (vgl. nur Senatsurteile vom 27.
September 2011

XI
ZR 182/10, [X.], 119 Rn.
26 und XI
ZR 178/10, [X.], 2261 Rn.
27). Ob die Beklagte

wie die Nichtzulassungsbeschwerde geltend macht

daneben auch ihre Pflicht zur wei-teren Erforschung der Anlageziele der Kläger verletzt hat, kann dahinstehen, weil die Kläger darauf keine weitergehende Pflichtverletzung der [X.] stützen. Im Hinblick darauf, dass der Kläger zu
1) mit dem Wunsch nach einer Zeichnung der streitgegenständlichen Anleihe an die Beklagte herantrat und die Anlagegelder zum Großteil aus fällig gewordenen Anleihen der

Bank und der [X.] stammten, war ersichtlich, dass der Kläger zu
1) erneut eine festverzinsliche Anleihe zeichnen wollte. Dass die Beklagte dies erkannte, ergibt sich daraus, dass sie dem Kläger zu
1) bei dem [X.] als Anlagealternative einen [X.] und eine Inhaberschuldverschreibung [X.]. Im [X.] betrifft damit der Vorwurf des Klägers zu
1) die von ihm be-hauptete fehlende Aufklärung über das allgemeine Emittentenrisiko.
2. Das Berufungsgericht hat jedoch den Anspruch der Kläger auf rechtli-ches Gehör nach Art.
103
Abs.
1 GG verletzt, weil es zur Beantwortung der Frage, ob die Beklagte den Kläger zu 1) über das allgemeine Emittentenrisiko aufgeklärt hat, die erstinstanzlich vernommene Zeugin [X.]

entgegen §
529
Abs.
1 Nr.
1, §
398
Abs.
1 ZPO nicht erneut vernommen hat, obwohl es deren Aussage anders gewürdigt hat als das [X.].
a) Das Berufungsgericht ist nach §
529
Abs.
1
Nr.
1 ZPO grundsätzlich an die Tatsachenfeststellungen des Gerichts des ersten Rechtszuges gebun-den. Bestehen Zweifel an der Richtigkeit und Vollständigkeit der entschei-dungserheblichen Feststellungen im erstinstanzlichen Urteil, ist in aller Regel eine erneute Beweisaufnahme geboten (vgl. [X.], NJW 2005, 1487, NJW 2011, 49 Rn.
14; [X.], Beschlüsse vom 14.
Juli 2009

VIII
ZR
3/09, NJW-RR 10
11
-
7
-
2009, 1291 Rn.
5, vom 9.
Februar 2010

XI
ZR
140/09, [X.], 515, 516 und vom 21.
März 2012

XII
ZR
18/11, NJW-RR 2012, 704 Rn.
6). Das [X.] ist in einem solchen Fall nach §
398 ZPO verpflichtet, in erster In-stanz vernommene Zeugen erneut zu vernehmen, wenn es deren protokollierte Aussagen anders als die Vorinstanz verstehen oder würdigen will ([X.], NJW 2011, 49 Rn.
14; [X.], Urteil vom 22.
Mai 2002
VIII
ZR 337/00, NJW-RR 2002, 1500;
Senatsbeschluss vom 1.
April 2014

XI
ZR 171/12, [X.], 295 Rn.
18). Unterlässt es dies und wendet damit §
529
Abs.
1
Nr.
1 ZPO fehlerhaft an, ist die dadurch benachteiligte [X.] in ihrem Anspruch auf rechtliches Ge-hör nach Art.
103
Abs.
1 GG verletzt ([X.], NJW 2005, 1487; [X.], [X.] vom 9.
Februar 2010

XI
ZR 140/09, [X.], 515, 516 und vom 21.
März 2012

XII
ZR 18/11, NJW-RR 2012, 704 Rn.
6).
Die erneute Vernehmung eines Zeugen kann allenfalls dann unterblei-ben, wenn sich das Rechtsmittelgericht lediglich auf Umstände stützt, die weder die Urteilsfähigkeit, das Erinnerungsvermögen oder die Wahrheitsliebe des Zeugen noch die Vollständigkeit oder Widerspruchsfreiheit seiner Aussage be-treffen ([X.], Urteile vom 19.
Juni 1991

VIII
ZR 116/90, [X.], 1896, 1897
f. und vom 10.
März 1998

VI
ZR
30/97, NJW 1998, 2222, 2223; Senats-beschlüsse vom 9.
Februar 2010

XI
ZR
140/09, [X.], 515, 516 und vom 1.
April 2014

XI
ZR 171/12, [X.], 295 Rn.
19).
b) Nach diesen Maßgaben ist Art.
103 Abs.
1 GG hier verletzt.
aa) Das [X.] hat aufgrund des Ergebnisses der Beweisaufnahme festgestellt, dass die Beklagte den Kläger zu 1) nicht hinreichend über das [X.] des Totalverlustes aufgeklärt hat. Wie sich aus den Ausführungen in dem landgerichtlichen Urteil und der auszugsweisen Wiedergabe des [X.] vom 27.
September 2011 (XI
ZR 178/10, [X.], 2261 Rn.
27) ergibt, hat 12
13
14
-
8
-
das [X.] damit das allgemeine Emittentenrisiko gemeint. Das [X.] hat seine Beweiswürdigung eingehend damit begründet, dass die Zeugin [X.]

eine Aufklärung über das allgemeine Emittentenrisiko zunächst zwar

wenn auch nur

pauschal bejaht habe, gleichzeitig will sie das Thema [X.] aber nicht angesprochen haben und hat etwaige Risiken auch nicht in der vor dem [X.] simulierten "Beratung" erwähnt. Aufgrund dessen hat das [X.] der Zeugin nicht geglaubt, über das allgemeine Emittentenrisiko aufgeklärt zu haben. Vielmehr war es aufgrund der übrigen Angaben der Zeugin und der Anhörung des Klägers zu
1) vom Gegenteil überzeugt.
Das Berufungsgericht hat die Beweisaufnahme ohne nachvollziehbare Begründung abweichend vom [X.] gewürdigt, ohne sich durch erneute Vernehmung der Zeugin und Anhörung des Klägers zu
1) einen eigenen [X.] zu verschaffen. Im Gegensatz zum [X.] hat es auf Grundlage der Zeugenaussage eine Aufklärung über das allgemeine Emittentenrisiko bejaht. Dies konnte es aber nur annehmen, wenn es

anders als das [X.]

die Aussage der Zeugin auch in diesem Punkt als glaubhaft erachtete und zugleich die Angaben des Klägers zu
1) bei seiner Anhörung vor dem [X.] für unglaubhaft hielt.
bb) Diese abweichende Würdigung der Zeugenaussage durch das Rechtsmittelgericht war nicht ausnahmsweise ohne erneute Vernehmung zu-lässig, weil weder die Urteilsfähigkeit, das Erinnerungsvermögen oder die Wahrheitsliebe der Zeugin noch die Vollständigkeit oder Widerspruchsfreiheit ihrer Aussage von Bedeutung gewesen wären. Insbesondere konnte sich das Berufungsgericht bei seiner abweichenden Würdigung nicht ausschließlich auf den protokollierten Inhalt der Beweisaufnahme stützen, weil es dem [X.] bei der Würdigung der Glaubhaftigkeit der Aussage in dem für das [X.] maßgeblichen Punkt nicht gefolgt ist.
Für das [X.] war ent-15
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9
-
scheidend, dass die Zeugin "sicher bestätigt (habe), das Thema Insolvenz nicht angesprochen zu haben", und auch "in der simulierten 'Beratung' etwaige Risi-ken überhaupt nicht erwähnt" habe. Aufgrund dessen und aufgrund der vom Kläger zu
1) im Rahmen seiner Anhörung gemachten Angaben hat das [X.] die Aussage der Zeugin insoweit als glaubhaft angesehen, während es ihr nicht geglaubt hat, über das allgemeine Emittentenrisiko aufgeklärt zu haben. Danach war es dem Berufungsgericht verwehrt, ohne erneute Vernehmung von der Verlässlichkeit der Aussage der Zeugin auch in diesem Punkt auszugehen.
3. Das angefochtene Urteil beruht auf dieser Verletzung des rechtlichen Gehörs. Es ist nicht auszuschließen, dass das Berufungsgericht zu einer ab-weichenden Entscheidung gelangt wäre, wenn es die Zeugin erneut vernom-men und gegebenenfalls den Kläger
zu
1)
erneut angehört hätte.
17
-
10
-
III.
Das angefochtene Urteil war danach gemäß §
544 Abs.
7 ZPO aufzuhe-ben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das [X.] zurückzuverweisen. Das Berufungsgericht wird den oben genann-ten Beweis zu erheben und zu würdigen haben. Gegebenenfalls wird es auch den Kläger zu
1) erneut anzuhören haben.

Ellenberger

Grüneberg

Maihold

[X.]

Derstadt

Vorinstanzen:
LG [X.], Entscheidung vom 28.08.2012
-
23 O 138/10 -

OLG [X.] in [X.], Entscheidung vom 13.06.2014 -
24 [X.] -

18

Meta

XI ZR 326/14

05.05.2015

Bundesgerichtshof XI. Zivilsenat

Sachgebiet: ZR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 05.05.2015, Az. XI ZR 326/14 (REWIS RS 2015, 11640)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2015, 11640

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