Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 20.11.2012, Az. XI ZR 442/11

XI. Zivilsenat | REWIS RS 2012, 1270

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BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
XI ZR 442/11

vom

20.
November 2012

in dem Rechtsstreit

-
2
-
Der XI.
Zivilsenat des [X.] hat durch [X.] [X.] und [X.]
Ellenberger, [X.],
Dr.
Matthias
und Pamp

am 20.
November 2012

beschlossen:
Auf die Nichtzulassungsbeschwerde der [X.] wird das Urteil des 6.
Zivilsenats des [X.] vom 8.
September 2011 aufgehoben.
Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten
des Beschwerdeverfahrens, an das Berufungsge-richt zurückverwiesen.

Gründe:
I.
Die Klägerin nimmt die beklagte Bank aus abgetretenem Recht des Herrn F.

(im Folgenden: Zedent) auf Rückabwicklung einer Be-teiligung an der

V.

4 GmbH & Co. KG (im Folgenden: V
4) in Anspruch.
Der Zedent zeichnete nach vorheriger Beratung durch die Mitarbeiterin J.

der [X.] am 14.
Dezember 2004 eine Beteiligung an V
4 im 1
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Nennwert von 30.000

Höhe von 45,5% der [X.] durch ein endfälliges Darlehen der H.

finanziert wurde.
Nach dem Inhalt des dem Zedenten ausgehändigten
Verkaufsprospekts sollten 8,9% der jeweiligen Zeichnungssumme sowie das jeweilige Agio in Höhe von 5% zur Eigenkapitalvermittlung, Platzierungsgarantie und Finanzierungs-vermittlung durch die V.

AG (im Folgenden: V.
AG) ver-wendet werden. Die V.
AG durfte ausweislich des Prospekts ihre Rechte und Pflichten aus der [X.] übertragen. Die Beklagte er-hielt für den Vertrieb der Anteile Provisionen in Höhe von mindestens 8,25% der Zeichnungssumme, ohne dass dies dem Zedenten im Beratungsgespräch of-fengelegt wurde.
Die Klägerin verlangt mit ihrer Klage unter Berufung auf mehrere Aufklä-rungs-
und Beratungsfehler die Rückzahlung des vom Zedenten eingesetzten Kapitals in Höhe von 17.850

m Zug gegen Übertragung der Beteiligung sowie die Erstattung vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten. [X.] begehrt sie die Feststellung der Verpflichtung der [X.], den Betrag zu erstatten, der zur Ablösung des zur Finanzierung der Beteiligung V
4 aufge-nommenen Darlehens erforderlich ist, sowie die Feststellung der Verpflichtung der [X.], alle finanziellen Nachteile zu ersetzen, die dem Zedenten im Zusammenhang mit der Beteiligung entstanden sind oder noch entstehen. Au-ßerdem begehrt die Klägerin die Feststellung des Annahmeverzuges der [X.] mit der Rücknahme der Beteiligung.
Das [X.] hat der Klage überwiegend stattgegeben. Die Berufun-gen beider Parteien hiergegen sind weitgehend erfolglos geblieben. Das [X.] hat die Revision nicht zugelassen und seine Entscheidung im We-3
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4
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sentlichen damit begründet, dass zwischen dem Zedenten und der [X.] konkludent ein Beratungsvertrag zustande gekommen sei, aufgrund dessen die Beklagte verpflichtet gewesen sei, den Zedenten darauf hinzuweisen, dass sie von der V.
AG eine aufklärungspflichtige Rückvergütung in Höhe von [X.] 8,25% des [X.] erhalten habe. Diese Verpflichtung habe die Beklagte schuldhaft verletzt. Auch aus dem Verkaufsprospekt gehe nicht wie erforderlich hervor, dass und in welcher Höhe gerade die Beklagte -
und nicht die V.
AG
-
Provisionen erhalten habe. Den vermuteten Schuldvorwurf habe die Beklagte nicht entkräften können. Insbesondere habe sich die [X.] nicht in einem unvermeidbaren Rechtsirrtum befunden. Für die Klägerin strei-te die Vermutung aufklärungsrichtigen Verhaltens des Zedenten, die die [X.] nicht widerlegt habe. Der Zedent sei nicht verpflichtet gewesen, sich nach etwaigen Vergütungen der [X.] zu erkundigen. Dies gelte auch, wenn, wie hier, dem Anleger aus einer vorherigen Beteiligung an einem ande-ren Medienfonds grundsätzlich bekannt gewesen sei, dass die Beklagte für ihr Engagement eine beachtliche Vergütung beziehe.

II.
Die Revision ist nach §
543 Abs.
2 Satz
1 Nr.
2 Fall 2
ZPO zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung zuzulassen, da das angegriffene Urteil den Anspruch der [X.]
auf rechtliches Gehör aus Art.
103 Abs.
1 GG verletzt (vgl. Senatsbeschlüsse vom 11.
Mai 2004 -
XI
ZB 39/03, WM
2004, 1407, 1408
f. und vom 18.
Januar 2005 -
XI
ZR 340/03, [X.] 2005, 939 f.). Aus demselben Grunde ist das angefochtene Urteil gemäß §
544 Abs.
7 ZPO aufzuheben und der Rechtsstreit zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.
6
-
5
-
1. Rechtsfehlerfrei und von der Nichtzulassungsbeschwerde nicht [X.] ist das Berufungsgericht allerdings davon ausgegangen, dass zwischen dem Zedenten und der [X.] stillschweigend ein Beratungsvertrag [X.] gekommen ist, aufgrund dessen die Beklagte verpflichtet war, den Zedenten über die von ihr vereinnahmten Rückvergütungen aufzuklären, und dass eine ordnungsgemäße Aufklärung des Zedenten über diese Rückvergütungen weder mündlich noch durch die Übergabe von Informationsmaterial erfolgt ist (vgl.
Se-natsurteil vom 8.
Mai 2012 -
XI
ZR 262/10, [X.], 1337 Rn.
15
ff. [X.]). Auch hat das Berufungsgericht rechtsfehlerfrei und von der Nichtzulassungsbe-schwerde unangegriffen insoweit ein Verschulden der [X.] bejaht (vgl. Senatsurteil vom 8.
Mai 2012
-
XI
ZR 262/10, [X.], 1337 Rn.
24
f. [X.]).
2. Gleichfalls rechtsfehlerfrei ist das Berufungsgericht im Grundsatz da-von ausgegangen, dass die Beklagte die Darlegungs-
und Beweislast für ihre Behauptung trägt, der Zedent hätte die Beteiligung auch bei gehöriger Aufklä-rung über die Rückvergütungen erworben.
Nach ständiger Rechtsprechung des [X.] ist derjenige, der vertragliche oder vorvertragliche Aufklärungspflichten verletzt hat, beweis-pflichtig dafür, dass der Schaden auch eingetreten wäre, wenn er sich [X.] verhalten hätte, der Geschädigte den Rat oder Hinweis also unbeachtet gelassen hätte. Diese "Vermutung aufklärungsrichtigen Verhaltens" gilt für alle Aufklärungs-
und Beratungsfehler eines Anlageberaters, insbesondere auch dann, wenn Rückvergütungen pflichtwidrig nicht offengelegt wurden. Hierbei handelt es sich nicht lediglich um eine Beweiserleichterung im Sinne eines An-scheinsbeweises, sondern um eine zur Beweislastumkehr führende widerlegli-che Vermutung (Senatsurteil vom 8.
Mai 2012 -
XI
ZR 262/10, [X.], 1337 Rn.
27
ff. [X.]; [X.], ZIP
2012, 164 Rn.
20).
7
8
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6
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3. Entgegen der Rechtsansicht der Nichtzulassungsbeschwerde bedurfte es auch keiner Erörterung durch das Berufungsgericht, ob von dieser [X.] zugunsten der Klägerin nur dann auszugehen ist, wenn der Zedent bei gehöriger Aufklärung vernünftigerweise nur eine [X.], er sich also nicht in einem Entscheidungskonflikt befunden hätte. Wie der erkennende Senat nach Erlass des Berufungsurteils entschieden und [X.] begründet hat, ist das Abstellen auf das Fehlen eines solchen Entschei-dungskonfliktes mit dem Schutzzweck der Beweislastumkehr dafür, wie sich der Anleger bei gehöriger Aufklärung verhalten hätte, nicht zu vereinbaren, weshalb die Beweislastumkehr bereits bei -
wie hier
-
feststehender [X.] eingreift (Senatsurteil vom 8.
Mai 2012 -
XI
ZR 262/10, [X.], 1337 Rn.
30 ff. [X.]).
4. Das angegriffene Urteil verletzt jedoch den Anspruch der [X.] auf rechtliches Gehör nach Art.
103 Abs.
1 GG.
a) Art.
103 Abs.
1 GG verpflichtet das Gericht, den Vortrag der Parteien zur Kenntnis zu nehmen und bei seiner Entscheidung in Erwägung zu ziehen ([X.]E 60, 247,
249; 65, 293, 295
f.; 70, 288, 293; 83, 24, 35; [X.], NJW-RR 2001, 1006, 1007). Die Vorschrift gebietet außerdem die Berücksichtigung erheblicher Beweisanträge, gewährt allerdings keinen Schutz dagegen, dass das Gericht Vorbringen der Beteiligten aus Gründen des formellen oder materi-ellen Rechts ganz oder teilweise unberücksichtigt lässt ([X.], [X.], 492, 493 [X.]). Ein Verstoß gegen Art.
103 Abs.
1 GG setzt dabei eine gewisse Evidenz der Gehörsverletzung voraus, das heißt, im Einzelfall müssen beson-dere Umstände vorliegen, die deutlich ergeben, dass das Vorbringen der [X.] entweder überhaupt nicht zur Kenntnis genommen oder bei der Entschei-dung ersichtlich nicht erwogen worden ist ([X.]E 86, 133, 146; 96, 205, 10
11
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7
-
216
f.;
[X.], [X.], 131; Senatsbeschluss vom 20.
Januar 2009 -
XI
ZR 510/07, [X.], 405 Rn.
8).
b) Nach diesen Maßgaben ist Art.
103 Abs.
1 GG hier verletzt.
aa) Die Beklagte hat mit ihren Schriftsätzen vom 26.
Februar 2010 und vom 28.
Juni 2011 vorgetragen, dass für den Zedenten bei seinem [X.] allein die Steuerersparnis und allenfalls noch Renditechancen sowie das Sicherungskonzept der Schuldübernahme relevant, andere Aspekte jedoch bedeutungslos gewesen seien. Diese für die Anlageentscheidung maßgebli-chen Umstände habe der Zedent der Mitarbeiterin der [X.] im [X.] mitgeteilt.
Zum Nachweis dieser Behauptungen hat sich die Beklagte auf das Zeugnis des Zedenten sowie das ihrer Mitarbeiterin J.

berufen. Hinzu kommt, dass das Berufungsgericht festgestellt hat, dass dem Zedenten "aus einer vorherigen Beteiligung an einem anderen Medienfonds grundsätzlich bekannt war, dass die Beklagte für ihr Engagement eine beachtliche Vergütung bezieht".
bb) Dieser unter Beweis gestellte Vortrag der [X.] zum Motiv des Zedenten, sich an V
4 zu beteiligen, ist erheblich (vgl. Senatsurteil vom 8.
Mai 2012 -
XI
ZR 262/10, [X.], 1337 Rn.
52 ff.). Das Berufungsgericht hat sich damit nicht befasst, sondern im Hinblick auf das Urteil des [X.] vom 24.
Juni 2009 ([X.], 828 ff.)
lediglich die Frage erörtert, ob
der Zedent verpflichtet war, sich nach etwaigen Vergütungen der [X.] zu erkundigen. Dies ist nach der ständigen Rechtsprechung des [X.] (vgl. nur Senatsurteil vom 8.
Mai 2012 -
XI
ZR 262/10, [X.], 1337 Rn.
17 [X.]) nicht der Fall. Die Tatsache, dass ein Anleger nicht von sich aus dazu verpflichtet ist, nach möglichen Vergütungen der ihn beratenden Bank durch Dritte zu fragen, sagt jedoch nichts darüber aus, wie sich der Anleger im 13
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8
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Falle einer ungefragten Offenlegung der vereinnahmten Rückvergütungen durch die Bank verhalten hätte. Dass das Berufungsgericht demgegenüber den Vortrag der [X.] zum Nichteingreifen der Vermutung aufklärungsrichtigen Verhaltens völlig übergangen hat, lässt sich nach den Umständen des Falles nur damit erklären, dass es dieses Vorbringen der [X.] bei seiner Ent-scheidung überhaupt nicht erwogen hat.
6. Die unterlassene Vernehmung des Zedenten sowie der Anlageberate-rin als Zeugen für diese Behauptungen verletzen den Anspruch der [X.] auf rechtliches Gehör in entscheidungserheblicher Weise, denn das Berufungs-urteil beruht auf dieser Verletzung. Diese Voraussetzung ist schon dann erfüllt, wenn nicht ausgeschlossen werden kann, dass das Berufungsgericht bei Be-rücksichtigung des übergangenen Vorbringens anders entschieden hätte
([X.]E 7, 95, 99; 60, 247, 250; 62, 392, 396; 89, 381, 392
f.). Die Gehörsver-letzung führt nach §
543 Abs.
2 Satz 1 Nr.
2 Fall
2 ZPO zur Zulassung der Re-vision, weil die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entschei-dung des [X.] erfordert ([X.], Beschluss vom 27.
März 2003
-
V
ZR 291/02, [X.]Z 154, 288, 296
f.), und rechtfertigt gemäß §
544 Abs.
7 ZPO die Aufhebung des angefochtenen Urteils und die Zurückverweisung der Sache.
7. Das Berufungsgericht wird die oben genannten Beweise zu erheben und zusammen mit den vorgetragenen Indizien (Senatsurteil vom 8.
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XI
ZR 262/10, [X.], 1337 Rn. 42 ff.) zu würdigen haben. Gegebenenfalls wird es sich auch mit den von der Klägerin behaupteten weiteren Verletzungen vorvertraglicher Aufklärungspflichtverletzungen durch unrichtige Angaben der16
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Anlageberaterin
der [X.] über durch Kapitalgarantien verschiedener Ban-ken sichergestellte 100%ige Geldrückflüsse auseinanderzusetzen haben (vgl. Senatsbeschluss vom 19.
Juli 2011 -
XI
ZR 191/10, [X.], 1506 Rn.
13 ff.; [X.], [X.], 153 ff.).

[X.]

Ellenberger

[X.]

Matthias

Pamp

Vorinstanzen:
[X.], Entscheidung vom 21.12.2009 -
14e O 82/08 -

O[X.], Entscheidung vom 08.09.2011 -
I-6 [X.] -

Meta

XI ZR 442/11

20.11.2012

Bundesgerichtshof XI. Zivilsenat

Sachgebiet: ZR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 20.11.2012, Az. XI ZR 442/11 (REWIS RS 2012, 1270)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2012, 1270

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