Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 23.10.2013, Az. 5 AZR 918/12

5. Senat | REWIS RS 2013, 1757

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Tenor

I. Auf die Revision der Beklagten wird - unter Zurückweisung der Revision im Übrigen - das Urteil des [X.] vom 21. September 2012 - 3 [X.]/12 - teilweise aufgehoben und zur Klarstellung insgesamt wie folgt neu gefasst:

1. Auf die Berufung des [X.] wird das Urteil des [X.] vom 4. April 2012 - 10 Ca 2397/11 - unter Zurückweisung der Berufung im Übrigen - teilweise abgeändert und die Beklagte verurteilt, an den Kläger weitere 411,85 Euro brutto nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz ab dem 5. August 2011 zu zahlen.

2. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des [X.] vom 4. April 2012 - 10 Ca 2397/11 - wird zurückgewiesen.

II. Von den Kosten des Rechtsstreits haben der Kläger 7/10 und die Beklagte 3/10 zu tragen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten über [X.] unter dem Gesichtspunkt des equal pay.

2

Der 1967 geborene Kläger war vom 1. Juni 2010 bis zum 31. März 2011 bei der [X.], die gewerblich Arbeitnehmerüberlassung betreibt, beschäftigt und der [X.] als Helfer im Bereich Lager überlassen. Der Kläger erhielt einen Bruttostundenlohn von zunächst 6,00 Euro, ab Juli 2010 von 6,40 Euro, und eine „Einsatz-/Tarifzulage“ von zuletzt 0,66 Euro brutto.

3

Dem Arbeitsverhältnis lag ein Formulararbeitsvertrag vom 31. Mai 2010 zugrunde, in dem es ua. heißt:

„§ 1 Vertragsgrundlagen

2. [X.] wendet auf das Arbeitsverhältnis die zwischen dem [X.] ([X.]) einerseits und der [X.] und [X.] ([X.]), der [X.] ([X.]), der [X.] - Die [X.] ([X.]), dem Beschäftigtenverband Industrie, Gewerbe, Dienstleistung ([X.]), dem [X.] land- und ernährungswirtschaftlicher Berufe ([X.]), medsonet.Die Gesundheitsgewerkschaft (medsonet) andererseits geschlossenen Tarifverträge, derzeit bestehend aus Manteltarifvertrag, Manteltarifvertrag für die Auszubildenden, Entgeltrahmentarifvertrag, [X.] und Ost sowie [X.], in jeweils gültiger Fassung an.

§ 4 Vergütung

3. [X.] wird als Monatslohn am 15. Banktag des folgenden Kalendermonats überwiesen. Lohnzahlungen sind erst fällig, wenn der Arbeitnehmer den ihm bei Abschluss des Arbeitsvertrages ausgehändigten Zeitnachweisblock beim Arbeitgeber vorlegt. Die eingetragenen Arbeitszeiten müssen mindestens wöchentlich vom Kunden unterzeichnet sein. Sie sind wöchentlich bei [X.] einzureichen.

§ 14 Ausschlussfristen

1. Alle Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis und solche, die mit dem Arbeitsverhältnis in Verbindung stehen, sind innerhalb von drei Monaten nach Fälligkeit schriftlich geltend zu machen. Ansprüche, die nicht innerhalb dieser Frist geltend gemacht werden, verfallen ersatzlos.

2. Lehnt die Gegenpartei den Anspruch ab oder erklärt sie sich nicht innerhalb von einem Monat ab Geltendmachung des Anspruchs, so verfällt dieser Anspruch, wenn er nicht innerhalb von einem Monat nach Ablehnung oder Fristablauf gerichtlich geltend gemacht wird.

3. Diese Ausschlussfristen gelten nicht bei einer Haftung wegen Vorsatzes oder grober Fahrlässigkeit. Sie gelten ebenfalls nicht bei Verletzung des Lebens, des Körpers oder der Gesundheit.

…“

4

Nach erfolgloser Geltendmachung mit Schreiben vom 3. Mai 2011 hat der Kläger mit der am 27. Juli 2011 eingereichten und der [X.] am 4. August 2011 zugestellten Klage für den Zeitraum Juni 2010 bis März 2011 unter Berufung auf § 10 Abs. 4 [X.] die Differenz zwischen der von der [X.] erhaltenen Vergütung und dem Arbeitsentgelt, das die Entleiherin im Streitzeitraum vergleichbaren Stammarbeitnehmern nach einer Auskunft gemäß § 13 [X.] gewährt hat, verlangt und geltend gemacht, die einzelvertragliche Ausschlussfristenregelung sei intransparent. Außerdem habe die Ausschlussfrist erst mit der Entscheidung des [X.] zur fehlenden Tariffähigkeit der [X.] zu laufen begonnen.

5

Der Kläger hat sinngemäß beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 3.953,22 Euro brutto nebst Zinsen iHv. fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz ab dem 5. August 2011 zu zahlen.

6

Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt und geltend gemacht, sie habe aufgrund der Inbezugnahme des mehrgliedrigen Tarifvertrags zwischen dem [X.] ([X.]), der [X.] und einer [X.]eihe von [X.] vom 15. März 2010 von dem Gebot der Gleichbehandlung abweichen dürfen. Jedenfalls seien etwaige Ansprüche des Klägers wegen nicht rechtzeitiger Geltendmachung nach der vertraglichen Ausschlussfristenregelung verfallen.

7

Das Arbeitsgericht hat der Klage teilweise stattgegeben und dem Kläger 773,95 Euro brutto nebst Zinsen als [X.] für die Monate Februar und März 2011 zugesprochen. Das [X.] hat auf die Berufung des Klägers der Klage - soweit sie in die [X.]evisionsinstanz gelangt ist - stattgegeben und die Berufung der [X.] zurückgewiesen. Mit der vom [X.] zugelassenen [X.]evision verfolgt die Beklagte ihr Klageabweisungsbegehren weiter.

Entscheidungsgründe

8

Die Revision der Beklagten ist teilweise begründet. Der Anspruch des [X.] auf gleiches Arbeitsentgelt ist für den Zeitraum Juni bis Dezember 2010 wegen nicht rechtzeitiger schriftlicher Geltendmachung verfallen. Insoweit ist die Klage unbegründet. Im Übrigen hat das [X.] der Berufung des [X.] gegen das erstinstanzliche Urteil zu Recht stattgegeben.

9

I. Die Beklagte war nach § 10 Abs. 4 [X.] verpflichtet, dem Kläger für die [X.] an die [X.] das gleiche Arbeitsentgelt zu zahlen, wie es die Entleiherin ihren Stammarbeitnehmern gewährte. Eine nach § 9 Nr. 2 [X.] zur Abweichung vom Gebot der Gleichbehandlung berechtigende Vereinbarung haben die Parteien nicht getroffen. Die Bezugnahmeklausel des § 1 Nr. 2 Arbeitsvertrag, mit der die Geltung der vom [X.] ([X.]), der [X.] und einer Reihe von [X.] geschlossenen Tarifverträge vom 15. März 2010 ([X.]-TV 2010) vereinbart werden sollte, ist mangels Kollisionsregelung intransparent und nach § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB unwirksam (vgl. dazu im Einzelnen [X.] 13. März 2013 - 5 [X.] - Rn. 26 ff.; zur zwischenzeitlich festgestellten fehlenden Tariffähigkeit von [X.]. Die Gesundheitsgewerkschaft siehe [X.] 11. Juni 2013 - 1 ABR 33/12 -).

II. Der Anspruch des [X.] auf gleiches Arbeitsentgelt ist, soweit er [X.] für die Monate Juni bis Dezember 2010 betrifft, nach § 14 Nr. 1 Arbeitsvertrag verfallen.

1. Der Kläger war allerdings nicht gehalten, Ausschlussfristen aus dem nicht wirksam in das Arbeitsverhältnis einbezogenen [X.]-TV 2010 einzuhalten. Diese sind auch nicht als Allgemeine Geschäftsbedingung Inhalt des Arbeitsvertrags geworden ([X.] 13. März 2013 - 5 [X.] - Rn. 34 f.).

2. Der Kläger musste die erste Stufe der Ausschlussfristenregelung in § 14 Nr. 1 Arbeitsvertrag beachten.

a) Diese Klausel enthält eine eigenständige arbeitsvertragliche Ausschlussfristenregelung. Das folgt aus dem grundsätzlichen Vorrang einer ausdrücklich in den Arbeitsvertrag aufgenommenen Klausel vor einer nur durch die pauschale Bezugnahme auf einen Tarifvertrag anwendbaren Regelung ([X.] 13. März 2013 - 5 [X.] - Rn. 40; 25. September 2013 - 5 [X.] - Rn. 14). Belassen es nicht tarifgebundene Arbeitsvertragsparteien nicht dabei, ihr Arbeitsverhältnis pauschal einem bestimmten Tarifregime zu unterwerfen, sondern vereinbaren zu einzelnen Gegenständen darüber hinaus im Arbeitsvertrag ausformulierte Regelungen, bringen sie damit typischerweise zum Ausdruck, dass unabhängig von dem in Bezug genommenen Tarifwerk jedenfalls (auch) die in den Arbeitsvertrag aufgenommenen Bestimmungen für das Arbeitsverhältnis gelten sollen.

Zu dem vom [X.] angenommenen Widerspruch arbeitsvertraglicher und tariflicher Ausschlussfristenregelungen kann es nicht kommen, weil die Bezugnahmeklausel des § 1 Nr. 2 Arbeitsvertrag unwirksam ist und deshalb tarifliche Ausschlussfristenregelungen nicht in das Arbeitsverhältnis inkorporiert werden (vgl. [X.] 25. September 2013 - 5 [X.] - Rn. 16). Zudem geben weder der Wortlaut der Bezugnahmeklausel noch der der arbeitsvertraglichen Ausschlussfristenregelung Anhaltspunkte für die Annahme, letztere müsse nicht beachtet werden.

b) Die erste Stufe der arbeitsvertraglichen Ausschlussfristenregelung hält der [X.] stand.

aa) [X.] ist nicht überraschend iSd. § 305c Abs. 1 BGB und damit Vertragsbestandteil geworden. Die Vereinbarung von Ausschlussfristen entspricht einer weitverbreiteten Übung im Arbeitsleben. Die Regelung findet sich auch nicht an einer irgendwo im Arbeitsvertrag versteckten Stelle. Sie ist vielmehr in einem mit „Ausschlussfristen“ betitelten eigenen Paragraphen enthalten, dessen Überschrift durch Fettdruck hervorgehoben ist.

bb) [X.] ist nicht mangels hinreichender Transparenz unwirksam, § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB. Der Arbeitnehmer kann ersehen, dass alle Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis und solche, die mit dem Arbeitsverhältnis in Verbindung stehen, „verfallen“, wenn sie nicht innerhalb bestimmter Fristen in der in der Klausel bezeichneten Weise geltend gemacht werden ([X.] 13. März 2013 - 5 [X.] - Rn. 48 f.).

cc) Die erste Stufe der arbeitsvertraglichen Ausschlussfristenregelung ist nicht unangemessen benachteiligend iSv. § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB. Sie lässt dem Gläubiger eine faire Chance, seine Ansprüche durchzusetzen. Eine schriftliche Geltendmachung des Anspruchs aus § 10 Abs. 4 [X.] „dem Grunde nach“ reicht nach dem Wortlaut der Klausel aus und ermöglicht es auch dem Leiharbeitnehmer, der die Entgeltregelung für vergleichbare Stammarbeitnehmer noch nicht im Einzelnen kennt, innerhalb einer angemessenen Überlegungsfrist sich für jede Überlassung den Anspruch auf gleiches Arbeitsentgelt zu sichern (vgl. [X.] 13. März 2013 - 5 [X.] - Rn. 50 ff.).

dd) Die wegen ihrer Kürze nach § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB unwirksame zweite Stufe der Ausschlussfristenregelung (§ 14 Nr. 2 Arbeitsvertrag) berührt nach dem sog. [X.] die Wirksamkeit der ersten Stufe einer Ausschlussfristenregelung wie der vorliegenden nicht (vgl. [X.] 12. März 2008 - 10 [X.]/07 - Rn. 26 ff. [X.]; 16. Mai 2012 - 5 [X.] - Rn. 37, [X.]E 141, 340).

3. Der Kläger hat die erste Stufe der Ausschlussfristenregelung nach § 14 Nr. 1 Arbeitsvertrag nur hinsichtlich der [X.] für die Monate Januar bis März 2011 eingehalten. Er hat den Anspruch auf gleiches Arbeitsentgelt, der mit der Überlassung entsteht und ratierlich zu dem im Arbeitsvertrag für die Vergütung bestimmten Zeitpunkt fällig wird ([X.] 13. März 2013 - 5 [X.] - Rn. 42), erstmals mit Schreiben vom 3. Mai 2011 geltend gemacht. Damit konnte er die erste Stufe der arbeitsvertraglichen Ausschlussfristenregelung nur für [X.] ab Januar 2011 wahren. Dass Lohnzahlungen für frühere Monate des [X.] gemäß § 4 Nr. 3 Arbeitsvertrag später als am 15. Banktag des folgenden Kalendermonats fällig geworden wären, hat der Kläger nicht behauptet.

4. Dem Verfall steht § 14 Nr. 3 Arbeitsvertrag nicht entgegen. Der Anspruch auf gleiches Arbeitsentgelt betrifft keinen der dort genannten Ausnahmetatbestände.

III. Zur Ermittlung der Höhe des nicht verfallenen Teils des Anspruchs auf gleiches Arbeitsentgelt ist ein Gesamtvergleich der Entgelte im Überlassungszeitraum anzustellen (zum Begriff des Arbeitsentgelts vgl. [X.] 13. März 2013 - 5 [X.] - Rn. 26 f.). Bei einem teilweisen Verfall des Anspruchs auf gleiches Arbeitsentgelt wie im Streitfall beschränkt sich der Gesamtvergleich auf das „für“ den nicht verfallenen Zeitraum zu beanspruchende und erhaltene Arbeitsentgelt ([X.] 23. Oktober 2013 - 5 [X.] - Rn. 33).

Das [X.] hat das Entgelt, das der Kläger erhalten hätte, wenn er unmittelbar bei der Entleiherin beschäftigt gewesen wäre, für den nicht verfallenen Zeitraum auf insgesamt 4.943,33 Euro brutto festgestellt. Dagegen hat die Revision Angriffe nicht erhoben. Demgegenüber hat der Kläger für die Monate Januar bis März 2011 nach den Lohnabrechnungen der Beklagten insgesamt 3.757,53 Euro brutto erhalten. Dass die Beklagte in diesem Zeitraum über das abgerechnete hinaus weiteres Arbeitsentgelt geleistet hätte, hat sie nicht behauptet. Damit ergibt sich für den nicht verfallenen Zeitraum - die Monate Januar bis März 2011 - ein Anspruch auf [X.] iHv. 1.185,80 Euro brutto.

IV. Der Zinsanspruch folgt aus §§ 291, 288 Abs. 1 Satz 2 BGB.

V. Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 Abs. 1 ZPO.

        

    Müller-Glöge    

        

    Biebl    

        

    Weber    

        

        

        

    Mandrossa    

        

    Wolff    

                 

Meta

5 AZR 918/12

23.10.2013

Bundesarbeitsgericht 5. Senat

Urteil

Sachgebiet: AZR

vorgehend ArbG Dresden, 4. April 2012, Az: 10 Ca 2397/11, Urteil

Zitier­vorschlag: Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 23.10.2013, Az. 5 AZR 918/12 (REWIS RS 2013, 1757)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2013, 1757

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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1 ABR 33/12

5 AZR 251/11

5 AZR 954/11

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