Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 22.07.2010, Az. 3 StR 156/10

3. Strafsenat | REWIS RS 2010, 4475

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[X.]IM NAMEN DES VOLKES URTEIL 3 StR 156/10 vom 22. Juli 2010 in der Strafsache gegen wegen Geiselnahme u. a. - 2 - Der 3. Strafsenat des [X.] hat in der Sitzung vom 22. Juli 2010, an der teilgenommen haben: Vorsitzender [X.] am [X.] [X.], die [X.] am [X.] [X.], von [X.], [X.]in am [X.] Sost-Scheible, [X.] am [X.] [X.]als beisitzende [X.], Oberstaatsanwalt beim [X.] als Vertreter der [X.], Rechtsanwalt , Rechtsanwalt als Verteidiger des Angeklagten, Rechtsanwalt als Vertreter der Nebenklägerin, [X.]als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle, für Recht erkannt: - 3 - 1. Das Verfahren wird mit Zustimmung des [X.] auf die Geiselnahme und die vier der Verurteilung zugrunde lie-genden Taten der Vergewaltigung beschränkt. 2. Auf die Revisionen der Staatsanwaltschaft und der Nebenkläge-rin wird das Urteil des [X.] vom 9. Oktober 2009 im Schuldspruch dahin geändert, dass der Angeklagte der [X.] mit besonders schwerer Vergewalti-gung in vier tateinheitlich zusammentreffenden Fällen schuldig ist. Die weitergehenden Revisionen werden verworfen. 3. Die Revision des Angeklagten gegen das vorbezeichnete Urteil wird verworfen. 4. Die Kosten des Rechtsmittels der Staatsanwaltschaft und die dem Angeklagten dadurch entstandenen notwendigen Ausla-gen werden der Staatskasse auferlegt. Die Nebenklägerin hat die Kosten ihres Rechtsmittels und die dem Angeklagten da-durch entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen. Der An-geklagte hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen. Von Rechts wegen - 4 - Gründe: Das [X.] hat den Angeklagten wegen [X.] mit besonders schwerer Vergewaltigung zu einer Freiheitsstrafe von zwölf [X.] und sechs Monaten verurteilt. Hiergegen richten sich die Revisionen der Staatsanwaltschaft, der Nebenklägerin und des Angeklagten. Die [X.] erstrebt mit ihrem Rechtsmittel eine Aufhebung des Urteils zum Nachteil des Angeklagten. Sie erhebt die allgemeine Sachrüge und wendet sich mit [X.] dagegen, dass das [X.] nur von einer einzigen Tat im Rechtssinne ausgegangen ist und die Anordnung der Sicherungsverwahrung abgelehnt hat. Auch die Nebenklägerin rügt die Beurteilung des Konkurrenzver-hältnisses zwischen den einzelnen Vergewaltigungstaten. Die Rechtsmittel füh-ren sämtlich nur zur Änderung des Schuldspruchs, bleiben aber im Übrigen erfolglos. Die Revision des Angeklagten wendet sich allein ge-gen die Strafhöhe. Sie hat keinen Erfolg. 1 Nach den Feststellungen des [X.]s überfiel der Angeklagte in den Morgenstunden des 7. Mai 2009 die ihm bis dahin unbekannte sechzehn-jährige Schülerin S.

auf deren Weg zur Schule. Er bedrohte sie mit einem Messer, legte ihr eine Seilschlinge um den Hals und verbrachte sie gewaltsam in seine nahe gelegene Wohnung. Dort hielt er das Mädchen ent-sprechend seinem zuvor gefassten Plan fest. Er drohte ihr unter Vorhalten des Messers mit dem Tode, falls sie ihm nicht zum Willen sei, und fesselte sie zeit-weise auch mit Handschellen und der Seilschlinge. Das hierdurch völlig ver-ängstigte Opfer zwang er - wie von ihm von Anfang an beabsichtigt - im Verlauf dieses und der beiden folgenden Tage zu sexuellen Handlungen, bei denen es zum Geschlechtsverkehr und teilweise zum Oralverkehr kam und der [X.] auch jeweils versuchte, den Analverkehr auszuüben. Im Einzelnen kam es bereits während des ersten Tages zu drei, an den beiden Folgetagen jeweils zu einem mehrstündigen Übergriff. Dabei drohte der Angeklagte dem Mädchen stets mit der Tötung, bei der ersten Tat hielt er ihr dabei das Messer entgegen. Zwischen dem zweiten und dritten Übergriff fesselte er sein Opfer und ver-brachte es zeitweise auf den Dachboden. Die Nacht musste es neben ihm im Bett verbringen. Zur Verhinderung der Flucht schloss der Angeklagte das Zim-mer ab. Auch am zweiten Tag fesselte er das Mädchen, als er für einige Zeit außer Haus gehen wollte. Nach zwei weiteren Nächten gelang der Nebenkläge-rin am Vormittag des vierten Tages die Flucht, nachdem der Angeklagte die Wohnung hatte eilig verlassen müssen und dabei im Glauben, sein Opfer werde nunmehr allein unter der Drohung mit Rache im Hause zurückbleiben, auf eine Fesselung verzichtet hatte. Das [X.] hat das Tatgeschehen als Geiselnahme gemäß § 239b Abs. 1 1. Alt. StGB sowie als vier Taten der Vergewaltigung beurteilt (die erste Tat gemäß § 177 Abs. 1 Nr. 1 und 2, Abs. 2 Nr. 1, Abs. 4 Nr. 1 StGB; drei wei-tere Taten gemäß § 177 Abs. 1 Nr. 1 und 2, Abs. 2 Nr. 1 StGB; der fünfte fest-gestellte Übergriff - der dritte im Verlauf des ersten Tages - war nach Auffas-sung des [X.]s nicht Gegenstand der Anklage). Diese seien "als eine Tat im Sinne einer natürlichen Handlungseinheit zu betrachten", wobei das [X.] der Geiselnahme die während seiner Begehung verwirklichten [X.] Straftaten zur Tateinheit verklammere. Es hat die Strafe dem Strafrahmen des § 239b Abs. 1 StGB (fünf Jahre bis 15 Jahre) entnommen und unter Be-rücksichtigung der im Tatzeitraum begangenen Vergewaltigungen eine Strafe von zwölf Jahren und sechs Monaten verhängt. Von der Anordnung der Siche-rungsverwahrung hat das [X.] abgesehen, da die formellen Vorausset-zungen nach § 66 Abs. 2 bzw. Abs. 3 Satz 2 StGB nicht vorlagen. 3 - 6 - [X.] Revision der Staatsanwaltschaft Die Revision führt lediglich zur Änderung des Schuldspruchs. Im Übrigen hat die Überprüfung des Urteils keinen Rechtsfehler zu Gunsten oder zu Lasten (§ 301 [X.]) des Angeklagten ergeben. 4 1. Die Feststellungen des [X.]s beruhen auf dem Geständnis des Angeklagten und einer rechtsfehlerfreien Beweiswürdigung (vgl. [X.], Urteil vom 9. Juni 2005 - 3 [X.], NJW 2005, 2322, 2326). Es ist von Rechts wegen nicht zu beanstanden, dass das [X.] der Einlassung des [X.]n gefolgt ist, er habe die dauerhafte Einsperrung der Nebenklägerin von Anfang an geplant, um diese wiederholt sexuell missbrauchen zu können. 5 2. Nach den Feststellungen hat der Angeklagte die Nebenklägerin ent-führt, um sie in seiner Wohnung durch Todesdrohung zur Duldung der darauf folgenden sexuellen Übergriffe zu nötigen, § 239b Abs. 1 1. Alt. StGB (vgl. [X.], Großer Senat für Strafsachen, Beschluss vom 22. November 1994 - [X.], [X.]St 40, 350). Daneben hat der Angeklagte die Nebenklägerin im Verlauf der mehrtägigen Geiselnahme bei insgesamt fünf Gelegenheiten jeweils durch Gewalt und durch Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für das Le-ben zum Beischlaf und ähnlichen, das Opfer besonders erniedrigenden [X.] Handlungen genötigt (§ 177 Abs. 1 Nr. 1 und 2, Abs. 2 Nr. 1 StGB). Die ein-gesetzte Gewalt bestand darin, dass er das Opfer über den gesamten Tatzeit-raum eingesperrt hatte, um sie am Weglaufen zu hindern und damit die [X.] Übergriffe zu ermöglichen (vgl. [X.], Beschluss vom 23. November 1993 - 1 StR 739/93, [X.]R StGB § 177 Abs. 1 Gewalt 10; [X.], Urteil vom 9. März 1993 - 5 StR 1/93, [X.], 340; [X.], Beschluss vom 1. Oktober 1998 6 - 7 - - 4 StR 347/98, [X.], 83; [X.], Beschluss vom 9. März 2000 - 4 StR 513/99, [X.], 419; [X.], Urteil vom 2. Oktober 2002 - 2 [X.], [X.], 42). In jedem dieser Fälle hat der Angeklagte bei der Tat ein Messer als Drohmittel verwendet (§ 177 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 Nr. 1, Abs. 4 Nr. 1 StGB). Zwar ist nur für den ersten sexuellen Übergriff festgestellt, dass der Angeklagte mit dem Messer ausdrücklich drohte, indem er das Opfer fragte, ob er es "im-mer noch halten müsse", und es sodann auf die unmittelbar neben dem Bett stehende Kommode legte. Aus dem Zusammenhang der Urteilsgründe ergibt sich indes, dass er in den weiteren Fällen mit dem Einsatz des Messers, wel-ches während sämtlicher Übergriffe an diesem Ort verblieb, jeweils konkludent drohte und das Opfer dies auch entsprechend der Vorstellung des Angeklagten als Drohung empfand. 7 3. Auch die Beurteilung des [X.] durch das [X.] hält im Ergebnis rechtlicher Überprüfung stand. 8 a) Bei jedem der Übergriffe zwang der Angeklagte die Nebenklägerin je-weils zur Vornahme oder Duldung verschiedener sexueller Handlungen. Wegen des unmittelbaren Ineinanderübergehens der abgenötigten Handlungen und des fortdauernd eingesetzten [X.] liegt dabei in jedem Fall trotz der Mehrheit der abgenötigten Handlungen nur eine Tat der besonders schweren Vergewaltigung vor. 9 b) Für das Verhältnis der Vergewaltigungstaten zueinander gilt [X.]: 10 - 8 - aa) Zwischen den vier Taten besteht nach der ständigen Rechtspre-chung des [X.] bereits deshalb Tateinheit, weil die objektiven Ausführungshandlungen teilweise identisch sind. Alle Vergewaltigungen sind mittels eines einheitlichen, durchgehend und ohne Zäsuren im Geschehensab-lauf eingesetzten [X.], nämlich der Einsperrung des Opfers zu dem Zweck, sexuelle Übergriffe an ihm vornehmen zu können, begangen worden (vgl. [X.], Beschluss vom 23. November 1993 - 1 StR 739/93, [X.]R StGB § 177 Abs. 1 Gewalt 10; [X.], Urteil vom 9. März 1993 - 5 StR 1/93, [X.], 340; [X.], Beschluss vom 1. Oktober 1998 - 4 StR 347/98, [X.], 83; [X.], Beschluss vom 9. März 2000 - 4 StR 513/99, [X.], 419; [X.], Ur-teil vom 2. Oktober 2002 - 2 [X.], [X.], 42; [X.], Beschluss vom 10. Februar 2005 - 3 StR 15/05; [X.], 12. Aufl., § 52 Rn. 20 mwN). 11 [X.]) Da somit schon unter dem Aspekt der rechtlichen Handlungseinheit nur eine Tat im Sinne des § 52 Abs. 1 StGB vorliegt, kommt es nicht mehr dar-auf an, ob die verschiedenen vom Angeklagten begangenen Gesetzesverlet-zungen auch unter dem Gesichtspunkt der natürlichen Handlungseinheit oder der Klammerwirkung eines durchgängig verwirklichten [X.]s zur Tatein-heit verbunden werden. Im Hinblick auf die von der Beschwerdeführerin gegen die Rechtsfigur der Tateinheit aufgrund Klammerwirkung erhobenen Einwände bemerkt der Senat lediglich, dass auch dieser Fall keinen Anlass geben könnte, hiervon Abstand zu nehmen (vgl. zum Zusammentreffen von Vergewaltigung mit Geiselnahme insoweit [X.], Urteil vom 10. Dezember 2008 - 2 [X.], bei [X.], [X.], 361, 365 Nr. 35; [X.], Urteil vom 8. November 2007 - 3 [X.], [X.]R StGB § 52 Abs. 1 Klammerwirkung 10). Entgegen der Auffassung der Beschwerdeführerin können die während der Geiselnahme [X.] Straftaten im Schuldspruch voll - nämlich als durch "in mehreren [X.] - einheitlich zusammentreffenden Fällen" begangen - erfasst werden. Zutreffend hat der [X.] dargelegt, dass auch bei der Bestrafung eine Be-rücksichtigung der weiteren Taten möglich ist - wie nicht zuletzt die hohe, an die Höchstgrenze einer zeitigen Freiheitsstrafe heranreichende Strafe beweist, die das [X.] gegen den noch jungen, bislang nicht bestraften Angeklagten verhängt hat. [X.]) Da alle Vergewaltigungen nur eine Tat im materiellen Sinn darstellen, sind sie sämtlich auch Gegenstand der Anklage (st. Rspr.; vgl. [X.], [X.], 53. Aufl., § 264 Rn. 6 mwN). Das [X.] wäre deshalb im Rahmen seiner Kognitionspflicht gehalten gewesen, den Angeklagten nach Erteilung ei-nes rechtlichen Hinweises auch wegen des fünften - erst durch die Beweisauf-nahme in der Hauptverhandlung zutage getretenen - Übergriffs abzuurteilen. Um die Anklage zu erschöpfen, hat der Senat mit Zustimmung des [X.] insoweit eine Verfahrensbeschränkung gemäß § 154a Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 [X.] vorgenommen. 13 c) Zu der (besonders schweren) Vergewaltigung steht die [X.]. Die objektiven Ausführungshandlungen sind auch hier teilweise identisch. Die bei der Entführung des Opfers angewendete Gewalt und das Verbringen an einen Ort, an dem es dem ungehemmten Einfluss des [X.] weiterhin ausgesetzt war, war zugleich Teil der Gewalt, mit der der Angeklagte sodann die sexuellen Handlungen erzwang (vgl. [X.], Urteil vom 9. April 2003 - 2 [X.]). 14 d) Zur Klarstellung des begangenen Unrechts (vgl. [X.], Urteil vom 24. September 1998 - 4 StR 272/98, [X.]St 44, 196, 198) sind im Schuldspruch die einzelnen Übergriffe als tateinheitlich zusammentreffende Fälle der [X.] - 10 - ders schweren Vergewaltigung zu bezeichnen. Dies ist für die Fälle der gleich-artigen Tateinheit anerkannt (vgl. [X.], aaO § 260 Rn. 26). Für die Fälle mehrfacher Verwirklichung des [X.] im Wege fort-laufender Gewaltanwendung kann nichts anderes gelten. Der Senat hat [X.] den Schuldspruch entsprechend geändert. 4. Die Strafzumessung weist ebenfalls keinen Rechtsfehler auf. 16 5. Zutreffend hat das [X.] auch von der Anordnung der Siche-rungsverwahrung abgesehen. 17 Die formellen Voraussetzungen, unter denen das Gesetz die [X.] ermöglicht, liegen nicht vor. In Betracht käme bei dem unbestraften Angeklagten die Anordnung allein nach § 66 Abs. 2 oder Abs. 3 Satz 2 StGB. Wie der [X.] in seiner Zuleitungsschrift ausführlich dargelegt hat, setzen nach ganz herrschender Auffassung in Rechtsprechung und Litera-tur beide Varianten allerdings voraus, dass der Täter drei bzw. zwei rechtlich selbständige Taten begangen haben muss (vgl. [X.], Urteil vom 21. September 1951 - 2 StR 415/51, [X.]St 1, 313, 316; [X.], Beschluss vom 14. Dezember 2001 - 3 [X.], [X.], 313; [X.]/ [X.], 12. Aufl., § 66 Rn. 81 mwN). An dieser Auffassung ist festzuhalten. Hierfür sprechen der Wortlaut der Vorschrift, die Systematik des Strafgesetzbuchs, die Gesetzge-bungsgeschichte und auch der Sinn und Zweck der Norm. 18 a) § 66 Abs. 2 StGB setzt voraus, dass der Angeklagte drei vorsätzliche Straftaten begangen hat, durch die er jeweils Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr verwirkt hat, und er wegen einer oder mehrerer dieser Taten zu Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt wird. § 66 Abs. 3 Satz 2 19 - 11 - StGB fordert, dass der Angeklagte zwei Straftaten aus dem Katalog des § 66 Abs. 3 Satz 1 StGB begangen hat, durch die er jeweils Freiheitsstrafe von [X.] zwei Jahren verwirkt hat und wegen einer oder mehrerer dieser Taten zu Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt wird. Bereits der Wort-laut ("Taten") deutet darauf hin, dass der Angeklagte jeweils mehrere rechtlich selbständige Taten begangen haben muss. b) Hierfür spricht auch der Vergleich mit anderen Vorschriften. So wird in § 53 Abs. 1 StGB der Begriff "mehrere Straftaten" für die Bezeichnung mehrerer selbständiger Taten verwendet, bei deren gleichzeitiger Aburteilung eine Ge-samtstrafe zu bilden ist. Auch der Begriff des "Verwirkens" wird vom Gesetz hier gebraucht für die Bezeichnung der Festsetzung einer Einzelstrafe für eine selbständige Tat als Grundlage der Gesamtstrafenbildung. Demgegenüber be-schreibt § 52 Abs. 1 StGB die tateinheitliche Begehung von Straftaten als die Verletzung mehrerer Strafgesetze oder die mehrmalige Verletzung desselben Strafgesetzes jeweils durch eine Handlung. In diesen Fällen wird nur auf eine Strafe "erkannt". Nach der Gesetzessystematik verweisen § 66 Abs. 2 und § 66 Abs. 3 Satz 2 StGB somit auf § 53 Abs. 1 und nicht auf § 52 Abs. 1 StGB. 20 c) Nichts anderes ergibt sich aus der [X.]. Das zweispurige Sanktionensystem - und damit auch die Sicherungsverwahrung - fanden Eingang in das Strafgesetzbuch durch das "Gesetz gegen gefährliche [X.] und über Maßregeln der Sicherung und Besserung" vom 24. November 1933 ([X.] - [X.]). [X.] sah für "gefährliche [X.]" in § 20a [X.] eine Straf-schärfung und in § 42e [X.] die obligatorische Anordnung der Sicherungs-verwahrung vor. § 20a Abs. 2 [X.] knüpfte die Einstufung eines Angeklagten als "gefährlichen [X.]" an die Begehung von mindestens 21 - 12 - drei Taten. Dabei musste es sich - um die Bezeichnung als "Gewohnheitsver-brecher" zu rechtfertigen - um drei selbständige Taten handeln. Hiervon ist auch die Rechtsprechung des [X.] seit jeher ausgegangen. Deshalb sind Einzelakte einer fortgesetzten Handlung auch nicht als vorsätzliche Taten im Sinne des § 20a Abs. 2 StGB angesehen worden ([X.], Urteil vom 21. September 1951 - 2 StR 415/51, [X.]St 1, 313, 314). Auch bei der Reform des Rechts der Sicherungsverwahrung durch das [X.] zum 1. April 1970 ist § 42e Abs. 2 StGB, die Vorschrift, die Sicherungsverwahrung ohne vorange-gangene Verurteilung und Strafverbüßung ermöglichte, als Ausnahmevorschrift für besonders gelagerte Fälle, der Begehung mehrerer selbständiger Taten, angesehen worden (vgl. Erster Schriftlicher Bericht des Sonderausschusses für die Strafrechtsreform, BT-Drucks. V/4094 S. 20 f.). Auch bei der Ausdehnung der Sicherungsverwahrung durch das Gesetz zur Bekämpfung von Sexualdelik-ten und anderen gefährlichen Straftaten im Jahr 1998 hat sich hieran nichts ge-ändert. Auch § 66 Abs. 3 StGB folgt der bis dahin bekannten Differenzierung bei den formellen Voraussetzungen in Täter mit Vorstrafe und Vorverbüßung (§ 66 Abs. 3 Satz 1 StGB) und solche mit einer Mehrzahl von selbständigen Taten, bei denen auf die Vorverurteilung und Vorverbüßung verzichtet werden kann (§ 66 Abs. 3 Satz 2 StGB). Überlegungen, schon nach Begehung von nur einer Tat im Rechtssinn ohne vorangegangene Verurteilung und Strafverbü-ßung die Sicherungsverwahrung zu ermöglichen, sind nicht angestellt worden (vgl. die Stellungnahmen der Sachverständigen Prof. [X.] und Prof. Dr. Weigend, Protokoll der 93. Sitzung des Rechtsausschusses am 8. September 1997, [X.], 22). Eine solche Ausdehnung des Anwendungsbereichs der Siche-rungsverwahrung ist erst im Zusammenhang mit der Schaffung der nachträgli-chen Sicherungsverwahrung diskutiert worden. Die im Gesetzgebungsverfahren angehörten Sachverständigen haben sich eindeutig dagegen ausgesprochen und ausgeführt, dass die Reduzierung auf eine Tat als formelle Voraussetzung - 13 - der Sicherungsverwahrung zu einer erheblichen Unsicherheit bei der Feststel-lung der materiellen Voraussetzungen - Hang und Gefährlichkeit - führen würde (vgl. die Stellungnahmen der Sachverständigen [X.], Prof. Dr. Leygraf und [X.], Protokoll der 47. Sitzung des Rechtsausschusses am 5. Mai 2004, [X.], 15 ff., 22). d) Wegen ihrer grundsätzlich unbeschränkten Dauer greift die Siche-rungsverwahrung wie keine andere Sanktion in das [X.] ein. Sie ist deshalb - ungeachtet der Ausweitungen ihres Anwendungsbereichs in den vergangenen 15 Jahren - eine Maßregel mit [X.]. Die [X.] sind daher grundsätzlich eng auszulegen (vgl. [X.], Urteil vom 14. Juli 1999 - 3 [X.], [X.]R StGB § 66 Abs. 3 i.d.F. 6. [X.]). Die Anordnung der Sicherungsverwahrung hängt von einer Gefährlichkeitsprognose ab. Die dieser innewohnenden Unsicherheiten sind hinzunehmen, solange die Prognose auf hinreichender Sachverhaltsaufklärung beruht und sich auf ein sorgfältig substantiiertes Prognosegutachten stützt. Dabei hängt die Qualität der Prognose entscheidend von der Breite der [X.] ab. Die [X.] verliert an Plausibilität, wenn sie nur einen schmalen Ausschnitt der Wirklich-keit zur Grundlage hat ([X.] 109, 190 Rn. 180 f.). Mit jeder weiteren [X.] der formellen Voraussetzungen ginge eine Verringerung der Tatsa-chengrundlage für die notwendige prognostische Einschätzung der Gefährlich-keit eines Angeklagten sowie für die Feststellung eines bei ihm vorliegenden Hangs zur Begehung erheblicher Straftaten einher. 22 e) Zuletzt führt auch die Überlegung, es dürfe nicht von unerheblichen Abweichungen im Tatgeschehen abhängen, ob Tatmehrheit mit der Folge mög-licher Sicherungsverwahrung oder Tateinheit anzunehmen sei, zu keinem ande-ren Ergebnis. Denn in Fällen, bei denen die (tatmehrheitlich begangenen) Taten 23 - 14 - in einem sehr engen zeitlichen und inneren Zusammenhang stehen, versteht es sich nicht von selbst, dass diese von einander trennbare Lebenssachverhalte darstellen, die jeder für sich als eine der erforderlichen Symptomtaten gewertet werden können und jeweils als selbständige Grundlage für die Prognose nach § 66 Abs. 1 Nr. 3 StGB i. V. m. § 66 Abs. 2 StGB in Betracht kommen ([X.], Beschluss vom 14. Dezember 2001 - 3 [X.], [X.], 313). f) Nur ergänzend weist der Senat darauf hin, dass das [X.] einen Hang im Sinne von § 66 Abs. 1 Nr. 3 StGB sowie eine darauf beruhende Ge-fährlichkeit des Angeklagten - möglicherweise beeinflusst dadurch, dass es [X.] die formellen Voraussetzungen der Sicherungsverwahrung für nicht gegeben erachtet hat - nur unzureichend dargelegt hat. Es fehlt jede Erklärung, warum sich bei dem Angeklagten ein eingeschliffenes Verhaltensmuster im Hinblick auf Sexualdelikte ausgebildet haben sollte. Der jetzt 28-jährige [X.] ist strafrechtlich nicht in Erscheinung getreten. Sein Lebenslauf ist unauf-fällig verlaufen. Beeinträchtigungen des privaten oder beruflichen Bereichs sind ebenso wenig festgestellt wie Reaktionen der Außenwelt, die dem Angeklagten Gelegenheit gegeben hätten, sein Persönlichkeitsmuster als stabil und [X.] aufrechtzuerhalten. 24 I[X.] Revision der Nebenklägerin Die Revision der Nebenklägerin, die sich zulässig nur gegen die Beurtei-lung der [X.] durch das [X.] wenden kann (vgl. [X.], [X.] vom 14. Dezember 1999 - 1 [X.], [X.]R [X.] § 400 Abs. 1 Zu-lässigkeit 9), bleibt aus den zur Revision der Staatsanwaltschaft insoweit ge-nannten Gründen - von der Änderung des Schuldspruchs abgesehen - erfolg-los. 25 - 15 - II[X.] Revision des Angeklagten Das Rechtsmittel des Angeklagten bleibt ohne Erfolg. Eine Überprüfung des allein angegriffenen Rechtsfolgenausspruchs hat, wie der [X.] in seiner Antragsschrift zutreffend ausgeführt hat, auch unter Berück-sichtigung der Beanstandungen der Revision keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben. 26 [X.] [X.] von [X.] Sost-Scheible [X.]

Meta

3 StR 156/10

22.07.2010

Bundesgerichtshof 3. Strafsenat

Sachgebiet: StR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 22.07.2010, Az. 3 StR 156/10 (REWIS RS 2010, 4475)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2010, 4475

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