Bundesfinanzhof, Urteil vom 22.10.2019, Az. VII R 30/18

7. Senat | REWIS RS 2019, 2410

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Gegenstand

Geschäftsführerhaftung nach Bestellung eines vorläufigen Insolvenzverwalters


Leitsatz

1. NV: Wird die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen einer GmbH beantragt und ein vorläufiger Insolvenzverwalter unter Anordnung eines allgemeinen Zustimmungsvorbehalts bestellt, verbleibt die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis beim gesetzlichen Vertreter der GmbH.  

2. NV: Der Geschäftsführer kann sich nicht allein mit der Behauptung entlasten, er habe angenommen, der vorläufige Insolvenzverwalter werde seine Zustimmung zur Abgabentilgung verweigern; hypothetische Kausalverläufe sind nicht zu berücksichtigen.  

3. NV: Wegen der erhöhten Anforderungen an den Geschäftsführer in der Krise der GmbH ist im Regelfall eine solche Anfrage an den vorläufigen Insolvenzverwalter erforderlich, deren Nachweis dem Geschäftsführer obliegt.  

4. NV: Nur bei konkreten und eindeutigen objektiven Anhaltspunkten für die Sinnlosigkeit dieser Anfrage kann auf diese verzichtet werden (im Anschluss an Senatsurteil vom 26.09.2017 - VII R 40/16, BFHE 259, 423, BStBl II 2018, 772).

Tenor

Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des [X.] vom 31.05.2018 - 9 K 9247/15 aufgehoben.

Die Sache wird an das [X.] zurückverwiesen.

Diesem wird die Entscheidung über die Kosten des Verfahrens übertragen.

Tatbestand

I.

1

[X.]er Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) ist der [X.]ruder und Alleinerbe des ursprünglichen [X.] war alleiniger Geschäftsführer einer GmbH und wegen rückständiger [X.]ohnsteuern für Februar 2013 nebst [X.], Säumniszuschlägen und [X.]ohnkirchensteuern persönlich in Haftung genommen worden.

2

Satzungsmäßiger Unternehmenszweck der im Jahr 1992 gegründeten GmbH war die Übernahme und [X.]urchführung der Vertretung der [X.] (PKW und [X.]KW). [X.] war von [X.]eruf Kaufmann und übernahm einen Gesellschaftsanteil in Höhe von 49 v. H. sowie das Amt des Geschäftsführers. [X.]ie GmbH beschäftigte rund 100 Arbeitnehmer.

3

Am 08.02.2013 ging beim [X.]eklagten und Revisionskläger (Finanzamt --[X.]--) die elektronische [X.]ohnsteueranmeldung der [X.] ein. [X.]ie angemeldeten [X.]eträge betrafen die [X.]ohn- und Gehaltszahlungen für den Monat Januar 2013, die aufgrund einer [X.]etriebsvereinbarung erst Anfang Februar 2013 vorgenommen wurden. [X.]ie [X.]ohnsteuer wurde bei Fälligkeit am 11.03.2013 und auch in der Folgezeit nicht entrichtet.

4

Nach wiederholter Kündigung von [X.] aufgrund von Meinungsverschiedenheiten stellte die [X.] ab dem 16.02.2013 die [X.]elieferung der GmbH mit Material ein, so dass diese weitestgehend handlungsunfähig war.

5

Anfang 2013 machte die GmbH gegenüber dem [X.] einen Umsatzsteuererstattungsanspruch in Höhe von rund 1,1 Mio. € geltend. Am [X.] fand ein Prüfungstermin mit der [X.] des [X.] und der [X.] des [X.] I statt. [X.]araufhin gab das [X.] am 28.02.2013 ein [X.] in Höhe von 700.000 € zur Auszahlung frei. [X.]er [X.]etrag ging Anfang März 2013 auf dem Geschäftskonto der GmbH ein.

6

Am 07.03.2013 ([X.]onnerstag) stellte die GmbH einen Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens bei dem zuständigen Amtsgericht (AG). Noch am selben Tag suchte der Zeuge W, Rechtsanwalt und Fachanwalt für Insolvenzrecht, als Mitarbeiter von Rechtsanwalt [X.] den damaligen Geschäftsführer [X.] auf und besprach mit ihm erste Konsequenzen, die sich aus der Insolvenzantragstellung ergaben.

7

Am nächsten Morgen (Freitag, den 08.03.2013) um 8:42 Uhr sandte der Zeuge W eine E-Mail mit folgendem Inhalt an [X.]:

 

        
 

    "Sehr geehrter Herr [X.],

          
  

mein Kollege, Rechtsanwalt [X.], hat soeben die [X.] erreicht und auch einen entsprechenden schriftlichen Antrag auf Anordnung der vorläufigen Insolvenzverwaltung eingereicht. [X.] wird diese in den nächsten Minuten anordnen. [X.]ann wird es mutmaßlich noch 1-2 Stunden dauern, bis die Ausfertigung des [X.]eschlusses per Fax da ist. Über die rechtlichen Auswirkungen des [X.]eschlusses werde ich Sie in einem persönlichen Gespräch selbstverständlich umfassend unterrichten.

          
     

Wichtig ist aber insbesondere, dass ab sofort keine Verfügungen ([X.]arzahlungen, Überweisungen von den [X.]ankkonten, [X.]arabhebungen, [X.]estellungen, Starksagungen für [X.]ieferungen, Verträge) mehr ohne Zustimmung des vorläufigen Verwalters oder seiner [X.]evollmächtigten (in diesem Fall ich) erfolgen dürfen. [X.]amit das normale Werkstattgeschäft weitergeht, erteile ich bereits jetzt meine Zustimmung, dass Aufträge von Kunden zur Reparatur/Wartung von Fahrzeugen angenommen werden können. Hierzu schreibe ich Ihnen noch etwas. [X.]ei [X.] werden wir kurzfristig ein Freigabesystem besprechen.

           
  

Zudem möchte Rechtsanwalt [X.] Sie gern am Montag, 11.03.2013, 10 Uhr kennenlernen, würde hierzu nach [X.] kommen und die ersten Maßnahmen mit Ihnen besprechen. (...)

          
 

Ich schlage vor, dass wir uns heute Nachmittag entweder in [X.] oder in unserem [X.]üro nochmal kurz für die ersten Maßnahmen verabreden. (…)"

8

Am selben Tag (08.03.2013) um 10 Uhr ordnete das AG u.a. an, dass Verfügungen der GmbH über ihre Vermögensgegenstände nur noch mit Zustimmung des vorläufigen Insolvenzverwalters, Rechtsanwalt [X.], wirksam seien (§ 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 und Nr. 2 Halbsatz 2 der Insolvenzordnung --InsO--). [X.]er vorläufige Insolvenzverwalter wurde nicht zum allgemeinen Vertreter der GmbH bestellt. Auch das Recht zur Ausübung der [X.] verblieb bei der GmbH.

9

[X.]ie [X.]ohn- und Gehaltsansprüche der Arbeitnehmer für den Monat Februar 2013 wurden aufgrund einer [X.]etriebsvereinbarung erst am 08.03.2013 fällig. [X.]ie Arbeitnehmer der GmbH erhielten mit nur wenigen Tagen Verzögerung Insolvenzgeld ausbezahlt.

Im Rahmen der von ihm erstellten Gutachten vom 30.04.2013 ermittelte Rechtsanwalt [X.] noch vorhandene Aktiva der GmbH im Umfang von 6,992 Mio. €, denen Verbindlichkeiten in Höhe von 8,573 Mio. € gegenüberstanden. [X.]urch weiteren [X.]eschluss des [X.] wurde das eigentliche Insolvenzverfahren eröffnet und Rechtsanwalt [X.] zum Insolvenzverwalter bestellt. [X.]araufhin meldete das [X.] u.a. die [X.]ohnsteuern für Februar 2013 beim Insolvenzgericht zur Tabelle an. [X.]ie Forderungen wurden vom Insolvenzverwalter zunächst in voller Höhe bestritten. Mit Schreiben vom 30.09.2013 teilte die Vollstreckungsstelle des [X.] u.a. mit, dass sich seine Forderung hinsichtlich [X.]ohnsteuer Februar 2013 inzwischen um 4.000,67 € auf nunmehr 29.076,17 € gemindert habe. Am 17.09.2014 wurde u.a. die streitgegenständliche Restschuld betreffend [X.]ohnsteuer Februar 2013 in Höhe von 29.076,17 € vom Insolvenzgericht zur Tabelle festgestellt.

Nach vorangegangener schriftlicher Anhörung nahm das [X.] Herrn [X.] durch [X.]escheid vom 08.05.2014 unter [X.]erufung auf § 69 i.V.m. § 34 der Abgabenordnung ([X.]) in Höhe von 31.276,58 € persönlich in Haftung. [X.] habe als gesetzlicher Vertreter der GmbH zumindest grob fahrlässig die Pflicht verletzt, dafür zu sorgen, dass die [X.] im Zeitpunkt ihrer gesetzlichen Fälligkeit (= 11.03.2013) entrichtet. Er sei auch nach der [X.]estellung des vorläufigen Insolvenzverwalters alleinverantwortlicher gesetzlicher Vertreter der GmbH geblieben. [X.]as Recht zur Ausübung der Arbeitgeberbefugnis sei ausdrücklich bei der GmbH verblieben, weshalb [X.] weiterhin für die Entrichtung der streitgegenständlichen Abgabenverbindlichkeiten zuständig gewesen sei.

Aufgrund einer Forderungspfändung seitens des [X.] erhielt dieses am 09.10.2014 von einer [X.]rittschuldnerin des [X.] einen [X.]etrag in Höhe von 9.596,90 € ausbezahlt.

[X.]er Einspruch war erfolglos. [X.]as [X.] führte hierzu aus, [X.] könne seine Haftungsinanspruchnahme auch nicht mit dem Hinweis auf das vorläufige Insolvenzverfahren und den Zustimmungsvorbehalt des vorläufigen Verwalters abwenden. [X.]ie Zahlung in Höhe von 9.596,90 € berücksichtigte das [X.] nicht.

[X.]ie Klage hatte Erfolg. [X.]as Finanzgericht ([X.]) verneinte ein Verschulden des [X.]. [X.]er vorläufige Insolvenzverwalter habe unmissverständlich zum Ausdruck gebracht, dass er einer Tilgung der streitgegenständlichen Abgabenverbindlichkeiten nicht zustimmen werde und deshalb eine diesbezügliche individuelle Anfrage sinnlos sei. Wenn man dagegen grobe Fahrlässigkeit annehmen wolle, sei die [X.]rittschuldnerzahlung in Höhe von 9.596,90 € haftungsmindernd zu berücksichtigen. [X.]as Urteil ist in Entscheidungen der Finanzgerichte 2018, 1610 abgedruckt.

Hiergegen richtet sich die Revision des [X.]. [X.] habe bei Fälligkeit der Rückstände nichts unternommen, um diese begleichen zu können. Er habe nicht beim vorläufigen Insolvenzverwalter angefragt. [X.]er Haftungsanspruch könne nicht durch die Zahlung in Höhe von 9.596,90 € gemindert werden. Es sei ausreichend, die Zahlungsaufforderung entsprechend zu reduzieren.

[X.]as [X.] beantragt sinngemäß, das Urteil der Vorinstanz aufzuheben und die Klage abzuweisen.

[X.]er Kläger beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

[X.]ie E-Mail vom 08.03.2013 sei nicht als allgemeiner Hinweis, sondern als konkrete Anweisung zu verstehen gewesen. Zustimmungen zu Zahlungen sollten nach dem Inhalt dieser E-Mail nur erteilt werden, soweit dies zur Fortführung des normalen Werkstattbetriebs erforderlich sei. [X.]eshalb habe [X.] eine individuelle Anfrage nach der Zahlung der [X.]ohnsteuer für sinnlos halten dürfen. [X.]er vorläufige Insolvenzverwalter sei zu einer Zustimmung auch gar nicht befugt gewesen.

[X.]ie [X.]eteiligten haben übereinstimmend auf die [X.]urchführung einer mündlichen Verhandlung verzichtet (§ 90 Abs. 2, § 121 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung --[X.]O--).

Entscheidungsgründe

II.

Die Revision ist begründet; sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das [X.] (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 [X.]O). Die Feststellungen des [X.] reichen nicht aus, um beurteilen zu können, ob der Geschäftsführer [X.] seine Pflichten zumindest grob fahrlässig verletzt hat.

Gemäß § 69 Satz 1 i.V.m. § 34 Abs. 1 [X.] haften die gesetzlichen Vertreter einer GmbH, soweit Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis infolge vorsätzlicher oder grob fahrlässiger Verletzung der ihnen auferlegten Pflichten nicht oder nicht rechtzeitig festgesetzt oder erfüllt worden sind. Danach trifft den Geschäftsführer einer GmbH die Pflicht, für eine fristgerechte Anmeldung und Abführung der von der GmbH geschuldeten Lohnsteuer zu sorgen (§ 41a Abs. 1 des Einkommensteuergesetzes --EStG--).

1. Nach den mit der Revision nicht angegriffenen und damit den Senat bindenden tatsächlichen Feststellungen des [X.] (§ 118 Abs. 2 [X.]O) war [X.] im Haftungszeitraum Geschäftsführer der GmbH. Die für den Monat Februar 2013 angemeldete Lohnsteuer ist von der GmbH nicht entrichtet worden.

2. Zur Erfüllung des Haftungstatbestands muss die Nichtabführung der Lohnsteuer auf einer zumindest grob fahrlässigen Verletzung der Pflichten des [X.] als Geschäftsführer beruhen.

a) Nach ständiger Rechtsprechung des Senats stellt die Nichtabführung einzubehaltender und anzumeldender Lohnsteuer zu den gesetzlichen Fälligkeitszeitpunkten regelmäßig eine zumindest grob fahrlässige Verletzung der Geschäftsführerpflichten dar (vgl. Senatsentscheidungen vom 20.04.1982 - VII R 96/79, [X.]FHE 135, 416, [X.]St[X.]l II 1982, 521, und vom 09.12.2005 - VII [X.] 124-125/05, [X.]FH/NV 2006, 897, m.w.N.).

Zahlungsschwierigkeiten der GmbH ändern nach dieser Rechtsprechung weder etwas an jener Pflicht des GmbH-Geschäftsführers noch schließen sie sein Verschulden bei Nichterfüllung der steuerlichen Pflichten der GmbH aus. Reichen die ihm zur Verfügung stehenden Mittel zur [X.]efriedigung der arbeitsrechtlich geschuldeten Löhne (einschließlich des in ihnen enthaltenen Steueranteils) nicht aus, so darf der Geschäftsführer die Löhne nur entsprechend gekürzt auszahlen und muss aus den dadurch übrig bleibenden Mitteln die auf die gekürzten (Netto-)Löhne entfallende Lohnsteuer an das [X.] abführen (Senatsbeschluss vom 21.12.1998 - VII [X.] 175/98, [X.]FH/NV 1999, 745, m.w.N.; Senatsurteil vom 01.08.2000 - VII R 110/99, [X.]FHE 192, 249, [X.]St[X.]l II 2001, 271).

b) Durch den Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens war [X.] rechtlich nicht gehindert, die Lohnsteuer abzuführen. Allein der Antrag schränkt den Geschäftsführer in seiner Verfügungsbefugnis nicht ein (Senatsurteil vom 23.09.2008 - VII R 27/07, [X.]FHE 222, 228, [X.]St[X.]l II 2009, 129).

c) Auch durch die [X.]estellung des vorläufigen Insolvenzverwalters verlor [X.] als Geschäftsführer der GmbH nicht seine Verfügungsmacht, weil es sich lediglich um einen sogenannten schwachen vorläufigen Insolvenzverwalter nach § 22 Abs. 2 [X.] handelte. Nach dem [X.]eschluss des [X.] sollte das Recht zur Ausübung der Arbeitgeberbefugnis bei der GmbH verbleiben (§ 22 Abs. 2 [X.]). Der Geschäftsführer [X.] als gesetzlicher Vertreter der GmbH hatte also weiterhin die Pflichten, Löhne zu zahlen (§ 611 Abs. 1 des [X.]ürgerlichen Gesetzbuchs) und Lohnsteuer abzuführen (§ 38 EStG).

Ob bei einem --wie im [X.] angeordneten Zustimmungsvorbehalt gemäß § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Alternative 2 [X.] ein Verschulden des GmbH-Geschäftsführers i.S. des § 69 Satz 1 [X.] zu verneinen ist, wenn er trotz fortbestehender Verfügungsbefugnis und vorhandener finanzieller Mittel die [X.]egleichung der Steuerschuld in einem Fall unterlässt, in dem der vorläufige Insolvenzverwalter die erbetene Einwilligung hierzu versagt und deutlich zu erkennen gibt, eine getroffene Verfügung auch nicht genehmigen zu wollen, hat der Senat bislang offengelassen (vgl. Senatsurteil vom 26.09.2017 - VII R 40/16, [X.]FHE 259, 423, [X.]St[X.]l II 2018, 772). Die Frage bedarf auch im Streitfall keiner Entscheidung, denn der Kläger beruft sich aufgrund anderer Umstände darauf, er habe eine individuelle Anfrage nach der Zahlung der Lohnsteuer für sinnlos halten dürfen.

Im Übrigen muss nach der Rechtsprechung des Senats der in Haftung genommene Geschäftsführer substantiiert darlegen und ggf. nachweisen, welche Schritte er zur Zahlung der Steuer am Fälligkeitstag eingeleitet hatte, deren Weiterverfolgung sich jedoch wegen der Haltung des vorläufigen Insolvenzverwalters als sinnlos darstellte (Senatsurteil in [X.]FHE 259, 423, [X.]St[X.]l II 2018, 772).

d) Das [X.] hat das Verschulden des Geschäftsführers [X.] dennoch verneint. Der Zeuge W als Mitarbeiter des vorläufigen Insolvenzverwalters habe gegenüber [X.] unmissverständlich zum Ausdruck gebracht, dass er einer Tilgung der streitgegenständlichen Abgabenverbindlichkeiten unter keinen Umständen zustimmen werde und deshalb eine individuelle Anfrage des Geschäftsführers von vornherein sinnlos sei. Das [X.] zog diese Schlussfolgerung aus der "faktischen" Sperrung des [X.] durch Übersendung des [X.], dem Inhalt der E-Mail vom 08.03.2013, der schriftlichen Aussage des Zeugen W und der vom [X.] als gerichtsbekannt bezeichneten Tatsache, dass Insolvenzverwalter einer Tilgung von [X.] betreffend den letzten Monat vor [X.] nie zustimmten.

e) Diese Ausführungen des [X.] halten einer revisionsrechtlichen Würdigung nicht stand, weil das [X.] keine den Senat bindenden Feststellungen getroffen hat, die seine [X.]eurteilung tragen. Unzureichende oder widersprüchliche Sachverhaltsdarstellungen im angefochtenen Urteil stellen einen materiell-rechtlichen Fehler dar, der auch ohne diesbezügliche Rüge zum Wegfall der [X.]indungswirkung des § 118 Abs. 2 [X.]O führt (Urteil des [X.]undesfinanzhofs --[X.]FH-- vom 17.11.2015 - VIII R 67/13, [X.]FHE 252, 207, [X.]St[X.]l II 2016, 569, Rz 10). Die Würdigung des Sachverhalts durch das [X.] bindet das Revisionsgericht mithin nur, wenn sie auf logischen, einsichtigen, den Denkgesetzen entsprechenden und von den Tatsachenfeststellungen getragenen nachvollziehbaren Erwägungen beruht (Senatsurteil vom 23.08.1994 - VII R 93/93, [X.]FH/NV 1995, 572). Diese Voraussetzungen liegen im Streitfall nicht vor.

Soweit das [X.] eine "faktische" Sperrung des [X.] der GmbH durch Übersendung des [X.] vom 08.03.2013 angenommen hat, vermag der Senat dem nicht zu folgen. Dieser [X.]eschluss enthält lediglich den allgemeinen Zustimmungsvorbehalt nach § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 [X.]. Daraus ergibt sich keine Sperrung eines [X.]ankkontos.

Die E-Mail vom 08.03.2013, die vor der Anordnung der vorläufigen Insolvenzverwaltung beim Geschäftsführer [X.] einging, wiederholt lediglich den Inhalt des zu erwartenden [X.] vom gleichen Tage und kündigt ein persönliches Gespräch an. Allein zu "Aufträgen von Kunden zur Reparatur/Wartung von Fahrzeugen" äußert sich der Zeuge W in dieser E-Mail.

Auch der vom [X.] schriftlich vernommene Zeuge W wiederholte lediglich den Inhalt des [X.]. Darüber hinaus gab er gerade an, den [X.] nicht angewiesen zu haben, keine Lohnsteuer mehr abzuführen.

Schließlich hat das [X.] ohne weitere [X.]egründung angenommen, es sei gerichtsbekannt, dass vorläufige Insolvenzverwalter einer Tilgung von [X.] betreffend den letzten Monat vor [X.] grundsätzlich nicht zustimmten, weil in einer solchen Tilgungsmaßnahme eine anfechtbare Gläubigerbenachteiligung i.S. von §§ 129 ff. [X.] liegen würde. Ungeachtet der Frage, ob eine solche Tatsache überhaupt gerichtsbekannt ist, widerspricht diese Annahme der ständigen Rechtsprechung des Senats zu hypothetischen Kausalverläufen. Nach dem Sinn und Zweck des § 69 [X.] kann in diesen Fällen eine Schadenszurechnung nicht deshalb entfallen, weil bei nachträglicher [X.]etrachtung des tatsächlichen Geschehensablaufs tatsächlich geleistete Zahlungen oder gedachte Zahlungen infolge einer Anfechtung nach insolvenzrechtlichen Vorschriften durch Erstattung der [X.]eträge an die Finanzbehörde wieder hätten rückgängig gemacht werden müssen. Insoweit kann ein hypothetischer Kausalverlauf keine [X.]erücksichtigung finden (Senatsurteil vom 26.01.2016 - VII R 3/15, [X.]FH/NV 2016, 893, m.w.N.).

f) Die Vorentscheidung war insoweit aufzuheben. Weil der Senat mangels [X.] nicht abschließend zu entscheiden vermag, war die Sache an das [X.] zurückzuverweisen.

Zu beachten sind im vorliegenden Streitfall die erhöhten Pflichten des Geschäftsführers in der Krise der Gesellschaft. So hat der Senat mehrfach entschieden, dass sich ein Geschäftsführer auf eine schriftlich fixierte Aufgabenverteilung in der Krise nicht mehr berufen kann (Senatsbeschluss vom 20.04.2006 - VII [X.] 280/05, [X.]FH/NV 2006, 1441, m.w.N.). Gerade in der finanziellen Krise lebt die uneingeschränkte Gesamtverantwortung jedes einzelnen Geschäftsführers wieder auf. Daraus folgt auch, dass der Geschäftsführer sich nicht allein mit der [X.]ehauptung entlasten kann, er habe angenommen, der vorläufige Insolvenzverwalter werde seine Zustimmung zur Abgabentilgung verweigern. Im Regelfall wird vom Geschäftsführer zumindest eine entsprechende dokumentierte Anfrage an den vorläufigen Insolvenzverwalter zu erwarten sein. Nur in seltenen Ausnahmefällen kann darauf verzichtet werden, wenn nämlich konkrete und eindeutige objektive Anhaltspunkte für die Sinnlosigkeit einer solchen Anfrage bestehen. In diesem Zusammenhang ist die Rechtsprechung des Senats zu beachten, wonach ein hypothetischer Kausalverlauf keine [X.]erücksichtigung finden kann (Senatsurteil in [X.]FH/NV 2016, 893, m.w.N.).

[X.]ei seiner erneuten Entscheidung wird das [X.] deshalb zu prüfen und zu beurteilen haben, ob konkrete und eindeutige objektive Anhaltspunkte für die Sinnlosigkeit einer solchen Anfrage bestanden haben.

3. Soweit eine Drittschuldnerin des [X.] im Wege der Vollstreckung am 09.10.2014  9.596,90 € gezahlt hatte, führt dies --anders als das [X.] im Rahmen seiner hilfsweisen Ausführungen meint-- nicht zu einer Reduzierung der Haftungssumme.

Zwar ist der Haftungsbescheid zu ändern bzw. aufzuheben, wenn die Erstschuld noch vor Erlass der Einspruchsentscheidung niedriger festgesetzt wird (Grundsatz der Akzessorietät, vgl. [X.]FH-Urteile vom 08.08.1991 - V R 19/88, [X.]FHE 165, 307, [X.]St[X.]l II 1991, 939, und vom [X.] - VI R 136/77, [X.]FHE 131, 449, [X.]St[X.]l II 1981, 138). Gleiches gilt, wenn vor Erlass der Einspruchsentscheidung Zahlungen erbracht werden, die nach § 225 [X.] zur Tilgung der Erstschuld hätten verwendet werden müssen (vgl. Senatsbeschluss vom 10.03.2005 - VII [X.] 307/04, [X.]FH/NV 2005, 1474). Im Streitfall liegt jedoch keine Zahlung des [X.] auf die Steuerschuld vor, weil das [X.] den Haftungsbescheid vollstreckt hat und eine Tilgung sich deshalb nur auf die Haftungsschuld beziehen kann.

4. [X.] beruht auf § 143 Abs. 2 [X.]O.

5. Der Senat entscheidet mit Einverständnis der [X.]eteiligten ohne mündliche Verhandlung (§ 90 Abs. 2, § 121 Satz 1 [X.]O).

Meta

VII R 30/18

22.10.2019

Bundesfinanzhof 7. Senat

Urteil

vorgehend Finanzgericht Berlin-Brandenburg, 31. Mai 2018, Az: 9 K 9247/15, Urteil

§ 34 Abs 1 AO, § 69 AO, § 225 AO, § 21 Abs 2 S 1 Nr 2 InsO, § 22 Abs 2 InsO

Zitier­vorschlag: Bundesfinanzhof, Urteil vom 22.10.2019, Az. VII R 30/18 (REWIS RS 2019, 2410)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2019, 2410

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