Bundesgerichtshof, Urteil vom 29.02.2024, Az. VII ZR 626/21

7. Zivilsenat | REWIS RS 2024, 1597

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Tenor

Auf die Revision des [X.] wird der Beschluss des 20. Zivilsenats des [X.] vom 19. Mai 2021 aufgehoben.

Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Der Streitwert für das Revisionsverfahren wird auf 45.844,28 € festgesetzt.

Von Rechts wegen

Tatbestand

1

Der Kläger nimmt die Beklagte auf Schadensersatz wegen Verwendung unzulässiger Abschalteinrichtungen in Anspruch.

2

Er erwarb im März 2016 bei einem Autohändler ein von der [X.] hergestelltes Fahrzeug [X.] als Gebrauchtwagen zu einem Kaufpreis von 57.500 €. Das Fahrzeug ist mit einem von der [X.] entwickelten Dieselmotor der Baureihe [X.] ausgestattet. Für das Fahrzeug wurde eine EG-Typgenehmigung der Schadstoffklasse Euro 6 mit den Motor-Kennbuchstaben CRT erteilt. Das Klägerfahrzeug ist von einem Rückruf seitens des [X.] ([X.]) vom 4. Juni 2018 betroffen. Gegenstand des Rückrufs war die Reduzierung der Reagenseindüsung ("AdBlue") ab einer Restreichweite von 2.400 km.

3

Der Kläger verlangt die Erstattung des Kaufpreises nebst Zinsen Zug um Zug gegen Herausgabe des Fahrzeugs und die Feststellung, dass sich die Beklagte in Annahmeverzug befindet, sowie die Freistellung von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten.

4

Die Klage ist in den Vorinstanzen ohne Erfolg geblieben.

5

Mit der vom Senat zugelassenen Revision verfolgt der Kläger sein Klagebegehren weiter.

Entscheidungsgründe

6

Die Revision ist begründet und führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses sowie zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.

I.

7

Das Berufungsgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung, soweit es für die Revision von Interesse ist, ausgeführt:

8

Dem Kläger stehe kein Schadensersatzanspruch wegen einer vorsätzlichen sittenwidrigen Schädigung gemäß §§ 826, 31 BGB zu. Aus dem Vortrag des [X.] ergäben sich keine Anhaltspunkte, dass sein Fahrzeug eine prüfstandsbezogene Abschalteinrichtung habe. Der Rückruf des [X.] vom Januar 2018 habe nicht den Motortyp des [X.] betroffen, sondern nur Fahrzeuge des [X.] mit den [X.] und [X.]. Aus dem Bescheid des [X.] vom 4. Juni 2018 ergäben sich keine Anhaltspunkte für eine prüfstandsbezogene Abschalteinrichtung, weil die von der Behörde beanstandete Reduzierung der Reagenseindüsung ("AdBlue") ab einer Restreichweite von 2.400 km unabhängig von einer Prüfstandssituation arbeite. Die Deaktivierung dieser Funktion habe keine Auswirkungen auf die [X.] im [X.] (NEFZ), weil in dem 11 km langen Prüfzyklus eine Situation, in der eine Restreichweite von 2.400 km unterschritten werde, nicht eintreten könne.

9

Dass die Beklagte im Rahmen des Typgenehmigungsverfahrens die Reduzierung der AdBlue-Einspritzung ab Erreichen einer Restreichweite von 2.400 km in Verbindung mit einem unvorhergesehenen starken Anstieg des [X.] nicht angegeben habe, stelle kein ausreichendes Indiz für eine vorsätzliche arglistige Täuschung des [X.] dar. Denn eine Pflicht zur Angabe aller verwendeten Emissionsstrategien habe im Zeitpunkt des [X.] noch nicht bestanden. Soweit der Kläger auf Art. 3 Abs. 9 der [X.] ([X.]) Nr. 692/2008 (Angabe zur Arbeitsweise des [X.] "einschließlich ihres Funktionierens bei niedrigen Temperaturen") verweise, betreffe diese Norm nicht die Restreichweitenfunktion.

Der [X.] könne daher weder der Vorwurf gemacht werden, eine ansonsten nicht zu erreichende Typgenehmigung durch Täuschung des [X.] erschlichen zu haben, noch aus rücksichtslosem Gewinnstreben eine erhebliche Verschlechterung des Emissionsverhaltens des streitgegenständlichen Fahrzeugtyps in Kauf genommen zu haben. Eine Strategieentscheidung zur planmäßigen Täuschung der Kunden über die Verwendbarkeit der gekauften Fahrzeuge im Straßenverkehr sei nicht ersichtlich.

II.

Dies hält rechtlicher Nachprüfung nicht in allen Punkten stand.

1. Allerdings begegnet es auf der Grundlage der getroffenen Feststellungen keinen revisionsrechtlichen Zweifeln, dass das Berufungsgericht eine Haftung der [X.] gemäß §§ 826, 31 BGB und gemäß § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 263 StGB mangels vorsätzlichen (und sittenwidrigen) Verhaltens verneint hat, weil es entsprechende Anhaltspunkte für das Vorstellungsbild der für die Beklagte handelnden Personen nicht feststellen konnte. Hieran ist der erkennende Senat gemäß § 559 Abs. 2 ZPO in Ermangelung eines zulässigen und begründeten Revisionsangriffs gebunden. Die Revision zeigt nicht auf, dass dem Berufungsgericht bei der Würdigung der von ihm festgestellten Tatsachen und des von ihm als zutreffend unterstellten Sachvortrags des [X.] ein Rechtsfehler unterlaufen wäre (vgl. zur eingeschränkten revisionsgerichtlichen Prüfung [X.], Urteil vom 25. November 2021 - [X.] Rn. 32 m.w.N., [X.], 87). Sie legt auch nicht dar, dass das Berufungsgericht relevanten Sachvortrag oder Beweisantritte des darlegungs- und beweisbelasteten [X.] (vgl. [X.], Beschluss vom 14. März 2022 - [X.] Rn. 21 m.w.N., juris) übergangen hätte. Die von der Revision erhobenen Verfahrensrügen hat der Senat geprüft und nicht für durchgreifend erachtet (§ 564 Satz 1 ZPO).

2. Im Lichte der nach Erlass der Entscheidung des Berufungsgerichts ergangenen neueren Rechtsprechung des [X.] kann allerdings eine Haftung der [X.] nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 [X.]-FGV auf Ersatz des [X.] nicht ausgeschlossen werden (vgl. [X.], Urteil vom 26. Juni 2023 - [X.] 1031/22 Rn. 24 ff., [X.], 503; Urteil vom 26. Juni 2023 - [X.] 335/21 Rn. 28 ff., [X.]Z 237, 245).

Der [X.]. Zivilsenat des [X.] hat am 26. Juni 2023 entschieden, dass von § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 [X.]-FGV nach der gebotenen unionsrechtlichen Lesart das Interesse des Käufers geschützt ist, durch den Abschluss eines Kaufvertrags über ein Kraftfahrzeug nicht wegen eines Verstoßes des Fahrzeugherstellers gegen das [X.] Abgasrecht eine Vermögenseinbuße im Sinne der [X.] zu erleiden. Der [X.] habe in seinem Urteil vom 21. März 2023 (Az. [X.]/21) Art. 3 Nr. 36, Art. 18 Abs. 1, Art. 26 Abs. 1 und Art. 46 der Richtlinie 2007/46/[X.] im Sinne des Schutzes auch der individuellen Interessen des Käufers eines mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung im Sinne von Art. 5 Abs. 2 Satz 1 [X.] ([X.]) Nr. 715/2007 ausgerüsteten Kraftfahrzeugs gegenüber dem Fahrzeughersteller ausgelegt. Den Schutz der individuellen Interessen des [X.] im Verhältnis zum Hersteller habe er dabei aus der in Art. 26 Abs. 1 der Richtlinie 2007/46/[X.] vorgesehenen Beifügung einer Übereinstimmungsbescheinigung für die Zulassung, den Verkauf oder die Inbetriebnahme des Fahrzeugs abgeleitet. Der [X.] habe das auf der Überein-stimmungsbescheinigung beruhende und unionsrechtlich geschützte Vertrauen des Käufers mit dessen Kaufentscheidung verknüpft und dem Unionsrecht auf diesem Weg einen von einer vertraglichen Sonderverbindung unabhängigen Anspruch des [X.] gegen den Fahrzeughersteller auf Schadensersatz "wegen des Erwerbs" eines mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung ausgestatteten Fahrzeugs entnommen. Das trage dem engen tatsächlichen Zusammenhang zwischen dem Vertrauen des Käufers auf die Ordnungsmäßigkeit des erworbenen Kraftfahrzeugs einerseits und der Kaufentscheidung andererseits Rechnung. Dieser Zusammenhang wiederum liege der Rechtsprechung des [X.] zu dem Erfahrungssatz zugrunde, dass ein Käufer, der ein Fahrzeug zur eigenen Nutzung erwerbe, in Kenntnis der Gefahr einer Betriebsbeschränkung oder -untersagung von dem Erwerb des Fahrzeugs abgesehen hätte. Dementsprechend könne der vom Gerichtshof geforderte Schutz des Käufervertrauens im Verhältnis zum Fahrzeughersteller, sollten [X.] vermieden werden, nur unter einer Einbeziehung auch der Kaufentscheidung gewährleistet werden (vgl. [X.], Urteil vom 26. Juni 2023 - [X.] 335/21 Rn. 28 ff., [X.]Z 237, 245; ebenso Urteil vom 20. Juli 2023 - [X.]/20 Rn. 22, [X.] 2023, 1903). Der erkennende Senat hat sich dieser Rechtsprechung angeschlossen (vgl. Urteile vom 26. Oktober 2023 - [X.] und [X.], juris).

Das Berufungsgericht hätte die Berufung des [X.] bei richtiger rechtlicher Bewertung mithin nicht zurückweisen dürfen, ohne ihm Gelegenheit zu geben, den von ihm geltend gemachten Schaden im Sinne des [X.] zu berechnen. Die Stellung eines an die Geltendmachung des [X.] angepassten, unbeschränkten [X.] ohne Zug-um-Zug-Vorbehalt ist dem Kläger möglich.Denn dem von ihm in erster Linie auf §§ 826, 31 BGB gestützten großen Schadensersatz einerseits und einem [X.] nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 [X.]-FGVandererseits liegen lediglich unterschiedliche Methoden der Schadensberechnung zugrunde, die im [X.] an die [X.] bei Abschluss des Kaufvertrags anknüpfen ([X.], Urteil vom 26. Juni 2023 - [X.] 335/21 Rn. 45, [X.]Z 237, 245).

III.

Danach hat der angefochtene Beschluss keinen Bestand. Er ist aufzuheben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 562 Abs. 1, § 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Eine Entscheidung in der Sache durch den Senat kommt nicht in Betracht, weil der Rechtsstreit nicht zur Endentscheidung reif ist (§ 563 Abs. 3 ZPO).

[X.]     

      

[X.]     

      

Jurgeleit

      

Brenneisen     

      

[X.]     

      

Meta

VII ZR 626/21

29.02.2024

Bundesgerichtshof 7. Zivilsenat

Urteil

Sachgebiet: ZR

vorgehend OLG München, 19. Mai 2021, Az: 20 U 6394/20

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Urteil vom 29.02.2024, Az. VII ZR 626/21 (REWIS RS 2024, 1597)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2024, 1597

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