Bundesgerichtshof, Beschluss vom 15.11.2016, Az. KVZ 1/16

Kartellsenat | REWIS RS 2016, 2402

© REWIS UG (haftungsbeschränkt)

Tags hinzufügen

Sie können dem Inhalt selbst Schlagworten zuordnen. Geben Sie hierfür jeweils ein Schlagwort ein und drücken danach auf sichern, bevor Sie ggf. ein neues Schlagwort eingeben.

Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"

QR-Code

Gegenstand

Zulassung der Rechtsbeschwerde im Kartellverwaltungsverfahren: Auslegung des Tatbestandsmerkmals des "Aufforderns" zur Vorteilsgewährung nach Unternehmensübernahme durch ein marktbeherrschendes Lebensmittelunternehmen


Tenor

Auf die Nichtzulassungsbeschwerde wird die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss des 1. Kartellsenats des [X.] vom 18. November 2015 zugelassen, soweit das Beschwerdegericht die Verfügung des [X.] vom 3. Juli 2015 hinsichtlich der im Tenor zu (1), (2), (6) und (7)  insoweit aber nur hinsichtlich der "Partnerschaftsvergütung" - beanstandeten Verhaltensweisen aufgehoben hat. Im Übrigen wird die Nichtzulassungsbeschwerde zurückgewiesen.

Gründe

1

I. Die Betroffene (nachfolgend: [X.]) hat Ende 2008 rund 2.300 Filialen der [X.] "[X.]" von ihrem Wettbewerber [X.] übernommen und sodann in ihre eigene [X.] "[X.]" eingegliedert. Mit Beschluss vom 3. Juli 2014 hat das [X.] gemäß § 32 Abs. 3 GWB nachträglich einen Verstoß von [X.] gegen § 20 Abs. 3 GWB 2007 festgestellt, weil [X.] im Zuge von [X.] nach Übernahme von "[X.]" im Jahr 2009 gegenüber vier Sektherstellern rechtswidrige Konditionen gefordert habe. Rechtswidrig sei

(1) die Heranziehung mehrerer zeitlich gestaffelter Stichtage für einen Abgleich der Konditionen von [X.] und [X.] und der sich daraus ergebende mehrfache Konditionenabgleich der zu verschiedenen Zeitpunkten jeweils geltenden Konditionen, hier im Rahmen des "[X.]";

(2) die Auswahl von Stichtagen für den Vergleich der Konditionen von [X.] und [X.], die deutlich vor dem Vollzug des Zusammenschlusses und dem Beginn der [X.] lagen, hier im Rahmen des "[X.]";

(3) die intransparente und für die Lieferanten nicht nachvollziehbare Darstellung und Begründung von Forderungen, hier im Rahmen des "[X.]" und des "Sortimentserweiterungsbonus";

(4) die Forderung rückwirkender Zahlungen und rückwirkender Anpassungen von Konditionen, hier im Rahmen sämtlicher Sonderkonditionen;

(5) die einseitige Festlegung und Umsetzung neuer Konditionen, hier im Rahmen der "Anpassung der Zahlungsziele";

(6) das sog. "Rosinenpicken", d.h. die Forderung einer Anpassung der [X.]-Konditionen an einzelne, günstigere Konditionenbestandteile von [X.] ohne Berücksichtigung des [X.], hier im Rahmen des "[X.]" und der "Anpassung der Zahlungsziele";

(7) die Forderung von Zahlungen, denen offensichtlich keine Gegenleistungen gegenüberstanden, hier im Rahmen des "[X.]" und der "Partnerschaftsvergütung";

(8) die Forderung von Zahlungen ohne nachvollziehbaren warenwirtschaftlichen Bezug, hier im Rahmen des "Sortimentserweiterungsbonus";

(9) die Forderung besserer Konditionen von den Lieferanten während der Laufzeit geltender Jahresvereinbarungen, hier im Rahmen sämtlicher Sonderkonditionen.

2

Das Beschwerdegericht hat mit Beschluss vom 18. November 2015 den Beschluss des [X.]s insgesamt aufgehoben und die Rechtsbeschwerde nicht zugelassen. Gegen die Nichtzulassung der Rechtsbeschwerde wenden sich das [X.] und der Beigeladene zu 2. [X.] und die Beigeladene zu 1 treten dem Rechtsmittel entgegen.

3

II. Die Nichtzulassungsbeschwerde ist nach § 76 Abs. 1 GWB statthaft und auch sonst zulässig. Die von dem Beigeladenen zu 2 eingelegte Beschwerde verbindet sich wie die Rechtsbeschwerde eines Streithelfers mit der Rechtsbeschwerde des [X.]s zu einem einheitlichen Rechtsmittel. Streitgegenstand des vorliegenden Kartellverwaltungsverfahrens ist allein die Verfügung des [X.]s vom 3. Juli 2014. Der Beigeladene zu 2 unterstützt demgemäß den Angriff des [X.] gegen die Aufhebung dieser Verfügung durch das Beschwerdegericht. Im Hinblick darauf kann dahinstehen, ob der Beigeladene zu 2 die Nichtzulassungsbeschwerde auch unabhängig von dem Rechtsmittel des [X.]s hätte einlegen können.

4

III. In der Sache ist die Beschwerde teilweise begründet.

5

1. Nach § 74 Abs. 2 GWB ist die Rechtsbeschwerde gegen einen Beschluss des [X.] im kartellverwaltungsgerichtlichen Verfahren zuzulassen, wenn eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung zu entscheiden ist oder die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des [X.] erfordert.

6

2. Die Rechtsbeschwerde ist wegen grundsätzlicher Bedeutung zuzulassen, soweit das Beschwerdegericht den Beschluss des [X.]s hinsichtlich der im [X.] zu (1), (2) und (6) genannten Verhaltensweisen aufgehoben hat.

7

a) Zu § 19 Abs. 2 Nr. 5 GWB (§ 20 Abs. 3 GWB 2007) in der Tatbestandsalternative des "[X.]" gibt es bislang keine Rechtsprechung des [X.]. Die Entscheidung des [X.] beruht tragend auf der Auslegung des Merkmals "sachlich gerechtfertigter Grund" für die Forderung von Vorteilen. Die dabei erheblichen Fragen, ob und in welcher Weise eine Gegenmacht der Hersteller zu berücksichtigen ist und ob die Gesamtkonditionen eines Lieferanten oder die jeweilige Einzelforderung Bezugspunkt der Prüfung sind, bedürfen grundsätzlicher Klärung. Sie stellen sich insbesondere im Lebensmitteleinzelhandel in typischer Weise.

8

b) Darüber hinaus hat die vom [X.] aufgeworfene Frage, inwiefern § 19 Abs. 2 Nr. 5 GWB in der Variante des "[X.]" eine Kausalität zwischen Marktstellung und Forderung voraussetzt, grundsätzliche Bedeutung. Diese Frage ist in der Literatur umstritten.

9

(1) Nach einer Ansicht hat diese Kausalität normativen Charakter und setzt daher nicht voraus, dass ohne die Marktmacht der Vorteil nicht hätte erlangt werden können. Vielmehr müsse der Nachfrager lediglich im Wissen um seine Marktstellung einen Vorteil fordern ([X.], [X.], 139, 141; [X.] in [X.]/Bunte, Kartellrecht, Bd. 1, 12. Aufl., § 19 Rn. 155, 365; [X.][X.]/[X.]/[X.]/[X.], Kartellrecht, 3. Aufl., § 19 GWB Rn. 112). Nach anderer Ansicht, der sich im Ergebnis auch das Beschwerdegericht angeschlossen hat, lässt sich eine Einschränkung des [X.] unter Hinweis auf dessen vermeintlichen "normativen Charakter" nicht begründen (Säcker/Mohr, [X.], 1, 23; wohl auch [X.] in [X.]/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht, 5. Aufl., § 19 Rn. 378, vgl. dort aber auch Rn. 375). Die Aufforderung zur Vorteilsgewährung müsse vielmehr objektiv kausal auf der Marktmacht des Nachfragers, die seine [X.] begründet, basieren.

(2) Diese Frage ist entscheidungserheblich. Das Beschwerdegericht hat eine strenge Kausalität zwischen Marktmacht und Vorteil in dem Sinne als erforderlich angesehen, dass die Forderung der Vorteile selbst ein Ausnutzen der Marktmacht darstellen muss. Diese Erwägung war für die Entscheidung des [X.] tragend. Auf der Grundlage eines normativen Verständnisses der Kausalität wäre dagegen ausreichend, wenn die Marktmacht die Wirkungen des missbräuchlichen Verhaltens verstärkt (vgl. [X.] in [X.]/Bunte aaO § 19 Rn. 155).

3. Im Zusammenhang mit der vom [X.] des [X.]s in Nr. (7) an zweiter Stelle bezeichneten "Partnerschaftsvergütung" stellen sich ebenfalls Rechtsfragen, die eine Zulassung der Rechtsbeschwerde wegen grundsätzlicher Bedeutung gebieten.

a) Zum einen stellt sich insoweit die Rechtsfrage, ob die sachliche Rechtfertigung einer Forderung im Fall des § 19 Abs. 2 Nr. 5 GWB stets ausgeschlossen ist, wenn dafür keine konkreten Gegenleistungen wie etwa bestimmte Verkaufsaktionen vereinbart werden. Zum anderen stellt sich die Frage, ob allgemeine Investitionen eines Handelsunternehmens in seine Verkaufsräume, die weder lieferanten- noch warengruppen- oder artikelbezogen erfolgen, überhaupt eine Aufforderung zur Gewährung eines konkreten Vorteils rechtfertigen können oder ob dies eine unzulässige Abwälzung unternehmerischer Risiken des Handels auf die Lieferanten darstellt. Die Frage, ob die Forderung einer Beteiligung von Lieferanten an der Renovierung von Filialen im Lebensmitteleinzelhandel missbräuchlich ist, ist umstritten (bejahend [X.], [X.], 139, 143; [X.] in [X.]/Bunte aaO § 19 Rn. 176 f.; [X.], [X.], 1, 24).

b) Beide Rechtsfragen werden im Streitfall aufgeworfen und sind entscheidungserheblich. Wären sie im Sinne des [X.]s zu beantworten, so hätte das Beschwerdegericht hinsichtlich der Partnerschaftsvergütung von einer offensichtlich fehlenden Gegenleistung ausgehen müssen, so dass Nr. (7) des Tenors der Verfügung des [X.]s insofern Bestand gehabt hätte.

c) Die Rechtsfragen sind klärungsbedürftig. Sie sind umstritten oder jedenfalls ungeklärt. Sie haben auch für eine unbestimmte Vielzahl von Fällen Bedeutung. Dabei ist hier insbesondere zu berücksichtigen, dass Forderungen nach [X.] auch im Zusammenhang mit der Neueröffnung von Filialen oder als "Jubiläumsboni" von Handelsunternehmen erhoben werden.

4. Im Übrigen ist die Nichtzulassungsbeschwerde zurückzuweisen, weil insoweit die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung hat und die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des [X.] auch im Übrigen nicht erfordern.

a) Entgegen der Ansicht des [X.]s hat das Beschwerdegericht den Tenor des [X.] nicht für unbestimmt gehalten. Es hat vielmehr angenommen, der Tenor könne eindeutig nur dahingehend verstanden werden, dass die als rechtswidrig beanstandeten Handlungen sämtlich gegenüber allen vier Sektherstellern begangen wurden. Ob dieser Beurteilung zuzustimmen ist, kann dahinstehen. Das Beschwerdegericht hat jedenfalls für die Begehung der Verhaltensweisen gemäß Nr. (3), (5), (7) und (9) des Tenors gegenüber keinem der Hersteller eine Grundlage in den Gründen des Beschlusses gefunden. Dazu ist kein Zulassungsgrund geltend gemacht.

b) Soweit der Beigeladene zu 2 die geltend gemachten Zulassungsgründe auch auf den Tenor Nr. (4) beziehen will, hat das Beschwerdegericht die rückwirkende Forderung von Zahlungen und Konditionenanpassungen im Hinblick auf die Übernahme von [X.] zum 1. Januar 2009 für sachlich gerechtfertigt gehalten. Nach Rn. 486 der vom Beschwerdegericht in Bezug genommenen Verfügung des [X.]s hat [X.] erläutert, dass die Lieferanten schon zu Beginn der [X.] von der [X.]-Übernahme wussten und die Abschlussvereinbarungen zudem einen zivilrechtlichen Vorbehalt enthielten, also eine Öffnungsklausel für Nachverhandlungen (vgl. Rn. 481 der Verfügung). Vor diesem Hintergrund hat das Beschwerdegericht ein berechtigtes Interesse von [X.] anerkannt, das gesamte Geschäftsjahr 2009 mit einheitlichen Konditionen abzuwickeln, die dem fusionsbedingten Zuwachs des Filialnetzes Rechnung trugen. Hinsichtlich dieser Beurteilung bringt die Beigeladene zu 2 keinen Zulassungsgrund vor.

Rechtsmittelbelehrung:

Die Rechtsbeschwerde ist binnen einer Frist von einem Monat, die mit der Zustellung des vorliegenden Beschlusses beginnt, schriftlich bei dem Beschwerdegericht einzulegen. Die Rechtsbeschwerde ist binnen einer Frist von zwei Monaten, die mit der Zustellung des vorliegenden Beschlusses beginnt, zu begründen. Diese Frist kann auf Antrag von dem Vorsitzenden des [X.] verlängert werden. Die Begründung der Rechtsbeschwerde muss die Erklärung enthalten, inwieweit der Beschluss des [X.] angefochten und seine Abänderung oder Aufhebung beantragt wird.

[X.]                        Meier-Beck                              Kirchhoff

                   Bacher                                Deichfuß

Meta

KVZ 1/16

15.11.2016

Bundesgerichtshof Kartellsenat

Beschluss

Sachgebiet: False

vorgehend OLG Düsseldorf, 18. November 2015, Az: VI-Kart 6/14 (V), Beschluss

§ 19 Abs 2 Nr 5 GWB, § 20 Abs 3 GWB vom 18.12.2007, § 74 Abs 2 GWB

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 15.11.2016, Az. KVZ 1/16 (REWIS RS 2016, 2402)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2016, 2402

Auf dem Handy öffnen Auf Mobilgerät öffnen.


Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

Ähnliche Entscheidungen

KVZ 1/16 (Bundesgerichtshof)


KVR 3/17 (Bundesgerichtshof)

Wettbewerbsbeschränkung. Aufforderung eines marktbeherrschenden Unternehmens an ein anderes Unternehmen zur Gewährung von Vorteilen ohne sachlich …


KVR 3/17 (Bundesgerichtshof)


VI-Kart 6/14 (V) (Oberlandesgericht Düsseldorf)


KVR 57/16 (Bundesgerichtshof)

Fusionskontrolle: Befugnis des Bundeskartellamts zur Untersagung eines gegen das Vollzugsverbots verstoßenden Verhaltens; unter das Vollzugsverbot …


Referenzen
Wird zitiert von

Keine Referenz gefunden.

Zitiert

Keine Referenz gefunden.

Zitieren mit Quelle:
x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.