Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 15.11.2016, Az. KVZ 1/16

Kartellsenat | REWIS RS 2016, 2432

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[X.]:[X.]:BGH:2016:151116BKVZ1.16.0

BUN[X.]SGERICHTSHOF

BESCHLUSS
KVZ 1/16
vom
15. November 2016
in dem Kartellverwaltungsverfahren

-
2
-
Der Kartellsenat des [X.] hat am 15.
November 2016 durch die Präsidentin des [X.] [X.], den Vorsitzenden
Richter Prof. Dr.
Meier-Beck und [X.]
Kirchhoff, Dr.
Bacher und Dr.
Deichfuß
beschlossen:
Auf die Nichtzulassungsbeschwerde wird die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss des 1.
Kartellsenats des [X.] vom 18.
November 2015 zugelassen, soweit das Be-schwerdegericht die Verfügung
des [X.]s
vom 3.
Juli 2015 hinsichtlich der im
Tenor zu
(1), (2), (6) und (7)

insoweit aber nur hinsichtlich der "Partnerschaftsvergütung"
-
beanstande-ten Verhaltensweisen aufgehoben hat. Im Übrigen wird die Nicht-zulassungsbeschwerde zurückgewiesen.
Gründe:
[X.] Die Betroffene
(nachfolgend: [X.]) hat Ende 2008 rund 2.300
Filialen der Discountkette
"[X.]" von ihrem Wettbewerber [X.] übernommen und sodann in ihre eigene Discountkette
"[X.]" eingegliedert. Mit Beschluss vom 3.
Juli 2014 hat das [X.] gemäß §
32 Abs.
3 [X.] nachträg-lich einen Verstoß von [X.] gegen §
20 Abs.
3 [X.] 2007 festgestellt, weil [X.] im Zuge von [X.] nach Übernahme von "[X.]" im Jahr 2009 gegenüber vier Sektherstellern rechtswidrige Konditionen gefordert habe. Rechtswidrig sei
(1)
die Heranziehung mehrerer zeitlich gestaffelter Stichtage für einen Abgleich der Konditionen von [X.] und [X.] und der 1
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-
sich daraus ergebende mehrfache Konditionenabgleich der zu verschiedenen Zeitpunkten jeweils geltenden Konditionen, hier im Rahmen des "[X.]";
(2)
die Auswahl von Stichtagen für den Vergleich der Konditionen von [X.] und [X.], die deutlich vor dem Vollzug des Zu-sammenschlusses und dem Beginn der [X.] lagen, hier im Rahmen des "[X.]";
(3)
die intransparente und für die Lieferanten nicht nachvollzieh-bare Darstellung und Begründung von Forderungen, hier im Rahmen des "[X.]" und des "Sortimentserweite-rungsbonus";
(4)
die Forderung rückwirkender Zahlungen und rückwirkender Anpassungen von Konditionen, hier im Rahmen sämtlicher Sonderkonditionen;
(5)
die einseitige Festlegung und Umsetzung neuer Konditionen, hier im Rahmen der "Anpassung der Zahlungsziele";
(6)
das sog. "Rosinenpicken", d.h. die Forderung einer Anpas-sung der [X.]-Konditionen an einzelne, günstigere Konditio-nenbestandteile von [X.] ohne Berücksichtigung des [X.], hier im Rahmen des "[X.]" und der "Anpassung der Zahlungsziele";
(7)
die Forderung von Zahlungen, denen offensichtlich keine Ge-genleistungen gegenüberstanden, hier im Rahmen des
"[X.]" und der "Partnerschaftsvergütung";
(8)
die Forderung von Zahlungen ohne nachvollziehbaren waren-wirtschaftlichen Bezug, hier im Rahmen des "Sortimentserwei-terungsbonus";
(9)
die Forderung besserer Konditionen von den Lieferanten wäh-rend der Laufzeit geltender Jahresvereinbarungen, hier im Rahmen sämtlicher Sonderkonditionen.
-
4
-
Das Beschwerdegericht hat mit Beschluss vom 18.
November 2015 den Beschluss des [X.]s insgesamt aufgehoben
und die Rechtsbe-schwerde nicht zugelassen. Gegen die Nichtzulassung der Rechtsbeschwerde wenden sich das [X.] und der
Beigeladene zu
2. [X.] und die Beigeladene zu
1 treten dem
Rechtsmittel entgegen.
I[X.] Die Nichtzulassungsbeschwerde ist nach §
76 Abs.
1 [X.] statthaft und auch sonst zulässig.
Die von dem
Beigeladenen zu 2 eingelegte Be-schwerde verbindet sich wie die Rechtsbeschwerde eines Streithelfers mit der Rechtsbeschwerde des [X.]s zu einem einheitlichen Rechtsmittel. Streitgegenstand des vorliegenden Kartellverwaltungsverfahrens ist allein die Verfügung des [X.]s vom 3. Juli 2014. Der
Beigeladene zu 2 un-terstützt demgemäß den Angriff des [X.] gegen die Aufhebung dieser Verfügung durch das Beschwerdegericht.
Im Hinblick darauf kann dahinstehen, ob der Beigeladene zu 2 die Nichtzulassungsbeschwerde auch unabhängig von dem Rechtsmittel des [X.]s hätte einlegen können.
II[X.] In der Sache ist die Beschwerde
teilweise begründet.
1. Nach §
74 Abs.
2 [X.] ist die Rechtsbeschwerde gegen einen Be-schluss des [X.] im kartellverwaltungsgerichtlichen Verfahren zuzulassen, wenn eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung zu [X.] ist oder die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer [X.] Rechtsprechung eine Entscheidung des [X.] erfordert.
2.
Die Rechtsbeschwerde ist
wegen grundsätzlicher Bedeutung
zuzulas-sen, soweit das Beschwerdegericht den Beschluss des [X.]s hin-sichtlich der im [X.] zu
(1), (2)
und
(6) genannten Verhaltensweisen aufgehoben hat.

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5
-
a) Zu §
19 Abs.
2 Nr.
5 [X.] (§
20 Abs.
3 [X.] 2007) in der Tatbe-standsalternative des "[X.]" gibt es
bislang
keine Rechtsprechung des [X.]. Die Entscheidung des [X.]
beruht tragend auf der
Auslegung des Merkmals "sachlich gerechtfertigter Grund" für die [X.] von Vorteilen.
Die dabei erheblichen
Fragen, ob und in welcher Weise eine Gegenmacht der Hersteller zu berücksichtigen
ist
und ob die Gesamtkon-ditionen eines Lieferanten oder die jeweilige Einzelforderung Bezugspunkt der Prüfung
sind, bedürfen grundsätzlicher Klärung.
Sie stellen sich insbesondere im
Lebensmitteleinzelhandel
in
typischer Weise.
b)
Darüber hinaus hat die
vom [X.] aufgeworfene
Frage, inwiefern
§
19 Abs.
2 Nr.
5 [X.] in der Variante des "[X.]" eine Kausali-tät zwischen Marktstellung und Forderung voraussetzt, grundsätzliche Bedeu-tung. Diese Frage ist in der Literatur umstritten.
(1) Nach einer Ansicht hat diese Kausalität normativen Charakter und setzt daher nicht voraus, dass ohne die Marktmacht der Vorteil nicht hätte [X.] werden können. Vielmehr müsse der Nachfrager lediglich im Wissen um seine Marktstellung einen
Vorteil
fordern
([X.], [X.], 139, 141; Noth-durft in [X.]/Bunte, Kartellrecht, Bd.
1, 12.
Aufl., §
19 Rn.
155, 365; Loewen-heim in [X.]/[X.]/[X.]/[X.]/[X.], [X.], 3.
Aufl., §
19
[X.] Rn.
112). Nach anderer
Ansicht, der sich im Er-gebnis auch das Beschwerdegericht angeschlossen hat,
lässt sich
eine Ein-schränkung des [X.] unter Hinweis auf dessen vermeintli-chen "normativen Charakter" nicht begründen (Säcker/Mohr,
[X.], 1, 23; wohl auch [X.] in [X.]/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht, 5.
Aufl., §
19 Rn.
378, vgl. dort aber auch Rn. 375). Die Aufforderung zur Vorteilsgewährung müsse vielmehr objektiv kausal auf der Marktmacht des Nachfragers, die seine [X.] begründet, basieren.
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6
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(2)
Diese
Frage
ist entscheidungserheblich. Das Beschwerdegericht hat eine strenge Kausalität zwischen Marktmacht und Vorteil in dem Sinne als er-forderlich angesehen, dass die Forderung der Vorteile selbst ein Ausnutzen der Marktmacht darstellen muss.
Diese Erwägung war für die
Entscheidung
des [X.]
tragend. Auf der Grundlage eines normativen Verständnis-ses der Kausalität wäre dagegen ausreichend, wenn die Marktmacht die [X.] des missbräuchlichen Verhaltens verstärkt (vgl. [X.] in [X.]/
Bunte aaO §
19 Rn.
155).
3.
Im Zusammenhang mit der vom [X.] des Bundeskartell-amts in Nr.
(7) an zweiter Stelle bezeichneten "Partnerschaftsvergütung" stellen sich ebenfalls Rechtsfragen, die eine Zulassung der Rechtsbeschwerde wegen grundsätzlicher Bedeutung gebieten.
a) Zum einen stellt sich
insoweit
die Rechtsfrage, ob die sachliche Recht-fertigung einer Forderung im Fall des §
19 Abs.
2 Nr.
5 [X.] stets ausge-schlossen ist, wenn
dafür
keine konkreten Gegenleistungen wie
etwa
bestimm-te Verkaufsaktionen vereinbart werden. Zum anderen stellt sich die Frage, ob allgemeine Investitionen eines Handelsunternehmens in seine Verkaufsräume, die weder lieferantennoch warengruppenoder artikelbezogen erfolgen, über-haupt
eine
Aufforderung zur Gewährung eines konkreten Vorteils rechtfertigen können oder ob dies
eine unzulässige Abwälzung unternehmerischer Risiken des Handels auf die Lieferanten darstellt.
Die Frage, ob die Forderung einer Beteiligung von Lieferanten an der Renovierung von Filialen im Lebensmittel-einzelhandel missbräuchlich ist, ist umstritten (bejahend
[X.], [X.], 139, 143; [X.] in [X.]/Bunte aaO §
19 Rn.
176
f.; [X.], [X.], 1, 24).
b) Beide Rechtsfragen werden im Streitfall aufgeworfen und sind ent-scheidungserheblich. Wären sie im Sinne des [X.]s zu beantwor-10
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ten, so hätte das Beschwerdegericht
hinsichtlich der
Partnerschaftsvergütung von einer
offensichtlich fehlenden
Gegenleistung
ausgehen
müssen, so dass Nr.
(7) des
Tenors der Verfügung
des [X.]s
insofern Bestand ge-habt hätte.

c) Die Rechtsfragen sind klärungsbedürftig. Sie sind umstritten oder [X.] ungeklärt. Sie haben auch für eine unbestimmte Vielzahl von Fällen Bedeutung. Dabei ist hier insbesondere zu berücksichtigen, dass Forderungen nach [X.] auch im Zusammenhang mit der Neueröffnung von Filialen oder als "Jubiläumsboni" von Handelsunternehmen erhoben wer-den.
4. Im Übrigen
ist
die Nichtzulassungsbeschwerde zurückzuweisen, weil insoweit die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung hat und die Fortbil-dung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des [X.] auch im Übrigen nicht erfordern.
a) Entgegen der Ansicht des [X.]s hat das Beschwerdege-richt den Tenor des [X.] nicht für unbestimmt gehalten. Es hat vielmehr angenommen, der Tenor könne eindeutig nur dahingehend verstanden werden, dass die als rechtswidrig beanstandeten Handlungen sämtlich gegen-über allen vier Sektherstellern begangen wurden. Ob dieser Beurteilung zuzu-stimmen ist, kann dahinstehen. Das Beschwerdegericht
hat jedenfalls
für die Begehung der Verhaltensweisen gemäß
Nr. (3), (5), (7) und (9) des Tenors ge-genüber keinem der Hersteller eine Grundlage in den Gründen des [X.] gefunden.
Dazu ist kein Zulassungsgrund geltend gemacht.
b) Soweit der
Beigeladene zu 2 die geltend gemachten [X.] auch auf den Tenor Nr. (4) beziehen will, hat das Beschwerdegericht die
rückwirkende
Forderung von
Zahlungen und Konditionenanpassungen
im Hin-blick auf die Übernahme von [X.] zum 1. Januar 2009 für sachlich gerechtfer-14
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-
tigt gehalten. Nach Rn. 486 der vom Beschwerdegericht in Bezug genommenen Verfügung des [X.]s hat [X.] erläutert, dass die Lieferanten schon zu Beginn der [X.] von der [X.]-Übernahme wussten und die Abschlussvereinbarungen zudem einen zivilrechtlichen Vorbehalt ent-hielten, also eine Öffnungsklausel für Nachverhandlungen (vgl. Rn. 481 der Verfügung).
Vor diesem Hintergrund hat das Beschwerdegericht ein berechtig-tes Interesse von [X.] anerkannt, das gesamte Geschäftsjahr 2009 mit ein-heitlichen Konditionen abzuwickeln, die dem fusionsbedingten Zuwachs des Filialnetzes Rechnung trugen. Hinsichtlich dieser
Beurteilung bringt die Beige-ladene zu 2 keinen Zulassungsgrund vor.

Rechtsmittelbelehrung:
Die Rechtsbeschwerde ist binnen einer Frist von einem Monat, die mit der Zu-stellung des vorliegenden Beschlusses beginnt, schriftlich bei dem [X.] einzulegen. Die Rechtsbeschwerde ist binnen einer Frist von zwei
-
9
-
Monaten, die mit der Zustellung des vorliegenden Beschlusses beginnt, zu [X.]. Diese Frist kann auf Antrag von dem Vorsitzenden des [X.] verlängert werden. Die Begründung der Rechtsbeschwerde muss die Erklärung enthalten, inwieweit der Beschluss des [X.] angefochten und seine Abänderung oder Aufhebung beantragt wird.

[X.]
Meier-Beck
Kirchhoff

Bacher
Deichfuß
Vorinstanz:
[X.], Entscheidung vom 18.11.2015 -
VI-Kart 6/14 (V) -

Meta

KVZ 1/16

15.11.2016

Bundesgerichtshof Kartellsenat

Sachgebiet: False

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 15.11.2016, Az. KVZ 1/16 (REWIS RS 2016, 2432)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2016, 2432

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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