Bundesfinanzhof, Urteil vom 10.12.2019, Az. IX R 1/19

9. Senat | REWIS RS 2019, 599

Tags hinzufügen

Sie können dem Inhalt selbst Schlagworten zuordnen. Geben Sie hierfür jeweils ein Schlagwort ein und drücken danach auf sichern, bevor Sie ggf. ein neues Schlagwort eingeben.

Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"

QR-Code

Gegenstand

Vertrauensschutz bei der Anwendung der bisherigen Rechtsprechungsgrundsätze zur Berücksichtigung von nachträglichen Anschaffungskosten aus eigenkapitalersetzenden Finanzierungshilfen


Leitsatz

NV: Die bis zum Senatsurteil vom 11.07.2017 - IX R 36/15 (BFHE 258, 427, BStBl II 2019, 208) anerkannten Grundsätze zur Berücksichtigung von nachträglichen Anschaffungskosten aus eigenkapitalersetzenden Finanzierungshilfen sind weiter anzuwenden, wenn der Gesellschafter eine eigenkapitalersetzende Finanzierungshilfe bis zum 27.09.2017 geleistet hatte oder wenn eine Finanzierungshilfe des Gesellschafters bis zu diesem Tag eigenkapitalersetzend geworden war (Bestätigung der Rechtsprechung) .

Tenor

Auf die Revision der Kläger wird der Gerichtsbescheid des [X.] vom 13.12.2018 - 3 K 3207/17 aufgehoben.

Die Sache wird an das [X.] zurückverwiesen.

Diesem wird die Entscheidung über die Kosten des Verfahrens übertragen.

Tatbestand

I.

1

Streitig ist die Berücksichtigung ausgefallener [X.]erdarlehen als nachträgliche Anschaffungskosten auf eine Beteiligung [X.] des § 17 des Einkommensteuergesetzes (EStG) sowie die Gewährung von Vertrauensschutz nach Maßgabe des Urteils des [X.] ([X.]) vom 11.07.2017 - IX R 36/15 ([X.]E 258, 427, BStBl II 2019, 208).

2

Die Kläger und Revisionskläger (Kläger) werden zusammen zur Einkommensteuer veranlagt. Die Klägerin war Alleingesellschafterin der [X.] (GmbH), der sie bereits im [X.] ein Darlehen gewährt hatte. Mit notariellem [X.] veräußerte die Klägerin ihre Beteiligung; ein Kaufpreis wurde nicht vereinbart. Den am 06.11.2014 von einer [X.]sgläubigerin gestellten Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der GmbH lehnte das zuständige Insolvenzgericht am 17.04.2015 mangels Masse ab.

3

Im Einkommensteuerbescheid für 2014 vom 09.06.2017 berücksichtigte der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --[X.]--) allein die von der Klägerin geleistete Stammeinlage unter Berücksichtigung des Teileinkünfteverfahrens mit 30.000 € als Verlust [X.] des § 17 EStG. Hingegen ließ es einen Abzug der ausgefallenen [X.]erdarlehen nicht zu. Mit Einspruchsentscheidung vom 14.11.2017 wies das [X.] den Einspruch der Kläger als unbegründet zurück und machte geltend, dass es sich bei den [X.]erdarlehen um in der Krise (im Jahr 2013) stehen gelassene Darlehen handele, deren Teilwert bei Eintritt der Krise im Hinblick auf die faktische Überschuldung der [X.] mit 0 € anzusetzen sei.

4

Die dagegen gerichtete Klage, mit der sich die Kläger auf die Krisenbestimmtheit der [X.]erdarlehen bzw. die Werthaltigkeit der [X.] bei Eintritt der Krise beriefen und einen Verlust in Höhe von 319.689 € geltend machten, wies das Finanzgericht ([X.]) mit seinem Gerichtsbescheid vom 13.12.2018 als unbegründet ab. Zur Begründung führte das [X.] aus, verlorene [X.]erdarlehen könnten im Streitjahr nicht mehr als nachträgliche Anschaffungskosten auf die Beteiligung angesehen werden, weil die tradierten Rechtsgrundsätze zum Ausfall von [X.]erdarlehen nicht mehr anzuwenden seien, und zwar --entgegen dem Senatsurteil in [X.]E 258, 427, BStBl II 2019, 208-- auch nicht übergangsweise. Es bedürfe daher keiner Aufklärung, ob die Darlehen von vornherein krisenbestimmt gewesen seien, wann die Krise eingetreten sei und welchen Teilwert die Darlehensforderung bei Eintritt der Krise gehabt habe. Zur Begründung verwies das [X.] auf sein Urteil vom 18.04.2018 - 3 K 3138/15 (Entscheidungen der Finanzgerichte 2018, 1366).

5

Mit der Revision rügen die Kläger (sinngemäß) eine Verletzung von § 17 Abs. 2 EStG bzw. § 255 Abs. 1 des Handelsgesetzbuchs (HGB). Sie teilten die Auffassung der Vorinstanz, wonach der [X.] nicht zur Gewährung von Vertrauensschutz befugt sei, nicht. Es gehe nicht um Rechtssetzung, sondern um eine Änderung der Rechtsprechung. Das [X.] habe erst durch die Rechtsprechung des [X.] seine Wirkung im Steuerrecht entfaltet; dann sei es aber auch Sache des [X.], die geänderten Zivilrechtsnormen, mit denen der Gesetzgeber keine Änderung des Steuerrechts habe herbeiführen wollen, einer neuen steuerlichen Beurteilung zuzuführen. Dabei stehe es ihm frei festzulegen, dass die Rechtsprechungsänderung ihre Wirkung erst nach der Veröffentlichung des Urteils entfalten solle.

6

Im Übrigen seien Finanzmittel, die der [X.]er seiner GmbH zuführe, grundsätzlich --ungeachtet ihrer Qualifikation als eigenkapitalersetzend-- als nachträgliche Anschaffungskosten auf die Beteiligung [X.] des § 255 Abs. 1 HGB anzusehen. Ein [X.]er, der seiner (personenbezogenen) Kapitalgesellschaft Finanzmittel zuführe, mache dies in erster Linie mit Rücksicht auf das [X.]sverhältnis. Dies gelte auch im Hinblick auf Bürgschaften, die übernommen würden, damit die nicht über ausreichende Sicherheiten verfügende GmbH Darlehen bei einer Bank aufnehmen könne. Dies zeige auch ein Blick auf die --gesellschaftsrechtlich veranlasste-- verdeckte Gewinnausschüttung [X.] des § 8 Abs. 3 des [X.] ([X.]) bzw. die verdeckte Einlage. Letztere sei auf dem steuerlichen [X.] § 27 [X.] auszuweisen und gesondert festzustellen; auf Seiten des [X.]ers handele es sich um nachträgliche Anschaffungskosten auf seine Beteiligung.

7

Die Kläger beantragen,
den angefochtenen Gerichtsbescheid aufzuheben und den Einkommensteuerbescheid für 2014 vom 09.06.2017 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 14.11.2017 dahingehend abzuändern, dass der [X.] der Klägerin [X.] von § 17 EStG mit 319.689 € berücksichtigt wird.

8

Das [X.] beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

9

Zur Begründung führt das [X.] aus, es teile die Ansicht des [X.], dass die tradierten [X.] nicht übergangsweise anzuwenden seien. Wenn der [X.] im ersten Leitsatz seines Urteils in [X.]E 258, 427, BStBl II 2019, 208 ausführe, dass mit der Aufhebung des [X.]s die gesetzliche Grundlage für die bisherige Rechtsprechung entfallen sei, gehe daraus hervor, dass der [X.] nicht seine Rechtsprechung zu einer fortbestehenden Gesetzeslage geändert, sondern eine neue Rechtslage erstmals einer richterlichen Auslegung unterzogen habe. Durch die Vertrauensschutzregelung habe er die überholte Gesetzeslage über einen längeren Übergangszeitraum hinaus ausgedehnt. Zwischen dem Inkrafttreten des [X.] und zur Bekämpfung von Missbräuchen vom 23.10.2008 ([X.], 2026) am 01.08.2008 [sic] und der Veröffentlichung des [X.]-Urteils am 27.09.2017 lägen über neun Jahre. Je weiter der [X.] die Anwendung einer überholten Rechtslage ausdehne, desto mehr ähnele sein Handeln einer rechtsetzenden Tätigkeit.

Die Anforderungen, die der [X.] des [X.] in seinem Beschluss vom 17.12.2007 - GrS 2/04 ([X.]E 220, 129, [X.], 608) an die Gewährung höchstrichterlichen Vertrauensschutzes gestellt habe, seien vorliegend nicht erfüllt. Es fehle an einer Abkehr von einer ständigen höchstrichterlichen Rechtsprechung bei gleichbleibender Gesetzeslage.

Ungeachtet dessen wäre die Klage auch nach alter Rechtslage abzuweisen, da keine eigenkapitalersetzenden Darlehen gegeben seien. Die Darlehen seien zu Beginn der [X.] bzw. laufend seit 2008 gewährt und in der Krise stehen gelassen worden. Die Krise dürfte im Jahr 2013 (Inhaftierung des Geschäftsführers, Umsatzrückgang, Einbruch in Lager und Büroräume mit Vandalismus) eingetreten sein. Der gemeine Wert der Darlehensforderung bei Eintritt der Krise habe mit Blick auf die faktische Überschuldung der [X.] 0 € betragen. Die Realisierung des [X.] sei nicht mehr möglich gewesen. Daher habe die Klägerin keine Finanzierungsentscheidung zugunsten der [X.] getroffen. Davon sei auch das [X.] in seiner vorläufigen Einschätzung vom 30.11.2017 ausgegangen. Darüber hinaus habe es bis zuletzt an konkreten Nachweisen für die Darlehen gefehlt.

Entscheidungsgründe

II.

Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Gerichtsbescheids und zur Zurückverweisung der Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das [X.] (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung --[X.]O--).

Zu Unrecht hat das [X.] angenommen, dass die bis zum [X.]surteil in [X.], 427, BStBl II 2019, 208 anerkannten Grundsätze zur Berücksichtigung von nachträglichen Anschaffungskosten aus eigenkapitalersetzenden Finanzierungshilfen auch dann nicht weiter anzuwenden sind, wenn der Gesellschafter eine eigenkapitalersetzende Finanzierungshilfe bis zum 27.09.2017 geleistet hatte oder wenn eine Finanzierungshilfe des Gesellschafters bis zu diesem Tage eigenkapitalersetzend geworden war (dazu unter 1.). Allerdings reichen die Feststellungen des [X.] nicht aus, um beurteilen zu können, ob im Streitfall nach Maßgabe der zuvor genannten Grundsätze von nachträglichen Anschaffungskosten der Klägerin auszugehen ist (dazu unter 2.).

1. Nach Ansicht der Vorinstanz können verlorene Gesellschafterdarlehen im Streitjahr 2014 nicht mehr als nachträgliche Anschaffungskosten auf die Beteiligung angesehen werden, weil die tradierten Rechtsgrundsätze zum Ausfall von Gesellschafterdarlehen nicht mehr anzuwenden sind, und zwar --entgegen dem [X.]surteil in [X.], 427, BStBl II 2019, 208-- auch nicht übergangsweise. Dies hält revisionsrechtlicher Überprüfung nicht stand. Vielmehr hält der [X.] daran fest, dass die Grundsätze zur Berücksichtigung von nachträglichen Anschaffungskosten aus eigenkapitalersetzenden Finanzierungshilfen vorübergehend weiter anzuwenden sind.

a) Für die Höhe der (nachträglichen) Anschaffungskosten kommt es im Streitfall auf den unter Geltung des [X.] zu § 17 Abs. 2 Satz 1 EStG entwickelten normspezifischen Anschaffungskostenbegriff an. Denn die streitgegenständlichen Darlehen sind bis zum Tag der Veröffentlichung des [X.] in [X.], 427, BStBl II 2019, 208 am 27.09.2017 geleistet worden bzw. (ggf.) eigenkapitalersetzend geworden. Die Kläger können daher Vertrauensschutz für sich beanspruchen (vgl. [X.]surteil in [X.], 427, BStBl II 2019, 208, Rz 40 ff.). An dieser Rechtsprechung hält der [X.] --wie zuletzt mit Urteil vom 02.07.2019 - IX R 13/18 ([X.], 333) entschieden-- fest.

b) Die von der Vorinstanz angeführten (ergänzenden) Argumente rechtfertigen keine andere Beurteilung. Wie im Urteil in [X.], 333 dargelegt, hat der [X.] seine langjährige Rechtsprechung bei unverändertem Wortlaut der steuerrechtlichen Norm des § 17 Abs. 2 Satz 1 EStG geändert und verschärft. In einer solchen Situation kann die Rechtsprechung ausnahmsweise typisierenden Vertrauensschutz gewähren, ohne dass deshalb ein Verstoß gegen den Grundsatz der Gewaltenteilung anzunehmen ist (vgl. Beschluss des Großen [X.]s des [X.] in [X.]E 220, 129, [X.], 608, dort beginnend unter [X.]). Die zivilrechtliche Aufhebung des [X.] ist insofern nur mittelbar von Bedeutung.

c) Vor diesem Hintergrund kann im Streitfall --entgegen der Ansicht der [X.] nicht offenbleiben, ob die gewährten Gesellschafterdarlehen eigenkapitalersetzenden Charakter hatten. Wie der [X.] in seinem Urteil in [X.], 427, BStBl II 2019, 208 (Rz 35 ff.) entschieden hat, kommt eine umfassende Berücksichtigung sämtlicher Beteiligungsaufwendungen im Hinblick auf die Rückkehr zu einem handelsrechtlich geprägten Begriffsverständnis der Anschaffungskosten (§ 255 Abs. 1 HGB) nicht in Betracht.

2. Die Sache ist nicht spruchreif. Die Feststellungen des [X.] versetzen den [X.] nicht in die Lage zu beurteilen, ob die in Streit stehenden Gesellschafterdarlehen der Klägerin nach Maßgabe des unter der Geltung des [X.] zu § 17 Abs. 2 Satz 1 EStG entwickelten normspezifischen Anschaffungskostenbegriffs als nachträgliche Anschaffungskosten auf die GmbH-Beteiligung anzusehen sind. Die Vorinstanz hat auf die betreffenden Feststellungen --im Hinblick auf ihren Rechtsstandpunkt zu [X.] verzichtet. Daher wird das [X.] die notwendigen Feststellungen nachzuholen haben. Die Sache ist zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen.

3. Nur ergänzend weist der [X.] --ohne [X.] darauf hin, dass bei der Beurteilung der Höhe der ausgefallenen Gesellschafterdarlehen die [X.]srechtsprechung zur Indizwirkung eines festgestellten Jahresabschlusses zu beachten sein wird. Danach ist es für die Besteuerung von Bedeutung, wenn die Gesellschafter einer GmbH durch Feststellung des Jahresabschlusses untereinander und im Verhältnis zur Gesellschaft rechtsverbindlich bestätigt haben, dass eine im Jahresabschluss ausgewiesene Verbindlichkeit der Gesellschaft gegenüber einem Gesellschafter in der ausgewiesenen Höhe besteht; die Feststellung des Jahresabschlusses spricht dann zumindest indiziell für das Bestehen der Forderung des Gesellschafters gegen die [X.] und der Höhe nach ([X.]-Urteil in [X.], 333, Rz 18 ff.).

4. [X.] beruht auf § 143 Abs. 2 [X.]O.

Meta

IX R 1/19

10.12.2019

Bundesfinanzhof 9. Senat

Urteil

vorgehend Finanzgericht Berlin-Brandenburg, 13. Dezember 2018, Az: 3 K 3207/17, Gerichtsbescheid

§ 17 Abs 2 S 1 EStG 2009, EStG VZ 2014, Art 20 Abs 2 GG

Zitier­vorschlag: Bundesfinanzhof, Urteil vom 10.12.2019, Az. IX R 1/19 (REWIS RS 2019, 599)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2019, 599

Auf dem Handy öffnen Auf Mobilgerät öffnen.


Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

Ähnliche Entscheidungen

IX R 9/18 (Bundesfinanzhof)

Berücksichtigung eines Verlusts aus dem Verzicht auf ein Gesellschafterdarlehen


IX R 36/15 (Bundesfinanzhof)

Veräußerung von Anteilen an Kapitalgesellschaften - Nachträgliche Anschaffungskosten nach Aufhebung des Eigenkapitalersatzrechts - Bürgschaft - …


IX R 21/21 (Bundesfinanzhof)

(Höhe nachträglicher Anschaffungskosten bei in der Krise stehen gelassener Darlehen nach § 17 Abs. 2a …


IX R 13/18 (Bundesfinanzhof)

Auflösung einer Kapitalgesellschaft - Eigenkapitalersetzendes Gesellschafterdarlehen - Indizwirkung des festgestellten Jahresabschlusses


IX R 3/23 (Bundesfinanzhof)

(Anwendung des Teileinkünfteverfahrens bei Veräußerungstatbeständen gemäß § 17 EStG)


Referenzen
Wird zitiert von

Keine Referenz gefunden.

Zitiert

Keine Referenz gefunden.

Zitieren mit Quelle:
x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.