Bundessozialgericht, Urteil vom 01.06.2010, Az. B 4 AS 78/09 R

4. Senat | REWIS RS 2010, 6214

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Gegenstand

(Arbeitslosengeld II - Kostensenkungsaufforderung wegen unangemessener Unterkunftskosten - fehlende Nennung des angemessenen Mietpreises - Rücknahme der rechtswidrigen Kürzungsbescheide und Nachzahlung für die Vergangenheit - uneingeschränkte Anwendbarkeit des § 44 SGB 10 - keine Beschränkung durch § 330 Abs 1 SGB 3 oder durch Bedarfsdeckung)


Leitsatz

1. Ein Hilfebedürftiger hat nur dann hinreichende Kenntnis von seiner Obliegenheit, die Unterkunftskosten auf ein angemessenes Niveau zu senken, wenn die Kostensenkungsaufforderung den aus Sicht des Leistungsträgers angemessenen Mietpreis benennt.

2. Der Anwendbarkeit des § 44 SGB 10 zur rückwirkenden Korrektur bestandskräftiger rechtswidriger Leistungsablehnungen und Nachzahlung von Unterkunftskosten für die Vergangenheit stehen keine über die gesetzlich normierten Einschränkungen hinausgehenden Besonderheiten des SGB 2 entgegen.

Tatbestand

1

Streitig ist die Höhe von Kosten der Unterkunft und Heizung nach dem [X.] in der [X.] bis 31.12.2006.

2

Die 1971 geborene Klägerin zu 1 sowie ihre 1990 und 1991 geborenen Söhne (Kläger zu 2 und 3) bewohnten im streitigen Zeitraum eine 94,03 m² große 3-Zimmer-Wohnung, deren Gesamtkosten 625,30 [X.] betrugen. Sie setzten sich aus der Kaltmiete in Höhe von 427,50 [X.] monatlich, den Nebenkosten in Höhe von 88,71 [X.] monatlich, einem Betrag für Trinkwasser/Schmutzwasser in Höhe von 28,09 [X.] monatlich und Abschlägen für Heizkosten in Höhe von 81 [X.] monatlich zusammen.

3

Die Beklagte bewilligte den seit 1.1.2005 im Leistungsbezug nach dem [X.] stehenden Klägern vom [X.] bis 31.12.2005 weiterhin Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem [X.] unter Berücksichtigung ihrer Aufwendungen für Unterkunft und Heizung in tatsächlicher Höhe (Bescheid vom [X.]). Der Bescheid enthielt folgenden Zusatz: "Ich weise darauf hin, dass Ihre Unterkunftskosten/Heizkosten unangemessen i.S. des § 22 Abs 1 [X.] sind. Soweit die Kosten unangemessen sind, werden sie daher gemäß § 22 Abs 1 Satz 2 [X.] längstens für den Zeitraum bis zum [X.] übernommen (danach nur Übernahme in angemessener Höhe). Während dieser Frist wird Ihnen Gelegenheit gegeben, die Kosten durch Wohnungswechsel etc. abzusenken." Für die [X.] bis 31.12.2006 bewilligte die Beklagte Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem [X.] unter Berücksichtigung von Kosten für Unterkunft und Heizung in Höhe von nur noch 502,50 [X.] monatlich (Bescheid vom [X.]).

4

Auf den Antrag der Kläger vom 23.9.2007 auf Rücknahme des [X.] vom [X.] bewilligte die Beklagte mit Bescheid vom 27.8.2008 für die [X.] bis 31.12.2006 als Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem [X.] ua Kosten für Unterkunft und Heizung in Höhe von 547,11 [X.] monatlich und wies den Widerspruch im Übrigen als unbegründet zurück (Bescheid vom 6.12.2007; Widerspruchsbescheid vom [X.]).

5

Das [X.] hat den Bescheid der Beklagten vom 6.12.2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom [X.] aufgehoben und die Beklagte unter Änderung der Bescheide vom [X.] und 27.8.2008 verurteilt, "den Klägern zu 1 bis 3 - jeweils für den Zeitraum vom 1. Juli 2006 bis 31. Dezember 2006 - Kosten der Unterkunft und Heizung von weiteren 156,38 [X.] zu zahlen" (Urteil vom [X.]). Zur Begründung seiner Entscheidung hat das [X.] ausgeführt, die Beklagte habe bei Erlass des Bescheids vom [X.] das Recht unrichtig angewandt, weil die Kläger Anspruch auf Übernahme ihrer tatsächlichen Aufwendungen für Unterkunft und Heizung hätten. Zwar sei die von den Klägern bewohnte Wohnung zu groß; sie entspreche jedoch dem Produkt aus angemessener Wohnfläche und Standard, der sich in der Wohnungsmiete niederschlage. Da für den [X.] keine Mietspiegel, Mietdatenbanken oder ein schlüssiges Konzept der Beklagten zu den örtlichen Wohnraummieten vorlägen, sei auf die rechte Spalte der Tabelle zu § 8 [X.] ([X.]) zurückzugreifen. Es sei der für einen Vier-Personen-Haushalt geltende Höchstbetrag der Wohngeldtabelle (505 [X.] einschließlich Nebenkosten ohne Heizung) zu berücksichtigen, weil sich andernfalls die Privilegierung von Alleinerziehenden nach den Wohnraumförderbestimmungen finanziell nicht auswirke. Dieser [X.] sei um [X.] zu erhöhen, sodass Unterkunftskosten (ohne Heizung) in Höhe von 555,50 [X.] angemessen seien. Die tatsächlichen Aufwendungen der Kläger seien daher in voller Höhe zu übernehmen. Auch die Heizkosten in Höhe von 81 [X.] monatlich seien angemessen, weil diese unter 1 [X.] je (angemessenem) Quadratmeter lägen.

6

Mit ihrer Sprungrevision rügt die Beklagte eine Verletzung des § 44 [X.]B X. Dessen Anwendung auf die Kosten für Unterkunft und Heizung sei nicht möglich. Das sozialhilferechtliche Prinzip der Gegenwärtigkeit (keine Sozialhilfe für die Vergangenheit) sei auf das Gebiet des [X.] zu übertragen, soweit keine pauschalierten Leistungen, sondern tatsächliche Aufwendungen - hier Kosten der Unterkunft und Heizung - bewilligt würden. Insofern hänge die Bewilligung vom Vorliegen einer gegenwärtigen Notlage ab. Eine nachträgliche Bewilligung von Leistungen für die Vergangenheit sei ausgeschlossen. Bei der Bestimmung der angemessenen Wohnfläche sei der absolute und uneingeschränkte Rückgriff auf die Wohnraumförderbestimmungen des [X.] zu weitgehend. Auch sei bei der Bestimmung der angemessenen Wohnfläche auf die Personenzahl, nicht jedoch ohne weitere Begründung allein auf die Situation als Alleinerziehende abzustellen.

7

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des [X.] vom [X.] aufzuheben und die Klage abzuweisen.

8

Die Kläger beantragen sinngemäß,

die Revision der Beklagten zurückzuweisen.

9

Sie halten die Ausführungen des [X.] für zutreffend.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Sprungrevision (§ 161 [X.]G) der Beklagten ist nicht begründet. Das [X.] hat die Beklagte zu Recht verurteilt, Leistungen für Kosten der Unterkunft und Heizung in Höhe ihrer tatsächlichen Aufwendungen zu zahlen. Die Kürzung der Kosten für Unterkunft und Heizung war rechtswidrig, weil die Kläger aufgrund des Inhalts der Kostensenkungsaufforderung in dem Bescheid vom [X.] in dem hier streitigen [X.]raum keine Kostensenkungsobliegenheit iS des § 22 Abs 1 [X.]B II traf. Neben der anfänglichen Rechtswidrigkeit liegen auch die weiteren Voraussetzungen des § 44 [X.]B X für die Rücknahme der ursprünglichen Bewilligungsbescheide und Nachzahlung der gekürzten Aufwendungen für Unterkunft und Heizung vor.

Gegenstand des Verfahrens ist der Bescheid der Beklagten vom 6.12.2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom [X.] (§ 95 [X.]G), mit dem die Beklagte die Korrektur der den [X.]raum vom [X.] bis 31.12.2006 betreffenden bestandskräftigen Bescheide abgelehnt hat. Streitig sind allein Leistungen für Unterkunft und Heizung nach § 22 [X.]B II, weil die Kläger ihr Klagebegehren zulässigerweise auf diese Leistungen beschränkt haben (vgl B[X.] Urteil vom 7.11.2006 - B 7b [X.] - B[X.]E 97, 217 = [X.]-4200 § 22 [X.], jeweils Rd[X.]8).

Der Anspruch der Kläger auf (teilweise) Rücknahme der Bewilligungsbescheide vom [X.] und 27.8.2008 ergibt sich aus § 40 Abs 1 Satz 1 [X.]B II iVm § 44 [X.]B X. § 44 Abs 1 Satz 1 [X.]B X bestimmt, dass ein Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen ist, soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei Erlass dieses Verwaltungsakts das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht worden sind. Ist ein Verwaltungsakt mit Wirkung für die Vergangenheit zurückgenommen worden, werden Sozialleistungen nach den Vorschriften der besonderen Teile dieses Gesetzbuchs längstens für einen [X.]raum bis zu vier Jahren vor der Rücknahme erbracht (§ 44 Abs 4 Satz 1 [X.]B X).

Die Bewilligungsbescheide vom [X.] und 27.8.2008 waren anfänglich, dh nach der im [X.]punkt ihrer Bekanntgabe gegebenen Sach- und Rechtslage (vgl B[X.] Urteil vom 1.12.1999 - [X.] RJ 20/98 R - B[X.]E 85, 151, 153 = [X.] 3-2600 § 300 [X.]5), rechtswidrig iS des § 44 Abs 1 Satz 1 [X.]B X, weil die Kläger in dem [X.]raum vom [X.] bis 31.12.2006 Anspruch auf Übernahme der Kosten für Unterkunft und Heizung in tatsächlicher Höhe von 625,30 Euro und nicht nur in reduzierter Höhe von 547,11 Euro hatten. Nach den Feststellungen des [X.] waren sie (weiterhin) Berechtigte iS des § 7 Abs 1 [X.]B II, weil sie das 15. Lebensjahr, nicht jedoch das 65. Lebensjahr vollendet hatten (Abs 1 Satz 1 [X.]), erwerbsfähig (Abs 1 Satz 1 [X.] 2) und in dem streitigen [X.]raum auch durchgehend hilfebedürftig (Abs 1 Satz 1 [X.] 3) waren.

Zwar ist der Grundsicherungsträger nach § 22 Abs 1 Satz 1 [X.]B II grundsätzlich nur verpflichtet, die angemessenen Unterkunftskosten zu übernehmen. Es kann hier jedoch dahingestellt bleiben, ob das [X.] die Höhe der angemessenen Kosten für Unterkunft und Heizung zutreffend ermittelt hat, weil die Absenkung dieser Leistungen von der Höhe der tatsächlichen Aufwendungen auf die nach Ansicht des [X.] angemessenen Kosten voraussetzt, dass den Hilfebedürftigen eine Kostensenkungsobliegenheit trifft (vgl Urteil des Senats vom 17.12.2009 - [X.] AS 19/09 R - zur Veröffentlichung in B[X.]E und [X.] vorgesehen; B[X.] Urteil vom 19.2.2009 - [X.] AS 30/08 R - B[X.]E 102, 263, zur Veröffentlichung in [X.] vorgesehen). Nach § 22 Abs 1 Satz 2 [X.]B II idF des [X.] am Arbeitsmarkt vom 24.12.2003 ([X.] 2954) bzw - ab 1.8.2006 - § 22 Abs 1 Satz 3 [X.]B II idF des Gesetzes zur Fortentwicklung der Grundsicherung für Arbeitsuchende vom [X.] ([X.] 1706) sind die Aufwendungen für die Unterkunft, soweit sie den der Besonderheit des Einzelfalls angemessenen Umfang übersteigen, als Bedarf des allein stehenden Hilfebedürftigen oder der Bedarfsgemeinschaft so lange zu berücksichtigen, wie es dem allein stehenden Hilfebedürftigen oder der Bedarfsgemeinschaft nicht möglich oder nicht zuzumuten ist, durch einen Wohnungswechsel, durch Vermieten oder auf andere Weise die Aufwendungen zu senken, in der Regel jedoch längstens für sechs Monate. Subjektiv möglich im Sinne dieser Regelung sind einem Hilfebedürftigen [X.] jedoch nur dann, wenn er Kenntnis davon hat, dass ihn die Obliegenheit trifft, derartige Maßnahmen zu ergreifen (B[X.] Urteil vom 17.12.2009 - [X.] AS 19/09 R - Rd[X.]5, zur Veröffentlichung in [X.] vorgesehen). Aufgrund des unklaren Inhalts des Zusatzes zur Kostensenkung in dem Bescheid vom [X.] ist dies vorliegend nicht der Fall.

Der in dem Bewilligungsbescheid der Beklagten vom [X.] enthaltene Zusatz vermittelte die erforderliche Kenntnis von [X.] nicht, weil er keine Angaben der Beklagten zu dem von ihr als angemessen erachteten Mietpreis enthielt. Zwar normiert § 22 Abs 1 Satz 2 [X.]B II aF bzw § 22 Abs 1 Satz 3 [X.]B II keine umfassenden Beratungs- und Aufklärungspflichten der Beklagten über die Obliegenheiten des Leistungsempfängers bei der Suche nach einer anderen, angemessenen Unterkunft und stellt auch keine sonstigen überhöhten inhaltlichen oder formellen Anforderungen an diese Erklärung des [X.]B II-Trägers. Die Aufklärungs- und Warnfunktion einer Kostensenkungsaufforderung (B[X.] Urteil vom 7.11.2006 - B 7b [X.]/06 R - B[X.]E 97, 231 = [X.]-4200 § 22 [X.] 2, jeweils Rd[X.] 29) erfordert aber, dass der aus Sicht des [X.] angemessene Mietpreis angegeben wird, weil dies nach der Produkttheorie der entscheidende Maßstab zur Beurteilung der Angemessenheit ist (B[X.] Urteil vom 17.12.2009 - [X.] AS 19/09 R - Rd[X.]6, zur Veröffentlichung in B[X.]E und [X.] vorgesehen; vgl auch B[X.] Urteil vom 19.2.2009 - [X.] AS 30/08 R - B[X.]E 102, 263 Rd[X.] 40; vgl auch B[X.] Urteil vom [X.] - B 14 AS 14/08 R - Rd[X.] 28, zur Veröffentlichung in [X.] vorgesehen, zu widersprüchlichen Angaben der Beklagten zur Höhe der angemessenen Unterkunftskosten). Nur wenn der Hilfebedürftige die Differenz zwischen den tatsächlichen Kosten der Unterkunft und den Angaben des [X.] zu dem von ihm als angemessen angesehenen Mietpreis kennt - dies ist zugleich der rechtfertigende Grund für eine Kostensenkungsaufforderung mit ggf weitreichenden Folgen bis zum Verlust der bisherigen Wohnung als Lebensmittelpunkt - kann der Hilfebedürftige entscheiden, welche Maßnahmen einer Kostensenkung er ergreifen kann bzw will (vgl zu den verschiedenen [X.] B[X.] Urteil vom 19.2.2009 - [X.] AS 30/08 R - B[X.]E 102, 263 Rd[X.] 30). Da es sich bei der von der Rechtsprechung näher konkretisierten Kostensenkungsaufforderung wegen ihres engen Zusammenhangs mit dem Leistungsrecht der Unterkunfts- und Heizungskosten nach dem [X.]B II um eine Regelung des materiellen Rechts handelt, kann von vornherein kein im Rahmen des § 44 [X.]B X nur eingeschränkt korrigierbarer Verfahrensfehler vorliegen (vgl hierzu Steinwedel in [X.] Komm, § 44 [X.]B X Rd[X.] 31 ff, Stand Mai 2006; B[X.] Urteil vom 28.5.1997 - 14/10 [X.] 25/95 - [X.] 3-1300 § 44 [X.] 21 S 45).

Auch die weiteren Voraussetzungen für den sich aus § 40 Abs 1 Satz 1 [X.]B II iVm § 44 Abs 1 und 4 [X.]B X ergebenden Anspruch der Kläger auf Rücknahme der teilweise rechtswidrigen Bewilligungsbescheide, auf Neubescheidung nach § 44 Abs 1 Satz 1 [X.]B X sowie auf Nachzahlung der anfänglich zu gewährenden höheren Leistungen nach § 44 Abs 4 Satz 1 [X.]B X liegen vor. Den Klägern sind iS des § 44 Abs 1 Satz 1 [X.]B X wegen der rechtswidrigen Kürzung der Kosten für Unterkunft und Heizung Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht worden. Hinsichtlich der Miet- und Heizkosten bestand in dem streitigen [X.]raum vom [X.] bis 31.12.2006 bei [X.] Hilfebedürftigkeit der Kläger ein tatsächlicher ungedeckter Bedarf in der vom L[X.] festgestellten (§ 163 [X.]G) mietvertraglich vereinbarten Höhe.

Die in § 40 Abs 1 Satz 2 [X.] [X.]B II iVm § 330 Abs 1 [X.]B III für die Rücknahme eines rechtswidrigen nicht begünstigenden Verwaltungsakts mit Wirkung für die Vergangenheit gesetzlich normierten Ausnahmen liegen nicht vor. Hiernach ist für Fallgestaltungen, in denen der Verwaltungsakt auf einer Rechtsnorm beruht, die nach Erlass des Verwaltungsakts für nichtig oder für unvereinbar mit dem Grundgesetz erklärt oder in ständiger Rechtsprechung anders als durch die [X.] ausgelegt worden ist, bestimmt, dass dieser Verwaltungsakt nur mit Wirkung für die [X.] nach der Entscheidung des [X.] oder ab dem Bestehen der ständigen Rechtsprechung zurückzunehmen ist. Die für eine zeitlich eingeschränkte Rücknahme nach § 40 Abs 1 Satz 2 [X.] [X.]B II iVm § 330 Abs 1 [X.]B III allein in Betracht kommende zweite Alternative scheitert schon daran, dass eine einheitliche Praxis der Leistungsträger des [X.]B II bezogen auf den notwendigen Inhalt von Kostensenkungsaufforderungen nicht existiert (vgl zB zu Dienstanweisungen der [X.]: B[X.] Urteil vom 29.6.2000 - B 11 AL 99/99 R - [X.] 3-4100 § 152 [X.]0 S 36 f; siehe hierzu auch [X.] in [X.]/Spellbrink, [X.]B II, 2. Aufl 2008, § 40 Rd[X.] 57).

Auch soweit § 44 Abs 4 [X.]B X die Rücknahme und Nachzahlung von Sozialleistungen neben der zeitlichen Begrenzung auf einen [X.]raum von bis zu vier Jahren vor der Rücknahme durch das jeweilige materielle Sozialleistungsrecht ("nach den Vorschriften der besonderen Teile dieses Gesetzbuches") beschränkt, ergeben sich bei den hier als Verwaltungsakt mit Dauerwirkung bewilligten Leistungen für Unterkunft und Heizung keine § 40 Abs 1 Satz 1 [X.]B II iVm § 44 [X.]B X verdrängenden Besonderheiten des [X.]B II (§ 37 Satz 1 Halbs 1 [X.]B I), aus denen sich - auch ohne ausdrückliche Anordnung des Gesetzgebers - ableiten lässt, dass die Rücknahme- und [X.] nach § 44 [X.]B X für die erfassten Sachverhalte (teilweise) eigenständig und abweichend festgelegt werden sollten (vgl zur Sozialhilfe: B[X.] Urteil vom [X.] - B 8 [X.] 16/08 R - B[X.]E 104, 213 = [X.]-1300 § 44 [X.] 20; siehe auch B[X.] Urteil vom 31.1.2002 - B 13 RJ 23/01 R - B[X.]E 89, 151, 154 = [X.] 3-1300 § 44 [X.] 34 S 73 f). Vielmehr folgt aus der Ausgestaltung des § 40 [X.]B II, dass der Gesetzgeber des [X.]B II den Berechtigten grundsätzlich auch im [X.]B II so stellen wollte, als hätte die Verwaltung von vornherein richtig entschieden. Dem Hilfebedürftigen sollen diejenigen Leistungen zukommen, die ihm nach materiellem Recht zugestanden hätten (sog [X.] vgl zB B[X.] Urteil vom 1.12.1999 - [X.] RJ 20/98 R - B[X.]E 85, 151, 159 = [X.] 3-2600 § 300 [X.]5; B[X.] Urteil vom [X.] - B 9 V 16/96 R - B[X.] [X.] 3-1300 § 44 [X.]B X [X.] 24 S 57).

Zwar sind die Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem [X.]B II grundsätzlich von einer aktuellen, nicht anderweitig zu [X.] Hilfebedürftigkeit (§ 3 Abs 3 Satz 1 [X.]B II, § 9 [X.]B II) abhängig. Anders als die Leistungen nach dem [X.] werden sie aber nur auf Antrag (§ 37 [X.]B II) erbracht. Die Bewilligung der Kosten für Unterkunft und Heizung für einen [X.]raum von regelmäßig sechs Monaten (§ 41 Abs 1 Satz 4 [X.]B II) verdeutlicht, dass nicht nur hinsichtlich der pauschalierten Regelleistung, sondern auch bezogen auf die Kosten für Unterkunft und Heizung eine Bedarfsdeckung nicht nur wegen eines gegenwärtigen, sondern auch wegen eines prognostischen zukünftigen Hilfebedarfs im Wege der Bewilligung einer Dauerleistung stattfindet und insofern bereits normativ eine Einschränkung von dem in der Vergangenheit für die Sozialhilfe vertretenen Konzept einer "Nothilfe" vorliegt (vgl auch [X.] in Lehr- und Praxiskommentar zum [X.]B X, 2. Aufl 2007, § 44 Rd[X.] 3c). Vor diesem Hintergrund lässt § 40 Abs 1 [X.]B II mit seinem ausdrücklichen Verweis auf die Anwendbarkeit der Vorschriften des [X.] (Satz 1) und seiner abschließenden Bezugnahme nicht auf sozialhilferechtliche Grundsätze, sondern auf die in § 330 [X.]B III für das Arbeitsförderungsrecht geltenden Besonderheiten für die Aufhebung von Verwaltungsakten (vgl auch [X.] in [X.]/Spellbrink, [X.]B II, 2. Aufl 2008, § 40 Rd[X.] 5) weitere, gesetzlich nicht normierte Einschränkungen für eine Rücknahme anfänglich rechtswidriger Verwaltungsakte nach § 44 [X.]B X im vorliegenden Zusammenhang der als Verwaltungsakt mit Dauerwirkung bewilligten Kosten für Unterkunft und Heizung nicht zu.

[X.] beruht auf § 193 [X.]G.

Meta

B 4 AS 78/09 R

01.06.2010

Bundessozialgericht 4. Senat

Urteil

Sachgebiet: AS

vorgehend SG Braunschweig, 9. September 2009, Az: S 33 AS 2716/08, Urteil

§ 22 Abs 1 S 1 SGB 2, § 22 Abs 1 S 2 SGB 2 vom 24.12.2003, § 22 Abs 1 S 3 SGB 2 vom 20.07.2006, § 37 SGB 2, § 40 Abs 1 S 1 SGB 2, § 40 Abs 1 S 2 Nr 1 SGB 2, § 330 Abs 1 SGB 3, § 44 Abs 1 S 1 SGB 10, § 44 Abs 4 S 1 SGB 10, § 37 S 1 SGB 1

Zitier­vorschlag: Bundessozialgericht, Urteil vom 01.06.2010, Az. B 4 AS 78/09 R (REWIS RS 2010, 6214)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2010, 6214

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