Bundesgerichtshof, Urteil vom 08.12.2022, Az. X ZR 122/20

10. Zivilsenat | REWIS RS 2022, 7796

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Tenor

Die Berufung gegen das Urteil des 1. Senats ([X.]) des [X.] vom 29. Juli 2020 wird auf Kosten der Beklagten zurückgewiesen.

Von Rechts wegen

Tatbestand

1

Die Beklagte ist Inhaberin des [X.] 036 730 (Streitpatents), das am 29. Juli 2010 unter Inanspruchnahme der Priorität eines Gebrauchsmusters vom 28. September 2009 angemeldet wurde und ein [X.] betrifft. Patentanspruch 1, auf den sieben Ansprüche zurückbezogen sind, lautet:

[X.], mit einem einen Unter- und einen Oberboden (5, 4) sowie Seitenwände aufweisenden Korpus (1) und mindestens einer in einer am Oberboden (4) vorgesehenen Laufschiene (7) geführten, in ihrer Breite die zugeordneten Kanten des Ober- und Unterbodens (4, 5) überdeckenden Schiebetür (2), dadurch gekennzeichnet, dass die am Oberboden (4) angeordnete Laufschiene (7) an dessen dem Innenraum des Korpus (1) zugewandten Innenseite befestigt ist und zumindest eine weitere, dann innen liegende Schiebetür (3) vorgesehen ist und die innen liegende Schiebetür (3) in einer Laufschiene (7) geführt ist, die an der dem Innenraum des Korpus (1) zugewandten Unterseite des [X.] (4) angeordnet ist, wobei zur Verbindung der Laufrollen (8) mit der innen liegenden Schiebetür (3) ein Winkel (10) an der Schiebetür (3) angeschlossen ist, mit einem die Laufrollen (8) haltenden Befestigungsmittel.

2

Die Klägerin macht geltend, der Gegenstand des Streitpatents gehe über den Inhalt der ursprünglich eingereichten Anmeldung hinaus und sei nicht patentfähig. Zudem sei die Erfindung nicht so offenbart, dass ein Fachmann sie ausführen könne. Die Beklagte hat das Schutzrecht in der erteilten Fassung und hilfsweise in vier geänderten Fassungen verteidigt.

3

Das Patentgericht hat das Streitpatent für nichtig erklärt. Mit ihrer dagegen gerichteten Berufung verteidigt die Beklagte das Streitpatent wie erteilt und hilfsweise in fünf abermals geänderten Fassungen. Die Klägerin tritt dem Rechtsmittel entgegen.

Entscheidungsgründe

4

Die Berufung der Beklagten ist zulässig, bleibt in der Sache jedoch ohne Erfolg.

5

I. [X.] betrifft ein [X.] mit mindestens einer Schiebetür.

6

1. Nach der Beschreibung überdeckt eine solche Schiebetür jedenfalls bereichsweise die Zugriffsöffnung des [X.]s.

7

Liege die Schiebetür außen, habe das den Vorteil, dass kein Innenraum des Korpus beansprucht werde. Zudem könne die Tür als gestalterisches Element eingesetzt werden. Sie könne die Zugriffsöffnung so weit überdecken, dass sie im Wesentlichen bündig mit den Außenseiten des Ober- und Unterbodens abschließe. Teilweise wiesen solche [X.] weitere außen oder im Korpus liegende Schiebetüren auf (Abs. 2 f.).

8

Bei den im Stand der Technik bekannten Konstruktionen sei die Laufschiene für eine außen liegende Schiebetür an der Außenseite des [X.] angebracht. Dies beeinträchtige den gestalterischen Gesamteindruck. Zudem könne eine Verschmutzung der Laufschiene die Funktionsfähigkeit der Schiebetür beeinträchtigen.

9

2. Vor diesem Hintergrund liegt dem Streitpatent das technische Problem zugrunde, ein solches [X.] so weiter zu entwickeln, dass seine Funktionssicherheit mit geringem Aufwand verbessert wird.

3. Zur Lösung dieser Aufgabe schlägt Patentanspruch 1 eine Vorrichtung vor, deren Merkmale sich wie folgt gliedern lassen (abweichende Merkmalsgliederung des Patentgerichts in eckigen Klammern):

[X.] [M0]

1. mit einem Korpus, der einen Unter- und einen Oberboden (5, 4) sowie Seitenwände aufweist, [M1]

2. mit mindestens einer Schiebetür, [M2]

2.1 die in ihrer Breite die zugeordneten Kanten des Ober- und Unterbodens (4, 5) überdeckt, [[X.]]

2.2 die in einer Laufschiene (7) geführt wird, [[X.]] wobei

2.3 die Laufschiene (7) am Oberboden (4) angeordnet und an dessen dem Innenraum des Korpus (1) zugewandten Innenseite befestigt ist. [[X.].1]

3. Es ist zumindest eine weitere, dann innen liegende Schiebetür (3) vorgesehen, [M3]

3.1 die in einer Laufschiene (7) geführt ist, [[X.]] wobei

3.2 die Laufschiene (7) an der dem Innenraum des Korpus (1) zugewandten Unterseite des [X.] (4) angeordnet ist. [[X.].1]

4. Zur Verbindung der Laufrollen (8) mit der innen liegenden Schiebetür ist an diese ein Winkel (10) angeschlossen [M3.b]

4.1 wobei der Winkel (10) die Laufrollen (8) haltende Befestigungsmittel aufweist. [M3.b.1]

4. Einige Merkmale bedürfen der Erläuterung:

a) Der Oberboden im Sinne der Merkmale 2.1, 2.3 und 3.2 [[X.], [X.].1 und [X.].1] bildet gemäß Merkmal 1 einen Teil des Korpus, der außerdem zumindest einen Unterboden und Seitenwände umfasst.

Der Korpus bezeichnet nach der Feststellung des Patentgerichts die tragenden Teile eines Möbels. Bei einem Schrank definiert er zugleich dessen Innenraum.

Der Oberboden schließt den Korpus nach oben ab. Aus der Vorgabe, dass er einen Teil des Korpus bildet, ergibt sich, dass er zu den tragenden und den Innenraum definierenden Teilen gehört. Der Oberboden muss mithin mit den Seitenwänden und - über diese - mit dem Unterboden verbunden sein. An der Oberseite angebrachte Platten, die zur tragenden Funktion nichts beitragen, gehören nicht zum Oberboden.

Ob der Oberboden zwischen den Seitenwänden angeordnet ist oder auf diesen aufliegt, gibt der Anspruch nicht vor. Patentanspruch 1 legt ferner nicht zwingend fest, dass der Oberboden einteilig ausgebildet ist.

b) Das [X.] umfasst mindestens zwei Schiebetüren, von denen eine gemäß Merkmal 3 innenliegend ist und die andere gemäß Merkmal 2.1 die zugeordneten Kanten des Ober- und Unterbodens überdeckt.

aa) Aus dieser Gegenüberstellung ergibt sich, dass die in [X.] 2 vorgesehene Tür weiter außen angebracht sein muss als die in [X.] 3 vorgesehene Tür.

bb) Entgegen der Auffassung des Patentgerichts beschränkt sich die Vorgabe aus Merkmal 3 jedoch nicht auf diese relative Zuordnung der beiden Türen.

Aus der Gegenüberstellung der Merkmale 3 und 2.1 ergibt sich vielmehr, dass die innere Schiebetür zumindest teilweise hinter der Stirnseite des [X.] verlaufen muss.

Dies steht in Einklang mit der Beschreibung. Dort wird eine Schiebetür, die im Korpus geführt wird, als innen liegende Schiebetür bezeichnet (Abs. 6). Dem wird eine außen liegende Schiebetür gegenübergestellt, die keinen Innenraum des Korpus beansprucht (Abs. 3).

Darüber hinaus wird ausgeführt, die [X.] Gebrauchsmusterschrift 203 19 129 ([X.]), deren Figur 3 nebenstehend wiedergegeben ist, zeige zwei außen liegende Schiebetüren (Abs. 9).

   

   

In der Beschreibung von [X.] werden die beiden Türen als außen liegende Schiebetür (21) ([X.]. 2 oben) und innere Schiebetür (39) ([X.]. 2 unten) bezeichnet.

   

   

[X.] verwendet eine abweichende Terminologie. Dem ist zu entnehmen, dass die relative Zuordnung zweier Türen nach dem Verständnis des Streitpatents nicht ausreicht, um eine Tür als innen liegend zu bezeichnen.

Abbildung

cc) Ob die innen liegende Schiebetür im Sinne von Merkmal 3 auch hinter der Stirnseite des Unterbodens verlaufen muss, lässt Patentanspruch 1 hingegen offen.

Dies ergibt sich aus den Ausführungen im Streitpatent zu der [X.] Patentanmeldung 984 126 ([X.]) und der [X.] Patentschrift 691 754 ([X.]). Diese [X.] zeigen in Figur 2 ([X.]) bzw. Figur 1 ([X.]) jeweils zwei Türen, die hinter der Stirnseite des [X.] und vor der Stirnseite des Unterbodens verlaufen.

AbbildungAbbildung

[X.] bezeichnet diese Türen als innen liegend (Abs. 6).

c) Aus der in Merkmal 2.1 normierten Anforderung, dass die äußere der beiden Schiebetüren die zugeordneten Kanten des Ober- und Unterbodens überdeckt, ergibt sich, dass sie die Stirnseiten der beiden Böden jeweils in voller Höhe abdecken muss, denn die beiden Kanten jeder Stirnseite befinden sich am oberen und unteren Rand derselben.

Merkmal 2.1 sieht darüber hinaus vor, dass sich diese Überdeckung über die gesamte Breite der Tür erstreckt.

Nicht ausgeschlossen ist, dass sich die Schiebetür nach oben oder nach unten über die äußere Kante des jeweiligen Bodens hinaus erstreckt.

d) Die außen und die innen liegende Schiebetür werden nach den Merkmalen 2.2 und 3.1 jeweils in einer Laufschiene geführt. Diese befindet sich nach den Merkmalen 2.3 und 3.2 an der dem Innenraum des Korpus zugewandten Seite des [X.].

aa) Die Laufschiene für die außen liegende Schiebetür ist nach Merkmal 2.3 am Oberboden angeordnet und an dessen Innenseite befestigt.

Durch die Befestigung an der Innenseite des [X.] soll nach der Lehre des Streitpatents erreicht werden, dass die Laufschiene verdeckt angebracht und besser vor Verschmutzung geschützt ist (Abs. 12 f.).

Merkmal 2.3 gibt nicht vor, dass die Befestigung unmittelbar an der Unterseite des [X.] erfolgt, sondern umfasst auch eine Befestigung der Laufschiene in einer Nut, wie sie das Ausführungsbeispiel nach Figur 2 der Streitpatentschrift zeigt.

Abbildung

Auch hinsichtlich der Art der Befestigung sind Merkmal 2.3, wie das Patentgericht zutreffend angenommen hat, keine näheren Vorgaben zu entnehmen. Danach ist nicht ausschlaggebend, ob die Laufschiene mittels vertikal verlaufender Schrauben befestigt ist. Der Anspruch umfasst auch andere Arten der Befestigung, etwa durch Verkleben oder durch eine Rastverbindung mit den Seitenwänden der Nut.

Dieses Verständnis wird durch die Beschreibung des Streitpatents bestätigt, wonach bereits [X.] eine an der Innenseite des [X.] angeordnete Führungsschiene zeigt. Die Figur 1 dieser Entgegenhaltung zeigt zwei Laufschienen, die jeweils an der Innenseite des [X.] in einer Nut angeordnet und befestigt sind. Nach der Beschreibung der [X.] können die Laufschienen durch Kleben, Schrauben oder geeignet ausgebildete, selbsthemmende Verrastung befestigt sein ([X.]. 2 Z. 20-23).

bb) Die Vorgaben für die beiden Türen sind trotz der in Details unterschiedlichen Formulierungen in den Merkmalen 2.3 und 3.2 in der Sache inhaltsgleich.

(1) Die dem Innenraum zugewandte Seite des [X.] ist gleichermaßen dessen Innen- und dessen Unterseite.

(2) Ein sachlicher Unterschied ergibt sich auch nicht daraus, dass die Befestigung der Laufschiene in Merkmal 3.2 nicht ausdrücklich erwähnt ist.

Eine Befestigung der Laufschiene für die innere Tür wäre allenfalls dann entbehrlich, wenn sie als integraler Bestandteil in den Oberboden eingearbeitet wäre. Die Beschreibung des Streitpatents geht aber bezüglich beider Laufschienen davon aus, dass es sich um gesonderte Bauteile handelt (Abs. 5, 6, 12, 14, 17, 20). Folglich müssen beide am Oberboden befestigt werden.

e) Ein Winkel im Sinne von Merkmal 4 ist ein Bauteil, das mindestens zwei Schenkel aufweist, die in einem Winkel zueinander angeordnet sind.

Weitere Vorgaben, etwa über die Verbindung zwischen Winkel und Schiebetür, die konkrete Gestalt des Winkels oder die Anzahl der Schenkel, sind Patentanspruch 1 nicht zu entnehmen.

Wie das Patentgericht zutreffend angenommen hat, legt Merkmal 4 auch nicht fest, dass die Verbindung zwischen Schiebetür und Laufrollen nur über einen einzigen Winkel hergestellt wird oder dass zur Verbindung keine weiteren Elemente verwendet werden dürfen.

II. Das Patentgericht hat seine Entscheidung im Wesentlichen wie folgt begründet:

Bei der Prüfung der Patentfähigkeit sei auch Merkmal 2.1 zu berücksichtigen. Diesem Merkmal komme technische Bedeutung zu, denn es trage dazu bei, die Laufschiene vor Verschmutzung zu schützen.

Ob der Gegenstand von Patentanspruch 1 in der erteilten Fassung neu sei, könne offenbleiben, weil er jedenfalls nahegelegen habe. Als Ausgangspunkt sei dabei die vor dem [X.] der Öffentlichkeit zugängliche Montageanleitung zu dem Möbelsystem "Slide" ([X.]) anzusehen.

[X.] offenbare Merkmal 2.1 allerdings nicht vollständig. Den Bildern sei zwar zu entnehmen, dass die außen liegende, dort als "vorlaufend" bezeichnete Schiebetür die Stirnseite des [X.] überdecke. Sie zeigten aber nicht, dass dies auch für den Unterboden gelte. Sofern der Fachmann dies nicht einfach mitlese, stelle eine entsprechende Gestaltung in Bezug auf den Unterboden doch jedenfalls eine dem Fachmann präsente Alternative zur freien Auswahl dar. Eine solche Gestaltung gehe daher über rein handwerkliches Vorgehen nicht hinaus.

Auch Merkmal 2.3 sei in [X.] nicht offenbart. Der Entgegenhaltung sei nicht zu entnehmen, dass die Laufschiene für die außen liegende Tür an der dem Innenraum des Korpus zugewandten Innenseite des [X.] befestigt sei. Dem Fachmann sei jedoch etwa aus der [X.] Patentschrift 695 784 ([X.]) bekannt, wie man eine Laufschiene an einer Deckenplatte eines Möbelstücks befestige. Daher habe es für ihn nahegelegen, diese Lösung auf [X.] zu übertragen.

Der Gegenstand von Patentanspruch 1 in der Fassung der (erstinstanzlichen) Hilfsanträge 1 bis 4 sei ebenfalls nicht patentfähig.

III. Diese Beurteilung hält der Überprüfung im Berufungsverfahren im Ergebnis stand.

1. Der Gegenstand von Patentanspruch 1 ist durch das [X.] "Slide" nicht vollständig vorweggenommen.

a) Nach dem Vortrag der Klägerin, dem die Beklagte nicht entgegengetreten ist, wurde bereits in den Jahren 2005 und 2006 in mehreren [X.] Staaten in erheblicher Stückzahl ein [X.]system mit der Bezeichnung "Slide" vertrieben. Die Klägerin hat hierzu die Montageanleitung ([X.]) und ein Konvolut von Fotografien (RSH40) vorgelegt, die ein Exemplar dieses [X.]s zeigen, das seit 2006 in einem Besuchern zugänglichen Bereich eines zur Unternehmensgruppe des Anbieters gehörenden Unternehmens in [X.]    stand.

Wie in der mündlichen Verhandlung erörtert wurde, ist die Befestigung der Schiebetüren bei dem vorbenutzten [X.]system so ausgestaltet, wie dies aus der nachfolgend in [X.] Fassung ([X.]) dargestellten, auf den 4. Juli 2003 datierten technischen Zeichnung (RSH22) ersichtlich ist. Es weist an der Oberseite zwei Platten auf, von denen die untere in der Zeichnung [X.] nicht koloriert, die obere gelb koloriert ist (nachfolgend: weiße Platte bzw. gelbe Platte).

Abbildung

b) Ein solches Möbel offenbart die Merkmale 1, 2, 2.2, 3 und 3.1.

c) Auch [X.] 4 ist vorweggenommen.

Das in [X.] grün kolorierte Vorrichtungselement besteht aus zwei Schenkeln, die in rechtem Winkel zueinander stehen, und ist an der innen liegenden Schiebetür angebracht. Dass die Schenkel dieses Bauteils in T-Form angeordnet sind, ist unerheblich, weil Merkmal 4 keine besondere Form vorgibt.

Dieser Winkel weist eine Schraube auf, die mit den Laufrollen verbunden ist.

d) Durch die vorbenutzte Ausführungsform ist nicht nur Merkmal 3.2, sondern auch Merkmal 2.3 unmittelbar und eindeutig offenbart.

aa) Anders als die Berufung meint, ist als Oberboden im Sinne von Patentanspruch 1 nicht nur die weiße Platte anzusehen. Vielmehr setzt sich der Oberboden bei dem vorbenutzten [X.] aus der weißen und der gelben Platte zusammen.

Die gelbe Platte reicht nach vorne über die [X.] und über die Oberkante der inneren (in [X.] blau kolorierten) Schiebetür hinweg. An der Rückseite übergreift sie die Rückwand, deren Feder in eine entsprechende Nut an der Unterseite der gelben Platte greift. Die gelbe Platte wird durch Schrauben, die von der Unterseite der weißen Platte eingebracht werden, mit dieser verbunden.

Wie die mündliche Verhandlung ergeben hat, weist das [X.]system "Slide" im montierten Endzustand jeweils ein der gelben Platte entsprechendes Bauteil auf. Unterschiede bestehen nur insoweit, als dieses in seiner Breite teilweise auf einen Korpus beschränkt ist, teilweise mehrere Korpusse übergreift.

bb) [X.] kommt die für eine Einordnung als Oberboden erforderliche tragende Funktion zu.

Ohne Belang ist es insoweit, ob das [X.] auch ohne die gelbe Platte hinreichend stabil wäre. Für die Einordnung der gelben Platte als Bestandteil des [X.] genügt es, dass diese einen Beitrag zu der tragenden Konstruktion leistet. Dieser ergibt sich daraus, dass die gelbe Platte durch Schrauben mit der weißen Platte und über eine [X.] mit der Rückwand verbunden ist und ausreichende Stabilität aufweist, um einen Teil der auftretenden Kräfte zu übernehmen.

cc) Die beiden Laufschienen sind an der Innenseite bzw. Unterseite des [X.] befestigt.

Wie sich aus [X.] ergibt, befindet sich an der Stirnseite der weißen Platte eine [X.]. Eine nach hinten weisende Lasche dieser Schiene liegt auf der weißen Platte auf. Die Schiene ist durch Schrauben, die durch die Lasche greifen und in die weiße Platte eingedreht sind, mit dieser verbunden.

Damit sind beide Laufschienen am Oberboden angeordnet und an dessen dem Innenraum des Korpus zugewandten Innenseite befestigt.

Wie oben ausgeführt wurde, kommt es hierfür nicht darauf an, dass die Laufschiene in vertikaler Richtung an der darüber angeordneten gelben Platte befestigt ist. Auch die aus [X.] ersichtliche Art der Befestigung stellt sicher, dass die Laufschienen an der Unterseite des [X.] und damit verdeckt angebracht sind, besser vor Verschmutzung geschützt und zugleich geeignet sind, als Führung für die Schiebetür zu dienen.

e) Dagegen ist Merkmal 2.1 nicht unmittelbar und eindeutig offenbart.

aa) Entgegen der Auffassung der Klägerin ist Merkmal 2.1 bei der Prüfung der Patentfähigkeit zu berücksichtigen.

Bei der Prüfung einer Erfindung auf Patentfähigkeit sind nur diejenigen Anweisungen zu berücksichtigen, die die Lösung des technischen Problems mit technischen Mitteln bestimmen oder zumindest beeinflussen (vgl. zuletzt [X.], Urteil vom 14. Januar 2020 - [X.], [X.], 599 Rn. 24 - Rotierendes Menü).

Ästhetische Formschöpfungen sind als solche dem Patentschutz nicht zugänglich (§ 1 Abs. 3 Nr. 2 [X.]). Deshalb haben bei der Prüfung der Patentfähigkeit solche Anweisungen als nicht technisch außer Betracht zu bleiben, die nur die ästhetische Gestaltung einer Vorrichtung betreffen.

Die Anweisung, eine Schiebetür so anzuordnen, dass sie in ihrer Breite die zugeordneten Kanten des Ober- und Unterbodens überdeckt, mag auch der ästhetischen Gestaltung eines [X.]s dienen. Sie dient jedoch ausweislich der Beschreibung auch technischen Zwecken. Mit einer solchen Anordnung bleibt der nutzbare Innenraum des Korpus in Gänze erhalten. Zudem führt sie im Zusammenwirken mit den Merkmalen 2.3 und 3.2 zu einem verbesserten Schutz der Laufschienen vor Verschmutzung. Dass ein vergleichbarer Schutz auch auf andere Weise erreicht werden kann, führt nicht zu einer abweichenden Beurteilung.

bb) In RSH22 verläuft die Unterkante der Schiebetür oberhalb der Unterkante des Unterbodens. Damit fehlt es an einer Überdeckung über beide Kanten, wie dies Merkmal 2.1 fordert.

Die Fotografien des in [X.]    ausgestellten Möbelstücks (RSH40) geben insoweit keinen eindeutigen Aufschluss. Zwar könnte insbesondere das erste Foto dafür sprechen, dass auch die Unterkante des Unterbodens überdeckt ist. Aufgrund der gewählten Perspektive lässt jedoch keines der Fotos diesbezüglich eine sichere Schlussfolgerung zu.

2. Eine weitere Aufklärung des Sachverhalts ist entbehrlich. Der Gegenstand von Patentanspruch 1 war im Prioritätszeitpunkt jedenfalls nahelegt.

Zu Recht hat das Patentgericht entschieden, dass es eine Frage der handwerklichen Ausgestaltung war, die Unterkante der äußeren Schiebetür noch etwas weiter nach unten zu ziehen, als dies in RSH22 offenbart ist.

Ein solches Vorgehen kommt insbesondere dann ohne weiteres in Betracht, wenn der Unterboden nicht auf dem Boden aufliegt, sondern auf Füßen oder einem Sockel ruht. Entsprechende Gestaltungen waren im Stand der Technik verbreitet, wie dies etwa die Figur 2 der [X.] Patentanmeldung 984 126 ([X.]), die Figur 3 des [X.]n Gebrauchsmusters 203 19 129 ([X.]), die Figur 1 des [X.] Patents 691 754 ([X.]) und die auf den Seiten 10 und 12 gezeigten Ausführungsformen im Prospekt der [X.] ([X.]) belegen.

3. Die Verteidigung des Streitpatents mit den [X.] 1 bis 5 ist zulässig, vermag der Berufung jedoch ebenfalls nicht zum Erfolg zu verhelfen.

a) Die erstmals in der Berufungsinstanz gestellten Hilfsanträge 1 bis 5 sind zulässig.

Zwar hat die Klägerin der Verteidigung des Streitpatents in den geänderten Fassungen nicht zugestimmt. Die darin liegende Antragsänderung ist jedoch sachdienlich (§ 116 Abs. 2 Nr. 1 [X.]).

Nach der Rechtsprechung des [X.] ist die erstmals in der Berufungsinstanz geltend gemachte Verteidigung eines Patents in geänderter Fassung in der Regel gemäß § 116 Abs. 2 [X.] zulässig, wenn der qualifizierte Hinweis des Patentgerichts nach § 83 Abs. 1 [X.] der Beklagten günstig war und das Patentgericht sie erst in der mündlichen Verhandlung davon in Kenntnis setzt, dass es an seiner im Hinweisbeschluss geäußerten vorläufigen Einschätzung nicht mehr festhalte.

Im Streitfall hat das Patentgericht in dem gemäß § 83 Abs. 1 [X.] erteilten Hinweis ausgeführt, der Gegenstand des Streitpatents werde durch die Vorbenutzung "Slide" und durch die anderen [X.] weder vorweggenommen noch nahegelegt. Die Beklagte hatte danach keinen Anlass, Hilfsanträge zu stellen.

Anlass zur Prüfung, ob und gegebenenfalls in welcher Form das Streitpatent in geänderter Fassung verteidigt werden soll, bestand erst, nachdem das Patentgericht in der mündlichen Verhandlung erkennen ließ, dass es an der im Hinweis geäußerten Auffassung nicht festhält. Die Beklagte hat dies zwar erkannt und noch in der mündlichen Verhandlung erster Instanz Hilfsanträge gestellt. Dies steht einer zweitinstanzlichen Ergänzung ihrer Anträge jedoch nicht entgegen. Einem Nichtigkeitsbeklagten ist in der genannten Konstellation in der Regel keine Vernachlässigung seiner Pflicht zur Prozessförderung zur Last zu legen, wenn es ihm nicht gelingt, die Überlegungen zu der Frage, welche Hilfsanträge Aussicht auf Erfolg bieten, während der mündlichen Verhandlung vor dem Patentgericht abzuschließen ([X.], Urteil vom 21. Juni 2016 - [X.], [X.], 1038 Rn. 36 ff. - [X.] II).

b) Die mit den [X.] verteidigten Gegenstände sind jedoch ebenfalls nicht patentfähig.

aa) Nach Hilfsantrag 1 weist Patentanspruch 1 in Bezug auf die außen liegende Schiebetür zusätzlich folgendes, die äußere Schiebetür betreffende Merkmal auf:

wobei die jeweilige Außenseite des Unter- und des [X.] bündig mit der zugeordneten Kante der Schiebetür verläuft

Damit sind Ausgestaltungen ausgeschlossen, bei denen die äußere Schiebetür nach oben oder unten über die äußere Kante des Ober- bzw. Unterbodens hinausragt.

Diese Konkretisierung vermag nicht zu einer abweichenden Beurteilung zu führen.

Wie bereits im Zusammenhang mit der erteilten Fassung ausgeführt wurde, lag es im Ermessen des Fachmanns, ob und wie weit die äußere Schiebetür nach oben oder unten über die Konturen des Korpus hinausragt. Angesichts dessen lag es auch nahe, die Tür bündig mit der Außenseite von Ober- und Unterboden auszugestalten.

Ob dem zusätzlichen Merkmal ferner zu entnehmen ist, dass zwischen der Innenseite der außen liegenden Schiebetür und den Vorderkanten des Ober- und des Unterbodens nur ein kleiner [X.]alt bleiben darf, bedarf keiner abweichenden Entscheidung. Die Festlegung dieser [X.]altgröße lag ebenfalls im fachlichen Ermessen.

bb) Nach Hilfsantrag 2 soll Patentanspruch 1 in der Fassung von Hilfsantrag 1 dahin ergänzt werden, dass die außen liegende Schiebetür in ihrer Breite die zugeordneten Kanten des Ober- und Unterbodens vollständig und unmittelbar überdeckt.

Auch damit ist ein Detail beansprucht, dessen Verwirklichung ausgehend von RSH22 und [X.] eine Frage der handwerklichen Ausgestaltung war.

cc) Auch der Gegenstand von Patentanspruch 1 in der Fassung nach Hilfsantrag 3 beruht nicht auf erfinderischer Tätigkeit.

Nach Hilfsantrag 3 soll Patentanspruch 1 in der Fassung von Hilfsantrag 1 am Ende um folgendes Merkmal ergänzt werden:

Die beiden Laufschienen (7) sind als Doppelschiene (6) ausgebildet, die in einer in den Oberboden (4) eingelassenen Nut einliegen.

Die Anordnung einer zwei Führungsstränge aufweisenden [X.] in einer Nut war im Stand der Technik bekannt ([X.], S. 2 Abs. 2). Zwar ist dort nur eine Befestigung mit Schrauben erwähnt, doch waren dem Fachmann, wie sich aus [X.] ergibt ([X.]. 2 Z. 20-23), andere Formen der Befestigung einer Laufschiene in einer Nut, etwa durch Einkleben oder selbsthemmende Verrastung, bekannt. Die Wahl zwischen einer Anordnung einer Doppelschiene im Falz eines aus zwei übereinanderliegenden Platten bestehenden [X.] oder in einer Nut erforderte vor diesem Hintergrund keine erfinderische Tätigkeit.

dd) Nach Hilfsantrag 4 soll Patentanspruch 1 in der Fassung von Hilfsantrag 3 am Ende um folgendes Merkmal ergänzt werden:

Die innen liegende Schiebetür ist mit einer oberen Kante unterhalb der Laufschiene (7) angeordnet.

Eine solche Anordnung war bereits im Prioritätszeitpunkt üblich, wie sich etwa aus [X.], [X.] und [X.] ergibt. Sie vermag nicht zur Bejahung der erfinderischen Tätigkeit zu führen.

ee) Nach Hilfsantrag 5 soll Patentanspruch 1 in der Fassung von Hilfsantrag 3 am Ende um folgendes Merkmal ergänzt werden:

Zur Verbindung der Laufrollen (8) mit der die Kanten des Ober- und Unterboden (4, 5) überdeckenden Schiebetür (2) ist ein weiterer Winkel (10) angeschlossen mit einem die Laufrollen haltenden Befestigungsmittel

Dieses Merkmal ist ebenfalls durch die vorbenutzte Ausführungsform "Slide" offenbart und damit nicht geeignet, die Patentfähigkeit von Patentanspruch 1 zu begründen.

IV. [X.] beruht auf § 121 Abs. 2 [X.] und § 97 Abs. 1 ZPO.

[X.]     

  

Hoffmann     

  

Deichfuß

  

Marx     

  

Crummenerl     

  

Meta

X ZR 122/20

08.12.2022

Bundesgerichtshof 10. Zivilsenat

Urteil

Sachgebiet: ZR

vorgehend BPatG München, 29. Juli 2020, Az: 1 Ni 7/19, Urteil

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Urteil vom 08.12.2022, Az. X ZR 122/20 (REWIS RS 2022, 7796)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2022, 7796

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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