Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 06.10.2005, Az. IX ZR 111/02

IX. Zivilsenat | REWIS RS 2005, 1489

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[X.]IM NAMEN DES VOLKES URTEIL [X.]
Verkündet am: 6. Oktober 2005 [X.] als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle in dem Rechtsstreit

Nachschlagewerk: ja [X.]: nein [X.]R: ja

BGB § 675, § 254 Abs. 2 Satz 1 Dc

Hat der Auftraggeber einen Prozess in erster Instanz aufgrund unzureichenden [X.] seines Prozessbevollmächtigten verloren, darf er, ohne sich dem Einwand des Mitverschuldens auszusetzen, die Einlegung der Berufung von dessen Erklärung abhängig machen, dass er den Auftraggeber von den Kosten der zweiten Instanz freistelle, falls ergänzender Vortrag im Hinblick auf die [X.] nicht zugelassen und deshalb die Berufung zurückgewiesen werde.

[X.], [X.]eil vom 6. Oktober 2005 - [X.] - O[X.]

[X.]
- 2 -

- 3 - Der [X.]. Zivilsenat des [X.] hat auf die mündliche Verhandlung vom 6. Oktober 2005 durch [X.] [X.], [X.] Ganter, [X.], [X.] und die Richterin [X.]

für Recht erkannt:
Auf die Revision der Klägerin wird das [X.]eil des 16. Zivilsenats des [X.] vom 15. März 2002 aufgeho-ben.

Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten des Revisionsverfahrens - an das Berufungsge-richt zurückverwiesen. Von Rechts wegen

Tatbestand:

Die Klägerin macht aus abgetretenem Recht ihrer Mutter, einer Han-delsvertreterin, einen Schadensersatzanspruch gegen den verklagten Rechtsanwalt geltend. Dieser habe in einem vorausgegangenen Rechtsstreit vor dem [X.] den Anspruch der [X.] gegen deren Geschäftsherrin auf Zahlung eines Handelsvertreterausgleichs (§ 89b HGB) nicht schlüssig dargelegt und damit seine anwaltlichen Pflichten schuldhaft verletzt. Gegen das die Klage abweisende [X.]eil erster Instanz hat die [X.] kein Rechtsmittel eingelegt. 1 - 4 - - 5 - Die auf Zahlung von 232.500,00 DM gerichtete Klage hatte in den [X.] keinen Erfolg. Dagegen wendet sich die Klägerin mit ihrer vom [X.] zugelassenen Revision.

Entscheidungsgründe:

Das Rechtsmittel führt zur Aufhebung und Zurückverweisung.

[X.]

Das Berufungsgericht hat ausgeführt, der [X.] habe seine anwaltli-chen Pflichten als Prozessbevollmächtigter der [X.] im Vorprozess [X.] verletzt. Er habe die Voraussetzungen des geltend gemachten [X.] aus § 89b HGB nicht schlüssig dargelegt. Darauf habe die damalige [X.] bereits in ihrer Klageerwiderung hingewiesen. Auch habe der Vorsitzende des Gerichts in der mündlichen Verhandlung entsprechende Bedenken geäußert. Der [X.] habe jedoch nicht auf eine Ergänzung des Vortrags durch die - im Termin anwesende - [X.] hingewirkt und auch sonst keine prozessualen Maßnahmen ergriffen, die eine Substantiierung des Vorbringens noch ermöglicht hätten. Es entlaste ihn auch nicht, dass er über einen Verkehrsanwalt, seinen nunmehrigen Streithelfer, mit der [X.] korrespondiert habe. Zugunsten der Klägerin könne weiter unterstellt werden, dass der [X.] durch die Pflichtverletzung des [X.]n der geltend gemachte Schaden entstanden sei. Der [X.] wäre es nach entsprechendem Hinweis des [X.]n gelungen, ihren Ausgleichsanspruch nach Grund und Höhe schlüssig darzulegen und zu beweisen; die verklagte 2 3 4 - 6 - schlüssig darzulegen und zu beweisen; die verklagte Geschäftsherrin hätte nicht beweisen können, dass sie das Vertragsverhältnis berechtigt aus wichti-gem Grund gekündigt habe und der Ausgleichsanspruch somit ausgeschlossen sei.

Gleichwohl sei die Regressklage abzuweisen, weil die [X.] den für sie negativen Ausgang des [X.] durch Einlegung der Berufung hätte abwenden können und müssen (§ 254 Abs. 2 BGB). Es lasse sich nicht fest-stellen, dass das Rechtsmittel keinen Erfolg gehabt hätte, weil das ergänzen-de, den Ausgleichsanspruch schlüssig begründende Vorbringen gemäß § 528 ZPO in der bis zum 31. Dezember 2001 geltenden Fassung als verspätet zu-rückgewiesen worden wäre. Vielmehr sei es ständige, dem Gesetz entspre-chende Praxis des [X.], der zugleich für [X.] zuständig sei, selbst dann, wenn die [X.] in der Berufungsinstanz noch nicht schlüssig begründet sei, den klagenden Handelsvertreter darauf hinzuweisen und ihm noch Gelegenheit zur Nachbesserung zu geben. Es ent-laste die [X.] nicht, dass ihre neuen, nach Zustellung des im Vorprozess ergangenen [X.]eils beauftragten Rechtsanwälte ihr dazu geraten hätten, kein Rechtsmittel einzulegen. Diese fehlerhafte Einschätzung müsse sich die [X.] als eigenes Verschulden entgegenhalten lassen. Es sei ihr zuzumuten gewesen, das keineswegs aussichtslos erscheinende Rechtsmittel einzulegen. Zwar habe der [X.] es abgelehnt, das damit verbundene Kostenrisiko für den Fall zu übernehmen, dass die Berufung wegen Verspätung des neuen Vorbringens gemäß § 528 ZPO a.F. zurückgewiesen werde. Den [X.]n habe jedoch keine Vorschusspflicht hinsichtlich der Kosten des Berufungsrechtszuges ge-troffen. 5 - 7 -

I[X.]

Diese Ausführungen halten einer rechtlichen Überprüfung in [X.] nicht stand.

1. Allerdings hat das Berufungsgericht - entgegen der Ansicht der Revi-sion - nicht angenommen, der Zurechnungszusammenhang zwischen dem [X.] des [X.]n und dem der [X.] entstandenen Schaden sei unterbrochen, weil die [X.] es unterlassen habe, die ihr drohenden Nach-teile durch Einlegung der Berufung abzuwenden. Eine derartige Unterbrechung kommt nach der Rechtsprechung des [X.]s nur in Betracht, wenn der Eingriff des Geschädigten in den Geschehensablauf unvertretbar und völlig unsach-gemäß ist ([X.], [X.]. v. 14. Juli 1994 - [X.] ZR 204/93, [X.], 2162; v. 29. November 2001 - [X.] ZR 278/00, [X.], 505, 508). Im vorliegenden Fall hat das Berufungsgericht den Zurechnungszusammenhang ausdrücklich [X.].

2. Zutreffend (vgl. [X.] 133, 110, 111; [X.], [X.]. v. 9. Dezember 1999 - [X.] ZR 129/99, [X.], 959, 962; v. 27. Januar 2000 - [X.] ZR 45/98, [X.], 966, 968) ist auch die Ansicht des Berufungsgerichts, für die hypotheti-sche Betrachtung, wie der Vorprozess ausgegangen wäre, wenn die Klägerin gegen das klageabweisende erstinstanzliche [X.]eil Berufung eingelegt hätte, komme es ausschließlich auf die Sicht des Regressrichters an. Diese Ansicht wird nicht dadurch in Frage gestellt, dass das Berufungsgericht an anderer 6 7 8 - 8 - Stelle darauf hingewiesen hat, es hätte - falls in dem früheren Verfahren die Berufung eingelegt worden wäre - nach der internen Zuständigkeitsverteilung beim [X.] selbst darüber entscheiden müssen und nach seiner ständigen Praxis sei es zulässig, dass [X.]n von [X.] erst in der Berufungsinstanz schlüssig begründet würden. Denn das Berufungsgericht hat weiter bemerkt, diese Praxis sei eine "dem Gesetz entsprechende", womit es die maßgebliche Sicht des Regressrichters zum Aus-druck gebracht hat.

3. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts kann jedoch der [X.] der Klägerin nicht als Mitverschulden (§ 254 Abs. 2 BGB) entgegenhal-ten, sie hätte Berufung einlegen müssen. Denn er hat sich geweigert, die von der [X.] verlangte eingeschränkte Kostenfreistellungserklärung ab-zugeben. Ohne eine solche durfte die [X.] von der Einlegung des Rechts-mittels absehen.

Die Ansicht des Berufungsgerichts, es sei die alleinige Obliegenheit der [X.] gewesen, ihren Anspruch durchzusetzen und Rechtsmittel gegen das abweisende erstinstanzliche [X.]eil einzulegen, steht im Widerspruch zu der Rechtsprechung des [X.]. Danach hat ein Rechtsanwalt, dem ein Fehler unterlaufen ist, aus dem seinem Auftraggeber ein Schaden droht, zusätzliche honorarfreie Leistungen zu erbringen, sofern sich der [X.] nur noch auf diese Weise verhindern lässt ([X.], [X.]. v. 10. Februar 1994 - [X.] ZR 109/93, [X.], 1114). Ist der Schaden aus von dem Rechtsanwalt zu verantwortenden Gründen bereits eingetreten, besteht jedoch berechtigte Aussicht, ihn durch einen zweiten Prozess zu beseitigen oder zu verringern, hat der Anwalt aufgrund der ihn nach § 249 BGB treffenden Ersatzpflichten seinem Mandanten die dafür erforderlichen Mittel zur Verfügung 9 10 - 9 - zu stellen, sofern er ihn nicht auf andere Weise entschädigt ([X.], [X.]. v. 21. September 2000 - [X.] ZR 439/99, [X.], 2437, 2439). Nach der Recht-sprechung des [X.]s ist ein Schaden bereits dann eingetreten, wenn eine ansonsten begründete Klage wegen eines Anwaltsfehlers abgewiesen wird ([X.], [X.]. v. 12. Februar 1998 - [X.] ZR 190/97, [X.], 786, 787 f). [X.] braucht die Abweisung nicht zu sein ([X.], [X.]. v. 11. Februar 1998 aaO S. 788; v. 8. Dezember 1999 - [X.] ZR 129/99, [X.], 959, 960; v. 27. Januar 2000 - [X.] ZR 354/98, [X.], 969, 970; anders noch [X.]. v. 9. Juli 1992 - [X.] ZR 50/91, [X.], 2023, 2024 f). Wenn nach Schadenseintritt der Rechtsanwalt für den Mandanten sogar einen Zweitprozess auf eigenes Risiko und eigene Kosten führen muss, hat er, falls der Mandant wegen der anwaltli-chen Pflichtverletzung in erster Instanz unterlegen und der Schaden somit be-reits vor Beendigung eines Prozesses eingetreten ist, auch das Kostenrisiko für eine weitere Instanz zu tragen.

Das Berufungsgericht hat gemeint, der [X.] wäre "allenfalls" nach einer Zurückweisung der Berufung - soweit auch dieser Misserfolg auf die von dem [X.]n zu vertretende Pflichtverletzung zurückzuführen gewesen [X.] - zur Übernahme der Kosten des zweiten [X.] verpflichtet gewesen; eine Vorschusspflicht habe ihn nicht getroffen. Ob dem zuzustimmen ist, braucht nicht entschieden zu werden. Denn einen "Vorschuss" hatte die Zeden-tin nicht verlangt. Sie hatte mit Anwaltsschreiben vom 19. August 1997 dem [X.]n lediglich angesonnen, sie von den Kosten des Berufungsverfahrens für den Fall freizustellen, dass diese Instanz aus den von dem [X.]n zu verantwortenden Gründen ebenfalls verloren gehen sollte. Soweit das [X.] diese Freistellungspflicht verneint hat, ist dies mit der Rechtspre-chung des [X.] ([X.]. v. 21. September 2000 aaO) nicht zu ver-11 - 10 - einbaren. Die [X.] hat von dem [X.]n nur verlangt, wozu er ohnehin verpflichtet war. Denn die Kostenlast, von der die Klägerin Freistellung begehrt hat, wäre gegebenenfalls nur eine weitere Folge der haftungsbegründenden Pflichtverletzung des [X.]n gewesen.
- 11 - Es kann nicht danach unterschieden werden, ob die Einlegung des Rechtsmittels aussichtslos ist oder nicht. Wer ein aussichtsloses Rechtsmittel nicht einlegt, handelt seinen eigenen Interessen niemals zuwider. Ist das Rechtsmittel nicht aussichtslos, der Erfolg aber auch nicht gewiss, ist es in ei-nem Fall wie dem vorliegenden kein "Verschulden gegen sich selbst", ent-spricht es vielmehr einem vernünftigen Prozessverhalten, wenn die [X.] die Einlegung eines Rechtsmittels von einer eingeschränkten Kostenfreistellungs-erklärung des Schädigers abhängig macht.

Ein Mitverschulden kann dem Mandanten allenfalls dann vorgeworfen werden, wenn für diesen klar zutage liegt, dass das Rechtsmittel Erfolg haben würde, und er gleichwohl davon keinen Gebrauch macht, weil der für den [X.] der Klage in erster Instanz verantwortliche Rechtsanwalt die von ihm ver-langte Kostenfreistellungserklärung nicht abgibt. Ob ein derartiges Verhalten des Mandanten als "rechtsmissbräuchlich" anzusehen wäre, braucht der [X.] nicht zu entscheiden. Denn einen solchen Fall hat das Berufungsgericht nicht festgestellt. Es hat sich nicht einmal davon überzeugen können, dass die [X.] hätte Erfolg haben müssen. Vielmehr hat es lediglich nicht ausschließen können, dass die Berufung Erfolg gehabt hätte ("Dass eine Berufung – keinen Erfolg gehabt hätte, – lässt sich nicht feststellen").

In der mündlichen Verhandlung vor dem [X.] hat der [X.] darauf hingewiesen, dass die [X.] Berufung hätte einlegen und ihm - dem [X.] - den Streit hätte verkünden können. Dies ist zutref-fend, begründet jedoch kein Mitverschulden. Im Verhältnis zu dem Schädiger steht es dem Geschädigten frei, ob er sich die Nebeninterventionswirkung [X.] zunutze machen oder ohne diese den [X.] 12 13 14 - 12 - durchführen will. Zwar hätte der [X.] im Falle einer Streitverkündung dem Rechtsstreit beitreten und sodann seinen Rechtsstandpunkt zur Geltung brin-gen können. Den Weg hierzu hätte ihm jedoch auch die Abgabe der einge-schränkten Kostenfreistellungserklärung geebnet, welche die [X.] von ihm verlangt hat.

II[X.]

Das Berufungsurteil ist somit aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO). Die [X.] ist an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 563 Abs. 1 ZPO). [X.] wird nunmehr prüfen müssen, ob - was bisher lediglich unterstellt worden ist - durch die Pflichtverletzung des [X.]n der geltend gemachte Schaden entstanden ist.

In diesem Zusammenhang weist der [X.] auf Folgendes hin: Ob einer im Vorprozess eingelegten Berufung unter Anwendung der [X.] der Erfolg hätte versagt werden müssen, hat das Berufungsgericht offen gelassen. Statt dessen hat es ausgeführt, es könne nicht feststellen, dass die Berufung keinen Erfolg gehabt hätte. Der Umstand, dass die [X.] im 15 16 - 13 - Vorprozess keine Berufung eingelegt hat, ist für das Unterliegen im Vorprozess jedoch nur ursächlich geworden, wenn positiv festgestellt werden kann, dass die Berufung Erfolg hätte haben müssen.

[X.] Ganter [X.]

[X.] [X.] Vorinstanzen: [X.], Entscheidung vom 31.05.2001 - 8 O 583/00 - O[X.], Entscheidung vom 15.03.2002 - 16 U 116/01 -

Meta

IX ZR 111/02

06.10.2005

Bundesgerichtshof IX. Zivilsenat

Sachgebiet: ZR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 06.10.2005, Az. IX ZR 111/02 (REWIS RS 2005, 1489)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2005, 1489

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