Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 24.10.2006, Az. 1 StR 44/06

1. Strafsenat | REWIS RS 2006, 1199

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[X.]IM NAMEN DES [X.]LKES URTEIL 1 StR 44/06 [X.]St: ja [X.]R: ja ____________________ StGB § 266a Abs. 1 und 2, § 5 Abs. 1; [X.] § 6 1. Eine von einem anderen Mitgliedsstaat der [X.] erteilte Ent-sendebescheinigung ([X.]) bindet auch die [X.] Organe der [X.]. 2. Die Durchführung eines Strafverfahrens wegen Vorenthaltens von Sozialversi-cherungsbeiträgen (§ 266a Abs. 1 StGB) ist ebenso gehindert wie eine Strafverfol-gung in Zusammenhang mit Erklärungen gegenüber den Behörden des Entsende-staates zur Erlangung der [X.]-Bescheinigung jedenfalls solange die erteilte [X.] nicht zurückgenommen ist. [X.], Urteil vom 24. Oktober 2006 - 1 StR 44/06 - [X.] vom 24. Oktober 2006 in der Strafsache gegen 1. 2. - 2 - wegen Vorenthaltens von Arbeitsentgelt - 3 - Der 1. Strafsenat des [X.] hat in der Sitzung vom 24. Oktober 2006, an der teilgenommen haben: [X.] am [X.] [X.] und [X.] am [X.] [X.], [X.], [X.]in am [X.] Elf, [X.] am [X.] Dr. [X.], Oberstaatsanwalt beim [X.] als Vertreter der [X.], Rechtsanwalt als Verteidiger für den Angeklagten [X.], Rechtsanwalt als Verteidiger für den Angeklagten [X.], Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle, für Recht erkannt: - 4 - 1. Auf die Revisionen der Angeklagten wird das Urteil des [X.] vom 14. Juli 2005 aufgehoben. Die Angeklag-ten werden freigesprochen. 2. Die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen der Angeklagten fallen der Staatskasse zur Last. 3. Die Entscheidung über die Entschädigung der Angeklagten we-gen der erlittenen Strafverfolgungsmaßnahmen bleibt dem [X.] vorbehalten. Von Rechts wegen Gründe: Das [X.] München I hat den Angeklagten [X.] durch Urteil vom 14. Juli 2005 wegen Vorenthaltens und Veruntreuens von [X.] in 11 Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten verurteilt. Den Angeklagten

[X.] hat es wegen [X.] zu diesen Taten unter Einbeziehung von Einzelstrafen aus einer früheren Verurteilung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt; daneben hat es eine Gesamtgeldstrafe von 200 Tagessätzen zu jeweils 10,-- • verhängt. Die Vollstreckung beider Gesamtfreiheitsstrafen hat das [X.] zur Be-währung ausgesetzt. 1 - 5 - Die Angeklagten machen mit ihren auf die Sachrüge gestützten Revisio-nen geltend, dass den Angeklagten [X.] wegen Unanwendbarkeit deut-schen Sozialversicherungsrechtes keine Pflicht zur Abführung von Beiträgen zur [X.] Sozialversicherung treffe, eine Strafbarkeit nach § 266a StGB daher für beide Angeklagte ausscheide. Die Rechtsmittel haben Erfolg. 2 [X.] 1. Das [X.] hat festgestellt: Der Angeklagte [X.]war [X.] der —A.

GmbHfi mit Sitz in [X.](fortan: [X.]), die auf Baustellen in [X.] als Subunternehmerin [X.] im Bereich der Fassadenmontage ausführte und dabei [X.] Arbeiter einsetzte. Um die Arbeiter der [X.] Sozialversicherungspflicht zu entziehen, wurden sie auf Veranlassung des Angeklagten [X.]zum Schein bei zwei [X.]n Bauunternehmen angestellt. Die [X.]n Un-ternehmen traten formell auch in die Bauaufträge der [X.] ein. [X.] hatten die [X.]n Firmen keinerlei Geschäftsbeziehungen nach [X.], insbesondere weder Kontakt zu den Auftraggebern der A.

GmbH noch zu den [X.]n Arbeitnehmern. Diese blieben fak-tisch bei der [X.] beschäftigt, von der sie auch ihren - auf Konten der [X.]n Unternehmen überwiesenen und von dort ausgezahlten - [X.] erhielten. Der Angeklagte [X.]

, ein ehemaliger Rechtsanwalt, hatte zusammen mit dem Angeklagten [X.]die Verhandlungen mit den [X.] Firmen geführt, die abgeschlossenen [X.] ent-worfen und die Organisation der umgeleiteten Lohnzahlungen übernommen. 3 Die Angeklagten beabsichtigten, durch die angeblichen [X.] in [X.] den Anschein einer nur vorübergehenden Entsendung der [X.] - 6 - beiter von [X.] nach [X.] zu erwecken. Das [X.] und das eu-ropäische Sozialversicherungsrecht sehen für einen derartigen Fall vor, dass die entsandten Arbeitnehmer nur in ihrem Herkunftsstaat zu versichern sind, im Gastland dagegen beitragsfrei beschäftigt werden können. Die Geschäftsführer der [X.]n Gesellschaften stellten nach Absprache mit den Angeklag-ten daher bei den [X.]n Sozialversicherungsträgern Anträge auf Er-teilung so genannter [X.]-Bescheinigungen, welche daraufhin auch [X.] wurden. In den Bescheinigungen bestätigten die [X.]n Behör-den, dass die eingesetzten Arbeiter nach der [X.] Nr. 1408/71 vom 14. Juni 1971 aufgrund von Werkverträgen für nicht länger als ein Jahr ins Ausland entsandt wurden mit der rechtlichen Folge, dass sie in [X.] sozial-versicherungspflichtig blieben. Tatsächlich lagen die Voraussetzungen hierfür - wie das [X.] feststellt - nicht vor, da die Arbeitnehmer bereits zum Zeit-punkt ihrer angeblichen Entsendung durch die [X.]n Unternehmen länger als ein Jahr in [X.] tätig und vollständig in den Betrieb der A.

GmbH eingegliedert waren. Bei den [X.] [X.] meldeten die Angeklag-ten die Arbeiter nicht an und führten auch keine Beiträge für sie ab. Nach der Berechnung des [X.]s entzogen sie dadurch im Zeitraum zwischen Juli 2001 und Juni 2002 in [X.] Beiträge in Höhe von insgesamt 112.132,40 •. In [X.] sollten Beiträge nach Vorstellung der Angeklagten aus dem an die dortigen Unternehmen überwiesenen Arbeitslohn entrichtet werden. Ob dies tatsächlich geschah, hat das [X.] nicht festgestellt. 5 Zur behördlichen Handhabung der [X.]-Bescheinigungen teilt das Urteil mit, dass die [X.] Sozialversicherungsträger aufgrund von Rechtspre-chung des [X.] darin übereingekommen seien, den [X.]en bindende Wirkung beizumessen. Die [X.] - 7 - stalt [X.] hob daher in einem das Vorgängerunternehmen der A.

GmbH betreffenden Verfahren mit ähnlichem Sachverhalt - die Arbeitnehmer wurden bei zu diesem Zweck eigens gegründeten [X.]n Briefkasten-firmen angestellt und erlangten auf diesem Weg [X.]-Bescheinigungen - ei-nen bereits ergangenen Leistungsbescheid wieder auf, nachdem die portugiesi-schen Behörden die Richtigkeit der von ihnen ausgestellten Bescheinigungen bestätigt hatten. Im laufenden, gegen den Angeklagten [X.]gerichteten so- zialversicherungsrechtlichen Verfahren wurden Beitragsforderungen gar nicht erst erhoben. Nach Aussage von Mitarbeitern der befassten [X.] Sozial-behörden ist dies auch für die Zukunft nicht beabsichtigt, sofern die [X.] Bescheinigungen Bestand haben. 2. Das [X.] ist der Auffassung, dass die [X.]n Arbeiter ungeachtet der vorgelegten [X.]-Bescheinigungen in [X.] sozialversi-cherungspflichtig waren, da die Voraussetzungen für eine versicherungsfreie Tätigkeit nicht gegeben waren. Den Bescheinigungen misst es eine nur formale Bedeutung zu. Sie entfalten nach Auffassung des [X.]s bindende Wir-kung nur im Sozialversicherungsrecht, begründen auch dort aber nur eine wi-derlegbare Vermutung dafür, dass der betroffene Arbeitnehmer in das Sozial-versicherungssystem eines anderen Landes eingebunden ist. Die [X.] Sozialversicherungsträger seien bis zur Rücknahme der auf falschen Annah-men beruhenden Bescheinigungen durch die ausstellende Behörde zwar ge-hindert, Beiträge einzuziehen. Am Bestehen eines darauf gerichteten materiel-len Anspruches und an der strafrechtlichen Bedeutung unterlassener Beitrags-abführung ändere dies aber nichts. 7 - 8 - I[X.] Dies hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Nach den Kollisionsvor-schriften des [X.] Sozialversicherungsrechtes in der ihnen nach der Rechtsprechung des [X.] zukommenden Reichweite und Wirkung findet [X.]s Sozialversicherungsrecht auf die dem Urteil des [X.]s zugrunde liegenden Beschäftigungsverhältnisse keine Anwen-dung. Eine Strafbarkeit der Angeklagten nach § 266a StGB scheidet infolge-dessen aus. 8 1. Gegenstand einer Beitragsstraftat nach § 266a StGB sind fällige Ar-beitnehmerbeiträge, die aufgrund einer versicherungspflichtigen Beschäftigung nach den Vorschriften des [X.] geschuldet sind. § 266a StGB ist insoweit sozialrechtsakzessorisch ausgestaltet (vgl. [X.]St 47, 318 f.; [X.][X.] 53. Aufl. § 266a [X.]. [X.], 10; [X.]/[X.], [X.], 201, 202). Auch das [X.] geht zutreffend davon aus, dass eine sozialversi-cherungsrechtliche Beitragspflicht die Voraussetzung für eine Beitragsstraftat bildet. 9 2. In Fällen mit Auslandsbezug ist daher von vorrangiger Bedeutung, ob der betroffene Arbeitnehmer der inländischen Sozialversicherungspflicht unter-liegt oder davon ausgenommen ist. § 266a StGB knüpft hierbei nicht allein an die [X.] Sozialgesetze, sondern auch an zwischen- und überstaatliche Bestimmungen an, soweit sie in [X.] gelten und das anzuwendende Sozialversicherungsrecht bestimmen. Danach ergibt sich Folgendes: 10 a) Nach den Bestimmungen des [X.] [X.] führt ei-ne inländische Beschäftigung zur Sozialversicherungspflicht des Arbeitnehmers (§ 2 Abs. 2, § 3 Nr. 1 [X.]); maßgeblich ist dabei der Ort, an dem die [X.] tatsächlich ausgeübt wird (§ 9 Abs. 1 [X.]). Die [X.] - 9 - pflicht entfällt gem. § 5 Abs. 1 [X.] bei Personen, die im Rahmen eines aus-ländischen Beschäftigungsverhältnisses in das Inland entsandt werden, sofern die Entsendung im Voraus zeitlich begrenzt ist. Nach diesem Maßstab unterlagen die [X.]n Arbeiter in der zugrunde liegenden Fallkonstellation der [X.] Sozialversicherungspflicht. An einer zur Versicherungsfreiheit führenden Entsendung fehlte es bereits [X.], weil ein ausländisches Beschäftigungsverhältnis im Sinne des § 5 Abs. 1 [X.] nicht bestand, die Arbeiter vielmehr allein von der inländischen [X.] beschäftigt wurden. Sie waren insbesondere weder an Weisungen der nur nach außen als Arbeitgeber auftretenden [X.]n Unternehmen gebunden noch in deren [X.] eingegliedert (vgl. § 7 Abs. 1 [X.]). 12 b) Die Vorschriften der §§ 2 ff. [X.] stehen jedoch unter dem Vorbe-halt über- und zwischenstaatlichen Rechtes (§ 6 [X.]). Als derartige, nach Art. 249 Abs. 2 [X.] mit unmittelbarem Geltungsvorrang ausgestattete Regelung enthält die Verordnung ([X.]) Nr. 1408/71 vom 14. Juni 1971 (sog. —[X.], [X.] L 149 vom 5. Juli 1971 S. 2; fortan: [X.] 1408/71) für Fälle grenzüberschreitender Beschäftigung in Ländern der europä-ischen [X.] Kollisionsvorschriften, die das anwendbare nationale Sozialversi-cherungsrecht bestimmen. 13 Nach der Grundregel des Art. 13 Abs. 1 der [X.] 1408/71 sollen grenz-überschreitend beschäftigte Personen dem Sozialversicherungsrecht nur eines Mitgliedstaates unterliegen. Art. 13 Abs. 2 lit. a) der [X.] 1408/71 bestimmt in-soweit, dass auf einen Arbeitnehmer, der im Gebiet eines Mitgliedstaates be-schäftigt ist, unabhängig von seinem Wohnsitz und dem Sitz seines [X.] das Recht dieses Staates Anwendung findet. Als Ausnahme hierzu findet 14 - 10 - im Falle einer Entsendung von voraussichtlich nicht mehr als zwölf Monaten nach Art. 14 Abs. 1 Nr. 1 a) der [X.] 1408/71 weiterhin das Sozialversiche-rungsrecht des Herkunftsstaates Anwendung, aus dem der Arbeitnehmer ent-sandt wird, sofern der Arbeitnehmer einem dortigen Unternehmen gewöhnlich angehört und für Rechnung dieses Unternehmens entsandt wird. [X.] ist eine auch während der Entsendung fortbestehende arbeitsrechtliche Bindung zwischen dem [X.] Unternehmen und dem Arbeitnehmer, die sich in der Zahlung des [X.], der Erhaltung eines Abhängigkeitsverhältnisses, der Verantwortung für Anwerbung, Arbeitsvertrag, Entlassung und der Entscheidungsgewalt über die Art der Arbeit ausdrückt (vgl. die Beschlüsse der - nach Art. 80, 81 der [X.] 1408/71 zu Fragen der Auslegung und Durchführung der Verordnung einge-setzten - Verwaltungskommission Nr. 128 vom 17. Oktober 1985, [X.] [X.] vom 7. Juni 1986, [X.]; Nr. 162 vom 31. Mai 1996, [X.] L 241 vom [X.] 1996, S. 28; Nr. 181 vom 13. Dezember 2000, [X.] L 329 vom [X.] 2001, [X.]). Auch nach diesem Maßstab lagen die Voraussetzungen einer zur inlän-dischen Versicherungsfreiheit führenden Entsendung auf Grundlage der Fest-stellungen des [X.]s nicht vor; denn die [X.]n Arbeitnehmer befanden sich in keiner arbeitsrechtlichen Bindung zu den [X.]n Un-ternehmen. Sie waren auch nicht für deren Rechnung tätig, da ihre Arbeitskraft allein zur Durchführung der tatsächlich bei der [X.] verbliebenen Bauaufträge diente und sie faktisch auch ihren Lohn von der GmbH bezogen. 15 3. Dem [X.] war es gleichwohl verwehrt, seiner Beurteilung die Anwendung [X.] Sozialversicherungsrechtes zugrunde zu legen. Nach den zur Durchführung der [X.] 1408/71 ergangenen [X.] Rechtsvor-schriften war es an die Bescheinigung des [X.]n Sozialversiche-16 - 11 - rungsträgers gebunden, wonach die Arbeiter der [X.] portugiesi-schem Sozialversicherungsrecht unterliegen. Die [X.] war daher ge-hindert, entgegen der Bewertung der [X.]n Behörde dennoch zu [X.] bestehenden Sozialversicherungspflicht in [X.] zu gelangen. a) Die [X.] 1408/71 wird ergänzt durch Durchführungsvorschriften in der Verordnung ([X.]) Nr. 574/72 vom 21. März 1972 ([X.] [X.] vom 27. März 1972, [X.]; fortan: [X.] 574/72). Für die Fälle einer Entsendung nach Art. 14 Abs. 1 der [X.] 1408/71 sieht Art. 11 der [X.] 574/72 ein Verfahren vor, in dem der zuständige Sozialversicherungsträger des Herkunftsstaates auf Antrag des betroffenen Arbeitnehmers oder Arbeitgebers die Entsendung bestätigt und für einen begrenzten Zeitraum bescheinigt, dass der Beschäftigte den Rechtsvor-schriften des Herkunftsstaates unterstellt bleibt. Die Bescheinigung erfolgt auf einem gemäß Art. 2 der [X.] 574/72 von der Verwaltungskommission entworfe-nen einheitlichen Formblatt mit der Bezeichnung —[X.]fi. 17 Über die Rechtsnatur und Wirkung einer derartigen [X.]-Bescheinigung verhält sich die [X.] 574/72 nicht unmittelbar. Ihr ist insbesondere nicht zu ent-nehmen, welche Wirkung der Bescheinigung in einem das Sozialversicherungs-verhältnis eines entsandten Arbeitnehmers betreffenden Verwaltungs- oder Ge-richtsverfahren im Gastland zukommt, ob sie dort etwa nur verfahrensrechtliche Bedeutung im Sinne einer Beweiserleichterung oder widerleglichen Vermutung für das Vorliegen des bescheinigten [X.] erlangt, oder ob sie materielle Bindungswirkung dahingehend entfaltet, dass sie die sich aus der bescheinigten Entsendung ergebende Anwendung des [X.] verbindlich festschreibt. 18 b) Der [X.] hat in mehreren Entscheidungen, denen Vorlagefragen aus arbeits- und sozialgerichtlichen Verfahren der Mitgliedsstaa-19 - 12 - ten zugrunde lagen, zur Wirkung einer [X.]-Bescheinigung ausgesprochen, dass die nationalen Behörden des [X.] und dessen Gerichte an die be-scheinigte Anwendbarkeit des Sozialversicherungsrechtes des Herkunftslandes gebunden sind (Urteil vom 10. Februar 2000 - [X.]. [X.]/97, [X.], 380; Urteil vom 30. März 2000 - [X.]. [X.], Slg. [X.], 2005, 2040 ff.; Urteil vom 26. Januar 2006 - [X.]. [X.]/05, [X.] [X.] Nr. 1408/71 Nr. 13.). Der [X.] begründet seine Auffassung mit dem Zweck der [X.], dass ein Arbeitnehmer nur an ein einziges System der [X.] angeschlossen werden soll, der damit verbundenen Rechtssicherheit und der mit der Verordnung und der Bescheinigung beabsichtigten Förderung von Arbeitnehmerfreizügigkeit und Dienstleistungsfreiheit. Er führt darüber hin-aus aus, dass der Grundsatz der vertrauensvollen Zusammenarbeit nach Art. 10 (alt: Art. 5) [X.] den ausstellenden Träger verpflichte, den Sach-verhalt ordnungsgemäß zu beurteilen und damit die Richtigkeit der Bescheini-gung zu gewährleisten. Umgekehrt würde der zuständige Träger des [X.] seine Verpflichtung zur Zusammenarbeit verletzen, wenn er sich nicht an die Angaben in der Bescheinigung gebunden sähe und den Betroffe-nen (zusätzlich) seinem eigenen Sozialversicherungssystem unterstellen würde. In Konfliktfällen habe der Träger des [X.] sich vielmehr zunächst an den Träger des [X.] zu wenden, dann an die [X.]. [X.] dieser keine Vermittlung, könne der Träger des Aufnahme-staates im Entsendestaat klagen oder ein Vertragsverletzungsverfahren nach Art. 227 (alt: Art. 170) [X.] einleiten. 20 Zur Reichweite der Bindung führt der [X.] aus, dass eine [X.]-Bescheinigung notwendig zur Folge habe, dass das System der [X.] Sicherheit des anderen Mitgliedstaates nicht angewandt werden kann. Hieran seien auch die nationalen Gerichte gebunden (Urteil vom 26. Januar 21 - 13 - 2006 - [X.]. [X.]/05; [X.] [X.] Nr. 1408/71 Nr. 13). Der [X.] hatte insoweit über die Vorlagefrage zu befinden, ob ein Gericht des Gaststaa-tes das Fortbestehen einer arbeitsrechtlichen Bindung zwischen dem [X.] Unternehmen und dem entsandten Arbeitnehmer prüfen darf, weiterhin, ob es die [X.]-Bescheinigung unbeachtet lassen darf, wenn nach den ihm vorliegenden tatsächlichen Umständen feststeht, dass während des Entsen-dungszeitraums eine solche Bindung nicht bestand. Der [X.] hat dies abgelehnt und ausgeführt, ein Gericht des [X.] sei —nicht befugt, die Gültigkeit einer Bescheinigung [X.] im Hinblick auf die Bestätigung der Tatsachen, auf deren Grundlage eine solche Bescheinigung ausgestellt wurde, insbesondere das Bestehen einer arbeitsrechtlichen Bindung im Sinne von Artikel 14 Absatz 1 Buchstabe a der Verordnung ([X.]) Nr. 1408/71 (–) zu überprüfenfi ([X.] aaO [X.]. 33). c) Der Senat sieht vor diesem Hintergrund auch die an einem innerstaat-lichen Strafverfahren beteiligten Behörden und Gerichte an eine von einem aus-ländischen Sozialversicherungsträger ausgestellte [X.]-Bescheinigung ge-bunden, soweit sich das Strafverfahren auf eine Verletzung der Beitragspflicht des Arbeitgebers bezieht. 22 Er hält zunächst für nicht zweifelhaft, dass der [X.] trotz einzelner Formulierungen, die der Bescheinigung lediglich Beweiskraft o-der die Wirkung einer Vermutung zuschreiben (vgl. [X.], Urteil vom 10. Februar 2000 - [X.]. [X.]/97, [X.], 380, 384), eine behördliche oder gerichtliche Auseinandersetzung über die tatsächlichen Verhältnisse, aufgrund derer die Bescheinigung erteilt wurde, im Gastland für ausgeschlossen hält. Die seitens des [X.]es betonte Bindung lässt sich nicht anders verstehen, als dass eine derartige Sachprüfung durch dortige Behörden nicht stattfinden darf. 23 - 14 - Dies betrifft auch die Organe der Strafrechtspflege. Der [X.] hat in seiner - erst nach dem Urteil des [X.]s ergangenen - Entscheidung vom 26. Januar 2006 ([X.]. [X.]/05) bereits die Vorlagefragen weit-reichend im Hinblick auf eine Bindung der —innerstaatlichen Rechtsordnung des [X.]fi verstanden und eine Bindung der nationalen Gerichte ohne Unter-scheidung nach Gerichtsbarkeit ausgesprochen. Ein solches Verständnis ent-spricht dem Zweck der [X.] Kollisionsvorschriften und der [X.]. Denn ein strafrechtliches Urteil, das sich auf von der Bescheini-gung abweichende Feststellungen stützt, hätte wegen der einschneidenden Sanktionsfolge tiefergreifende Auswirkungen als eine von der Bescheinigung abweichende Beitragserhebung durch die [X.] des [X.]. 24 Im Hinblick auf § 266a StGB ergibt sich eine Bindung auch mittelbar aus der sozialrechtsakzessorischen Natur der Strafvorschrift. Da die strafrechtliche Beitragsvorenthaltung eine sozialrechtlich begründete Beitragspflicht voraus-setzt, lässt eine Unanwendbarkeit [X.] Sozialversicherungsrechtes infol-ge der bindenden Bewertung der Entsendebehörde zugleich die Strafbarkeit nach § 266a StGB entfallen (zutreffend [X.]/[X.], [X.], 201, 204; a.[X.] in [X.]/Bieneck, Wirtschaftsstrafrecht 4. Aufl. § 36 [X.]. 70 f., 76, der einer [X.] allerdings auch für das sozial-rechtliche Verfahren nur eine Beweisfunktion zuschreibt). Dies zeigt auch die Struktur von § 266a StGB als echtes Unterlassungsdelikt. Dem Unterlassen steht bei Vorliegen einer [X.] eine erfüllbare Rechtspflicht nicht gegenüber; da mangels eines Sozialversicherungsverhältnisses kein An-spruch eines inländischen Sozialversicherungsträgers besteht, ist dem Täter die von § 266a StGB abverlangte Handlung - rechtzeitige Beitragsabführung - rechtlich und tatsächlich unmöglich. Eine strafrechtliche Feststellung fehlender Entsendungsvoraussetzungen, wie von dem [X.] vorgenommen, [X.] - 15 - mag hieran nichts zu ändern, da sie eine Sozialversicherungspflicht nicht be-gründen kann. d) Der Senat hat erwogen, ob die Bindungswirkung der [X.]-Bescheinigung in Fallgestaltungen wie der vorliegenden in Frage steht, in de-nen die Bescheinigung durch Manipulation erschlichen worden ist. Der Europäi-sche [X.] hat insoweit in anderem Zusammenhang mehrfach ausge-sprochen, dass das Gemeinschaftsrecht die missbräuchliche oder betrügeri-sche Anwendung von Vorschriften nicht gestatte (vgl. Urteil vom 2. Mai 1996 - [X.]. [X.]06/94, [X.] 1996, 1116, 1117 m.w.N.). 26 Sollte der Verdacht von Manipulationen eine Überprüfungsmöglichkeit des [X.] durch die Behörden und Gerichte des [X.] eröffnen, würde dies allerdings die von den Verordnungen bezweckte und in der Rechtsprechung des [X.]es als wesentliche Zielsetzung betonte eindeu-tige Rechtszuordnung unterlaufen, da eine auf den [X.] keine trennscharfen Konturen auf-weist und zu Konflikten zwischen den Versicherungsträgern der beteiligten Mit-gliedstaaten Anlass geben würde. 27 Dementsprechend hat der [X.] eine Ausnahme von der Bindungswirkung nicht vorgesehen und an der Richtigkeit der Bescheini-gung zweifelnde Gastlandbehörden ausnahmslos auf eine Überprüfungsanre-gung bei der Ausstellungsbehörde verwiesen. Dies betrifft auch das vom [X.] mit Urteil vom 30. März 2000 (- [X.]. [X.], Slg. [X.], 2005) ent-schiedene Vorlageverfahren, dem die Problematik einer Scheinselbständigkeit zugrunde lag. In den im Verfahren eingeholten Stellungnahmen der [X.] und [X.] Regierungen wurde der Befürchtung Ausdruck verliehen, dass mit einer allzu großzügigen Handhabung der Verordnungen und der auf 28 - 16 - ihrer Grundlage ergangenen Bescheinigungen einem Missbrauch durch erschli-chene Rechtswahl der Sozialrechtsordnung eines Mitgliedsstaates, dessen So-zialabgaben niedriger als jene im tatsächlichen Beschäftigungsstaat ausfallen, Vorschub geleistet würde (vgl. Slg. [X.], 2005, 2016). Der [X.] hat gleichwohl auch in diesem Fall keine Veranlassung gesehen, die Bindungswir-kung der [X.]-Bescheinigung unter einen Missbrauchsvorbehalt zu stellen. Nach Auffassung des Senats liegt daher eine gesicherte Rechtsprechung des [X.] vor, die vernünftige Zweifel an der Auslegung des [X.] im vorliegenden Fall nicht zulässt; hiermit entfällt zugleich eine Vorlagepflicht nach Art. 234 Abs. 3 [X.], § 1 Abs. 2 [X.]G zur Klärung der Rechtsfrage (vgl. hierzu Kokott, [X.], 633). 29 4. Eine Beitragsvorenthaltung zu Lasten der [X.]n Sozialbe-hörden kommt nach den Feststellungen des [X.]s gleichfalls nicht in Betracht. Angesichts des durch die [X.] festgestellten [X.] trifft eine Beitragspflicht allein die [X.]n Unterneh-men und ihre Organe. Darüber hinaus ergeben die Feststellungen des Landge-richts, dass nach Absicht der Angeklagten aus den von ihnen an die portugiesi-schen Firmen überwiesenen Lohnzahlungen Sozialversicherungsbeiträge abge-führt werden sollten. Es kann daher dahinstehen, ob § 266a StGB allein die Nichtabführung von Beiträgen aufgrund einer inländischen Sozialversiche-rungspflicht betrifft oder aufgrund der Verknüpfung der [X.] Sozialsys-teme auch das gesamteuropäische Beitragsaufkommen schützt. 30 - 17 - II[X.] Der Senat hat weiterhin erwogen, ob das [X.] - gegebenenfalls nach einem Hinweis gemäß § 265 Abs. 1 StPO - der Frage hätte nachgehen müssen, ob sich die Angeklagten aufgrund der Beantragung der Entsendebe-scheinigungen eines Beitragsbetruges nach § 263 StGB schuldig gemacht ha-ben. Die vom [X.] getroffenen Feststellungen legen nahe, dass die [X.]-Bescheinigungen von den [X.]n [X.] infolge einer - von den Angeklagten zumindest veranlassten - Täuschung über die tatsächlichen Voraussetzungen des [X.] ausgestellt [X.] sein könnten. Die Ausstellung der Bescheinigungen könnte in diesem Fall eine irrtumsbedingte Verfügung darstellen, da sie aufgrund ihrer Bindungswir-kung die Erhebung höherer Sozialversicherungsbeiträge in [X.] hin-dern. 31 Eine Zurückverweisung der Sache zur ergänzenden Sachaufklärung war gleichwohl nicht veranlasst. Unabhängig davon, ob die einem etwaigen Bei-tragsbetrug zugrunde liegenden Tathandlungen von der zugelassenen Anklage und damit der Kognitionspflicht des [X.]s umfasst sind, steht einer [X.] Prüfung gleichfalls die Bindungswirkung der erteilten [X.] entgegen. Nach der - für den Senat bindenden - Auffassung des Euro-päischen [X.]es sind die Gerichte des [X.] nicht befugt, die der [X.] zugrunde liegenden Tatsachen einer eigenständigen Überprüfung zu unterziehen (vgl. Urteil vom 26. Januar 2006, [X.]. [X.]/05 [X.]. 32 f.). Die Annahme eines Beitragsbetruges widerspräche einer solchen [X.]. Denn sie setzt die Bewertung voraus, dass es an den tatsächlichen Vor-aussetzungen einer Entsendung fehlt, diese dem ausländischen [X.] vielmehr nur vorgetäuscht wurden und die von ihm ausgestellte [X.] auf einer fehlerhaften Tatsachengrundlage beruht. 32 - 18 - Der Senat braucht vorliegend nicht zu entscheiden, welche Rechtsfolgen ein möglicher Widerruf der erteilten [X.]-Bescheinigungen durch die ausstel-lende Behörde hätte, doch könnte bei erschlichenen Bescheinigungen Betrug zum Nachteil [X.]r Sozialversicherungsträger nahe liegen. 33 Da mithin lediglich ein Mangel der rechtlichen Würdigung vorliegt und weitergehende Feststellungen ausscheiden, kann der Senat in der Sache selbst entscheiden. Die Entscheidung über die Verpflichtung zur Entschädigung für Strafverfolgungsmaßnahmen (§ 8 StrEG) ist vom [X.] zu treffen, weil Art und Umfang der entschädigungspflichtigen Maßnahmen ohne weitere Fest-stellungen und ohne weitere Anhörung der Beteiligten nicht zu bestimmen sind (vgl. [X.] StV 2002, 422, 423). Der Senat weist im übrigen klarstellend darauf hin, dass die in die Gesamtstrafe gegenüber dem Angeklagten [X.] gem. § 55 StGB einbezogenen Einzelstrafen aus einer früheren Verurteilung von dem Freispruch nicht berührt werden. Insoweit verbleibt es bei der in dem früheren Erkenntnis gebildeten Gesamtstrafe, deren Auflösung mit Aufhebung des land-gerichtlichen Urteils entfallen ist. 34 [X.] Kolz [X.] Elf [X.]

Meta

1 StR 44/06

24.10.2006

Bundesgerichtshof 1. Strafsenat

Sachgebiet: StR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 24.10.2006, Az. 1 StR 44/06 (REWIS RS 2006, 1199)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2006, 1199

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