Bundesfinanzhof, Urteil vom 15.03.2012, Az. III R 52/08

3. Senat | REWIS RS 2012, 8104

Tags hinzufügen

Sie können dem Inhalt selbst Schlagworten zuordnen. Geben Sie hierfür jeweils ein Schlagwort ein und drücken danach auf sichern, bevor Sie ggf. ein neues Schlagwort eingeben.

Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"

QR-Code

Gegenstand

Kindergeld für im Inland als Arbeitnehmer tätige polnische Staatsangehörige bei Angabe einer über zwei Jahre dauernden Entsendung - Bindungswirkung der Bescheinigung nach dem Formular E 101 - Überprüfung der Richtigkeit der bescheinigten Angaben - Auflösung einer Anspruchskumulierung


Leitsatz

1. Ergibt sich aus einer Arbeitgeberbescheinigung, die von einem im Inland als Arbeitnehmer tätigen Staatsangehörigen eines anderen Mitgliedstaats vorgelegt wird, dass die Entsendung unter Beibehaltung der Sozialversicherung im Heimatland über zwei Jahre gedauert hat, kann daraus nicht geschlossen werden, dass die Entsendungsvoraussetzungen nach Art. 14 Nr. 1 Buchst. a und b der VO Nr. 1408/71 bereits von Beginn des Entsendungszeitraums an nicht vorgelegen haben können .

2. Ergeben sich aus der von dem Anspruchsteller vorgelegten Arbeitgeberbescheinigung Zweifel an dem Vorliegen der Entsendungsvoraussetzungen, ist bei den Trägern und Stellen, die über das auf den Anspruchsteller anzuwendende Recht zu befinden haben, zu ermitteln, welche Rechtsvorschriften im Anspruchszeitraum auf den Anspruchsteller Anwendung fanden .

3. Bestätigt der zuständige Träger des anderen Mitgliedstaats, insbesondere durch Erteilung einer Entsendebescheinigung nach dem Formular E 101, dass für einen bestimmten Zeitraum ein Fall des Art. 14 Nr. 1 Buchst. a oder b der VO Nr. 1408/71 gegeben war, ist diese Bescheinigung für die Familienkasse und das Finanzgericht bindend, solange sie nicht zurückgezogen oder für ungültig erklärt wird .

Tatbestand

1

I. Mit Schreiben vom 31. Juli 2007 beantragte der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger), der [X.] Staatsangehöriger ist, rückwirkend ab Mai 2004 Kindergeld für seine in [X.] lebenden Kinder [X.] (geb. im Juni 1989), M (geb. im August 1990) und O (geb. im Juli 1998).

2

Die Beklagte und Revisionsklägerin (Familienkasse) lehnte den Antrag des [X.] mit Bescheid vom 17. August 2007 unter Hinweis darauf ab, dass der Kläger in [X.] sozialversichert sei und dieser Tatbestand einen Anspruch auf [X.] Kindergeld ausschließe. Den hiergegen gerichteten Einspruch wies die Familienkasse mit Einspruchsentscheidung vom 2. Oktober 2007 als unbegründet zurück.

3

Mit dem am 1. November 2007 bei dem [X.] ([X.]) eingegangenen Schreiben erhob der Kläger hiergegen Klage und legte im Klageverfahren u.a. eine Bescheinigung seines [X.] Arbeitgebers vor, wonach der Kläger ab dem 1. Januar 2005 für unbestimmte [X.] beschäftigt und ab dem 1. April 2005 an einen ausländischen Betrieb in [X.] entsandt worden sei. Eine Versicherungspflicht zur [X.] bestehe nicht, da Versicherungspflicht in [X.] vorliege.

4

In der mündlichen Verhandlung trennte das [X.] zunächst nach teilweiser Klagerücknahme für den [X.]raum Mai 2004 bis März 2005 (Kindergeldanspruch für alle drei Kinder) das Verfahren ab und stellte es insoweit ein. Ferner trennte das [X.] das Verfahren hinsichtlich des Kindergelds für [X.] ab Juni 2007 unter dem [X.]. 2 K 1166/08 ab.

5

Hinsichtlich des danach verbleibenden Streitgegenstands verpflichtete das [X.] die Familienkasse mit Urteil vom 16. April 2008 unter Aufhebung des Bescheids vom 17. August 2007 und der Einspruchsentscheidung vom 2. Oktober 2007, dem Kläger für seine Kinder M und O Kindergeld für die [X.] ab April 2005 und für das Kind [X.] von April 2005 bis Mai 2007 in gesetzlicher Höhe zu gewähren.

6

Zur Begründung ihrer Revision rügt die Familienkasse eine unzutreffende Auslegung der Art. 13 und 14 der Verordnung ([X.]) Nr. 1408/71 des Rates vom 14. Juni 1971 zur Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und Selbständige sowie deren Familienangehörige, die innerhalb der [X.] zu- und abwandern ([X.] 1408/71), in ihrer durch die Verordnung ([X.]) Nr. 118/97 des Rates vom 2. Dezember 1996 --[X.] 118/97-- (Amtsblatt der Europäischen [X.]en 1997 Nr. L 28, S. 1) geänderten und aktualisierten Fassung, geändert durch die Verordnung ([X.]) Nr. 647/2005 des Europäischen [X.]arlaments und des Rates vom 13. April 2005 --[X.] 647/2005-- ([X.] --ABlEU-- 2005 Nr. L 117, S. 1).

7

Zu Recht gehe das [X.] zwar davon aus, dass für den Kläger die [X.] 1408/71 gelte, da er sowohl vom sachlichen als auch vom persönlichen Geltungsbereich erfasst werde. [X.] prüfe das [X.] trotz dieser Feststellung noch § 65 Abs. 1 Satz 2 des Einkommensteuergesetzes in der im Streitzeitraum geltenden Fassung (EStG), der bei Anwendbarkeit der Verordnung von dieser verdrängt werde.

8

Da der Kläger dem Geltungsbereich der Verordnung unterliege, sei die Frage zu klären, ob ein [X.] Staatsangehöriger, der nach seinen eigenen Angaben im [X.] in [X.] einer Sozialversicherungspflicht unterliege, deshalb gemäß Art. 13 i.V.m. Art. 1 der [X.] 1408/71 als in [X.] beschäftigt gelte, und ob deshalb auf ihn die [X.] Rechtsvorschriften anzuwenden seien, auch wenn er (ohne [X.] Sozialversicherungspflicht) tatsächlich einer unselbständigen Beschäftigung in [X.] nachgehe.

9

Da der Kläger nach Art. 13 Abs. 1 der [X.] 1408/71 nur den Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats unterliegen solle, stelle sich die Frage, in welchem Mitgliedstaat er als beschäftigt anzusehen sei. Über diesen "Ortsbezug" sei im Lichte der Definition des Art. 1 der [X.] 1408/71 zu entscheiden. Da die Beschäftigteneigenschaft in Art. 1 der [X.] 1408/71 anhand des Versichertenstatus bestimmt worden sei, erscheine es naheliegend, dass auch der Ortsbezug, also die Frage, auf welches Land sich diese Beschäftigteneigenschaft beziehe, am Versichertenstatus festzumachen sei. Schon Art. 13 Abs. 1 der [X.] 1408/71 gehe davon aus, dass jede [X.]erson nur einem Rechtssystem, also auch nur einem nationalen Sozialversicherungssystem unterliegen könne. Im Einklang damit definiere Art. 1 der [X.] 1408/71 den Beschäftigtenstatus anhand des Versichertenstatus. Dieser normativen Grundentscheidung würde es widersprechen, wenn eine [X.]erson zwar der Sozialversicherung in [X.] unterliegen könnte, dennoch aber (im Sinne der [X.] 1408/71) als beschäftigt in [X.] gelten würde. Entscheidend sei also, in welchem Land eine Versicherung bestehe. Das Versicherungsland habe dann konsequenterweise auch als Beschäftigungsland i.S. der Art. 13 ff. der [X.] 1408/71 zu gelten. Danach unterliege der Kläger allein den [X.] Rechtsvorschriften, so dass ein Anspruch auf [X.] Kindergeld ausgeschlossen sei.

Selbst wenn man dieser Rechtsauffassung nicht folgte, müsse man wegen der Ausnahmeregelung des Art. 14 Nr. 1 der [X.] 1408/71 zu dem Ergebnis kommen, dass die Entscheidung des [X.] unzutreffend sei. Der Kläger sei unstreitig entsandt worden. Typischerweise solle mit einer (zeitlich befristeten) Entsendung erreicht werden, dass der entsandte Arbeitnehmer weiterhin in das Sozialversicherungssystem des [X.] eingegliedert bleibe und kurzfristige Wechsel des Sozialversicherungssystems und damit unnötige Verkomplizierungen des Versicherungsverlaufs vermieden würden. Nach den Regelungen in Art. 14 Nr. 1 der [X.] 1408/71 unterliege der entsandte Arbeitnehmer weiterhin den Rechtsvorschriften des [X.], wenn die voraussichtliche Dauer seiner Tätigkeit zwölf Monate nicht überschreite. [X.] die Tätigkeit länger als ursprünglich angenommen, könne diese Überschreitung durch die zuständige Behörde genehmigt werden. Auch eine Verlängerung um weitere zwölf Monate durch die zuständige Behörde sei möglich. Schließlich könnten die zuständigen Behörden der beteiligten [X.] nach Art. 17 der [X.] 1408/71 auch Ausnahmen (von den Regelungen der Art. 13 bis 16 der [X.] 1408/71) abstrakter Art für bestimmte [X.]ersonengruppen oder auch im Einzelfall für bestimmte [X.]ersonen vereinbaren. Über diese Genehmigungs- bzw. Ausnahmeregelungen würden gemäß Art. 11 der Verordnung ([X.]) Nr. 574/72 des Rates vom 21. März 1972 über die Durchführung der [X.] 1408/71 in ihrer durch die [X.] 118/97 geänderten und aktualisierten Fassung, geändert durch die [X.] 647/2005 ([X.] 574/72) Bescheinigungen erstellt (sog. Formulare E 101).

Vorliegend habe das [X.] nicht aufgeklärt, wie lange die Entsendung voraussichtlich habe dauern sollen oder ob entsprechende Genehmigungen, Ausnahmeregelungen oder Bescheinigungen E 101 vorlägen, und damit seine Amtsermittlungspflicht (§ 76 Abs. 1 Satz 1 der [X.]sordnung --[X.]O--) verletzt. Das [X.] hätte insbesondere auch den Kläger auffordern müssen, zu erklären, ob ihm entsprechende Genehmigungen, Ausnahmeregelungen oder Bescheinigungen E 101 bekannt seien. Zumindest die Darlegungslast im Hinblick auf solche Vorgänge sei dem Kläger, als unstreitig von seinem Arbeitgeber entsandten Arbeitnehmer, aufzuerlegen. Es würde im Ergebnis der grundlegenden Systematik der [X.] 1408/71 widersprechen, wenn eine [X.]erson, die in das [X.] Sozialversicherungssystem integriert sei, dennoch einen Anspruch auf eine Leistung aus einem Zweig der sozialen Sicherheit in [X.] hätte.

Die Familienkasse beantragt,
das Urteil des [X.] aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger hat keinen Antrag gestellt.

Entscheidungsgründe

II. [X.]ie Revision ist begründet. Sie führt gemäß § 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 [X.]O zur Aufhebung des finanzgerichtlichen Urteils und zur Zurückverweisung der nicht spruchreifen Sache an das [X.] zur anderweitigen Verhandlung und [X.]ntscheidung.

1. [X.]ie von dem [X.] getroffenen Feststellungen tragen nicht die ausgesprochene Rechtsfolge, dass weder durch Art. 14 Nr. 1 Buchst. a und b der [X.] 1408/71 noch durch Art. 17 der [X.] 1408/71 die durch Art. 13 Abs. 1 und Abs. 2 Buchst. a der [X.] 1408/71 bewirkte Anwendbarkeit des Rechts des Beschäftigungsstaats [X.] verdrängt werde. [X.]ie bisherigen Feststellungen des [X.] ermöglichen keine abschließende [X.]ntscheidung dazu, ob [X.] oder [X.] Recht auf den Kläger anzuwenden ist.

2. [X.]in Anspruch des [X.] auf Kindergeld nach den §§ 62 f. [X.]StG könnte durch die [X.] 1408/71 und die [X.] 574/72 ausgeschlossen sein.

a) Auf den Streitfall sind noch diese Verordnungen anzuwenden, da die streitigen Kindergeldansprüche sich noch auf Zeiträume vor dem am 1. Mai 2010 erfolgten Inkrafttreten der Verordnung ([X.]) Nr. 883/2004 des [X.] und des Rates vom 29. April 2004 zur Koordinierung der Systeme der [X.] Sicherheit --[X.] 883/2004-- ([X.] 2004 Nr. L 166, S. 1) beziehen (s. hierzu Senatsurteil vom 4. August 2011 III R 55/08, [X.], 316). Nachdem im Rahmen der [X.]inspruchsentscheidung vom 2. Oktober 2007 eine sachliche Prüfung des [X.] stattgefunden hat, beschränkt sich der Streitgegenstand der Klage hinsichtlich der Kinder M und O auf das Kindergeld für den Zeitraum von April 2005 bis Oktober 2007 und hinsichtlich des Kindes P auf das Kindergeld für den Zeitraum von April 2005 bis Mai 2007 (vgl. Senatsurteil vom 22. [X.]ezember 2012 III R 41/07, [X.], 144, unter II.2. der Gründe).

b) Als Familienleistung i.S. des Art. 1 Buchst. u Ziff. i der [X.] 1408/71 unterfällt das Kindergeld nach den §§ 62 ff. [X.]StG gemäß Art. 4 Abs. 1 Buchst. h dieser Verordnung ihrem sachlichen Geltungsbereich (z.B. Urteil des Gerichtshofs der [X.] --[X.]uGH-- vom 14. Oktober 2010 [X.]/09, [X.], Zeitschrift für europäisches Sozial- und Arbeitsrecht 2011, 86 Rdnr. 33).

c) Nach den Feststellungen des [X.] wird der Kläger von dem persönlichen Geltungsbereich der [X.] 1408/71 erfasst, da er entsprechend Art. 2 i.V.m. Art. 1 Buchst. a Ziff. i der [X.] 1408/71 in [X.] gegen ein Risiko oder gegen mehrere Risiken, die von den Zweigen eines Systems der [X.] Sicherheit für Arbeitnehmer oder Selbständige erfasst werden, pflichtversichert oder freiwillig weiterversichert ist.

3. Zu Recht hat das [X.] daher das auf den Kläger anzuwendende Recht nach den Vorschriften des Titels II der [X.] 1408/71 (Art. 13 ff.) bestimmt.

a) Wie der Senat in dem Urteil in [X.], 316 ausgeführt hat, ist für die im Rahmen der Anwendung der Art. 13 ff. der [X.] 1408/71 zu klärenden Frage, in welchem Mitgliedstaat die abhängige Beschäftigung bzw. die selbständige Tätigkeit ausgeübt wird, entgegen der Auffassung der Familienkasse grundsätzlich nicht darauf abzustellen, in welchem Land die Versicherung besteht, sondern darauf, in welchem Mitgliedstaat die Person abhängig beschäftigt ist bzw. eine selbständige Tätigkeit ausübt. [X.]abei ist grundsätzlich von dem bescheinigten Versichertenstatus des Versicherten auszugehen und nur an diejenige(n) Tätigkeit(en) anzuknüpfen, hinsichtlich derer die betreffende Person als Arbeitnehmer bzw. Selbständiger i.S. des Art. 1 Buchst. a der [X.] 1408/71 gilt. [X.]s ist daher zunächst noch festzustellen, ob der Kläger nach seinem bescheinigten Versichertenstatus in [X.] als Arbeitnehmer oder als Selbständiger versichert ist.

b) Nach der Grundregel des Art. 13 Abs. 1 der [X.] 1408/71 gilt, dass vorbehaltlich der Art. 14c und Art. 14f der [X.] 1408/71 Personen, für die die [X.] 1408/71 gilt, den Rechtsvorschriften nur eines Mitgliedstaats unterliegen. Welche Rechtsvorschriften dies sind, bestimmt sich nach Titel II der [X.] 1408/71. [X.]er Rückgriff auf die allgemeine Regelung des Art. 13 Abs. 2 Buchst. a der [X.] 1408/71 (Vorrang des Rechts des Staats, in dessen Gebiet die Person im Lohn- oder Gehaltsverhältnis beschäftigt ist) gilt nach dem einleitenden Satz des Art. 13 Abs. 2 der [X.] 1408/71 aber nur, soweit die Art. 14 bis 17 der [X.] 1408/71 nichts anderes bestimmen.

c) Soweit es um die Anwendbarkeit der Regelung des Art. 14 Nr. 1 Buchst. a und b der [X.] 1408/71 für entsandte Arbeitnehmer geht, durfte das [X.] jedoch aus der Tatsache, dass der Kläger ab dem 1. April 2005 bis zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung als [X.] Arbeitnehmer tätig war, nicht darauf schließen, dass Art. 14 Nr. 1 Buchst. a und b der [X.] 1408/71 bereits vom Beginn des [X.] (1. April 2005) nicht eingreifen könne.

Art. 14 Nr. 1 Buchst. a der [X.] 1408/71 sieht vor, dass eine Person, die im Gebiet eines Mitgliedstaats von einem Unternehmen, dem sie gewöhnlich angehört, abhängig beschäftigt wird und die von diesem Unternehmen zur Ausführung einer Arbeit für dessen Rechnung in das Gebiet eines anderen Mitgliedstaats entsandt wird, weiterhin den Rechtsvorschriften des ersten Mitgliedstaats ([X.]ntsendestaat) unterliegt, sofern die voraussichtliche [X.]auer dieser Arbeit zwölf Monate nicht überschreitet und sie nicht eine andere Person ablöst, für welche die [X.]ntsendungszeit abgelaufen ist. Geht eine solche Arbeit, deren Ausführung aus nicht vorhersehbaren Gründen die ursprünglich vorgesehene [X.]auer überschreitet, über zwölf Monate hinaus, so gelten nach Art. 14 Nr. 1 Buchst. b der [X.] 1408/71 die Rechtsvorschriften des ersten Mitgliedstaats ([X.]ntsendestaat) bis zur Beendigung dieser Arbeit weiter, sofern die zuständige Behörde des Mitgliedstaats, in dessen Gebiet der Betreffende entsandt wurde, oder die von dieser Behörde bezeichnete Stelle dazu ihre Genehmigung erteilt. [X.]iese Genehmigung ist vor Ablauf der ersten zwölf Monate zu beantragen und darf nicht für länger als zwölf Monate erteilt werden.

d) Hieraus ergibt sich, dass die Voraussetzungen einer [X.]ntsendung unter Beibehaltung der Anwendbarkeit der Rechtsvorschriften des [X.]ntsendestaats [X.] beginnend ab 1. April 2005 jedenfalls für zwei Jahre vorgelegen haben könnten, sofern die Voraussetzungen des Art. 14 Nr. 1 Buchst. a und b der [X.] 1408/71 gegeben waren.

aa) Ob dies tatsächlich der Fall war, hat das [X.] zur [X.]rfüllung seiner sich aus § 76 Abs. 1 und Abs. 2 [X.]O ergebenden Sachaufklärungspflicht zu ermitteln. [X.]a der entscheidungserhebliche Sachverhalt so vollständig wie möglich und unter Ausnutzung aller verfügbaren Beweismittel aufzuklären ist (vgl. etwa Urteil des [X.] vom 15. [X.]ezember 1999 [X.], [X.], 1097), darf sich das [X.] nicht allein auf die Würdigung der Bescheinigung des [X.] Arbeitgebers beschränken, insbesondere wenn das [X.] --wie offensichtlich im [X.] Zweifel an der Richtigkeit der Angaben hat und deshalb entgegen dem Wortlaut der Bescheinigung von dem Fehlen der [X.]igenschaft "entsendeter Arbeitnehmer" mit "Versicherungspflicht in [X.]" ausgeht. Vielmehr ist bei den Trägern und Stellen, die über das auf den Anspruchsteller anzuwendende Recht zu befinden haben, zu ermitteln, welche Rechtsvorschriften im [X.] auf den Anspruchsteller Anwendung fanden. Hierzu kann das [X.] gegebenenfalls auch die Beteiligten heranziehen (§ 76 Abs. 1 Satz 2 [X.]O). Nach Art. 4 Abs. 10 der [X.] 574/72 sind im Anhang 10 der [X.] 574/72 u.a. die Träger oder Stellen aufgeführt, die von den zuständigen Behörden aufgrund von Art. 11 Abs. 1 der [X.] 574/72 bestimmt worden sind. Insoweit kann unmittelbar durch Übersendung des [X.] (Bescheinigung über die anzuwendenden Rechtsvorschriften) bei den danach zuständigen [X.] und ausländischen Trägern und Stellen ermittelt werden, welche Rechtsvorschriften auf den Anspruchsteller Anwendung fanden, da auch diese Träger nach Art. 84a der [X.] 1408/71 zur gegenseitigen Information und Zusammenarbeit verpflichtet sind, um die ordnungsgemäße Anwendung der [X.] 1408/71 zu gewährleisten. Anfragen können nach Art. 3 der [X.] 574/72 aber auch durch Vermittlung über die im Anhang 3 der [X.] 574/72 bezeichneten [X.] Verbindungsstellen an die zuständigen Träger des anderen Mitgliedstaats gestellt werden.

bb) Bestätigt der zuständige Träger des anderen Mitgliedstaats, insbesondere durch [X.]rteilung einer [X.]ntsendebescheinigung nach dem Formular [X.] 101, dass für einen bestimmten Zeitraum ein Fall des Art. 14 Nr. 1 Buchst. a oder b der [X.] 1408/71 gegeben war, ist diese Bescheinigung für das [X.] bindend. In der [X.] erklärt der zuständige Träger des Mitgliedstaats, in dem das entsendende Unternehmen seine Betriebsstätte hat, dass sein eigenes System der [X.] Sicherheit auf die entsandten Arbeitnehmer während der [X.]auer der [X.]ntsendung anwendbar bleibt. Wegen des Grundsatzes, dass die Arbeitnehmer einem einzigen System der [X.] Sicherheit angeschlossen sein sollen, hat diese Bescheinigung damit notwendig zur Folge, dass das System der [X.] Sicherheit des anderen Mitgliedstaats nicht angewandt werden kann (vgl. [X.]uGH-Urteil vom 26. Januar 2006 C-2/05, [X.], [X.]. 2006, [X.]. 21, m.w.N.). [X.]a die Bescheinigung [X.] 101 eine Vermutung dafür begründet, dass die entsandten Arbeitnehmer dem System der [X.] Sicherheit des Mitgliedstaats, in dem das diese Arbeitnehmer entsendende Unternehmen seine Betriebsstätte hat, ordnungsgemäß angeschlossen sind, bindet sie folglich den zuständigen Träger des Mitgliedstaats, in den diese Arbeitnehmer entsandt sind. [X.]iese Bindungswirkung besteht, solange die [X.]ntsendebescheinigung nicht zurückgezogen oder für ungültig erklärt wird. Insoweit ist auch ein nationales Gericht des Gaststaats nicht befugt, die Gültigkeit einer vom zuständigen Träger des [X.]ntsendestaats erteilten Bescheinigung [X.] 101 im Hinblick auf die Bestätigung der Tatsachen, auf deren Grundlage eine solche Bescheinigung ausgestellt wurde, zu überprüfen (vgl. [X.]uGH-Urteil [X.] in [X.]. 2006, [X.]n. 24 ff., m.w.N.). Können die betroffenen Träger im [X.]inzelfall zu keiner Übereinstimmung über das anwendbare Recht gelangen, haben diese über die Verwaltungskommission für die [X.] Sicherheit der Wanderarbeitnehmer oder über ein von einem Mitgliedstaat eingeleitetes Vertragsverletzungsverfahren die Möglichkeit, die Richtigkeit der bescheinigten Angaben überprüfen zu lassen (vgl. [X.]uGH-Urteil [X.] in [X.]. 2006, [X.]n. 28 f., m.w.N.). [X.]ie Beteiligten können sich nicht auf eine Unrichtigkeit der von der zuständigen Behörde ausgestellten Bescheinigung [X.] 101 berufen, sondern nur eines der vorgenannten Verfahren zur Aufhebung der Bescheinigung [X.] 101 anstrengen.

cc) Werden etwaige Bescheinigungen dabei nicht in [X.] bzw. [X.] Übersetzung vorgelegt, dürfen die [X.] Behörden, Träger und Gerichte gemäß Art. 84 Abs. 4 der [X.] 1408/71 die bei ihnen eingereichten Anträge und sonstigen Schriftstücke nicht deshalb zurückweisen, weil sie in einer Amtssprache eines anderen Mitgliedstaats abgefasst sind. Sofern den [X.] Behörden, Trägern und Gerichten --erforderlichenfalls auch im Wege der [X.] keine eigenen Übersetzungsmöglichkeiten zur Verfügung stehen, können sie nach Art. 81 Buchst. b der [X.] 1408/71 von der Verwaltungskommission für die [X.] Sicherheit der Wanderarbeitnehmer Übersetzungen fertigen lassen.

e) Soweit es um die Anwendbarkeit der Regelung des Art. 17 der [X.] 1408/71 geht, hat das [X.] zwar festgestellt, dass ihm keine [X.]rkenntnisse über eine zwischen [X.] und [X.] nach Art. 17 der [X.] 1408/71 getroffene Vereinbarung vorlägen. [X.]s ist jedoch nicht erkennbar, aufgrund welcher [X.]rmittlungsmaßnahmen und welcher tatsächlichen Feststellungen das [X.] zu diesem Schluss gekommen ist. Gerade die von dem [X.] festgestellte Überschreitung der maximalen [X.]ntsendedauer bei --laut [X.] Sozialversicherung in [X.] legt nahe, dass eine solche Vereinbarung geschlossen worden sein könnte. Auch insoweit wird das [X.] über die in Anhang 10 der [X.] 574/72 bestimmten Träger oder Stellen daher zu ermitteln haben, ob eine auf den Kläger anwendbare Vereinbarung nach Art. 17 der [X.] 1408/71  (ggf. auch erst nachträglich rückwirkend) geschlossen wurde und ggf. für welchen Zeitraum sich hieraus eine weitere Anwendbarkeit [X.] Rechts ergibt. Für die Bindungswirkung einer danach erteilten Bescheinigung [X.] 101, die unter Ziff. 5.1 u.a. auch eine aufgrund Art. 17 der [X.] 1408/71 geschlossene Vereinbarung bestätigt, gelten die Ausführungen unter [X.] bb entsprechend.

f) Sollte die Prüfung der Art. 13 ff. der [X.] 1408/71 gleichwohl ergeben, dass auf den Kläger [X.] Rechtsvorschriften anzuwenden sind, müsste noch ermittelt werden, ob und ggf. für welche Monate des [X.] für die Kinder des [X.] in [X.] ein Anspruch (z.B. der Mutter der Kinder) auf Familienleistungen bestand. Hierzu hat, da es sich bei dem Bestehen konkurrierender Ansprüche auf ausländische Leistungen um eine den [X.] Kindergeldanspruch potentiell mindernde Tatsache handelt, die Familienkasse die notwendigen Angaben über ein Bescheinigungsersuchen (Vordruck [X.] 411) an die im [X.] zuständige Behörde oder Stelle beizubringen. Von vorliegenden Bescheinigungen in [X.] ist eine Übersetzung anzufertigen.

Soweit ein solcher Anspruch bestand, wäre die dann gegebene Anspruchskumulierung nach den Antikumulierungsvorschriften des Art. 10 der [X.] 574/72 aufzulösen, soweit dessen Anwendbarkeit nicht aufgrund der für [X.] geltenden [X.]inschränkungen des Anhangs I Teil I Buchst. [X.] der [X.] 1408/71 ausgeschlossen ist (s. hierzu Senatsurteil in [X.], 316). [X.]a die Gewährung von Familienleistungen im Wohnsitzstaat der Kinder ([X.]) nicht von der Ausübung einer [X.]rwerbstätigkeit abhängig ist (vgl. hierzu die Übersicht über die vergleichbaren Leistungen i.S. des § 65 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 [X.]StG in dem für den Streitzeitraum geltenden Schreiben des [X.] vom 14. Februar 2002 [X.] 4 [X.], [X.], 241), greift --entgegen der Hilfsbegründung des [X.]-- in diesem Fall die Antikumulierungsvorschrift des Art. 76 der [X.] 1408/71 nicht ein. Ferner wäre bei [X.]ingreifen des Art. 10 der [X.] 574/72 im Hinblick auf die dort in Abs. 1 Buchst. a und b geregelte [X.] zu klären, ob der andere [X.]lternteil (hier die Mutter) im [X.] der Kinder eine [X.]rwerbstätigkeit ausübte (vgl. hierzu [X.]uGH-Urteile vom 7. Juni 2005 [X.]/03, [X.]odl und [X.], [X.]. 2005, [X.]. 54 ff., und vom 7. Juli 2005 [X.]/03, Weide, [X.]. 2005, [X.] Rdnrn. 32 ff.). [X.]ies lässt sich aus den [X.]intragungen unter Nr. 2.5 des Formulars [X.] 401 entnehmen.

g) Sollten die noch erforderlichen [X.]rmittlungen des [X.] ergeben, dass für einen Teil oder für den gesamten streitigen Zeitraum auf den Kläger [X.] Rechtsvorschriften Anwendung finden, stellte sich die Frage, ob [X.] als der nach der [X.] 1408/71 dann nicht zuständige Mitgliedstaat gleichwohl befugt wäre, Kindergeld nach den §§ 62 ff. [X.]StG zu zahlen, und ob in einem solchen Fall der Anwendung des § 65 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 [X.]StG unionsrechtliche Vorschriften entgegenstünden. Insoweit handelte es sich um die gleichen Fragestellungen, die bereits Gegenstand des Vorabentscheidungsersuchens des Senats vom 21. Oktober 2010 III R 5/09 (BFH[X.] 231, 183) sind, so dass eine Aussetzung des finanzgerichtlichen Verfahrens bis zur [X.]ntscheidung des [X.]uGH in dem bei diesem anhängigen Verfahren [X.]/10 in Betracht kommen könnte.

4. [X.]ie Sache ist im Rahmen des [X.] danach nicht spruchreif und war deshalb nach § 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 [X.]O an das [X.] zurückzuverweisen.

Meta

III R 52/08

15.03.2012

Bundesfinanzhof 3. Senat

Urteil

vorgehend Hessisches Finanzgericht, 16. April 2008, Az: 2 K 3077/07, Urteil

§ 62 EStG 2002, Art 14 Nr 1 Buchst a EWGV 1408/71, Art 14 Nr 1 Buchst b EWGV 1408/71, Art 11 EWGV 574/72, Art 4 Abs 10 EWGV 574/72, Anh 10 EWGV 574/72, § 76 Abs 1 S 1 FGO, Art 226 EG, Art 10 EWGV 574/72

Zitier­vorschlag: Bundesfinanzhof, Urteil vom 15.03.2012, Az. III R 52/08 (REWIS RS 2012, 8104)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2012, 8104

Auf dem Handy öffnen Auf Mobilgerät öffnen.


Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

Ähnliche Entscheidungen

III R 51/08 (Bundesfinanzhof)

Kindergeld bis zur Vollendung des 18. Lebensjahres des Kindes; Kindergeld für im Inland als Arbeitnehmer …


III R 55/08 (Bundesfinanzhof)

(Kindergeld für im Inland selbständig tätige polnische Staatsangehörige - § 100 Abs. 3 FGO im …


XI R 55/10 (Bundesfinanzhof)

Zum Kindergeldanspruch eines nach Deutschland entsandten polnischen Arbeitnehmers


III R 81/08 (Bundesfinanzhof)

(Im Wesentlichen inhaltsgleich mit BFH-Urteil vom 04.08.2011 III R 55/08 - Kindergeld für im Inland …


III R 5/09 (Bundesfinanzhof)

EuGH-Vorlage zur Kindergeldberechtigung von polnischen Staatsangehörigen, die als entsandte Arbeitnehmer vorübergehend in der Bundesrepublik Deutschland …


Referenzen
Wird zitiert von

Keine Referenz gefunden.

Zitiert

Keine Referenz gefunden.

Zitieren mit Quelle:
x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.