Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 24.05.2018, Az. 2 AZR 72/18

2. Senat | REWIS RS 2018, 8682

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Gegenstand

Außerordentliche und ordentliche Kündigung - Zugang des Kündigungsschreibens - Arbeitnehmer in Untersuchungshaft


Tenor

1. Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des [X.] vom 4. September 2017 - 16 [X.] 1129/15 - aufgehoben.

2. Die [X.]che wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten des Revisionsverfahrens - an das [X.] zurückverwiesen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer außerordentlichen und einer ordentlichen Kündigung, hilfsweise einen [X.] der [X.].

2

Der Kläger war bei der [X.] bzw. deren Rechtsvorgängerin seit Dezember 2000 als IT-Systemarchitekt beschäftigt.

3

Die Beklagte kündigte das Arbeitsverhältnis der Parteien mit Schreiben vom 16. Juni 2011 außerordentlich fristlos. Die dagegen gerichtete Klage war erfolgreich.

4

Nach dem Vorbringen der [X.] hat diese das Arbeitsverhältnis der Parteien erneut mit Schreiben vom 11. Juli 2011 außerordentlich fristlos und mit Schreiben vom 28. Juli 2011 außerdem vorsorglich ordentlich zum 29. Februar 2012 gekündigt. Hiergegen hat sich der Kläger mit klageerweiternden Schriftsätzen vom 20. Juli 2011 und 15. August 2011 gewandt.

5

Er hat behauptet, die [X.] seien ihm nicht zugegangen. Die Kündigungen seien überdies aus weiteren Gründen unwirksam.

6

Der Kläger hat - soweit für das vorliegende Revisionsverfahren von Interesse - beantragt

        

festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigungen der [X.] vom 11. Juli 2011 und 28. Juli 2011 nicht aufgelöst worden ist.

7

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen, hilfsweise, das Arbeitsverhältnis der Parteien gegen Zahlung einer Abfindung aufzulösen. Sie hat behauptet, die [X.] vom 11. Juli 2011 und 28. Juli 2011 seien am 13. Juli 2011 bzw. am 1. August 2011 einem Mitarbeiter der Poststelle der Justizvollzugsanstalt (JVA), in der sich der Kläger seinerzeit in Untersuchungshaft befand, übergeben und diesem jeweils maximal zwei Tage später ausgehändigt worden.

8

Die Vorinstanzen haben der Klage stattgegeben. Den zweitinstanzlich erhobenen [X.] hat das [X.] zurückgewiesen. Mit ihrer Revision verfolgt die Beklagte ihren Klageabweisungsantrag weiter, hilfsweise ihren Antrag, das Arbeitsverhältnis gegen Zahlung einer Abfindung aufzulösen.

Entscheidungsgründe

9

Die Revision ist begründet. Mit der gegebenen Begründung durfte das [X.] die Berufung der [X.] gegen die klageerweiternd gestellten Anträge nicht zurückweisen. Ob eine Kündigung der [X.] vom 11. oder 28. Juli 2011 das Arbeitsverhältnis der [X.]en aufgelöst hat, kann der Senat nach den vom [X.] getroffenen Feststellungen nicht entscheiden. Das Berufungsurteil ist daher aufzuheben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das [X.] zurückzuverweisen (§ 562 Abs. 1, § 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO).

I. Das Berufungsgericht hat angenommen, die [X.] vom 11. und 28. Juli 2011 hätten sich, selbst wenn sie bei der Poststelle der [X.] abgegeben worden seien, noch nicht im Machtbereich des [X.] befunden. Die Beklagte habe nicht vorgetragen, welcher Mitarbeiter der [X.] zu welchem [X.]punkt die [X.] dem Kläger ausgehändigt habe. Bei den Vollzugsbeamten handele es sich nicht um Empfangsboten der inhaftierten Beschuldigten. Es liege auch kein Fall einer amtsempfangsbedürftigen Willenserklärung vor.

II. Das [X.] hat der Klage in Bezug auf die Kündigungen vom 11. und 28. Juli 2011 rechtsfehlerhaft entsprochen.

1. Zutreffend ist allerdings die Annahme des Berufungsgerichts, bei den [X.] habe es sich nicht um amtsempfangsbedürftige Willenserklärungen iSv. § 130 Abs. 3 BGB gehandelt.

a) Amtsempfangsbedürftig iSd. § 130 Abs. 3 BGB sind Willenserklärungen, die gegenüber Behörden abgegeben werden können oder auch wahlweise gegenüber einer Behörde oder einer Privatperson, sofern sie tatsächlich gegenüber der Behörde abgegeben werden. Eine amtsempfangsbedürftige Willenserklärung geht gem. § 130 Abs. 1 Satz 1 BGB zu, wenn sie bei der zuständigen Posteingangsstelle eingeht ([X.]/[X.] BGB 15. Aufl. § 130 Rn. 26).

b) Die [X.] vom 11. und 28. Juli 2011 waren keine solchen amtsempfangsbedürftigen Willenserklärungen. Sie waren nicht, auch nicht nur wahlweise, gegenüber einer Behörde abzugeben. Adressat war ausschließlich der Kläger als [X.] des Arbeitsverhältnisses, das durch die Kündigungen aufgelöst werden sollte.

2. Im Übrigen hat das [X.] § 130 Abs. 1 Satz 1 BGB nicht rechtsfehlerfrei auf den Streitfall angewandt. Das Berufungsgericht hat zu Unrecht angenommen, die Beklagte habe nicht in erheblicher Weise vorgetragen, dass die [X.] dem Kläger tatsächlich ausgehändigt worden seien.

a) Nach § 130 Abs. 1 Satz 1 BGB wird eine unter Abwesenden abgegebene Willenserklärung in dem [X.]punkt wirksam, in welchem sie dem Empfänger zugeht. Eine verkörperte Willenserklärung ist zugegangen, sobald sie in verkehrsüblicher Weise in die tatsächliche Verfügungsgewalt des Empfängers gelangt ist und für diesen unter gewöhnlichen Verhältnissen die Möglichkeit besteht, von dem Schreiben Kenntnis zu nehmen ([X.] 26. März 2015 - 2 [X.] - Rn. 37; 22. März 2012 - 2 [X.] - Rn. 20 f.).

b) Die Beklagte hat behauptet, das [X.] vom 11. Juli 2011 sei dem Kläger spätestens am 15. Juli 2011 ausgehändigt worden, das [X.] vom 28. Juli 2011 spätestens am 3. August 2011. Dieses Vorbringen ist erheblich. [X.] es zu, wären die [X.] durch tatsächliche Übergabe an den Kläger spätestens am 15. Juli 2011 bzw. 3. August 2011 in seinen Machtbereich gelangt und ihm dadurch iSv. § 130 Abs. 1 Satz 1 BGB zugegangen.

c) Die Angaben der [X.] sind hinreichend substanziiert, um eine Erwiderungslast des [X.] nach § 138 Abs. 2 ZPO auszulösen. Dafür bedurfte es nicht des Vortrags, welcher konkrete Mitarbeiter der [X.] die Schreiben zu welchem konkreten [X.]punkt an den Kläger ausgehändigt habe. Für einen schlüssigen und erheblichen Sachvortrag einer [X.] genügt die Wiedergabe solcher tatsächlichen Umstände, aus denen sich die gesetzlichen Voraussetzungen der begehrten Rechtsfolge ergeben ([X.] 29. Februar 2012 - [X.]/11 - Rn. 16; [X.]/[X.] ZPO 32. Aufl. § 138 Rn. 7b). Dem wird das Vorbringen der [X.] gerecht. Diese hat insoweit auch nicht „ins Blaue hinein“ vorgetragen. Sie hat behauptet, es sei ihr von einem Mitarbeiter der [X.] bestätigt worden, dass eingehende Post den inhaftierten Beschuldigten spätestens innerhalb von zwei Tagen nach Eingang in der Poststelle ausgehändigt werde. Die [X.] seien bei der Poststelle der [X.] am 13. Juli 2011 bzw. 1. August 2011 eingegangen.

d) Der Kläger hat bislang - soweit ersichtlich - das Vorbringen der [X.] nicht in nach § 138 Abs. 3 ZPO erheblicher Weise bestritten. Seine diesbezüglichen Erklärungen sind nicht eindeutig und bedürfen der Klarstellung.

aa) Es ist unklar, ob der Kläger überhaupt behauptet hat, ihm seien die [X.] nicht ausgehändigt worden. Sein bisheriges Vorbringen lässt sich mindestens ebenso gut dahin verstehen, dass er entweder (nur) den Zugang der Schreiben im Rechtssinne in Abrede stellt, den von der [X.] behaupteten [X.]punkt oder die Übergabe des zweiten Schreibens in den Räumen der [X.], nicht aber an einem anderen Ort. So hat der Kläger mit Schriftsatz vom 20. Juli 2011 behauptet, das [X.] vom 11. Juli 2011 sei ihm „bis heute nicht zugegangen“, mit Schriftsatz vom 15. August 2011, es sei ihm „ganz offensichtlich … bis heute nicht zugestellt worden“. Mit Schriftsatz vom 13. März 2012 hat er „weiterhin … bestritten, dass die Kündigung vom 28. Juli 2011 innerhalb der Justizvollzugsanstalt an [ihn] ausgehändigt worden sein soll“.

bb) Ein einfaches Bestreiten des [X.], die [X.] spätestens zu den von der [X.] behaupteten [X.]punkten ausgehändigt erhalten zu haben, genügte nicht den an ein erhebliches Bestreiten zu stellenden Anforderungen.

(1) Zwar richtet sich die [X.] gem. § 138 Abs. 2 ZPO grundsätzlich danach, wie die darlegungspflichtige [X.] vorgetragen hat ([X.] 4. April 2014 - V ZR 275/12 - Rn. 11 mwN, [X.]Z 200, 350; [X.]/[X.] ZPO 32. Aufl. § 138 Rn. 8). [X.] anderes gilt aber dann, wenn diese außerhalb des von ihr darzulegenden [X.] steht und keine nähere Kenntnis der maßgebenden Tatsachen besitzt, während der Prozessgegner sie hat und ihm nähere Angaben zumutbar sind ([X.] 14. Juni 2005 - VI ZR 179/04 - Rn. 18, [X.]Z 163, 209; [X.]/[X.] ZPO 32. Aufl. § 138 Rn. 8b). In diesen Fällen kann vom Prozessgegner im Rahmen des Zumutbaren das substanziierte Bestreiten der behaupteten Tatsache unter Darlegung der ihr widersprechenden Tatsachen und Umstände verlangt werden ([X.] 17. Januar 2008 - III ZR 239/06 - Rn. 16 mwN). Genügt er dem - ggf. nach richterlichem Hinweis gem. § 139 Abs. 2 ZPO - nicht, ist der gegnerische Vortrag gem. § 138 Abs. 3 ZPO als zugestanden anzusehen.

(2) Die Beklagte steht außerhalb des von ihr darzulegenden [X.]. Sie hat keine eigene Kenntnis darüber, welcher Mitarbeiter der [X.] dem Kläger zu welchem [X.]punkt die [X.] übergeben hat. Ihre Behauptung, die Aushändigung sei jedenfalls spätestens zwei Tage nach Eingang der Schreiben in der Poststelle der [X.] erfolgt, stützt sie auf eine von ihr bei der [X.] eingeholte Auskunft. Hingegen weiß der Kläger, ob und ggf. wann ihm die [X.] ausgehändigt wurden. Diese Tatsache ist Gegenstand seiner eigenen Wahrnehmung und kann von ihm ohne Weiteres vorgetragen werden. Er muss daher, will er das Vorbringen der [X.] in erheblicher Weise bestreiten, angeben, ob er die [X.] gar nicht ausgehändigt erhalten hat oder, wenn dies zu einem anderen als dem von der [X.] behaupteten [X.]punkten erfolgte, wann das der Fall war.

3. Mit der gegebenen Begründung durfte das [X.] den Zugang der [X.] auch nicht deshalb verneinen, weil es sich bei den Mitarbeitern der [X.] nicht um Empfangsboten des [X.] gehandelt habe.

a) Wird ein Schreiben einem Empfangsboten übergeben, ist es dem Adressaten iSv. § 130 Abs. 1 Satz 1 BGB zugegangen, sobald nach den gewöhnlichen Umständen mit der Weiterleitung an diesen zu rechnen ist ([X.] 9. Juni 2011 - 6 [X.] - Rn. 18, [X.]E 138, 127). Der Empfangsbote hat lediglich die Funktion einer personifizierten Empfangseinrichtung des Adressaten ([X.] 17. März 1994 - [X.]/92 - zu II der Gründe). Als dessen Übermittlungswerkzeug soll er die Willenserklärung entgegennehmen und an ihn weiterleiten, also noch eine Tätigkeit entfalten, um dem Adressaten die Möglichkeit der Kenntnisnahme zu verschaffen. Vom Adressaten, auf den es für den Zugang allein ankommt, kann daher erst nach Ablauf der [X.], die der Empfangsbote für die [X.] unter den obwaltenden Umständen normalerweise benötigt, erwartet werden, dass er von der Erklärung Kenntnis nehmen kann ([X.] 9. Juni 2011 - 6 [X.] - aaO).

b) Empfangsbote ist, wer vom Empfänger zur Entgegennahme von Erklärungen ermächtigt worden oder nach der Verkehrsauffassung als ermächtigt anzusehen ist, Willenserklärungen oder diesen gleichstehende Mitteilungen mit Wirkung für den Erklärungsempfänger entgegenzunehmen ([X.] 12. Dezember 2001 - [X.]/00 - zu II 2 b aa der Gründe). Ebenso wie der Adressat dafür Sorge zu tragen hat, dass er von Erklärungen, die in seinen Machtbereich gelangt sind, Kenntnis erhält, kann er sich nicht auf seine Unkenntnis berufen, wenn solche Erklärungen an Personen übergeben werden, die regelmäßig Kontakt zu seinem Machtbereich haben und auch aufgrund ihrer Reife und Fähigkeiten geeignet erscheinen, Erklärungen an ihn weiterzuleiten ([X.] 9. Juni 2011 - 6 [X.] - Rn. 13, [X.]E 138, 127; MüKoBGB/[X.] 7. Aufl. § 130 Rn. 25; Sandmann AcP 199 [1999] S. 455, 457). Die Eigenschaft, Empfangsbote sein zu können, ist bejaht worden, wenn eine auf eine gewisse Dauer angelegte räumliche Nähe zum Adressaten gegeben war sowie bei Bestehen einer persönlichen oder vertraglichen Beziehung ([X.] 9. Juni 2011 - 6 [X.] - Rn. 14, aaO).

c) Entgegen der Annahme des [X.]s ist die Eigenschaft als Empfangsbote aber nicht abhängig vom Bestehen einer persönlichen oder vertraglichen Beziehung zwischen Empfangsbote und Adressat. Auch eine normativ ausgestaltete Verpflichtung, eine Willenserklärung an den Adressaten weiterzuleiten, kann eine Empfangsbotenstellung begründen. Diese steht einer freiwillig begründeten Beziehung zu einer anderen Person mit Zugang zum eigenen Machtbereich gleich. Für die Erwartungen des Rechtsverkehrs ist es unerheblich, ob die [X.] durch Vertrag oder durch Rechtsnormen begründet ist.

d) Die Mitarbeiter einer in [X.] gelegenen [X.] sind grundsätzlich Empfangsboten für Schriftstücke, die an dort inhaftierte Beschuldigte gerichtet werden.

aa) Nach § 27 Abs. 1 Satz 2 Hessisches Untersuchungshaftvollzugsgesetz ([X.] vom 28. Juni 2010, GVBl. I S. 185, 208 ff.) haben - soweit nichts anderes gestattet ist - Untersuchungsgefangene die Absendung und den Empfang ihrer Schreiben durch die Anstalt vermitteln zu lassen. Eingehende und ausgehende Schreiben sind umgehend, fristgebundene unverzüglich weiterzuleiten (§ 27 Abs. 3 Satz 1 [X.]). Die Erwartung des Rechtsverkehrs, ein für einen inhaftierten Beschuldigten in einer [X.] [X.] bestimmtes fristgebundenes Schreiben werde, nachdem es in der Poststelle der [X.] eingegangen ist, unverzüglich an diesen übermittelt, ist aufgrund der vorgenannten Verpflichtung der dort tätigen Bediensteten nicht minder berechtigt. Ein Grund für die Annahme, ihnen fehlten die dafür erforderlichen Fähigkeiten oder Möglichkeiten, ist nicht ersichtlich.

bb) Daran ändert es entgegen der Auffassung des [X.]s nichts, dass die Anstaltsleitung in den in § 27 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 bis Nr. 4 [X.] genannten Fällen ein Schreiben anhalten soll. Die sich aus § 27 Abs. 1 Satz 2, Abs. 3 Satz 1 [X.] ergebende Stellung als Empfangsbote wird nur bei Schriftstücken aufgehoben, bei denen die gesetzlichen Voraussetzungen für ein Anhalten vorliegen und die an den Absender zurückgegeben oder von der Anstalt verwahrt werden (§ 27 Abs. 3 Satz 5 [X.]).

cc) Einschränkungen bestehen gleichermaßen bei haftgrundbezogenen Beschränkungen des Postverkehrs während der Untersuchungshaft (§ 119 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 StPO). Danach kann unter den in § 119 Abs. 1 Satz 1 StPO genannten Voraussetzungen bei einem inhaftierten Beschuldigten ua. der Schrift- und Paketverkehr überwacht werden. Nach § 27 Abs. 2 Satz 1 [X.] sind dann eingehende Schreiben nicht unverzüglich an den Häftling, sondern an die hierfür zuständige Stelle weiterzuleiten. Dies sind gem. § 119 Abs. 2 Satz 1 und Satz 2 StPO das Gericht oder die Staatsanwaltschaft, ggf. deren Ermittlungspersonen oder wiederum die Vollzugsanstalt, wenn die Überwachung ihr übertragen wurde. Eine Verpflichtung der Bediensteten der [X.] zur umgehenden bzw. unverzüglichen Weiterleitung an den [X.] besteht demnach im Falle einer Überwachung des Schriftverkehrs gem. § 119 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 StPO zumindest solange nicht, wie das Schreiben nicht von der zuständigen Stelle freigegeben und der [X.] zugeleitet wird.

III. Der Senat kann nicht selbst in der Sache entscheiden. Für die Beurteilung der Frage, ob die [X.] der [X.] vom 11. und 28. Juli 2011 dem Kläger zugegangen sind, bedarf es weiterer Feststellungen der Vorinstanz.

1. Das [X.] wird dem Kläger Gelegenheit zu geben haben, sein Vorbringen zur Aushändigung der [X.] vom 11. und 28. Juli 2011 klarzustellen. Im Falle eines erheblichen Bestreitens des [X.], die [X.] jemals ausgehändigt erhalten zu haben, werden ggf. die von der [X.] für ihre Behauptungen angebotenen Beweise zu erheben sein.

2. Daneben müssen die [X.]en die Möglichkeit haben, ihren Vortrag in Bezug auf den Kündigungszugang und insbesondere auf die in Betracht kommende Empfangsbotenstellung der Bediensteten der [X.] zu ergänzen.

a) Der Kläger hat - soweit ersichtlich - bisher nicht behauptet, die [X.] seien nach § 27 Abs. 3 Satz 2 [X.] angehalten worden, was ihm nach § 27 Abs. 3 Satz 4 [X.] mitzuteilen gewesen wäre.

b) Danach käme es für die Frage, ob ein Zugang der [X.] bei dem Kläger bereits durch Übergabe an einen Mitarbeiter der [X.] bewirkt wurde, darauf an, ob zu dieser [X.] die Überwachung der Post des [X.] gem. § 119 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 StPO angeordnet war oder nicht. Dazu fehlt es bislang an Feststellungen.

aa) Der Kläger hat behauptet, während der gesamten Dauer der Untersuchungshaft der [X.] durch das [X.] unterlegen zu haben. Sollte dies zutreffen, wäre allein durch die Übergabe der [X.] an einen Bediensteten der Poststelle der [X.] noch kein Zugang iSv. § 130 Abs. 1 Satz 1 BGB bewirkt gewesen.

bb) Hätte im fraglichen [X.]raum eine Anordnung nach § 119 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 StPO bestanden und würde der Kläger bestreiten, die [X.] jemals ausgehändigt erhalten zu haben, hätte er, damit sein Bestreiten erheblich ist, außerdem anzugeben, ob die Schreiben angehalten wurden. Ein solcher Vortrag wäre ihm möglich, da einem inhaftierten Beschuldigten unter Angabe der Gründe bekannt zu geben ist, wenn ein Brief nach § 119 Abs. 1 Satz 7 StPO wegen Gefährdung der [X.] angehalten wurde ([X.] StPO/[X.] Stand 1. Januar 2018 § 119 Rn. 35).

cc) Sollte im fraglichen [X.]raum eine Postüberwachung gem. § 119 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 StPO angeordnet gewesen sein und der Kläger nicht behaupten, dass die [X.] angehalten wurden, wäre sein Bestreiten, sie jemals erhalten zu haben, auch dahin zu würdigen, ob ein Abhandenkommen nach den konkreten Umständen der [X.] denkbar war, sofern der ursprüngliche Eingang der [X.] in der [X.] feststünde. Auch hierzu sind Feststellungen bislang nicht getroffen. [X.] wird das [X.] der [X.] Gelegenheit zu geben haben, Erkundigungen zu Erkenntnissen über den Verbleib der [X.] im Zuge der Überwachung einzuholen und hierzu ggf. ergänzend vorzutragen.

c) Wären die Bediensteten der [X.] aufgrund der gesetzlichen Verpflichtung gem. § 27 Abs. 3 Satz 1 [X.] als Empfangsboten des [X.] anzusehen, wäre der Zugang iSv. § 130 Abs. 1 Satz 1 BGB durch Übergabe an sie allerdings erst nach Ablauf der [X.] bewirkt worden, die sie für die [X.] unter den obwaltenden Umständen normalerweise benötigen. Dies waren hier nach der Behauptung der [X.] maximal zwei Tage. Auch nach der Gesetzesbegründung zu § 27 Abs. 3 Satz 1 [X.] soll eingehende Post - soweit kein Fall des § 27 Abs. 2 Satz 1 [X.] und kein Anhaltegrund nach § 27 Abs. 3 Satz 2 [X.] vorliegt - den Untersuchungsgefangenen in der Regel sogar bereits am nachfolgenden Werktag ausgehändigt werden ([X.]. 18/1396 S. 142). Die [X.] gölten nach dem Vorbringen der [X.] demnach als dem Kläger jedenfalls zwei Tage nach der Übergabe an die Poststelle der [X.] iSv. § 130 Abs. 1 Satz 1 BGB zugegangen, sofern eine Verpflichtung der Bediensteten zur unverzüglichen Weiterleitung gem. § 27 Abs. 3 Satz 1 [X.] bestanden haben sollte.

3. Sollte der Zugang zumindest eines der [X.] feststehen, wird das [X.] die weiteren vom Kläger geltend gemachten Unwirksamkeitsgründe zu prüfen haben.

4. Von der Aufhebung und Zurückverweisung umfasst ist auch die Entscheidung über den hilfsweise gestellten Auflösungsantrag der [X.]. Insofern hat das [X.] im Ausgangspunkt zu Recht angenommen, dass eine Auflösung bezogen auf die außerordentliche Kündigung vom 11. Juli 2011 ausscheidet, wenn diese mangels vorheriger Zustimmung des [X.] nicht in eine ordentliche Kündigung umgedeutet werden kann. Das Integrationsamt hatte mit Bescheid vom 10. Juni 2011 lediglich der außerordentlichen Kündigung zugestimmt. Darin ist weder konkludent eine Zustimmung zur ordentlichen Kündigung enthalten gewesen, noch kann die Entscheidung nach § 43 Abs. 1 SGB X in eine Zustimmung zur ordentlichen Kündigung umgedeutet werden (vgl. [X.] 23. Januar 2014 - 2 [X.] - Rn. 25 ff.; 7. Juli 2011 - 2 [X.] 355/10 - Rn. 36, [X.]E 138, 312). Die Zustimmung des [X.] zur ordentlichen Kündigung aus dem Bescheid vom 25. Juli 2011 wirkt nicht zurück. Allerdings müssen die [X.] erst beim Zugang einer Kündigung vorliegen. Sollte die außerordentliche Kündigung vom 11. Juli 2011 dem Kläger erst nach Erteilung der Zustimmung des [X.] am 25. Juli 2011 zugegangen sein, wäre daher ihre Umdeutung in eine ordentliche Kündigung insoweit nicht ausgeschlossen.

        

    Koch     

        

    Niemann    

        

    Rachor     

        

        

        

    Krüger     

        

    Alex    

                 

Meta

2 AZR 72/18

24.05.2018

Bundesarbeitsgericht 2. Senat

Urteil

Sachgebiet: AZR

vorgehend ArbG Frankfurt, 22. März 2012, Az: 21 Ca 4130/11, Urteil

§ 130 Abs 1 S 1 BGB, § 130 Abs 3 BGB, § 138 Abs 2 ZPO, § 138 Abs 3 ZPO, § 139 Abs 2 ZPO, § 119 Abs 1 S 1 StPO, § 119 Abs 1 S 2 Nr 2 StPO, § 27 Abs 1 S 2 UVollzG HE, § 27 Abs 3 S 1 UVollzG HE, § 27 Abs 2 S 1 UVollzG HE, § 27 Abs 3 S 5 UVollzG HE

Zitier­vorschlag: Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 24.05.2018, Az. 2 AZR 72/18 (REWIS RS 2018, 8682)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2018, 8682

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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