Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 26.03.2015, Az. 2 AZR 517/14

2. Senat | REWIS RS 2015, 13355

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Gegenstand

Außerordentliche Kündigung - Verletzung arbeitsvertraglicher Nebenpflichten


Tenor

1. Auf die Revision des [X.] wird das Urteil des [X.] vom 2. Dezember 2013 - 16 [X.] 1248/12 - aufgehoben.

2. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des [X.] vom 22. März 2012 - 21 Ca 4130/11 - wird insoweit zurückgewiesen, wie sie sich gegen die Feststellung richtet, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch ihre fristlose Kündigung vom 16. Juni 2011 nicht aufgelöst worden ist.

3. Im Übrigen wird die [X.]che zur neuen Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten der Revision - an das [X.] zurückverwiesen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit mehrerer Kündigungen.

2

Die Beklagte ist ein IT-Unternehmen. In ihrem Betrieb R besteht ein Betriebsrat. Der 1966 geborene Kläger war bei ihr und ihrer Rechtsvorgängerin seit Dezember 2000 tätig. Er ist Diplom-Informatiker und als schwerbehinderter [X.]ensch anerkannt.

3

Anfang des Jahres 2011 versetzte die Beklagte den Kläger aus ihrer Betriebsstätte [X.] in die Betriebsstätte [X.]. Zugleich übertrug sie ihm die Erstellung eines Handbuchs. Zu diesem Zeitpunkt hatte der Kläger schon seit längerem keine Arbeitsleistungen mehr für sie erbracht. Grund hierfür waren Rechtsstreitigkeiten zwischen den Parteien. Nach seiner Versetzung war der Kläger zunächst wegen Krankheit arbeitsunfähig. Im [X.] daran war ihm bis [X.]itte [X.]ai 2011 Erholungsurlaub bewilligt worden. Am 26. April 2011 bat er seinen Vorgesetzten, ihn bis Anfang August 2011 von der Pflicht zur Arbeitsleistung freizustellen. Zur Begründung verwies er auf eine von ihm gegen die Versetzung erhobene Klage. Der Vorgesetzte lehnte eine [X.]reistellung ab und erklärte, er erwarte den Kläger am 16. [X.]ai 2011 an seinem Arbeitsplatz.

4

Gegen den Kläger wurde ein Strafverfahren geführt. Am 28. April 2011 wurde er während der Verhandlung im Gerichtssaal verhaftet. Dabei war eine Rechtsanwältin zugegen, die das Verfahren für die Beklagte beobachtete. Grundlage der Verhaftung war ein Haftbefehl wegen des Verdachts der Erstellung falscher Lohnsteuerbescheinigungen und der unrechtmäßigen Vereinnahmung von Lohnsteuererstattungen.

5

Der Kläger wurde in Untersuchungshaft genommen und in die [X.] (JVA) gebracht. Kontakt zur Beklagten nahm er nicht auf. Er informierte sie weder über den Grund seiner Verhaftung, noch über den Ort seiner Unterbringung. Er blieb bis zu seiner strafgerichtlichen Verurteilung am 8. November 2011 inhaftiert.

6

Am 30. [X.]ai 2011 beantragte die Beklagte beim Integrationsamt [X.] die Zustimmung zur außerordentlichen, hilfsweise ordentlichen Kündigung des Arbeitsverhältnisses der Parteien. Diese wurde ihr für die beabsichtigte außerordentliche Kündigung durch Bescheid vom 10. Juni 2011 unter dem „Vorbehalt“ erteilt, dass „im arbeitsgerichtlichen Verfahren die wirksame Versetzung [des [X.]] an die Betriebsstätte … in [X.] erfolgt … und somit die örtliche Zuständigkeit des Integrationsamtes [X.] iSd. § 87 Abs. 1 SGB IX gegeben [sei].“

7

Daraufhin kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis der Parteien mit Schreiben vom 16. Juni 2011 außerordentlich fristlos. Der Brief ging am 20. Juni 2011 in der JVA ein und hat den Kläger auch tatsächlich erreicht.

8

[X.]it Schreiben vom 11. Juli 2011 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis erneut außerordentlich fristlos, mit Schreiben vom 28. Juli 2011 zudem hilfsweise ordentlich zum „nächst zulässigen Termin“, den sie mit dem 29. [X.]ebruar 2012 angab. Das Integrationsamt hatte beiden Kündigungen - diesmal vorbehaltslos - zugestimmt.

9

Der Kläger hat sich mit der vorliegenden Klage fristgerecht gegen die Kündigungen gewandt. Er hat geltend gemacht, für die außerordentliche Kündigung vom 16. Juni 2011 liege ein wichtiger Grund iSv. § 626 BGB nicht vor. Auch fehle es an einer ordnungsgemäßen Anhörung des Betriebsrats und an einer wirksamen Zustimmung des [X.]. Die Kündigungen vom Juli 2011 seien ihm nicht zugegangen.

Der Kläger hat - soweit noch von Bedeutung - beantragt

        

festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien weder durch die außerordentlichen Kündigungen der Beklagten vom 16. Juni 2011 und 11. Juli 2011, noch durch die ordentliche Kündigung vom 28. Juli 2011 aufgelöst worden ist.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Im Verlauf des Berufungsverfahrens hat sie hilfsweise beantragt,

        

das Arbeitsverhältnis zum 31. Dezember 2011 gegen Zahlung einer Abfindung aufzulösen.

Sie hat die Auffassung vertreten, das Arbeitsverhältnis sei bereits durch die Kündigung vom 16. Juni 2011 aufgelöst worden. Der Kläger habe seine Pflicht verletzt, ihr nach dem Ende seines Urlaubs den Grund seiner fortwährenden Abwesenheit mitzuteilen. Er sei trotz schriftlicher Abmahnung vom 20. [X.]ai 2011 für lange Zeit gänzlich untätig geblieben. Von der Untersuchungshaft habe sie erst im Anhörungstermin vor dem Integrationsamt am 9. Juni 2011 Kenntnis erlangt. Die Betriebsratsanhörung sei mit Schreiben vom 30. [X.]ai 2011 ordnungsgemäß erfolgt. Die Zustimmung des [X.] zur Kündigung habe vorgelegen. Der in den Bescheid aufgenommene Vorbehalt sei unbeachtlich. Jedenfalls habe das Arbeitsverhältnis aufgrund der fristlosen Kündigung vom 11. Juli 2011, und wenn nicht durch diese, dann aufgrund der ordentlichen Kündigung vom 28. Juli 2011 sein Ende gefunden. Beide Kündigungsschreiben seien dem Kläger über die Haftanstalt zugeleitet worden. Deren Bedienstete seien als seine Empfangsboten anzusehen. Zumindest sei das Arbeitsverhältnis nach §§ 9, 10 KSchG aufzulösen.

Der Kläger hat sich zum [X.] nicht erklärt.

Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Das [X.] hat sie abgewiesen. [X.]it der Revision erstrebt der Kläger die Wiederherstellung der erstinstanzlichen Entscheidung.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Revision ist begründet. Das [X.] hat die Klage zu Unrecht in vollem Umfang abgewiesen. Das Arbeitsverhältnis der Parteien ist durch die fristlose Kündigung vom 16. Juni 2011 nicht aufgelöst worden. Ein wichtiger Grund iSv. § 626 Abs. 1 BGB liegt nicht vor. Ob das Arbeitsverhältnis durch die außerordentliche Kündigung vom 11. Juli 2011 oder die ordentliche Kündigung aufgelöst worden ist, steht nicht fest. Dies führt zur Aufhebung des Berufungsurteils, zur teilweisen Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils und im Übrigen zur Zurückverweisung der Sache an das [X.] (§ 561, § 563 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 ZPO).

I. Die Kündigung vom 16. Juni 2011 ist möglicherweise schon nach § 102 Abs. 1 Satz 3 BetrVG unwirksam. [X.]it seiner bisherigen Begründung durfte das [X.] nicht annehmen, die Anhörung sei iSd. § 102 Abs. 1 Satz 1 und Satz 2 BetrVG ordnungsgemäß erfolgt.

1. Das [X.] hat ausgeführt, die Beklagte habe mit Schriftsatz vom 14. November 2011 unter [X.] 3.9 und dem als „Anlage [X.]“ in Bezug genommenen Schreiben vom 30. [X.]ai 2011 die Anhörung des Betriebsrats zur fraglichen Kündigung dargetan. Das dortige Vorbringen der [X.] bezieht sich jedoch nicht auf die fristlose Kündigung vom 16. Juni 2011, die auf ein „unentschuldigtes [X.]ehlen“ des [X.] gestützt ist, sondern auf die mit Schreiben vom 28. Juli 2011 erklärte ordentliche Kündigung, die damit begründet wird, der Kläger habe andere [X.]itarbeiter mit haltlosen Klagen überzogen. Zur Kündigung vom 16. Juni 2011 wiederum hat die Beklagte zwar unter dem Gliederungspunkt [X.] 2. des Schriftsatzes vorgetragen und für die Anhörung des Betriebsrats - unter [X.] 2.6 - auf ein als „Anlage [X.]“ bezeichnetes Anschreiben vom 30. [X.]ai 2011 verwiesen. Auch dieses Schreiben bezieht sich aber nur auf eine ordentliche Kündigung. Es trägt die Überschrift „Antrag auf Zustimmung zur ordentlichen Kündigung des [[X.]]“ und in der Begründung heißt es, sie - die Beklagte - beabsichtigte, das Arbeitsverhältnis „unter Einhaltung der ordentlichen Kündigungsfrist zu kündigen“. Den folgenden Hinweis auf einen zugleich an das Integrationsamt gerichteten Antrag auf Zustimmung zu einer außerordentlichen Kündigung wegen unentschuldigten [X.]ehlens des [X.] musste der Betriebsrat unter diesen Umständen nicht als Anhörung zu eben dieser Kündigung verstehen.

2. Nach Sinn und Zweck des Anhörungsverfahrens hat der Arbeitgeber den Betriebsrat insbesondere über die Art der beabsichtigten Kündigung - als ordentliche oder außerordentliche - zu unterrichten ([X.] 23. April 2009 - 6 [X.] - Rn. 13, [X.]E 130, 369 [zur Beteiligung des Personalrats nach § 75 Abs. 1, § 76 Abs. 1 [X.]]; 27. Oktober 2005 - 6 [X.] - Rn. 36). Das ist hier - soweit ersichtlich - nicht geschehen. Soweit die Beklagte auf entsprechende Rüge des [X.] im Revisionsverfahren behauptet hat, sie habe den Betriebsrat auch zur fristlosen Kündigung angehört, und sich dafür auf die von der Anlage [X.] inhaltlich abweichende Anlage [X.] berufen hat, handelt es sich um neuen Tatsachenvortrag, der in der Revisionsinstanz keine Berücksichtigung mehr finden kann.

[X.] Auf einen Verstoß gegen § 102 Abs. 1 Satz 1 und Satz 2 BetrVG kommt es für das Ergebnis nicht an. Ebenso wenig ist entscheidend, ob die fristlose Kündigung vom 16. Juni 2011 mit wirksamer Zustimmung des [X.] erfolgte, insbesondere ob und ggf. welche Rechtsfolgen mit dem „Vorbehalt“ in dessen Zustimmungsbescheid verbunden waren. Die Kündigung ist jedenfalls deshalb unwirksam, weil es an einem wichtigen Grund fehlt. Die gegenteilige Würdigung des [X.]s beruht auf einer fehlerhaften Anwendung von § 626 Abs. 1 BGB.

1. Gemäß § 626 Abs. 1 BGB kann das Arbeitsverhältnis aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und bei Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die [X.]ortsetzung des Arbeitsverhältnisses selbst bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht zugemutet werden kann. Dafür ist zunächst zu prüfen, ob der Sachverhalt ohne seine besonderen Umstände „an sich“, dh. typischerweise als wichtiger Grund geeignet ist. Alsdann bedarf es der Prüfung, ob dem Kündigenden die [X.]ortsetzung des Arbeitsverhältnisses unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des [X.]alls - jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist - zumutbar ist oder nicht ([X.] 20. November 2014 - 2 [X.] - Rn. 13; 21. November 2013 - 2 [X.] - Rn. 15, [X.]E 146, 303).

2. Die Umstände, anhand derer zu beurteilen ist, ob dem Arbeitgeber die Weiterbeschäftigung zumindest bis zum Ende der [X.]rist für eine ordentliche Kündigung zumutbar war oder nicht, lassen sich nicht abschließend festlegen. Zu berücksichtigen sind aber regelmäßig das Gewicht und die Auswirkung einer Vertragspflichtverletzung - etwa im Hinblick auf das [X.]aß eines durch sie bewirkten [X.] und ihre wirtschaftlichen [X.]olgen -, der Grad des Verschuldens des Arbeitnehmers, eine mögliche Wiederholungsgefahr sowie die Dauer des Arbeitsverhältnisses und dessen störungsfreier Verlauf. Eine außerordentliche Kündigung kommt nur in Betracht, wenn dem Arbeitgeber angesichts der Gesamtumstände sämtliche milderen Reaktionsmöglichkeiten unzumutbar sind. Die außerordentliche Kündigung ist unwirksam, wenn schon eine ordentliche Kündigung geeignet war, das Risiko künftiger Störungen zu vermeiden ([X.] 9. Juni 2011 - 2 [X.] - Rn. 22; 10. Juni 2010 - 2 [X.] - Rn. 34, [X.]E 134, 349).

3. Diesen [X.]aßstäben wird die angefochtene Entscheidung nicht gerecht.

a) Der Kündigungsgrund liegt im Streitfall in einem Verstoß gegen arbeitsvertragliche Nebenpflichten (zu deren Eignung als Kündigungsgrund „an sich“ vgl. [X.] 8. [X.]ai 2014 - 2 [X.] - Rn. 19; 27. Januar 2011 - 2 [X.] - Rn. 29, [X.]E 137, 54). Eine schuldhafte Verletzung der Hauptpflicht zur Arbeitsleistung ist nicht gegeben. An deren Erfüllung war der Kläger aufgrund seiner Inhaftierung objektiv gehindert. Zwar kann auch ein solcher, in der Person des Arbeitnehmers liegender Umstand geeignet sein, eine Kündigung zu rechtfertigen (für die Untersuchungshaft vgl. [X.] 23. [X.]ai 2013 - 2 [X.] - Rn. 23 ff.; 20. November 1997 - 2 [X.] -; für die Strafhaft vgl. [X.] 24. [X.]ärz 2011 - 2 [X.] - Rn. 15; 25. November 2010 - 2 [X.] - [X.]E 136, 213; 9. [X.]ärz 1995 - 2 [X.] - zu II 3 der Gründe). Dies setzt im [X.]all einer außerordentlichen Kündigung aber voraus, dass der durch die Untersuchungshaft bedingte Arbeitsausfall es dem Arbeitgeber unzumutbar macht, das Arbeitsverhältnis auch nur bis zum Termin einer ordentlichen Kündigung fortzusetzen. Dafür fehlt es hier an Anhaltspunkten.

b) Eine Nebenpflicht des Arbeitnehmers besteht darin, auf die berechtigten Interessen des Arbeitgebers Rücksicht zu nehmen (§ 241 Abs. 2 BGB). Diese Pflicht dient dem Schutz und der [X.]örderung des Vertragszwecks ([X.] 8. [X.]ai 2014 - 2 [X.] - Rn. 19 mwN). Aus ihr leitet sich die allgemeine Pflicht des Arbeitnehmers ab, den Arbeitgeber im Rahmen des Zumutbaren unaufgefordert und rechtzeitig über Umstände zu informieren, die einer Erfüllung der Arbeitspflicht entgegenstehen ([X.]/Preis 15. Aufl. § 611 Rn. 736; allgemein zum Recht der Schuldverhältnisse [X.]/[X.] BGB 73. Aufl. § 241 Rn. 7, § 280 Rn. 30). Wird der Arbeitnehmer in Untersuchungshaft genommen, ist er deshalb gehalten, dem Arbeitgeber diesen Umstand unverzüglich anzuzeigen und ihn - im Rahmen des [X.]öglichen - über die voraussichtliche Haftdauer in Kenntnis zu setzen. Aus dem berechtigten Planungsinteresse des Arbeitgebers kann sich zudem die Pflicht des Arbeitnehmers ergeben, über anstehende Haftprüfungstermine Auskunft zu geben.

c) [X.] ist, dass die [X.]itteilungspflicht nicht eigens vertraglich oder gesetzlich bestimmt ist. Informations- und Anzeigepflichten können Arbeitnehmer auch ohne entsprechende Regelungen treffen (zur Pflicht, die Beendigung einer Schwangerschaft anzuzeigen, vgl. [X.] 18. Januar 2000 - 9 [X.] - Rn. 30, [X.]E 93, 179; zur Anzeigepflicht bei drohenden Schäden für den Arbeitgeber vgl. [X.] 28. August 2008 - 2 [X.] - Rn. 21; 1. Juni 1995 - 6 [X.] - Rn. 35, [X.]E 80, 144). Soweit das Gesetz den Arbeitnehmer in § 5 Abs. 1 Satz 1 [X.] verpflichtet, dem Arbeitgeber eine Arbeitsunfähigkeit unverzüglich mitzuteilen, hat der Gesetzgeber eine sich aus dem Arbeitsvertrag iVm. § 241 Abs. 2 BGB ohnehin ergebende Informationspflicht nur näher konkretisiert und spezialgesetzlich ausgestaltet (zur entsprechenden [X.]unktion spezifischer arbeitsvertraglicher Ordnungsvorschriften vgl. [X.] 15. Januar 1986 - 7 [X.] - Rn. 16).

d) Ein Verstoß gegen vertragliche [X.]itteilungspflichten ist allerdings nicht ohne weiteres geeignet, eine außerordentliche Kündigung zu rechtfertigen. Eine fristlose Kündigung kommt regelmäßig erst dann in Betracht, wenn das Gewicht der Pflichtverletzung durch besondere Umstände erheblich verstärkt wird (vgl. [X.] 12. [X.]ai 2010 - 2 [X.] - Rn. 19; für die Verletzung der Anzeigepflichten bei Krankheit vgl. [X.] 15. Januar 1986 - 7 [X.] - zu 2 b der Gründe; [X.]/[X.]ischermeier 10. Aufl. § 626 BGB Rn. 426; [X.]/[X.] 15. Aufl. § 626 BGB Rn. 121; [X.]/[X.]. § 5 [X.] Rn. 18; [X.] 1995, 1084, 1090). Diese können etwa darin liegen, dass der Arbeitnehmer seine Pflichten beharrlich verletzt oder durch sein Verhalten anderweitig deutlich macht, dass er auch in Zukunft nicht bereit sein werde, ihnen nachzukommen ([X.]/[X.]ischermeier [X.]O).

e) Danach ist bereits fraglich, ob ein wichtiger Grund „an sich“ vorliegt. Zwar hat der Kläger seine Anzeigepflicht verletzt. Die bisherigen [X.]eststellungen tragen aber nicht das Ergebnis, sein Pflichtenverstoß wiege besonders schwer.

[X.]) Nach dem festgestellten Sachverhalt hatte es der Kläger im Kündigungszeitpunkt schon mehrere Wochen lang unterlassen, die Beklagte über seine Arbeitsverhinderung und deren Ursache zu unterrichten. Gründe, die geeignet wären, sein Verhalten zu entschuldigen, sind nicht erkennbar. Der Kläger hat nicht behauptet, es sei ihm aus tatsächlichen Gründen unmöglich gewesen, Kontakt zur [X.] aufzunehmen.

bb) Eine Unterrichtung der [X.] über die Untersuchungshaft war nicht deshalb entbehrlich, weil zwischen den Parteien Streit über die Wirksamkeit der Versetzung des [X.] aus der Betriebsstätte [X.] in die Betriebsstätte [X.] bestand. Das gilt auch dann, wenn die Versetzung nicht vom Direktionsrecht der [X.] gedeckt gewesen sein sollte. Dieser Umstand führt weder zum Wegfall der aus dem Arbeitsverhältnis resultierenden Nebenpflichten (vgl. [X.] 18. Januar 2000 - 9 [X.] - zu I 4 b [X.] (2) der Gründe, [X.]E 93, 179), noch mindert er den Grad des Verschuldens. Die Rüge des [X.], das [X.] habe sein Vorbringen zur Unwirksamkeit der Versetzung übergangen, ist deshalb - ihre Zulässigkeit unterstellt - unbegründet. Art. 103 Abs. 1 GG ist nicht verletzt, wenn eine Entscheidung den Vortrag einer Partei aus Gründen des materiellen Rechts teilweise oder ganz unberücksichtigt lässt ([X.] 19. April 1993 - 1 BvR 744/91 - zu 2 a cc der Gründe).

cc) Die [X.]itteilungspflicht des [X.] entfiel auch nicht deshalb, weil der [X.] seine Verhaftung als solche bekannt war. Nach den [X.]eststellungen des [X.]s hatte sie keine Kenntnis von dem Grund der [X.]estnahme. Insbesondere war der [X.] nicht positiv bekannt, dass der Kläger in Untersuchungshaft genommen worden war. Die Würdigung ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Verfahrensrügen sind nicht erhoben.

dd) Das [X.] hat die Vertragspflichtverletzung als besonders schwerwiegend angesehen. Dafür hat es angeführt, der Kläger habe über mehrere Wochen hinweg seine Inhaftierung vorsätzlich nicht angezeigt. Zudem habe er seinen Aufenthaltsort vor der [X.] geheim halten und diese davon abhalten wollen, arbeitsrechtliche Schritte gegen ihn einzuleiten. Diese Würdigung ist nicht frei von [X.]. Sie wird von den tatsächlichen [X.]eststellungen nicht getragen.

(1) Die Pflichtwidrigkeit seines Verhaltens mag für den Kläger erkennbar gewesen sein. Daraus folgt aber nicht, dass er seine Anzeigepflicht vorsätzlich und beharrlich verletzt hätte. Sein Verhalten kann ebenso gut auf Nachlässigkeit beruht haben (zu dieser Abgrenzung vgl. [X.] 24. [X.]ebruar 2011 - 2 [X.]/09 - Rn. 15, [X.]E 137, 164; 17. Juni 1992 - 2 [X.] - zu II 2 a der Gründe).

(2) Das Gewicht eines Verstoßes gegen vertragliche Anzeigepflichten kann dadurch verstärkt werden, dass der Arbeitnehmer sie über lange [X.] hinweg und für jeden [X.]ehltag neu missachtet. Im Streitfall kann aber nicht außer Betracht bleiben, dass es sich um einen einheitlichen Vorgang handelt. Im Übrigen hätte die Beklagte auch durch eine zeitgerechte Information nicht wesentlich mehr Planungssicherheit gewonnen. Die Untersuchungshaft ist in aller Regel mit erheblichen Unwägbarkeiten bezüglich des „Ob“ und „Wann“ ihrer Aufhebung und damit der möglichen Rückkehr des Arbeitnehmers in den Betrieb verbunden.

(3) Etwas anderes ergibt sich im Streitfall nicht daraus, dass der Kläger es der [X.] durch sein Verhalten erschwert hat, seinen Aufenthaltsort in Erfahrung zu bringen.

(a) § 241 Abs. 2 BGB begründet keine generelle Pflicht des Arbeitnehmers, den Arbeitgeber ggf. - zumal unaufgefordert - darüber zu informieren, in welche Haftanstalt er verbracht worden ist. Aus § 32 Abs. 1 BDSG folgt nichts anderes. Die Vorschrift sieht nicht etwa originäre Anzeigepflichten des Beschäftigten vor. Zwar sind Arbeitnehmer nach entsprechender Aufforderung gehalten, dem Arbeitgeber diejenigen Daten zur Verfügung zu stellen, die dieser benötigt, um seine Pflichten zu erfüllen und mögliche Rechte ihnen gegenüber wahrzunehmen. Was seine Erreichbarkeit betrifft, so genügt der Arbeitnehmer dem aber regelmäßig dadurch, dass er eine Zustellanschrift - etwa seine Wohnanschrift - benennt, an die rechtsgeschäftliche Erklärungen übermittelt werden können. Das gilt auch während der [X.] einer Untersuchungshaft. Der Arbeitnehmer muss einen unter seiner Wohnanschrift bewirkten Zugang auch in dieser [X.] gegen sich gelten lassen (vgl. [X.] 2. [X.]ärz 1989 - 2 [X.] - zu II 3 a cc der Gründe).

(b) Weitergehende Pflichten können entstehen, wenn der Arbeitnehmer während einer Inhaftierung seine bisherige Wohnung aufgibt oder ein für ihn eingerichtetes Postfach kündigt (vgl. [X.] 19. [X.]ärz 2014 - 6 [X.]/13 -; zur [X.]itteilungspflicht bei Wohnungswechsel [X.]/[X.]riedrich 10. Aufl. § 4 [X.] Rn. 117). Ein solcher Sachverhalt ist hier für die [X.] vor der Kündigung vom 16. Juni 2011 weder festgestellt, noch vorgetragen.

(c) [X.]ür die Annahme des [X.]s, das Verhalten des [X.] sei darauf angelegt gewesen, seinen Aufenthaltsort zu verschleiern, fehlt es im Berufungsurteil an einer Begründung. Es sind auch keine objektiven Tatsachen festgestellt, die für eine solche Absicht sprächen.

f) [X.] ist selbst dann nicht gerechtfertigt, wenn die Pflichtverletzung des [X.] in Anbetracht der Dauer seiner Unterlassung mit dem [X.] schwerer gewichtet wird. Zwar hat dieses bei der dann gebotenen Interessenabwägung einen gewissen Beurteilungsspielraum. Seine Würdigung wird in der Revisionsinstanz lediglich daraufhin überprüft, ob bei der Unterordnung des Sachverhalts unter die Rechtsnormen Denkgesetze oder allgemeine Verfahrensgrundsätze verletzt und ob alle vernünftigerweise in Betracht zu ziehenden Umstände berücksichtigt worden sind ([X.] 8. [X.]ai 2014 - 2 [X.] - Rn. 35; 19. April 2012 - 2 [X.] - Rn. 16). Auch diesem eingeschränkten Prüfungsmaßstab hält die angefochtene Entscheidung aber nicht stand.

[X.]) Das [X.] hat angenommen, der [X.] sei die Einhaltung der Kündigungsfrist deshalb unzumutbar gewesen, weil sie mit weiteren Verletzungen der Anzeigepflicht habe rechnen müssen. Diese Würdigung ist rechtsfehlerhaft. Sie stützt sich auf die Annahme, der Kläger habe seine [X.]itteilungspflicht vorsätzlich verletzt und beabsichtigt, seinen Aufenthaltsort zu verschleiern. [X.]ür beides fehlt es, wie gezeigt, an einer ausreichenden Tatsachenbasis. Auch wäre selbst im anderen [X.]alle nicht dargetan, weshalb nicht zumindest eine ordentliche Kündigung als Reaktion ausgereicht hätte.

bb) Unabhängig davon hat das [X.] zwar erwähnt, dass das Verhalten des [X.] keine Ablaufstörungen im Betrieb zur [X.]olge hatte. Seine Ausführungen lassen aber nicht erkennen, welche Bedeutung es diesem Umstand im Rahmen der Interessenabwägung beigemessen hat.

4. Der Senat kann in der Sache selbst entscheiden (§ 563 Abs. 3 ZPO). Der der Kündigung zugrunde liegende Sachverhalt und alle abwägungsrelevanten Gesichtspunkte sind durch das [X.] festgestellt. Zugunsten der [X.] kann dabei unterstellt werden, dass dem Kläger vor Erhalt der Kündigung eine Abmahnung wegen „unentschuldigten [X.]ehlens“ zugegangen ist. Schon das [X.] hat angenommen, auch unter dieser Prämisse sei es der [X.] nicht unzumutbar gewesen, das Arbeitsverhältnis der Parteien jedenfalls bis zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist fortzusetzen. Diese Würdigung ist zutreffend.

a) Es ist nicht auszuschließen, dass der Kläger der irrigen Annahme unterlegen war, er sei - weil die Prozessbevollmächtigte der [X.] bei seiner Inhaftierung anwesend war - zu weiteren [X.]itteilungen nicht verpflichtet. Selbst wenn der Irrtum vermeidbar war, so ist er doch für die Interessenabwägung nicht bedeutungslos (vgl. dazu [X.] 20. November 2014 - 2 [X.] - Rn. 34 mwN). Zudem konnte die Beklagte wegen der ihr bekannten [X.]estnahme des [X.] zumindest vermuten, dass er aufgrund ihrer außerstande wäre, seine Arbeitsleistung zu erbringen. Auch dies mindert das Gewicht der Pflichtverletzung.

b) Sein Lebensalter und die Dauer seiner Betriebszugehörigkeit sprachen bei der Interessenabwägung zugunsten des [X.]. Es ist nicht festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis durch frühere Pflichtverletzungen belastet gewesen wäre. Sonstige Umstände, die es der [X.] unzumutbar gemacht hätten, das Arbeitsverhältnis zumindest für die Dauer der Kündigungsfrist fortzusetzen, sind nicht erkennbar.

I[X.] [X.]it Blick auf die weiteren in die Revision gelangten Streitgegenstände ist der Rechtsstreit nicht entscheidungsreif. Die Sache ist in diesem Umfang an das [X.] zurückzuverweisen.

1. Der Senat kann nicht beurteilen, ob das Arbeitsverhältnis durch die außerordentliche Kündigung vom 11. Juli 2011 aufgelöst worden ist. Das [X.] hat sich - aus seiner Sicht konsequent - nicht mit der [X.]rage befasst, ob die Erklärung dem Kläger zugegangen und ggf. wirksam ist. Das wird es nachzuholen haben.

2. Dies bedingt die Zurückverweisung auch insoweit, wie sich die Klage gegen die ordentliche Kündigung vom 28. Juli 2011 richtet. Über sie ist nur zu entscheiden, wenn das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht durch die fristlose Kündigung vom 11. Juli 2011 aufgelöst worden ist. Die Zurückverweisung erfasst außerdem den auf die ordentliche Kündigung bezogenen, hilfsweise gestellten Auflösungsantrag der [X.].

        

    Kreft    

        

    Rachor    

        

    Berger    

        

        

        

    Alex    

        

    Wolf    

                 

Meta

2 AZR 517/14

26.03.2015

Bundesarbeitsgericht 2. Senat

Urteil

Sachgebiet: AZR

vorgehend ArbG Frankfurt, 22. März 2012, Az: 21 Ca 4130/11, Urteil

§ 626 Abs 1 BGB, § 241 Abs 2 BGB, § 102 Abs 1 BetrVG

Zitier­vorschlag: Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 26.03.2015, Az. 2 AZR 517/14 (REWIS RS 2015, 13355)

Papier­fundstellen: NJW 2016, 103 REWIS RS 2015, 13355

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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Referenzen
Wird zitiert von

16 Ca 23/17

2 Ca 1765/15

6 Ca 1729/15

6 Sa 994/18

12 Sa 630/15

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