Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 22.05.2012, Az. 5 StR 15/12

5. Strafsenat | REWIS RS 2012, 6209

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5 StR 15/12

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS

vom 22. Mai 2012
in der Strafsache
gegen

wegen sexuellen Missbrauchs eines Kindes u.a.

-
2
-

Der 5. Strafsenat des [X.] hat am
22. Mai 2012
beschlossen:

Auf die Revision des
Angeklagten wird das Urteil des Land-gerichts Bremen
vom 20. Juni 2011
mit den Feststellungen
aufgehoben (§
349 Abs. 4 [X.]).

Die Sache wird zu neuer
Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels,
an eine andere [X.] des [X.] zurückverwiesen.

[X.]e

Das [X.] hat den Angeklagten

unter Freispruch im Übrigen

wegen sexuellen Missbrauchs eines Kindes
in drei Fällen, jeweils in Tatein-heit mit sexuellem Missbrauch einer Schutzbefohlenen, zu einer Gesamtfrei-heitsstrafe von drei Jahren verurteilt und angeordnet, dass sechs Monate der verhängten Freiheitsstrafe wegen erheblicher rechtsstaatswidriger Verfah-rensverzögerung als bereits vollstreckt gelten. Die Revision des Angeklagten hat mit der Sachrüge Erfolg.

1. Nach den Feststellungen des [X.] hat der Angeklagte die Nebenklägerin, seine leibliche Tochter, zwischen ihrem achten
Geburtstag im Februar 1997 und seinem Auszug aus der Familienwohnung Ende Dezem-ber 1999 in einer Reihe von Fällen sexuell missbraucht, von denen drei Ta-ten näher konkretisiert werden konnten (Tat 1: Berührung des unbedeckten Geschlechtsteils des Kindes mit einem Vibrator; Tat 2: orale Stimulation des Kindes; Tat 3: gegenseitiger Oralverkehr). Von den
Vorwürfen weiterer sexu-eller Missbräuche
hat das [X.]
den Angeklagten
mangels Individuali-1
2
-
3
-

sierbarkeit weiterer Vorfälle
oder mangels feststellbarer Erheblichkeit der se-xuellen Handlungen (§ 184g Nr. 1 StGB) freigesprochen.

Die Nebenklägerin erstattete im Jahre 2006 Anzeige gegen den Ange-klagten. Im März 2008 beauftragte die Staatsanwaltschaft eine psychologi-sche Sachverständige mit der Erstattung eines aussagepsychologischen Gutachtens, nach dessen Eingang im November 2008 Anklage erhoben wurde. Im Januar 2011 erließ das [X.] einen Eröffnungsbeschluss. Im Hinblick auf die nicht hinreichende Förderung des Verfahrens im Ermitt-lungs-
und im Zwischenverfahren hat die [X.]

insoweit rechtsfeh-lerfrei und mit für sich nicht beanstandenswerten rechtlichen Folgerungen

eine rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung von insgesamt dreieinhalb Jahren festgestellt.

2. Die durch das [X.] vorgenommene Beweiswürdigung hält rechtlicher Prüfung nicht stand.

Im Fall 3 referiert das [X.] lediglich die Einschätzung der von der Staatsanwaltschaft bereits im Ermittlungsverfahren beauftragten und in der Hauptverhandlung angehörten [X.], dass sie hinsichtlich der Bekundungen der Nebenklägerin zu dieser Tat die Feststellung einer Erlebnisfundierung nicht treffen könne, da die Aussage insoweit nicht detailliert genug sei. Wenn die [X.] dessen ungeach-tet der Aussage der Nebenklägerin auch hinsichtlich dieses [X.] folgt, muss sie die Einwände der Sachverständigen deutlich machen
und sich mit ihnen auseinandersetzen. Daran ändert auch der Umstand nichts, dass die [X.] ihrer Beweiswürdigung das von ihr für nachvollziehbar, wider-spruchsfrei und aktuellen wissenschaftlichen Anforderungen genügend ge-haltene Sachverständigengutachten nicht zugrunde gelegt hat,
nachdem sie zuvor einen Antrag der Verteidigung
auf Einholung eines weiteren Sachver-ständigengutachtens unter Hinweis auf eigene Sachkunde (§
244 Abs.
4 Satz 1 [X.]) abgelehnt hatte. Angesichts der vorliegenden Aussage-gegen-3
4
5
-
4
-

Aussage-Konstellation hätte das [X.]
im Rahmen einer umfassenden Gesamtwürdigung alle möglicherweise entscheidungsbeeinflussenden Um-stände, so auch den genannten, in seine Überlegung einbeziehen müssen (vgl.
[X.], Urteil vom 29. Juli 1998

1 StR 94/98,
[X.]St 44, 153, 158 f.,
Beschlüsse vom 16. Juli 2009

5 [X.]

und vom 27. April 2010

5
StR 127/10, jeweils mwN).
Der
Rechtsfehler kann Auswirkungen auf die Beurteilung der Erlebnisbegründetheit der auch im Übrigen knappen Bekun-dungen
der Nebenklägerin haben.
Der Senat hebt deshalb das Urteil insge-samt auf, um dem neuen Tatgericht eine umfassende Beweiswürdigung zu ermöglichen.

3. Auf die von der Revision erhobene Verfahrensrüge kommt es mithin nicht mehr an. Sie gibt dem Senat allerdings Anlass zu dem Hinweis, dass die gerügte Behandlung des auf die substantiierte Darlegung methodischer Mängel des [X.] gestützten Antrags der Verteidigung auf Einholung eines weiteren Sachverständigengutachtens bedenklich war.
Nachdem die von der Staatsanwaltschaft hier durchaus sachgerecht beauf-tragte Gutachterin
in der
Hauptverhandlung
als Sachverständige und nicht lediglich als Zeugin gehört worden war
und
das [X.] deren
Ausfüh-rungen ausweislich der Urteilsgründe für überzeugend
erachtet hat, war nicht auszuschließen, dass sich diese
auf die Beweiswürdigung des [X.] auswirken würden. Dies begründete wiederum die Gefahr, dass etwaige me-thodische Mängel des Gutachtens die Beweiswürdigung der [X.] beeinflussen könnten. Deswegen war es für sie angezeigt, sich in ihrem auf §
244 Abs. 4 Satz 1 [X.] gestützten Ablehnungsbeschluss mit den von der Verteidigung behaupteten Mängeln des Gutachtens auseinanderzusetzen (vgl. auch [X.], Beschluss vom 27. Januar 2010

2
StR 535/09,
[X.]St 55, 5).

4.
Der Senat weist darauf hin, dass

entsprechend der Stellungnah-me
des Generalbundesanwalts

eine
Verurteilung wegen jeweils tateinheit-lich begangenen sexuellen Missbrauchs von Schutzbefohlenen
nicht mehr 6
7
-
5
-

erfolgen kann,
weil
insoweit Verjährung eingetreten
ist (vgl. [X.], Beschluss vom 24. Juni 2004

4 [X.], [X.]R StGB § 78b Abs. 1 Ruhen 12). Die Vorschrift des § 174 StGB wurde erst mit Wirkung zum 1.
April 2004 in den Katalog des § 78b Abs. 1 Nr. 1 StGB aufgenommen. Die Regelung gilt rück-wirkend nur für vor dem 1. April 2004 begangene Taten, die bis dahin nicht verjährt waren. Indes waren die zwischen dem 27. Februar
1997 und [X.] nur bis März 1999 begangenen Taten in diesem Zeitpunkt, der vor der Anzeigeerstattung lag, bereits verjährt.

5. Da die Revision des Angeklagten zu einer Aufhebung und [X.] nach § 354 Abs. 2 Satz 1 [X.]
führt, wird seine Kos-tenbeschwerde gegenstandslos (vgl. [X.], [X.], 54. Aufl.,
§
464 Rn. 20).

[X.]

Schaal Schneider

König Bellay

8

Meta

5 StR 15/12

22.05.2012

Bundesgerichtshof 5. Strafsenat

Sachgebiet: StR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 22.05.2012, Az. 5 StR 15/12 (REWIS RS 2012, 6209)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2012, 6209

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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