Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 17.08.2011, Az. 5 AZR 490/10

5. Senat | REWIS RS 2011, 3926

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Gegenstand

(Haftung nach § 1a AEntG aF - Berechnung des Nettoentgelts)


Leitsatz

Nettoentgelt iSv. § 1a Satz 2 AEntG aF ist der nach dem für den betreffenden Arbeitnehmer maßgeblichen Steuer- und Sozialversicherungsrecht zur Auszahlung verbleibende Betrag des Mindestentgelts. Unterliegt der Arbeitnehmer ausländischem Sozialversicherungsrecht, sind die danach vom Arbeitnehmer zu tragenden Anteile zur ausländischen Sozialversicherung, nicht aber - fiktive - Beiträge zur deutschen Sozialversicherung zu berücksichtigen.

Tenor

1. Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des [X.] vom 30. Juni 2010 - 4 [X.] 1481/09 - teilweise aufgehoben.

2. Auf die Berufung des [X.] wird das Urteil des [X.] vom 5. November 2009 - 4 Ca 2248/08 - teilweise abgeändert und insgesamt wie folgt neu gefasst:

Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 1.946,33 Euro netto nebst Zinsen iHv. fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 22. November 2008 zu zahlen. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

3. Die weitergehende Berufung des [X.] und die weitergehende Revision der Beklagten werden zurückgewiesen.

4. Der Kläger hat die durch die Anrufung des örtlich unzuständigen Arbeitsgerichts [X.] entstandenen Mehrkosten zu tragen. Von den übrigen Kosten der ersten Instanz und den Kosten des Berufungsverfahrens haben der Kläger 49 % und die Beklagte 51 % zu tragen. Die Kosten des Revisionsverfahrens haben der Kläger zu 27 % und die Beklagte zu 73 % zu tragen.

Tatbestand

1

Der Kläger nimmt die [X.]eklagte als Hauptunternehmerin nach § 1a [X.] in der vom 1. Juli 2007 bis zum 23. April 2009 geltenden Fassung (im Folgenden: [X.] aF) in Anspruch.

2

Die [X.]eklagte führte das [X.]auvorhaben R in [X.] durch. Sie betraute mit der Erstellung des [X.]hbaus eine [X.], die ihrerseits Arbeiten an die in [X.] ansässige Firma [X.] vergab. [X.]ei dieser war der 1971 geborene Kläger, der [X.] Staatsangehöriger ist, angestellt. Er wurde in den Monaten Mai und Juni 2008 auf der [X.]austelle R eingesetzt. Hierfür erteilte ihm die [X.]undesagentur für Arbeit eine „[X.]“ als Einschaler. Ferner erhielt der Kläger eine „[X.]escheinigung [X.]“ als Nachweis dafür, dass er während der Dauer seiner Entsendung im [X.] System der sozialen Sicherheit verblieb. Für seine Arbeit in den Monaten Mai und Juni 2008 zahlten dem Kläger seine Arbeitgeberin einen Abschlag iHv. 800,00 Euro und die [X.]eklagte über den nachmaligen Prozessbevollmächtigten des Klägers 500,00 Euro.

3

Anlässlich der Auszahlung von 500,00 Euro an den Kläger und 36 weitere Arbeitnehmer der [X.], die in einem Dienstgebäude des [X.] in Anwesenheit einer Dolmetscherin erfolgte und vom [X.] gefilmt wurde, unterschrieb der Kläger folgendes Schriftstück:

        

„Vollmacht

        

Hiermit bevollmächtige ich die Kanzlei Dr. M, [X.] außergerichtlich sowie auch prozessrechtlich für alle Verfahren gegenüber der Firma [X.] bzw. deren Nachunternehmer zu vertreten. Die Vollmacht erstreckt sich ausdrücklich auch auf die Entgegennahme von [X.] und zu erstattenden Kosten.

        

[X.],    

€ 500,00 in bar erhalten

        

den 02.07.2008

        
        

…“    

        

4

Mit der am 21. November 2008 beim Arbeitsgericht eingereichten Klage hat der Kläger unter [X.]ezugnahme auf von ihm selbst geführte Stundenzettel vorgetragen, insgesamt 483 Stunden auf der [X.]austelle R gearbeitet, zumindest aber die in den Stundenaufzeichnungen der Arbeitgeberin ausgewiesenen 379 Stunden geleistet zu haben. Für die von ihm verrichteten Facharbeitertätigkeiten als Einschaler stehe ihm der Mindestlohn 2 nach dem durch die Fünfte Verordnung über zwingende Arbeitsbedingungen im [X.]augewerbe vom 29. August 2005 ([X.]Anz. Nr. 164 vom 31. August 2005 S. 13199) auf nicht tarifgebundene Arbeitgeber und Arbeitnehmer erstreckten Tarifvertrag zur Regelung der Mindestlöhne im [X.]augewerbe im Gebiet der [X.]undesrepublik Deutschland vom 29. Juli 2005 ([X.]) zu. Von dem [X.]ruttomindestentgelt seien außer den erhaltenen Abschlägen lediglich Lohnsteuer und Solidaritätszuschlag nach [X.] Recht, nicht aber Sozialversicherungsbeiträge abzusetzen. So sei auch die Arbeitgeberin bis April 2008 bei Kollegen des Klägers verfahren.

5

Der Kläger hat zuletzt sinngemäß beantragt,

        

die [X.]eklagte zu verurteilen, an ihn 3.830,80 Euro netto nebst [X.]insen iHv. fünf Prozentpunkten über dem [X.]asiszinssatz seit dem 1. November 2008 zu zahlen.

6

Die [X.]eklagte hat Klageabweisung beantragt und die Auffassung vertreten, die vom Prozessbevollmächtigten des Klägers erstinstanzlich vorgelegte Vollmacht habe ihn nicht zur Vertretung in einem gegen die [X.]eklagte gerichteten Rechtsstreit legitimiert. Sie hat die vom Kläger behauptete Tätigkeit auf der [X.]austelle R nach Art und Umfang mit Nichtwissen bestritten und gemeint, zur Ermittlung des allenfalls von ihr geschuldeten [X.] seien die Arbeitnehmeranteile zur [X.], zumindest aber diejenigen zur [X.] Sozialversicherung abzusetzen.

7

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das [X.] hat auf die [X.]erufung des Klägers der Klage teilweise stattgegeben. Mit der vom [X.] zugelassenen Revision begehrt die [X.]eklagte die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils.

Entscheidungsgründe

8

Die Revision der Beklagten ist teilweise begründet. Das [X.] hat der Berufung des [X.] gegen das die Klage abweisende Urteil des Arbeitsgerichts zu weitgehend stattgegeben. Bei der Ermittlung des [X.] nach § 1a Satz 2 [X.] aF sind die vom Kläger zu tragenden Arbeitnehmeranteile zur [X.] Sozialversicherung zu berücksichtigen.

9

I. Die Klage ist zulässig.

1. Zu Recht hat das [X.] entgegen der Auffassung des Arbeitsgerichts angenommen, die vom Prozessbevollmächtigten des [X.] auf die Rüge der Beklagten erstinstanzlich vorgelegte Vollmacht berechtige ihn zur Führung eines Zahlungsprozesses gegen die Beklagte. Dabei kann das Revisionsgericht die in der Vollmachtsurkunde enthaltene prozessuale Willenserklärung selbst auslegen ([X.] 1. März 2007 - 2 [X.] - Rn. 16, [X.] 1969 § 4 Nr. 60 = EzA KSchG § 4 nF Nr. 76). Die Auslegung darf auch im Prozessrecht nicht am buchstäblichen Sinn des Ausdrucks haften, sondern hat den wirklichen Willen der [X.] zu erforschen. Es kommt darauf an, welchen Sinn die Erklärung aus der Sicht des Gerichts und des Prozessgegners objektiv hat (vgl. [X.] - zu [X.] a der Gründe, NJW - [X.] 1994, 568; [X.] 28. August 2008 - 2 [X.] - Rn. 16, [X.] 1969 § 4 Nr. 67 = EzA KSchG § 4 nF Nr. 86).

Bei verständiger Betrachtung ist das mit „Vollmacht“ überschriebene Schriftstück nicht nur eine Quittung für die in bar erhaltenen 500,00 [X.], sondern auch eine Prozessvollmacht, die eine gerichtliche Inanspruchnahme der Beklagten als der „echten“ Hauptunternehmerin abdecken soll. Der Kläger wollte seine Ansprüche aus der Erbringung der Arbeitsleistung auf der [X.] gegen alle denkbaren Anspruchsgegner durchgesetzt wissen. Entsprechend weit ist die Vollmacht gefasst. Sie bezieht sich nicht auf ein einzelnes Unternehmen, sondern die gesamte für das Bauvorhaben tätig gewordene [X.]. Die Rechtsverfolgung liefe gänzlich ins Leere, wenn sich die Vollmacht auf ein Vorgehen gegen eine unstreitig unter der Firmierung „O“ nicht existente Gesellschaft beschränkte. Dass die Beklagte - als Kopf der beteiligten [X.] - primär in Anspruch genommen werden sollte, folgt zudem aus der ausdrücklichen Erstreckung der Vollmacht auf die Entgegennahme von [X.]. Die gleichzeitig quittierte Abschlagszahlung von 500,00 [X.] kam unstreitig von der Beklagten.

2. Die auf eine Nettolohnzahlung gerichtete Klage ist hinreichend bestimmt iSv. § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO. § 1a [X.] aF enthält eine gesetzliche Sonderregelung, die eine Nettolohnklage in Höhe der sich im Jahr des Tätigwerdens ergebenden Vergütung zulässt ([X.] 12. Januar 2005 - 5 [X.] - zu I 3 der Gründe, [X.]E 113, 149).

II. Die Klage ist teilweise begründet.

Die Beklagte haftet dem Kläger nach § 1a Satz 1 [X.] aF auf das Mindestentgelt, das der Kläger von seiner Arbeitgeberin für die Arbeitsleistung auf der [X.] beanspruchen kann. Dieses Mindestentgelt umfasst nach § 1a Satz 2 [X.] aF das [X.]. Das ist nach der gesetzlichen Definition der Betrag, der nach Abzug der Steuern und der Beiträge zur Sozialversicherung und zur Arbeitsförderung oder entsprechender Aufwendungen zur [X.] Sicherung an den Kläger auszuzahlen ist. Zu den Abzugsposten gehören auch die vom Kläger zu tragenden Arbeitnehmeranteile zur [X.] Sozialversicherung.

1. Die Voraussetzungen einer gesetzlichen Bürgenhaftung der Beklagten für Mindestentgeltansprüche des [X.] gegen seine Arbeitgeberin liegen vor.

a) Nach § 1a Satz 1 [X.] aF haftet ein Unternehmer, der einen anderen Unternehmer mit der Erbringung von Werk- oder Dienstleistungen beauftragt, für die Verpflichtungen dieses Unternehmers oder eines [X.] zur Zahlung des [X.] an einen Arbeitnehmer wie ein Bürge, der auf die Einrede der [X.] (§ 771 BGB) verzichtet hat.

Die Beklagte stellt nicht in Abrede, Unternehmer iSd. Norm zu sein (zu der gegenüber § 14 BGB gebotenen einschränkenden Auslegung des Begriffs, vgl. [X.] 12. Januar 2005 - 5 [X.] - zu [X.] der Gründe, [X.]E 113, 149). Sie hat die [X.] betrieben und mit der [X.] einen anderen Unternehmer mit der Erbringung von Werkleistungen beauftragt, der dafür wiederum die Arbeitgeberin des [X.] einschaltete. Die Bürgenhaftung aus § 1a [X.] aF besteht für Ansprüche gegen die gesamte [X.], also auch für solche gegen einen (Sub-)Subunternehmer ([X.]/[X.] 11. Aufl. § 14 [X.] Rn. 3; [X.] in Thüsing [X.] § 14 Rn. 17).

b) § 1a Satz 1 [X.] aF ist mit Unionsrecht vereinbar und verstößt auch nicht gegen das Grundgesetz ([X.] 12. Oktober 2004 - [X.] - 60/03 - [X.] & [X.]] Slg. 2004, [X.]; [X.] 20. März 2007 - 1 BvR 1047/05 - [X.] GG Nr. 9; [X.] 12. Januar 2005 - 5 [X.] - [X.]E 113, 149). Dabei kann dahingestellt bleiben, ob die Haftung des [X.] nach § 1a [X.] aF entsprechend dem Gesetzeswortlaut auch im Fall der Insolvenz des [X.] besteht oder dem Art. 12 Abs. 1 GG entgegensteht (ausdrücklich offengelassen: [X.] 20. März 2007 - 1 BvR 1047/05 - zu [X.] 2 b) [X.]) (4) (b) der Gründe, aaO; [X.] 8. Dezember 2010 - 5 [X.] - Rn. 18, AP [X.] § 1a Nr. 4 = EzA [X.] § 1a Nr. 7). Auf eine Insolvenz der Arbeitgeberin des [X.] und einen darauf gestützten Wegfall ihrer Haftung hat die Beklagte sich nicht berufen.

c) Im Baugewerbe war in den streitbefangenen Monaten ein Mindestentgelt iSv. § 1a Satz 1 [X.] aF zu zahlen. Dieses ergab sich aus dem [X.], der durch die Fünfte Verordnung über zwingende Arbeitsbedingungen im Baugewerbe vom 29. August 2005 (BAnz. Nr. 164 vom 31. August 2005 S. 13199, im Folgenden: 5. [X.] Bau) auf alle nicht „an ihn“ - also den [X.] - gebundenen Arbeitgeber und Arbeitnehmer erstreckt wurde und dessen Rechtsnormen auch für Arbeitgeber mit Sitz im Ausland und deren auf dem Gebiet der [X.] beschäftigten Arbeitnehmer international zwingend gemäß Art. 34 EGBGB aF Anwendung fand. Die [X.] und des Rates vom 17. Juni 2008 über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht ([X.]m I) ist nach ihrem Art. 28 erst auf Verträge anzuwenden, die nach dem 17. Dezember 2009 geschlossen worden sind.

d) Die 5. [X.] Bau war - was auch die Beklagte nicht bezweifelt - von der Ermächtigungsgrundlage des § 1 Abs. 3a Satz 1 [X.] aF gedeckt (vgl. [X.] 18. Juli 2000 - 1 [X.]/00 - zu [X.] der Gründe, AP [X.] § 1 Nr. 4 = EzA GG Art. 9 Nr. 69 und 26. November 2003 - 1 [X.] -; [X.]/[X.] 9. Aufl. § 1 [X.] Rn. 14; [X.]/[X.]/[X.]/[X.] 3. Aufl. § 7 [X.] Rn. 15 ff., jeweils mwN; zur Verordnung über zwingende Arbeitsbedingungen für die Branche Briefdienstleistungen vom 28. Dezember 2007 aA: [X.] 18. Dezember 2008 - [X.]/08 - Rn. 44 ff., [X.] 2009, 167; in der Revisionsinstanz offengelassen: BVerwG 28. Januar 2010 - 8 [X.] 19/09 - BVerwGE 136, 54). Aus dem Gesamtzusammenhang der Norm ergibt sich, dass mit dem Merkmal „nicht tarifgebundene Arbeitgeber und Arbeitnehmer“ in § 1 Abs. 3a Satz 1 [X.] aF - wie der Gesetzgeber in § 7 Abs. 1 Satz 1 [X.] nF klargestellt hat - die nicht an den zu erstreckenden Tarifvertrag nach § 3 Abs. 1 TVG gebundenen Arbeitgeber und Arbeitnehmer gemeint sind.

e) Der Kläger hat gegen seine Arbeitgeberin Anspruch auf Zahlung des Mindestlohns 2 nach § 2 [X.] für die vom [X.] festgestellten 379 Arbeitsstunden. Das ergibt einen Betrag von 4.737,50 [X.] brutto.

aa) Der Mindestlohn 2 wird gemäß dem Anhang zum [X.] geschuldet für fachlich begrenzte Arbeiten (Teilleistungen eines Berufsbilds oder angelernte Spezialtätigkeiten) nach Anweisung. Der Kläger verfügt als [X.] über die tarifliche Regelqualifikation. Ihm war eine Arbeitserlaubnis - [X.] (§ 284 SGB III) als Einschaler erteilt worden. Nach den von der Revision nicht angegriffenen und daher für den Senat bindenden Feststellungen des [X.]s (§ 559 ZPO) führte er im Zuge der Errichtung des [X.]hbaus durch seine Arbeitgeberin nach Anweisung Arbeiten aus dem Bereich der Schreinerei und der [X.] aus. Die Arbeit als Schalungsbauer (Einschaler) entspricht dem tariflichen Tätigkeitsbeispiel Nr. 12 für die Lohngruppe 2.

[X.]) Das [X.] hat nach Beweisaufnahme angenommen, der Kläger habe auf der [X.] in den Monaten Mai und Juni 2008 entsprechend den Aufzeichnungen seiner Arbeitgeberin insgesamt 379 Stunden gearbeitet. Die dagegen erhobene Rüge der Revision greift nicht durch. Das [X.] hat weder die Anforderungen an die Darlegungslast verkannt, noch sind ihm bei der Beweiswürdigung Rechtsfehler unterlaufen. Zudem hätte es einer Beweisaufnahme nicht bedurft. Der Sachvortrag des [X.] zu den von ihm geleisteten Arbeitsstunden ist unstreitig, § 138 Abs. 3 und Abs. 4 ZPO. Die Beklagte durfte ihn nicht mit Nichtwissen bestreiten.

Nach § 138 Abs. 4 ZPO ist eine Erklärung mit Nichtwissen nur über Tatsachen zulässig, die weder eigene Handlungen der [X.] noch Gegenstand ihrer eigenen Wahrnehmung gewesen sind. Dabei ist in Rechtsprechung und Schriftum anerkannt, dass nicht nur Handlungen und Wahrnehmungen der gesetzlichen Vertreter einer [X.], sondern auch Vorgänge im eigenen Geschäfts- oder Verantwortungsbereich den eigenen Handlungen oder Wahrnehmungen iSv. § 138 Abs. 4 ZPO gleichzustellen sind. Eine [X.] kann sich nicht durch arbeitsteilige Organisation ihres Betätigungsbereichs ihren prozessualen Erklärungspflichten entziehen, sondern muss innerhalb desselben Erkundigungen anstellen ([X.] 2. August 2006 - 10 [X.] - Rn. 26 f., [X.]E 119, 170; [X.]/[X.] ZPO 28. Aufl. § 138 Rn. 16, jeweils mwN). Die Beklagte hatte sich für das von ihr auszuführende Bauvorhaben durch den Einsatz von (Sub-)Subunternehmen einer arbeitsteiligen Organisation bedient und unstreitig durchgehend eigene Arbeitskräfte (Bauleiter und Poliere) auf der Baustelle im Einsatz. Wie bei einem Einsatz eigener Arbeitnehmer traf sie deshalb eine Erkundigungspflicht über die Arbeitsstunden, die der Kläger bei einer unter der (Gesamt-)Leitung der Beklagten tätig gewordenen Firma geleistet hat (vgl. auch [X.] - NJW 1999, 53).

f) Auf einen Verfall des Mindestlohnanspruchs des [X.] gegen seine Arbeitgeberin nach § 2 Abs. 5 [X.] hat die Beklagte sich nicht berufen. Die Einhaltung einer tariflichen Ausschlussfrist ist weder von Amts wegen zu berücksichtigen noch eine der [X.] unterliegende anspruchsbegründende Tatsache. Vielmehr handelt es sich bei ihrer Nichteinhaltung um eine rechtsvernichtende Einwendung, deren Anwendbarkeit vom Schuldner darzulegen ist. Erst wenn dies geschehen ist oder die maßgeblichen Tatsachen unstreitig sind, hat der Gläubiger die Voraussetzungen der Anspruchserhaltung (wie zB schriftliche Geltendmachung) darzulegen.

2. Nach § 1a Satz 2 [X.] aF umfasst das Mindestentgelt iSd. Satzes 1 den Betrag, der nach Abzug der Steuern und der Beiträge zur Sozialversicherung und zur Arbeitsförderung oder entsprechender Aufwendungen zur [X.] Sicherung an den Arbeitnehmer auszuzahlen ist. Bei der Ermittlung dieses [X.] kommt es entgegen der Auffassung des [X.]s nicht darauf an, welchen Betrag der Arbeitgeber tatsächlich ausgezahlt hat. Entscheidend ist allein der nach dem für den betreffenden Arbeitnehmer maßgeblichen Steuer- und Sozialversicherungsrecht zur Auszahlung verbleibende Betrag des [X.].

a) Zutreffend hat das [X.] vom [X.] die bereits vom Kläger selbst berücksichtigte Lohnsteuer nebst dem Solidaritätszuschlag - als einer Ergänzungsabgabe zur Einkommensteuer - nach [X.] Steuerrecht mit einem Betrag von insgesamt 756,86 [X.] entsprechend den vom Kläger zur Akte gereichten und von der Beklagten nicht beanstandeten Einzelauskünften abgesetzt. Der Kläger unterlag während seines Einsatzes auf der [X.] ausschließlich dem inländischen Einkommensteuerrecht. Das folgt aus Art. 5 und Art. 15 des Abkommens zwischen der [X.] und [X.] zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiet der Steuern von Einkommen und vom Vermögen vom 4. Juli 2001 ([X.]II 2003 S. 1594) und steht zwischen den [X.]en nicht im Streit.

b) Von dem [X.] sind weiter die vom Kläger zu tragenden Arbeitnehmeranteile zur [X.] Sozialversicherung abzuziehen.

aa) Für den in [X.] wohnhaften Kläger galt während seiner Tätigkeit auf der [X.] aufgrund der zeitlich befristeten Entsendung durch seine in [X.] ansässige Arbeitgeberin das [X.] Sozialversicherungsrecht, Art. 14 Abs. 1 Buchst. a VO 1408/71/[X.], die für [X.] seit dem 1. Januar 2007 verbindlich war (vgl. Art. 52 des Protokolls über die Bedingungen und Einzelheiten der Aufnahme der [X.] und [X.]s in die [X.], ABl. [X.] L 157 vom 21. Juni 2005 S. 29 ff.) und - unionsweit - erst zum 1. Mai 2010 von der [X.] abgelöst worden ist. Davon hat der Senat ohne nähere Prüfung wegen der dem Kläger erteilten Bescheinigung [X.] auszugehen (zur Bindungswirkung dieser Bescheinigung auch für die Gerichte des Gaststaats s. [X.] 26. Januar 2006 - [X.] - 2/05 - [[X.]] Rn. 33, Slg. 2006, I-1079).

[X.]) Unterliegt der Gläubiger der Haftung nach § 1a [X.] aF ausländischem Sozialversicherungsrecht, kommt entgegen der Auffassung der Beklagten die Berücksichtigung von - fiktiven - Beiträgen zur [X.] Sozialversicherung bei der Ermittlung des [X.] nach § 1a Satz 2 [X.] nicht in Betracht. Die Norm stellt auf die vom Gläubiger tatsächlich zu tragenden Beiträge zur Sozialversicherung ab und will nicht fiktive Beiträge anrechnen, denen keine gleichwertigen sozialversicherungsrechtlichen Ansprüche gegenüberstehen, weil das zugrunde liegende Sozialversicherungsrecht überhaupt keine Anwendung findet ([X.] 42/2010 [X.]. 3). Dementsprechend hat im Gesamthaftungssystem der Bauunternehmer nach § 28e Abs. 3a Satz 2 SGB [X.] nicht für die zur [X.] Sozialversicherung, sondern (nur) für die vom Nachunternehmer gegenüber ausländischen Sozialversicherungsträgern abzuführenden Beiträge zu haften.

cc) Die Höhe des vom Kläger zu tragenden Anteils zur [X.] Sozialversicherung betrug im streitbefangenen Zeitraum 15,5 % des Bruttolohns. Das haben die [X.]en in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat unstreitig gestellt. Danach sind 734,31 [X.] vom [X.] abzuziehen.

c) Unter Berücksichtigung von Abschlägen in einer Gesamthöhe von 1.300,00 [X.] haftet die Beklagte damit nach § 1a [X.] aF auf ein [X.] iHv. 1.946,33 [X.].

3. Für seine Forderung kann der Kläger nach § 291 BGB Prozesszinsen ab dem 22. November 2008 beanspruchen. Frühere Verzugszinsen stehen ihm nicht zu, weil er die Beklagte nicht durch eine Mahnung in Verzug gesetzt hat, § 286 Abs. 1 Satz 1 BGB. Eine Mahnung war nicht entbehrlich iSv. § 286 Abs. 2 Nr. 1 BGB, weil § 1a [X.] aF eine Haftung für eigene Schuld des [X.] begründet, die nicht zeitgleich und kalendermäßig bestimmt (§ 2 Abs. 4 [X.]) mit dem Anspruch auf das Mindestentgelt des Arbeitnehmers gegenüber seinem Arbeitgeber fällig wird.

III. [X.] beruht auf § 92 Abs. 1 ZPO, § 48 Abs. 1 ArbGG iVm. § 17b Abs. 2 Satz 2 GVG.

        

    Müller-Glöge    

        

    Laux    

        

    Biebl    

        

        

        

    Zoller    

        

    S. Röth-Ehrmann    

                 

Meta

5 AZR 490/10

17.08.2011

Bundesarbeitsgericht 5. Senat

Urteil

Sachgebiet: AZR

vorgehend ArbG Oberhausen, 5. November 2009, Az: 4 Ca 2248/08, Urteil

§ 1 Abs 3a S 1 AEntG vom 25.04.2007, § 1a AEntG vom 25.04.2007, § 28e Abs 3a S 2 SGB 4, § 138 Abs 4 ZPO, § 253 Abs 2 Nr 2 ZPO

Zitier­vorschlag: Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 17.08.2011, Az. 5 AZR 490/10 (REWIS RS 2011, 3926)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2011, 3926

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