Bundesgerichtshof, Beschluss vom 03.02.2016, Az. 1 StR 606/15

1. Strafsenat | REWIS RS 2016, 16697

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Gegenstand

Verfall des Wertersatzes: Feststellung der Entreicherung bei Teilschweigen des Angeklagten zum Verbleib des Erlöses


Tenor

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des [X.] vom 30. Juli 2015 im Ausspruch über die Anordnung des Verfalls des Wertersatzes mit den zugehörigen Feststellungen mit Ausnahme derjenigen zur Höhe des aus den Taten [X.] aufgehoben.

2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine als Jugendkammer zuständige Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

3. Die weitergehende Revision wird verworfen.

Gründe

1

Das [X.] hat den Angeklagten wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in 34 Fällen unter Einbeziehung von zwei früheren Urteilen zu einer Einheitsjugendstrafe von neun Jahren verurteilt. Darüber hinaus ist Verfall des Wertersatzes in Höhe von 40.000 Euro angeordnet worden.

2

Sein auf mehrere Verfahrensbeanstandungen und die ausgeführte Sachrüge gestütztes Rechtsmittel hat lediglich in dem aus der [X.] ersichtlichen Umfang Erfolg (§ 349 Abs. 4 StPO). Im Übrigen erweist es sich als unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.

3

1. Nach den Feststellungen des [X.]s hat der Angeklagte aus den sich über einen Zeitraum von rund zehn Jahren erstreckenden verfahrensgegenständlichen Betäubungsmittelstraftaten insgesamt 260.700 Euro erlangt. Unter Anwendung von § 73c Abs. 1 Satz 1 StGB hat es im Hinblick auf die finanziellen Verhältnisse des Angeklagten und um dessen Resozialisierung nach dem Ende des Strafvollzugs nicht zu gefährden, Wertersatzverfall lediglich in dem genannten Umfang von 40.000 Euro angeordnet.

4

2. Die Anordnung des Verfalls des Wertersatzes hält rechtlicher Überprüfung nicht in jeder Hinsicht stand.

5

a) Die Anwendung des § 73c StGB ist zwar Sache des Tatrichters; Auslegung und Anwendung (bzw. Nichtanwendung) der Vorschrift unterliegen aber – wie jede Gesetzesanwendung – der Überprüfung auf Rechtsfehler hin durch das Revisionsgericht ([X.], Beschluss vom 13. Februar 2014 – 1 [X.], [X.]R StGB § 73c Härte 16 Rn. 14 mwN; [X.], Urteil vom 26. März 2015 StGB (siehe nur [X.], Beschlüsse vom 2. Dezember 2004 – 3 [X.], [X.]R StGB § 73c Härte 10 und vom 14. Oktober 2014– 2 [X.], [X.]R StGB § 73c Ermessensentscheidung 1) prüft dementsprechend das Revisionsgericht lediglich, ob der Tatrichter das ihm eingeräumte Ermessen rechtsfehlerfrei ausgeübt hat. Dazu gehört, dass er von rechtlich zutreffenden Maßstäben für die Merkmale der [X.] ausgegangen ist. Zudem bedarf es ausreichender Feststellungen zu denjenigen rechtlichen Voraussetzungen des § 73c Abs. 1 Satz 2 StGB, die dem Tatrichter die Ausübung seines Ermessens erst ermöglichen ([X.], Beschluss vom 2. Dezember 2004 – 3 [X.], [X.]R StGB § 73c Härte 10; siehe auch [X.], Beschluss vom 13. Februar 2014 – 1 [X.], [X.]R StGB § 73c Wert 4 Rn. 19). Fehlt es daran, liegt darin ein Rechtsfehler (Ermessensdefizit).

6

b) An diesem Maßstab gemessen enthält das angefochtene Urteil Rechtsfehler bei der Handhabung von § 73c Abs. 1 Satz 2 StGB.

7

aa) Nach dieser Vorschrift kann eine Verfallsanordnung bzw. eine Anordnung des [X.] unterbleiben, soweit das Erlangte oder dessen Wert zum Zeitpunkt der tatrichterlichen Entscheidung im Vermögen des Betroffenen nicht mehr vorhanden sind. Es ist deshalb zunächst festzustellen, was der Angeklagte aus der Tat erlangt hat, sodann ist diesem Betrag der Wert seines noch vorhandenen Vermögens gegenüberzustellen. Wenn hiernach auch ein Gegenwert des [X.] im Vermögen des Angeklagten nicht mehr vorhanden ist, kann der Tatrichter von einer Verfallsanordnung absehen (siehe [X.], Beschluss vom 2. Dezember 2004 – 3 [X.], [X.]R StGB § 73c Härte 10; [X.], Urteil vom 26. März 2009 – 3 [X.], [X.], 86; [X.], Beschluss vom 13. Februar 2014 – 1 [X.], [X.]R StGB § 73c Härte 16 Rn. 16; [X.], Urteil vom 26. März 2015 – 4 StR 463/14, [X.], 176, 177). Solche Feststellungen sind – wie dargelegt (Rn. 5) – erforderlich, damit der Tatrichter das ihm eingeräumte Ermessen überhaupt ausüben kann. Maßgebend für die Ermessensentscheidung gemäß § 73c Abs. 1 Satz 2 StGB ist nämlich neben der Gesamthöhe des [X.] und den wirtschaftlichen Verhältnissen des Betroffenen insbesondere der Grund, aus dem das Erlangte bzw. dessen Wert sich nicht mehr im Vermögen des Angeklagten befindet. Hierbei können nach der Rechtsprechung des [X.] etwa das „Verprassen“ der erlangten Mittel oder ihre Verwendung für Luxus und zum Vergnügen gegen die Anwendung der Härtevorschrift sprechen; andererseits soll der Verbrauch in einer Notlage oder zum notwendigen Lebensunterhalt des Betroffenen und seiner Familie als Erwägung für eine positive Ermessensentscheidung dienen können ([X.], Beschluss vom 2. Dezember 2004 – 3 [X.], [X.]R § 73c Härte 10; [X.], Urteil vom 18. September 2013 – 5 [X.], [X.], 462, 463; [X.], Beschluss vom 14. Oktober 2014 – 2 [X.] [X.]R StGB § 73c Ermessensentscheidung 1; [X.], Urteil vom 26. März 2015 – 4 StR 463/14,  [X.], 176, 177).

8

bb) Den für eine rechtsfehlerfreie Handhabung des § 73c Abs. 1 Satz 2 StGB bestehenden Anforderungen an die Feststellungen zu dem im Vermögen des Angeklagten im Zeitpunkt der Entscheidung über Verfall oder Wertersatzverfall ggf. noch vorhandenen Gegenwert des ursprünglich [X.] genügt das Urteil nicht. Zwar sind rechtsfehlerfrei Feststellungen zu der Höhe des aus den verfahrensgegenständlichen Taten [X.] im Gesamtumfang von 260.700 Euro getroffen worden. Das [X.] hat allerdings ausdrücklich ausgeführt, mangels entsprechender Angaben des Angeklagten über den „Verbleib der Erlöse“ ([X.]) keine Feststellungen hierzu und damit auch keine darüber treffen zu können, ob der Wert des [X.] noch in seinem Vermögen vorhanden ist (§ 73c Abs. 1 Satz 2 Alt. 1 StGB) oder lediglich noch einen geringen Wert hat (§ 73c Abs. 1 Satz 2 Alt. 2 StGB).

9

Das vermag die Ablehnung der Anwendung von § 73c Abs. 1 Satz 2 Alt. 1 StGB jedenfalls unter Berücksichtigung der übrigen Feststellungen zu den persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen des Angeklagten nicht zu tragen. Dieser ist ausweislich der Urteilsdarlegungen mit Schulden von 30.000 Euro belastet, die allerdings u.a. aus der Anschaffung einer Cannabisaufzuchtanlage stammen ([X.]). Zudem hat der Angeklagte eine 2010 begründete selbstständige Tätigkeit als Bauunternehmer im Bereich des [X.] im Jahr 2014 wieder aufgegeben, weil „er mit dem Unternehmen in finanzielle Schwierigkeiten kam“ ([X.]). Diese Umstände deuten darauf hin, dass es zu einer vollständigen Entreicherung des Angeklagten gekommen sein kann. Dies würde nach den vorgenannten Maßstäben dem Tatrichter die Ausübung seines Ermessens zur Anwendung von § 73c Abs. 1 Satz 2 Alt. 1 StGB eröffnen.

cc) Das [X.] hat jedoch nicht erkennbar in den Blick genommen, dass eine Ermessensausübung gemäß § 73c Abs. 1 Satz 2 Alt. 1 StGB eröffnet war, weil es offenbar eine vollständige Entreicherung des Angeklagten ausgeschlossen zu haben glaubt. Soweit das [X.] meint – worauf die an dieser Stelle kursorischen Urteilsgründe ([X.]) deuten –, aus dem Fehlen von Angaben des ansonsten voll umfänglich geständigen Angeklagten über den Verbleib des [X.] im Sinne eines ihrer tatrichterlichen Bewertung unterliegenden Teilschweigens eine solche vollständige Entreicherung beweiswürdigend ausschließen zu können, trägt der Schluss nicht. Anders als in der dem Beschluss des [X.]s vom 17. Juni 2004 (1 [X.], [X.], 232) zugrunde liegenden Konstellation konnte angesichts der im vorstehenden Absatz genannten, vom [X.] festgestellten Umstände eine Entreicherung des Angeklagten gerade nicht ohne weitere Feststellungen zu seinen Vermögensverhältnissen ausgeschlossen werden.

dd) Da das [X.] damit keine für die Ausübung des Ermessens auf der Grundlage von § 73c Abs. 1 Satz 2 StGB ausreichenden Feststellungen zu den Voraussetzungen der Vorschrift getroffen hat, hebt der [X.] die Entscheidung über die Anordnung des Verfalls des Wertersatzes auf. Im Hinblick auf die bislang getroffenen Feststellungen zu den persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen lässt sich nicht ausschließen, dass aus Gründen, die zu einer Anwendung von § 73c Abs. 1 Satz 2 StGB führen können (oben Rn. 7), ein Gegenwert des aus den Taten [X.] im Vermögen des Angeklagten nicht mehr vorhanden ist und der Tatrichter deshalb sein Ermessen gemäß § 73c Abs. 1 Satz 2 Alt. 1 StGB dahingehend ausgeübt hätte, von der Anordnung des [X.] gänzlich abzusehen. Daher beruht die Entscheidung über den Wertersatzverfall auch auf dem Rechtsfehler.

3. Dem steht nicht entgegen, dass das [X.] auf der Grundlage von § 73c Abs. 1 Satz 1 StGB den Wertersatzverfall lediglich in Höhe von 40.000 Euro und damit deutlich unterhalb des Gesamtwertes des aus den Taten ursprünglich [X.] angeordnet hat. Aus den vorstehenden dargelegten Gründen kann der [X.] nicht ausschließen, dass das [X.] bei rechtsfehlerfreier Anwendung des vorrangig zu erörternden § 73c Abs. 1 Satz 2 StGB (siehe [X.], Beschluss vom 13. Februar 2014 – 1 [X.], [X.]R StGB § 73c Härte 16 Rn. 16; [X.], Urteil vom 26. März 2015 – 4 StR 463/14, [X.], 176, 177 jeweils mwN) bereits auf der Grundlage dieser Vorschrift von einer Anordnung des [X.] gänzlich abgesehen hätte.

4. Der [X.] hebt die der Anordnung des Verfalls des Wertersatzes zugrunde liegenden Feststellungen auf (§ 353 Abs. 2 StPO), um dem neuen Tatrichter umfassende und in sich widerspruchsfreie Feststellungen zu den für die Handhabung von § 73c Abs. 1 Satz 2 und § 73c Abs. 1 Satz 1 StGB relevanten Umständen zu ermöglichen. Davon ist die rechtsfehlerfrei aufgrund des Geständnisses des Angeklagten festgestellte Höhe des aus den verfahrensgegenständlichen Taten insgesamt [X.] mit 260.700 Euro ausgenommen.

Raum                         Graf                    Cirener

                Radtke                     Bär

Meta

1 StR 606/15

03.02.2016

Bundesgerichtshof 1. Strafsenat

Beschluss

Sachgebiet: StR

vorgehend LG Ansbach, 30. Juli 2015, Az: KLs 1023 Js 8836/14 jug

§ 73c Abs 1 S 2 Alt 1 StGB

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 03.02.2016, Az. 1 StR 606/15 (REWIS RS 2016, 16697)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2016, 16697

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