Bundesgerichtshof, Beschluss vom 22.05.2013, Az. 4 StR 151/13

4. Strafsenat | REWIS RS 2013, 5627

© REWIS UG (haftungsbeschränkt)

Tags hinzufügen

Sie können dem Inhalt selbst Schlagworten zuordnen. Geben Sie hierfür jeweils ein Schlagwort ein und drücken danach auf sichern, bevor Sie ggf. ein neues Schlagwort eingeben.

Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"

QR-Code

Gegenstand

Strafzumessung im Strafverfahren wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge: Strafschärfende Berücksichtigung mangelnder Mitwirkung an der Sachaufklärung sowie wahrheitswidrigen Verteidigungsvorbringens des Angeklagten


Tenor

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des [X.] vom 22. November 2012 im gesamten Strafausspruch aufgehoben.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

2. Die weiter gehende Revision wird verworfen.

Gründe

1

Das [X.] hat den Angeklagten wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in drei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren und sechs Monaten verurteilt und in Höhe eines Betrages von 25.000 € den Verfall von Wertersatz angeordnet. Die Revision des Angeklagten, mit der er die Verletzung formellen und materiellen Rechts rügt, hat den aus der [X.] ersichtlichen Teilerfolg.

I.

2

Wie der [X.] in seiner Antragsschrift vom 8. April 2013 im Einzelnen zutreffend ausgeführt hat, haben die vom Beschwerdeführer erhobenen Verfahrensrügen keinen Erfolg; auch hat die Nachprüfung des angefochtenen Urteils auf Grund der Sachrüge hinsichtlich des Schuldspruchs keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben.

II.

3

Hingegen hält der Strafausspruch sachlich-rechtlicher Überprüfung nicht stand. Die [X.] lassen besorgen, dass das [X.] dem Angeklagten bei den Erwägungen zur Wahl des Strafrahmens rechtsfehlerhaft sein Verteidigungsverhalten strafschärfend angelastet und die Reichweite des Grundsatzes der [X.] aus dem Blick verloren hat.

4

1. [X.], in dem der Angeklagte nach den Feststellungen 500 Gramm Kokain mit einem Wirkstoffanteil von mindestens 20 % gewinnbringend an den Zeugen E.-M.      für 22.000 € weiterverkaufte, hat das [X.] ausgeführt, für die Annahme eines minder schweren Falles spreche zwar das teilweise Geständnis des Angeklagten; es könne allerdings nicht übersehen werden, dass dieser zugleich versucht habe, durch seine Einlassung die Folgen seiner Tat zu verharmlosen, indem er entgegen den späteren Feststellungen im angefochtenen Urteil behauptet habe, er hätte das Kokain wegen der (angeblich) schlechten Qualität wieder zurückerhalten. In Bezug auf alle festgestellten Taten hat das [X.] ferner ausgeführt, gegen die Annahme minder schwerer Fälle spreche „letztlich“ der Umstand, dass der Angeklagte äußerst konspirativ vorgegangen sei. Die [X.] sei aufgrund einer Gesamtschau davon überzeugt, dass der Angeklagte offenbar von Anfang an beabsichtigt habe, die Ermittlungsmaßnahmen der Polizei in eine falsche Richtung zu lenken. Die polizeilichen Ermittlungen seien dadurch erheblich erschwert worden. Beispielsweise habe die wahre Identität des Angeklagten erst am 1. Februar 2012 durch die Polizei festgestellt werden können, nachdem der Telefonanschluss des Angeklagten für etwa 14 Tage überwacht und die Koordinaten seines Wohnsitzes unter Auswertung der Gesprächsinhalte aufwändig festgestellt worden seien. Beide Erwägungen begegnen durchgreifenden rechtlichen Bedenken.

5

2. Schon aus dem [X.] (§§ 136 Abs. 1 Satz 2, 163a Abs. 4 Satz 2, 243 Abs. 5 Satz 1 StPO) folgt, dass der Beschuldigte in einem strafrechtlichen Ermittlungsverfahren nicht verpflichtet ist, aktiv die Sachaufklärung zu fördern und an seiner eigenen Überführung mitzuwirken (vgl. [X.], Urteil vom 21. Januar 2004 – 1 [X.], [X.]St 49, 56, 59 f.). Dementsprechend darf ihm mangelnde Mitwirkung an der Sachaufklärung nicht strafschärfend angelastet werden ([X.], Beschluss vom 8. November 1995 – 2 StR 527/95, [X.]R StGB § 46 Abs. 2 Verteidigungsverhalten 17 mwN). Darüber hinaus kann auch Prozessverhalten, mit dem der Angeklagte – ohne die Grenzen zulässiger Verteidigung zu überschreiten – den ihm drohenden Schuldspruch abzuwenden versucht, grundsätzlich nicht straferschwerend berücksichtigt werden, da hierin – unbeschadet einer Verletzung des [X.]es – eine Beeinträchtigung seines Rechts auf Verteidigung läge. Dies gilt nicht nur dann, wenn er eine unrichtige Einlassung unverändert aufrechterhält, sondern auch, wenn er dem [X.] mit jedenfalls teilweise wahrheitswidrigem Vorbringen zu begegnen sucht ([X.], Beschluss vom 8. November 1995 aaO).

6

Gemessen daran kann der Senat vor dem Hintergrund des Gesamtzusammenhangs der [X.] nicht ausschließen, dass die Strafrahmenwahl des [X.]s im Hinblick auf beide Umstände maßgeblich durch eine unzulässige Bewertung des [X.] des Angeklagten beeinflusst ist. Dies gilt umso mehr, als die von der [X.] herangezogene Erwägung, durch die äußerst konspirative Vorgehensweise des Angeklagten seien die polizeilichen Ermittlungen erheblich erschwert worden, mit dem bloßen Hinweis auf eine zweiwöchige Telefonüberwachung und die darauf gestützte Bestimmung der [X.] nicht hinreichend mit Tatsachen belegt ist.

III.

7

Der Strafausspruch bedarf daher insgesamt neuer Verhandlung und Entscheidung. Angesichts der Höhe der verhängten Einzelstrafen sowie der Gesamtfreiheitsstrafe kann der Senat, auch vor dem Hintergrund der festgestellten schlechten Qualität der Betäubungsmittel, nicht mit der erforderlichen Sicherheit ausschließen, dass die Entscheidung über den in den einzelnen Fällen anzuwendenden Strafrahmen ohne die [X.] anders ausgefallen wäre. Unter Berücksichtigung dieses Umstandes kann der Senat den Rechtsfolgenausspruch auch nicht als „angemessen“ im Sinne von § 354 Abs. 1 a StPO ansehen. Die zu Grunde liegenden Feststellungen können bestehen bleiben, da es sich um [X.] handelt. Ergänzende Feststellungen, die den getroffenen nicht widersprechen, sind möglich.

Rin[X.] Roggenbuck ist infolge
Urlaubs ortsabwesend und daher an
der Unterschriftsleistung gehindert.

Cierniak     

Franke

Cierniak

     Quentin     

[X.]     

Meta

4 StR 151/13

22.05.2013

Bundesgerichtshof 4. Strafsenat

Beschluss

Sachgebiet: StR

vorgehend LG Essen, 22. November 2012, Az: 22 KLs 2/12

§ 136 Abs 1 S 2 StPO, § 163a Abs 4 S 2 StPO, § 243 Abs 5 S 1 StPO

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 22.05.2013, Az. 4 StR 151/13 (REWIS RS 2013, 5627)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2013, 5627

Auf dem Handy öffnen Auf Mobilgerät öffnen.


Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

Ähnliche Entscheidungen

4 StR 151/13 (Bundesgerichtshof)


4 StR 546/19 (Bundesgerichtshof)

Strafschärfende Berücksichtigung der Verächtlichmachung des Tatopfers in der Einlassung des Angeklagten


4 StR 393/17 (Bundesgerichtshof)

Strafzumessung beim Handeltreiben mit Betäubungsmitteln: Gewinnerzielungsabsicht als strafschärfender Umstand; Fehlen eines Strafmilderungsgrundes


4 StR 34/22 (Bundesgerichtshof)

Strafzumessung: Strafschärfende Berücksichtigung der Garantenstellung eines Elternteils


5 StR 295/18 (Bundesgerichtshof)

Strafschärfende Berücksichtigung wahrheitswidriger Aussagen des Angeklagten im Strafprozess


Referenzen
Wird zitiert von

5 StR 295/18

4 StR 186/22

4 StR 320/18

5 StR 140/15

4 StR 151/13

202 ObOWi 1458/22

Zitiert

Keine Referenz gefunden.

Zitieren mit Quelle:
x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.