Bundesgerichtshof, Beschluss vom 08.02.2017, Az. 1 StR 493/16

1. Strafsenat | REWIS RS 2017, 16004

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Gegenstand

Besetzungsrüge im Strafverfahren: Fehlen einer kammerinternen Geschäftsverteilung


Tenor

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des [X.] vom 31. März 2016 mit den Feststellungen aufgehoben.

2. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere als Schwurgericht zuständige Strafkammer des [X.] zurückverwiesen.

Gründe

1

Das [X.] hat den Angeklagten wegen versuchten Totschlags in Tateinheit mit dreifacher gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von acht Jahren und sechs Monaten verurteilt. Dagegen richtet sich seine auf die Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützte Revision.

2

Das Rechtsmittel hat mit einer Verfahrensrüge nach § 338 Nr. 1 StPO Erfolg. Die Revision macht zu Recht geltend, dass die [X.] des [X.]s [X.], die in dieser Sache entschieden hat, nicht über die erforderliche spruchkörperinterne Geschäftsverteilung für das [X.] verfügt habe.

I.

3

Der Verfahrensrüge liegt folgender Sachverhalt zu Grunde:

4

1. Mit Anklageschrift vom 23. März 2015 hat die Staatsanwaltschaft [X.] vor dem [X.] [X.] - Große [X.] als Schwurgericht - Anklage erhoben, deren Zustellung der Vorsitzende der [X.] (Schwurgericht) des [X.]s [X.] zur Stellungnahme an den Angeklagten und dessen Wahlverteidiger mit Verfügung vom 25. März 2015 anordnete. Mit Eröffnungsbeschluss vom 31. Juli 2015, unterzeichnet von Vorsitzendem [X.] [X.], zugleich für den urlaubsbedingt abwesenden [X.] am [X.] [X.]    , und von [X.]in am [X.] B.   , wurde die Anklage der Staatsanwaltschaft [X.] vom 23. März 2015 unverändert zugelassen und das Hauptverfahren eröffnet. In der am 17. September 2015 begonnenen Hauptverhandlung war das [X.] mit diesen drei vorgenannten Berufsrichtern besetzt.

5

Vor Vernehmung des Angeklagten zur Sache gemäß § 243 Abs. 5 StPO erhob der Verteidiger, nachdem er bereits mehrfach die Erteilung des Wortes zu einer Stellungnahme bzw. zur Antragstellung beantragt hatte, eine [X.]. Der Antrag wurde damit begründet, dass eine spruchkörperinterne Geschäftsverteilung für die [X.] seit 1. Januar 2012 und damit insbesondere auch zum Zeitpunkt des gerichtlichen Anhängigwerdens der Anklage vom 23. März 2015 gefehlt habe. Das Gericht sei willkürlich besetzt gewesen und dem Angeklagten daher der gesetzliche [X.] entzogen worden.

6

Mit Beschluss vom 19. Oktober 2015 hat das [X.] den Besetzungseinwand als unbegründet zurückgewiesen und zur Begründung u.a. darauf verwiesen: „Mit Anklageerhebung Ende März 2015 lag zwar kein schriftlicher interner Geschäftsverteilungsplan der [X.] für das Geschäftsjahr 2015 vor. Eine schriftliche Beschlussfassung war jedoch - wie auch für die Geschäftsjahre 2012 und 2014 - nur versehentlich unterblieben und wurde am 16.04.2015 unmittelbar nach Erkennen des Fehlens für das verbleibende Geschäftsjahr 2015 nachgeholt. Der Geschäftsverteilungsplan vom 16.04.2015 sieht im Übrigen keine Abweichungen zur Geschäftsverteilung vor, wie sie zuletzt mit Beschluss vom [X.] für das Geschäftsjahr 2013 schriftlich festgelegt worden war und aufgrund mündlicher Übereinkunft der Kammermitglieder auch in der Folgezeit so gehandhabt wurde. Es kann mithin nicht von einem willkürlichen Verstoß gegen die Vorgaben aus § 21g Abs. 1 und 2 [X.] ausgegangen werden.“ In der Folge erhob der Angeklagte weitere [X.]n, die durch die [X.] jeweils zurückgewiesen wurden.

7

2. Die kammerinterne Geschäftsverteilung stellt sich im Übrigen wie folgt dar:

8

Am 15. November 2010 haben die damaligen Mitglieder der [X.] - Vorsitzender [X.] am [X.] [X.], [X.]in am [X.] B.    und die [X.] am [X.] L.     und [X.]     - einen schriftlichen Beschluss zur Geschäftsverteilung innerhalb des [X.] ab 1. Januar 2011 gefasst, der die Bildung von drei [X.] vorsah. Die [X.] war zuständig für Verfahren mit gerader Endziffer, [X.] mit ungerader Endziffer und [X.] für Verfahren mit durch drei teilbare Endziffern. Maßgeblich für die Zuständigkeit war die Endziffer der gerichtlichen Zählkarte des Verfahrens und soweit eine solche nicht vorliegt, des gerichtlichen Aktenzeichens. Für das [X.] erfolgte kein Beschluss zur internen Geschäftsverteilung. Am 27. Dezember 2012 beschloss die [X.] für den Zeitraum ab 1. Januar 2013, dass es bei der Geschäftsverteilung entsprechend dem Beschluss vom 15. November 2010 verbleibt, mit der Maßgabe, dass auf Grund eines [X.]wechsels an Stelle von [X.] am [X.] L.     die [X.]in am [X.] Ga.     zuständig ist. Ein Beschluss zur Regelung der Geschäftsverteilung für das [X.] wurde nicht getroffen. Für das [X.] erfolgte zunächst ebenfalls keine Regelung zur [X.]. Mit Beschluss vom 16. April 2015 hat die [X.] ab diesem Zeitpunkt beschlossen, dass es für die kammerinterne Geschäftsverteilung bei den bisherigen Regelungen verbleibt und auf die Beschlüsse vom 27. Dezember 2012 sowie 15. November 2010 Bezug genommen.

II.

9

Der [X.] kann der Erfolg nicht versagt bleiben.

1. Mit der Garantie des gesetzlichen [X.]s will Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG der Gefahr vorbeugen, dass durch eine auf den Einzelfall bezogene Auswahl der zur Entscheidung berufenen [X.] das Ergebnis der Entscheidung beeinflusst werden kann, gleichgültig von welcher Seite eine solche Manipulation ausgeht. Damit soll die Unabhängigkeit der Rechtsprechung gewahrt und das Vertrauen der Rechtsuchenden und der Öffentlichkeit in die Unparteilichkeit und Sachlichkeit der Gerichte gesichert werden. Die Regelungen, die der Bestimmung des gesetzlichen [X.]s dienen, müssen im Voraus so eindeutig wie möglich festlegen, welches Gericht, welcher Spruchkörper und welche [X.] zur Entscheidung des Einzelfalls berufen sind ([X.], [X.] vom 8. April 1997 - 1 [X.] 1/95, [X.]E 95, 322 und Beschluss vom 28. Oktober 1997 - 1 BvR 1644/94, [X.]E 97, 1). Geschäftsverteilungs- und Mitwirkungsregelungen bedürfen deshalb auch der Schriftform ([X.], Beschluss vom 5. Mai 1994 - [X.], [X.]Z 126, 63; [X.], [X.] vom 8. April 1997 - 1 [X.] 1/95, [X.]E 95, 322 Rz. 28).

Das Gebot des gesetzlichen [X.]s wird dabei nicht erst durch eine willkürliche Heranziehung im Einzelfall verletzt. Unzulässig ist vielmehr auch schon das Fehlen einer abstrakt-generellen und hinreichend klaren Regelung, aus der sich der im Einzelfall zur Entscheidung berufene [X.] möglichst eindeutig ablesen lässt ([X.], [X.] vom 8. April 1997 - 1 [X.] 1/95, [X.]E 95, 322 Rz. 30). Entsprechend ist deshalb in § 21g Abs. 1 und 2 [X.] geregelt, dass innerhalb eines mit mehreren [X.]n besetzten [X.] vor Beginn des Geschäftsjahres für dessen Dauer die Geschäfte durch Beschluss aller dem Spruchkörper angehörenden Berufsrichter zu verteilen sind. Wie für die allgemeine gerichtsinterne Geschäftsverteilung gilt auch für die kammerinterne Geschäftsverteilung damit das Jährlichkeitsprinzip, nach dem die Regelung der Geschäftsverteilung mit dem Ablauf des Geschäftsjahres, das mit dem Kalenderjahr übereinstimmt, ohne weiteres außer [X.] tritt ([X.], Beschluss vom 5. Mai 2004 - 2 [X.], [X.]St 49, 130).

2. Diese Anforderungen wurden vom [X.] nicht beachtet. Die [X.] verfügte im Zeitpunkt des Eingangs der Anklageschrift der Staatsanwaltschaft [X.] vom 23. März 2015 nicht über eine kammerinterne Geschäftsverteilung für das Geschäftsjahr 2015.

a) Soweit die [X.], was aus dem Ablehnungsbeschluss der [X.] vom 19. Oktober 2015 auch deutlich wird, jedenfalls mündlich beschlossen hat, dass die bisherigen Mitwirkungsgrundsätze für das Geschäftsjahr 2015 weiter anzuwenden sind, vermag dies am Fehlen einer kammerinternen Geschäftsverteilung nichts zu ändern; denn damit wird die verfassungsrechtlich gebotene Schriftform nicht beachtet.

b) Die mit Beschluss vom 16. April 2015 ab diesem Zeitpunkt von den Mitgliedern der [X.] geschaffene kammerinterne Geschäftsverteilung für das verbleibende Geschäftsjahr 2015 hat zwar eine ordnungsgemäße Geschäftsverteilung innerhalb des [X.] für nach diesem Zeitpunkt neu eingehende Verfahren geschaffen, kann aber für zu diesem Zeitpunkt bereits anhängige Verfahren nachträglich keinen wirksamen kammerinternen Mitwirkungsplan begründen.

Da die Garantie des gesetzlichen [X.]s eine generell-abstrakte Regelung über die Geschäftsverteilung innerhalb des [X.] entsprechend dem Vorausprinzip erfordert, kann maßgeblicher Zeitpunkt für das Vorliegen einer solchen Regelung nur der Zeitpunkt der Anhängigkeit eines Verfahrens beim jeweiligen Spruchkörper sein, zu dem die zuständige [X.] innerhalb der [X.] nach den [X.] für den weiteren Verfahrensgang festgelegt wird. Für das Vorliegen einer wirksamen spruchkörperinternen Regelung zur Geschäftsverteilung darf daher nicht erst auf den Zeitpunkt des [X.] vom 31. Juli 2015 abgestellt werden, zu dem die [X.] letztlich über eine entsprechende Mitwirkungsregelung für 2015 verfügte.

c) Das Fehlen eines nach § 21g Abs. 2 [X.] zu erstellenden Mitwirkungsplans für die [X.] war auch nicht entbehrlich. Dies wäre nur dann der Fall, wenn ein Spielraum bei der Heranziehung einzusetzender [X.] nicht besteht, wie es etwa bei einem nicht überbesetzten Spruchkörper der Fall ist ([X.], Beschluss vom 5. Mai 2004 - 2 [X.], [X.]St 49, 130). Eine solche Sonderkonstellation liegt bei der mit vier [X.]n besetzten [X.] des [X.]s aber nicht vor.

d) Soweit nach der Rechtsprechung des [X.] (vgl. [X.], Urteile vom 15. Juni 1967 - 1 [X.], [X.]St 21, 250 und vom 13. Dezember 1979 - 4 StR 632/79, [X.]St 29, 162) eine Revision nur auf eine willkürliche oder sonst missbräuchliche Nichteinhaltung der Grundsätze zur internen Geschäftsverteilung gestützt werden kann, liegt eine solche Fallgestaltung nicht vor. Diese bezieht sich lediglich auf eine Abweichung von den kammerinternen [X.], nicht aber - wie hier - auf das vollständige Fehlen einer solchen internen Geschäftsverteilung der [X.] gemäß § 21g Abs. 2 [X.]. Auf die Frage, ob im vorliegenden Verfahren bewusst gegen eine Geschäftsverteilungsregelung verstoßen worden ist und die zugeteilte Zählkartennummer auch Auswirkungen auf die Zuteilung des Verfahrens an eine bestimmte [X.] gehabt hätte, kommt es daher nicht an.

Raum     

       

Bellay     

       

Radtke

       

Fischer     

       

Bär     

       

Meta

1 StR 493/16

08.02.2017

Bundesgerichtshof 1. Strafsenat

Beschluss

Sachgebiet: StR

vorgehend LG München I, 31. März 2016, Az: 127 Js 205623/14 - 1 Ks

§ 21g Abs 1 GVG, § 21g Abs 2 GVG, Art 101 Abs 1 S 2 GG, § 338 Nr 1 StPO

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 08.02.2017, Az. 1 StR 493/16 (REWIS RS 2017, 16004)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2017, 16004

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

Referenzen
Wird zitiert von

1 StR 493/16

Zitiert

1 BvR 1644/94

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