Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 13.12.2011, Az. 1 AZR 432/10

1. Senat | REWIS RS 2011, 571

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Gegenstand

Betriebsvereinbarung über die Gewährung von Bonuszahlungen - Schadensersatz


Tenor

1. Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des [X.] vom 20. Mai 2010 - 11 Sa 1511/09 - wird zurückgewiesen.

2. Die Klägerin hat die Kosten der Revision zu tragen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten über eine Bonuszahlung für das [X.].

2

Die Klägerin war bei der [X.] bzw. ihren [X.] bis zu ihrem Ausscheiden im Jahr 2009 beschäftigt. Bei der Rechtsvorgängerin der [X.] bestand eine Betriebsvereinbarung über die Gewährung von Bonuszahlungen ([X.]), deren Teil [X.] lautet:

        

        

„Die Geschäftsleitung entscheidet zu Beginn eines jeden Jahres darüber, ob den Arbeitnehmern Bonuszahlungen gewährt werden können. Die Gewährung von Bonuszahlungen stellt eine freiwillige Leistung von R [X.]urope dar, auf die auch nach wiederholter vorbehaltloser Zahlung kein Rechtsanspruch entsteht. Falls die Geschäftsleitung entscheidet, den Arbeitnehmern Bonuszahlungen zu gewähren, gelten dafür die nachfolgenden Regelungen unter Ziffer 1 bis 7.

        

1.    

…“    

3

Am 28. Januar 2009 beschloss der Vorstand der [X.], für die von der [X.] erfassten Mitarbeiter keinen Bonus auszuschütten.

4

Die Klägerin hat die Auffassung vertreten, die Beklagte sei nach der [X.] verpflichtet gewesen, zu Beginn des jeweiligen Kalenderjahres eine [X.]ntscheidung über Bonuszahlungen zu treffen und diese den Arbeitnehmern bekanntzugeben. In Teil [X.] Satz 1 [X.] werde nicht der Beginn des Folgejahres bezeichnet. Da die Beklagte die [X.]ntscheidung für das [X.] erst zu Beginn des Jahres 2009 getroffen habe, schulde sie Schadensersatz.

5

Die Klägerin hat beantragt,

        

die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 9.899,59 [X.]uro brutto nebst Zinsen hieraus in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz gemäß § 1 Diskont-Überleitungs-Gesetz seit dem 1. April 2009 zu zahlen.

6

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.

7

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das [X.] hat die Berufung der Klägerin zurückgewiesen. Mit der Revision - in der erstmals die Unbilligkeit der im Jahr 2009 von der [X.] getroffenen [X.]ntscheidung geltend gemacht wird - verfolgt die Klägerin ihren Antrag weiter.

Entscheidungsgründe

8

Die Revision der Klägerin ist unbegründet. Das [X.] hat die Klage zu Recht abgewiesen. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf eine [X.]zahlung für das Geschäftsjahr 2008.

9

I. Ein solcher Anspruch folgt nicht aus der [X.]. Die Voraussetzungen für die Zahlung eines [X.] nach Teil [X.] Vergütungssystem liegen nicht vor.

Nach Teil E Satz 1 [X.] setzt die [X.]zahlung eine positive Entscheidung der Beklagten über die [X.]gewährung voraus, an der es vorliegend fehlt. Nach den nicht mit Verfahrensrügen angegriffenen Feststellungen des [X.]s hat die Geschäftsführung der Beklagten Anfang 2009 entschieden, für das Geschäftsjahr 2008 keinen [X.] zu gewähren. Damit scheidet ein auf die [X.] gestützter Zahlungsanspruch aus.

II. Die Klägerin kann die Zahlung der beanspruchten Klagesumme auch nicht als Schadensersatz verlangen. Dabei kann zu ihren Gunsten unterstellt werden, dass Teil E Satz 1 [X.] dahingehend auszulegen ist, dass die Beklagte verpflichtet war, bereits zu Beginn des Geschäftsjahres 2008 über die Gewährung eines [X.] zu entscheiden und sie eine solche Entscheidung erst Anfang 2009 getroffen hat. Der geltend gemachte Schadensersatzanspruch besteht nicht, weil die Beklagte mit einer verspätet getroffenen Entscheidung keine gegenüber der Klägerin bestehende Pflicht verletzt hätte. Zwischen den [X.]en bestand kein Schuldverhältnis, aus dem die Klägerin verlangen konnte, dass die Beklagte die in Teil E Satz 1 [X.] vorgesehene Entscheidung zu dem dort festgelegten Zeitpunkt trifft.

1. Nach § 280 Abs. 1 BGB kann der Gläubiger Ersatz des durch eine Pflichtverletzung entstandenen Schadens verlangen. Dies setzt voraus, dass der Schuldner eine ihm obliegende Pflicht aus einem mit dem Gläubiger bestehenden Schuldverhältnis verletzt hat.

2. Die Beklagte war nicht gegenüber der Klägerin verpflichtet, das in Teil E Satz 1 [X.] bestimmte Verfahren ordnungsgemäß durchzuführen. Die dort geregelte Verpflichtung, eine Entscheidung über die Gewährung eines [X.] im Kalenderjahr zu treffen und bekanntzugeben, besteht nur gegenüber dem Betriebsrat. Eine Pflichtenstellung der Beklagten im Verhältnis zu den im Betrieb beschäftigten Arbeitnehmern wird durch Teil E Satz 1 [X.] nicht begründet. Dies folgt nicht nur aus dem Wortlaut der [X.], der sich zu einem entsprechenden [X.] der einzelnen Arbeitnehmer nicht verhält, sondern auch aus dem Regelungszweck sowie allgemeinen betriebsverfassungsrechtlichen Grundsätzen.

a) Handelt es sich bei [X.]zahlungen um Leistungen, zu deren Gewährung der Arbeitgeber weder durch Gesetz noch Vertrag verpflichtet ist, ist dieser frei in der Entscheidung darüber, ob er diese Leistungen erbringt, welche Mittel er hierfür zur Verfügung stellt, welchen Zweck er mit ihr verfolgt und wie der danach begünstigte Personenkreis abstrakt bestimmt werden soll. Nur im Rahmen dieser Vorgaben unterliegt die Entscheidung darüber, nach welchen Kriterien die Berechnung der einzelnen Leistungen und ihre Höhe im Verhältnis zueinander bestimmt werden soll, der Mitbestimmung des Betriebsrats nach § 87 Abs. 1 Nr. 10 [X.] ([X.] 5. Oktober 2010 - 1 [X.] - Rn. 23 f., [X.] 1972 § 77 Betriebsvereinbarung Nr. 53 = EzA [X.] 2001 § 87 [X.] Nr. 23). Die Freiheit des Arbeitgebers über das „Ob“ der Leistungsgewährung und die Höhe der hierfür zur Verfügung stehenden Mittel zu entscheiden, unterliegt regelmäßig weder individual- noch kollektivrechtlichen Beschränkungen. Auf diesen Freiraum bezogene Verfahrensregelungen in teilmitbestimmten Betriebsvereinbarungen binden den Arbeitgeber grundsätzlich nur gegenüber dem Betriebsrat als dessen Vertragspartner. Die Arbeitnehmer erhalten durch solche Regelungen weder eigene Ansprüche noch werden insoweit Schutzpflichten zu ihren Gunsten begründet, deren Verletzung zu einem Schadensersatzanspruch führen könnte. Erst durch die Ausgestaltung der Leistungsvoraussetzungen in der Betriebsvereinbarung wird ein normativer Anspruch auf die jeweilige finanzielle Leistung des Arbeitgebers geschaffen. Ein Regelungsinteresse der Betriebsparteien, den danach bestehenden Entscheidungsspielraum des Arbeitgebers durch Leistungs- oder Verhaltenspflichten zugunsten der Arbeitnehmer einzuschränken, besteht daher nicht. Sofern die Betriebsparteien eine darauf gerichtete Regelung treffen wollen, müssen sie dies in der Betriebsvereinbarung eindeutig zum Ausdruck bringen.

b) Eine solche Regelung enthält Teil [X.] Vergütungssystem nicht. In dieser haben die Betriebsparteien eine Leistung ausgestaltet, zu deren Gewährung die Beklagte weder durch Gesetz noch Vertrag verpflichtet war. Deren Entscheidung, einen [X.] für das jeweilige Geschäftsjahr zu zahlen, war auch nicht durch individualrechtliche Vereinbarungen eingeschränkt (vgl. [X.] 7. Juni 2011 - 1 [X.] 807/09 - Rn. 22, [X.] 2011, 1234). Die Klägerin hat nicht vorgetragen, dass den im Betrieb R beschäftigten Arbeitnehmern die Gewährung eines [X.] im Arbeitsvertrag in Aussicht gestellt worden ist. Allein der mit Teil [X.] Vergütungssystem verfolgte [X.], bei einem entsprechenden Geschäftsergebnis ein zusätzliches leistungsorientiertes Entgelt zu zahlen, zwingt nicht zu der Annahme, dass die Arbeitnehmer bei der vorgelagerten Entscheidung der Beklagten über die Bereitstellung von finanziellen Mitteln in das zwischen der Arbeitgeberin und dem Betriebsrat bestehende betriebsverfassungsrechtliche Schuldverhältnis einzubeziehen sind.

III. Der [X.] ist unzulässig, soweit er auf die Unverbindlichkeit der Anfang 2009 von der Beklagten getroffenen Entscheidung über die [X.]gewährung gestützt wird. Insoweit liegt eine in der Revisionsinstanz unzulässige Klageerweiterung vor.

1. Nach dem für das arbeitsgerichtliche Urteilsverfahren geltenden zweigliedrigen [X.] wird der Gegenstand eines gerichtlichen Verfahrens durch den konkret gestellten Antrag (Klageantrag) und den ihm zugrunde liegenden Lebenssachverhalt (Klagegrund) bestimmt. Der Streitgegenstand umfasst alle Tatsachen, die bei einer natürlichen, vom Standpunkt der [X.]en ausgehenden, den Sachverhalt seinem Wesen nach erfassenden Betrachtungsweise zu dem zur Entscheidung gestellten [X.] gehören, den die Klägerin zur Stützung seines [X.] dem Gericht unterbreitet hat ([X.] 15. Juli 2008 - 3 [X.] 172/07 - Rn. 22, [X.] ZPO § 253 Nr. 48). Der Streitgegenstand ändert sich dementsprechend iSv. § 263 ZPO auch dann, wenn zwar nicht der gestellte Antrag als solcher, aber der ihm zugrunde liegende Lebenssachverhalt ein anderer geworden ist ([X.] 2. Oktober 2007 - 1 [X.] - Rn. 18, [X.] 2002 § 559 Nr. 1).

2. Die Klägerin wendet in der Revisionsbegründung erstmals ein, die Beklagte habe ihre Entscheidung über die [X.]gewährung unter Berücksichtigung der Grundsätze des § 315 BGB treffen müssen. Damit wird der streitgegenständliche Lebenssachverhalt in der Revisionsinstanz erweitert. Beide [X.]en haben in den Tatsacheninstanzen lediglich um die Frage gestritten, ob die Anfang des Jahres 2009 getroffene Entscheidung der Beklagten rechtzeitig erfolgt ist und welche Rechtsfolgen sich aus einer verspätet getroffenen Entscheidung ergeben. Damit wendet sich die Klägerin in der Revisionsinstanz nicht nur gegen die aus ihrer Sicht vorliegende Verzögerung dieser Entscheidung, sondern greift diese erstmals auch inhaltlich an. In dieser Änderung des [X.] liegt trotz des gleich gebliebenen Antragswortlauts zugleich eine Änderung des Streitgegenstands.

3. Die mit der Erweiterung des Verfahrensgegenstands einhergehende Klageänderung ist nach § 559 Abs. 1 ZPO unzulässig. Danach ist in der Revisionsinstanz eine Klageänderung grundsätzlich ausgeschlossen. Der Schluss der mündlichen Verhandlung in zweiter Instanz bildet nicht nur bezüglich des tatsächlichen Vorbringens, sondern auch bezüglich der Anträge der [X.]en die Entscheidungsgrundlage für das Revisionsgericht (vgl. [X.] 14. Dezember 2010 - 1 [X.] - Rn. 19, [X.] 2002 § 256 Nr. 10). Hiervon hat das [X.] insbesondere aus prozessökonomischen Gründen Ausnahmen in Fällen des § 264 Nr. 2 ZPO zugelassen, sowie dann, wenn sich der geänderte Sachantrag auf einen in der Berufungsinstanz festgestellten oder von den [X.]en übereinstimmend vorgetragenen Sachverhalt stützen kann, sich das rechtliche Prüfprogramm nicht wesentlich ändert und die Verfahrensrechte der anderen [X.] durch eine Sachentscheidung nicht verkürzt werden ([X.] 12. Januar 2011 - 7 [X.] - Rn. 19, EzA [X.] 2001 § 99 Umgruppierung Nr. 7).

4. Hier ist eine Ausnahme vom Grundsatz des § 559 Abs. 1 ZPO nicht geboten. Ein Fall des § 264 Nr. 2 ZPO liegt nicht vor. Danach liegt keine Klageänderung vor, wenn ohne Änderung des [X.] der Klageantrag in der Hauptsache erweitert wird. Die Klägerin hat sich nicht auf die Erhöhung des klageweise geltend gemachten Betrags beschränkt. Ebenso kann sich der Antrag nicht auf einen vom Berufungsgericht verwerteten Tatsachenstoff stützten. Das [X.] hat die Gründe, die der Entscheidung der Beklagten über die [X.]gewährung für das Geschäftsjahr 2008 zugrunde lagen, nach den zuletzt gestellten Anträgen nicht für entscheidungserheblich gehalten und dazu keine Feststellungen getroffen.

        

    Schmidt    

        

    Linck    

        

    Koch    

        

        

        

    Frischholz    

        

    Seyboth    

                 

Meta

1 AZR 432/10

13.12.2011

Bundesarbeitsgericht 1. Senat

Urteil

Sachgebiet: AZR

vorgehend ArbG Mönchengladbach, 11. November 2009, Az: 2 Ca 3000/09, Urteil

§ 77 BetrVG, § 87 Abs 1 Nr 10 BetrVG, § 280 Abs 1 BGB

Zitier­vorschlag: Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 13.12.2011, Az. 1 AZR 432/10 (REWIS RS 2011, 571)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2011, 571

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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