Bundesgerichtshof, Urteil vom 27.04.2021, Az. VI ZR 883/20

6. Zivilsenat | REWIS RS 2021, 6474

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Gegenstand

Direktklage gegen den Haftpflichtversicherer: Rechtskrafterstreckung auf Fahrzeughalter


Leitsatz

1. Ist die Direktklage eines Dritten gegen den Versicherer und den Fahrer rechtskräftig abgewiesen worden, ist eine Klage gegen den Halter gemäß § 124 Abs. 1 VVG dann ausgeschlossen, wenn der Versicherer zumindest auch wegen der Halterhaftung erfolglos in Anspruch genommen worden war.

2. Die Rechtskrafterstreckung gemäß § 124 Abs. 1 VVG erfolgt auch dann, wenn der Dritte mit seinem Begehren auf Schadensersatz gegen den Versicherer (nur) deshalb unterlegen ist, weil er seine Aktivlegitimation nicht nachweisen konnte.

Tenor

Die Revision der Klägerin gegen das Urteil der 15. Zivilkammer des [X.] vom 26. Mai 2020 wird zurückgewiesen. Die Klägerin trägt die Kosten des Revisionsverfahrens einschließlich der Kosten der [X.].

Von Rechts wegen

Tatbestand

1

Die Parteien streiten um Ansprüche nach einem Verkehrsunfall.

2

Der Schwiegersohn der Beklagten (im Folgenden: Fahrer) parkte im September 2015 einen Pkw [X.], dessen Halterin die Beklagte ist und das bei der Streithelferin haftpflichtversichert ist, am rechten Straßenrand in einer Kurve und öffnete die Fahrertür. Der Ehemann der Klägerin fuhr mit einem Pkw [X.] an dem Fahrzeug der Beklagten unter Inanspruchnahme der Gegenfahrbahn vorbei und kollidierte mit einem entgegen kommenden Motorrad.

3

Die Klägerin nahm zunächst die Streithelferin und den Fahrer vor dem [X.] auf Ersatz des Schadens in Höhe von 2.285,62 € aus dem Verkehrsunfall in Anspruch. Das Amtsgericht wies die Klage mit der Begründung ab, die Klägerin habe ihre Eigentümerstellung bezüglich des beschädigten Pkw [X.] nicht konkret dargelegt. Die hiergegen eingelegte Berufung der Klägerin wies das [X.] Darmstadt zurück.

4

Im hiesigen Rechtsstreit hat die Klägerin nun von der Beklagten Schadensersatz in Höhe von 2.285,62 € nebst Zinsen verlangt. Sie hat behauptet, sie sei Eigentümerin des Pkw [X.]. Zu dem Zusammenstoß mit dem Motorrad sei es gekommen, weil ihr Ehemann der geöffneten Tür des Fahrzeugs der Beklagten habe ausweichen müssen. Die Klageabweisung durch das [X.] stehe der Klage gegen die Beklagte nicht entgegen, weil sie aus formellen Gründen erfolgt sei.

5

Das Amtsgericht hat die Klage im Hinblick auf § 124 [X.] als unzulässig abgewiesen. Das [X.] hat die Berufung der Klägerin zurückgewiesen. Dagegen wendet sich die Klägerin mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision.

Entscheidungsgründe

I.

6

Nach Ansicht des Berufungsgerichts ist die Klage gemäß § 124 Abs. 1 [X.] unzulässig. Die dort geregelte [X.] trete gegenüber dem Versicherungsnehmer auch dann ein, wenn der Versicherer im Vorprozess in Anspruch genommen worden sei, ohne dass unterschieden worden wäre, ob dies als Versicherer des Versicherungsnehmers (Halters) oder einer mitversicherten Person (Fahrer) geschehen sei. Dies sei hier der Fall, weil die Klägerin in dem Rechtsstreit vor dem [X.] die hiesige Streithelferin nicht ausschließlich als Versicherer des Fahrers in Anspruch genommen habe, sondern die Haftung der Streithelferin ausdrücklich auf die Halterhaftung nach § 7 StVG in Verbindung mit § 115 [X.] gestützt habe. Die [X.] sei auch nicht deswegen ausgeschlossen, weil die Klageabweisung in dem Rechtsstreit vor dem [X.] nur aus formellen Gründen erfolgt wäre. Denn die Klageabweisung wegen fehlender Aktivlegitimation sei, anders als in der Literatur teilweise vertreten, eine solche aus sachlichen Gründen.

II.

7

Dies hält der revisionsrechtlichen Nachprüfung stand. Die Klage ist wegen der Bindungswirkung des rechtskräftigen klageabweisenden Urteils des [X.] gemäß § 124 Abs. 1 [X.] zugunsten der Beklagten unzulässig.

8

1. Die Beklagte ist in persönlicher Hinsicht von der Rechtskrafterstreckung des § 124 Abs. 1 [X.] erfasst. Nach dieser Vorschrift wirkt ein rechtskräftiges Urteil, durch das festgestellt wird, dass dem [X.] ein Anspruch auf Ersatz des Schadens nicht zusteht, wenn es zwischen dem [X.] und dem Versicherer ergeht, auch zugunsten des Versicherungsnehmers, wenn es zwischen dem [X.] und dem Versicherungsnehmer ergeht, auch zugunsten des Versicherers. Über den Wortlaut des Gesetzes hinaus betrifft die Bindungswirkung der rechtskräftigen Klageabweisung auch das Verhältnis des (Mit-)Versicherten (Fahrer) zum Versicherer und umgekehrt ([X.]surteil vom 24. September 1985 - [X.], [X.], 18, 22, juris Rn. 18 mwN zur Vorgängerregelung in § 3 Nr. 8 [X.]; [X.] in Langheid/Wandt, MünchKomm [X.], 2. Aufl., § 124 Rn. 9; [X.] in [X.]/[X.], [X.], 31. Aufl., § 124 Rn. 11). Voraussetzung ist stets, dass der Dritte gegen den Versicherer gemäß § 115 Abs. 1 [X.] einen [X.] hat, § 124 Abs. 3 [X.].

9

Bei einer Direktklage gegen den Versicherer ist bei der Bestimmung der Reichweite der Rechtskrafterstreckung zu berücksichtigen, dass die Klage auf der Einstandspflicht des Versicherers wegen der Haftungsverantwortlichkeit des Halters oder der des Fahrers oder auf beidem basieren kann (vgl. [X.]surteil vom 24. September 1985 - [X.], [X.], 18, 22 f., juris Rn. 19). So ist der Geschädigte etwa nicht gehindert, nach rechtskräftiger Abweisung seiner Klage gegen den Halter den Fahrer bzw. (nur) wegen dessen Haftung den Versicherer in Anspruch zu nehmen ([X.]surteil aaO, S. 22, juris Rn. 18). Wegen der Haftung des Halters kann der Versicherer dagegen nicht mehr in Anspruch genommen werden ([X.]surteil aaO, S. 22, juris Rn. 19). Ist umgekehrt die Klage gegen den Fahrer abgewiesen worden, hindert das nicht die Inanspruchnahme des Halters und des Versicherers nur wegen der Halterhaftung. Für den - hier vorliegenden - Fall, dass zunächst die Klage gegen den Versicherer abgewiesen worden ist, ist eine Klage gegen den Halter dann ausgeschlossen, wenn der Versicherer zumindest auch wegen der Halterhaftung erfolglos in Anspruch genommen worden war ([X.] in Langheid/Wandt, MünchKomm [X.], 2. Aufl., § 124 Rn. 9; [X.] in [X.]/[X.], [X.], 31. Aufl., § 124 Rn. 11; [X.], NJW-RR 2010, 326, 329, juris Rn. 44 f.). Dies gilt unabhängig davon, ob - wie hier - der Geschädigte nicht nur gegen den Versicherer, sondern auch gegen den Fahrer erfolglos vorgegangen war. Dies entspricht auch dem Zweck des § 124 Abs. 1 [X.], wonach der Haftpflichtversicherer nicht Gefahr laufen soll, trotz eines für ihn günstigen Urteils (hier: keine Einstandspflicht, auch nicht für den Halter) im Falle der Verurteilung seines Versicherungsnehmers aufgrund seiner Zahlungspflicht aus dem Deckungsverhältnis doch noch in Anspruch genommen zu werden (vgl. [X.]surteil vom 15. Januar 2008 - [X.], [X.], 485 Rn. 7 zu § 3 Nr. 8 [X.]).

Dass hier im Vorprozess die Streithelferin zumindest auch als Versicherer der Beklagten in Anspruch genommen worden war, hat das Berufungsgericht - insoweit von der Revision nicht angegriffen - festgestellt. Damit wirkt das rechtskräftige klageabweisende Urteil gegen die Streithelferin auch zugunsten der Beklagten.

2. Rechtsfehlerfrei ist ferner die Beurteilung des Berufungsgerichts, dass die [X.] des klageabweisenden Urteils des [X.] nicht deshalb ausgeschlossen ist, weil die Klageabweisung, wie die Klägerin meint, nur aus formellen Gründen erfolgt wäre.

Gemäß § 124 Abs. 1 [X.] entfaltet nur ein Urteil Bindungswirkung, durch das festgestellt wird, dass dem [X.] ein Anspruch auf Ersatz des Schadens nicht zusteht. Damit erfolgt - sofern der Ersatzanspruch gegen den Versicherer und den Versicherungsnehmer aus demselben Sachverhalt hergeleitet wird (vgl. [X.]surteil vom 14. Juli 1981 - [X.], [X.], 1158, 1159, juris Rn. 18; [X.]. [X.]/2252 S. 18 zu § 3 Nr. 8 [X.]) - die Rechtskrafterstreckung gemäß § 124 Abs. 1 [X.] auch dann, wenn der Dritte mit seinem Begehren auf Schadensersatz gegen den Versicherer (nur) deshalb unterlegen ist, weil er seine Aktivlegitimation nicht nachweisen konnte.

a) Sowohl der Wortlaut des § 124 Abs. 1 [X.] als auch die gesetzliche Begründung zu § 3 Nr. 8 [X.] als Vorgängerregelung des § 124 Abs. 1 [X.] legen eine Auslegung dahin nahe, dass die Rechtskrafterstreckung immer dann Platz greift, wenn der Anspruch aus sachlichen und nicht etwa aus prozessualen Gründen abgewiesen wird ([X.]surteil vom 24. Juni 2003 - [X.], [X.], 1121, 1122, juris Rn. 11 f.; [X.]. [X.]/2252, S. 18).

b) Eine einschränkende Auslegung dahingehend, dass ein klageabweisendes Urteil dann keine Bindungswirkung entfaltet, wenn es (nur) auf die fehlende Aktivlegitimation des Anspruchstellers gestützt ist, widerspräche nicht nur dem Wortlaut und der gesetzlichen Begründung, sondern auch Sinn und Zweck des § 124 Abs. 1 [X.]. Der Gesetzgeber hat in § 3 Nr. 8 [X.] und nachfolgend in § 124 Abs. 1 [X.] die Erstreckung der Rechtskraft klageabweisender Urteile vorgesehen, um dem Versicherer nachteilige Folgen aus der Doppelgleisigkeit der Ansprüche des Geschädigten gegen Versicherer und Schädiger zu vermeiden. Er wollte erreichen, dass der Anspruch gegen den Versicherer - abweichend von den allgemeinen Vorschriften (§§ 421 ff. [X.]; § 325 Abs. 2 ZPO) - hinsichtlich der Wirkung eines abweisenden Gerichtsurteils im Regelfall das Schicksal des Schadensersatzanspruchs gegen den [X.] teilt und umgekehrt ([X.]surteil vom 24. Juni 2003 - [X.], [X.], 1121, 1122, juris Rn. 14; vgl. [X.]. [X.]/2252, [X.]). Wie bereits ausgeführt, soll der Haftpflichtversicherer nicht Gefahr laufen, trotz eines für ihn günstigen Urteils im Falle der Verurteilung seines Versicherungsnehmers aufgrund seiner Zahlungspflicht aus dem Deckungsverhältnis doch noch in Anspruch genommen zu werden (vgl. [X.]surteil vom 15. Januar 2008 - [X.], [X.], 485 Rn. 7 zu § 3 Nr. 8 [X.]). Ein "echter" Widerspruch zwischen den Entscheidungen gegenüber Versicherer und Versicherungsnehmer muss daher vermieden werden (vgl. [X.]surteil vom 14. Juli 1981 - [X.], [X.], 1158, 1159, juris Rn. 18, 20). Die negative Entscheidung über den [X.] gegen den Versicherer wirkt demnach auch zugunsten des nicht unmittelbar von diesem Urteil betroffenen Versicherungsnehmers. Das hat zur Folge, dass eine erneute Überprüfung der Haftungsfrage ausgeschlossen ist ([X.]surteil vom 24. Juni 2003 - [X.], [X.], 1121, 1122, juris Rn. 15 mwN). Dies gilt von der Interessenlage her auch für diejenigen Fälle, in denen die Haftung des Versicherers mangels Aktivlegitimation des Anspruchstellers abgewiesen worden ist und sich der Sachverhalt seither nicht (beispielsweise durch eine Abtretung des [X.], vgl. [X.] in [X.]/[X.], [X.], 31. Aufl., § 124 Rn. 6) geändert hat.

c) Der in der Literatur teilweise - allerdings ohne Begründung - vertretenen Ansicht, die Abweisung der Klage wegen fehlender Aktivlegitimation sei eine solche aus "formellen Gründen", die keine Rechtskrafterstreckung bewirke ([X.] in Langheid/Wandt, MünchKomm [X.], 2. Aufl., § 124 Rn. 7; [X.] in BeckOK [X.], Stand: 1. Februar 2021, § 124 [X.] Rn. 9; [X.]/Moos in [X.]/[X.], Gesamtes Verkehrsrecht, 2. Aufl., § 124 [X.] Rn. 5), folgt der [X.] nicht. Eine Klageabweisung erfolgt aus formellen bzw. rein prozessualen Gründen, wenn sie unzulässig ist; über den Haftpflichtanspruch des Geschädigten wird dann nicht entschieden. Die Abweisung einer Klage wegen fehlender Aktivlegitimation ist - anders als etwa eine Abweisung wegen fehlender Prozessführungsbefugnis - eine solche aus materiell-rechtlichen Gründen. Es wird mit ihr im Sinne von § 124 Abs. 1 [X.] entschieden, "dass dem [X.] ein Anspruch auf Ersatz des Schadens nicht zusteht." Aus dem von der Revision in der mündlichen Verhandlung zitierten [X.]surteil vom 18. Dezember 2012 - [X.], [X.], 258 Rn. 13 ergibt sich nichts anderes.

d) Nach den von der Revision nicht angegriffenen Feststellungen des Berufungsgerichts hat das [X.] die Klage gegen den Versicherer (hiesige Streithelferin) mit der Begründung abgewiesen, die Klägerin sei nicht aktivlegitimiert, da sie ihre Eigentümerstellung nicht dargelegt habe. Damit hat es den Haftungsanspruch der Klägerin aus sachlichen Gründen verneint.

[X.]     

        

Offenloch     

        

[X.]

        

Müller      

        

Böhm      

        

Meta

VI ZR 883/20

27.04.2021

Bundesgerichtshof 6. Zivilsenat

Urteil

Sachgebiet: ZR

vorgehend LG Frankfurt, 26. Mai 2020, Az: 2-15 S 156/19

§ 124 Abs 1 VVG

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Urteil vom 27.04.2021, Az. VI ZR 883/20 (REWIS RS 2021, 6474)

Papier­fundstellen: MDR 2021, 817-818 REWIS RS 2021, 6474

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