Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 28.03.2023, Az. 2 A 12/21

2. Senat | REWIS RS 2023, 3058

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Gegenstand

Schmerzensgeldanspruch wegen "Mobbings" nach Geschlechtsangleichung


Tenor

Die Klage wird abgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.

Tatbestand

1

Die Klägerin begehrt immateriellen Schadensersatz wegen einer Verletzung der beamtenrechtlichen Fürsorgepflicht.

2

Die 1958 geborene Klägerin stand seit 1989 im Dienst der [X.] und wurde zuletzt als Amtsinspektorin (Besoldungsgruppe [X.]) beim [X.] ([X.]) verwendet. Sie war seit dem [X.] wiederholt dienstunfähig erkrankt, zum September 2021 wurde sie wegen dauernder Dienstunfähigkeit vorzeitig in den Ruhestand versetzt.

3

Mit [X.] vom 14. September 2020 begehrte die Klägerin ein Schmerzensgeld in Höhe von 40 000 € sowie die Erstattung vorgerichtlicher Anwaltskosten in Höhe von 1 590,91 €. Seit Bekanntwerden der im September 2013 durchgeführten Geschlechtsangleichung sei sie in ihrem Arbeitsumfeld massivem "Mobbing" ausgesetzt gewesen. Insbesondere habe die Beihilfestelle ihrer damaligen Ehefrau die bevorstehende Geschlechtsangleichung offengelegt; die hierauf bezogene Beschwerde sei "unter den Tisch gekehrt" worden. In einem Schreiben vom Mai 2016 habe der damalige Referatsleiter ihren Einsatz als "absolute Fehlbesetzung" bezeichnet. Im Dezember 2018 sei ihr Urlaubsantrag fehlerhaft und unter Bezugnahme auf vorangegangene Fehlzeiten abgelehnt worden. Schließlich sei sie nicht amtsangemessen beschäftigt worden. Der [X.] wies die Forderung mit Schreiben vom 13. Oktober 2020 als unbegründet zurück.

4

Im April 2021 hat die Klägerin Klage zum [X.] erhoben, das den Rechtsstreit - nach Anhörung der Beteiligten - durch Beschluss vom 18. Mai 2021 an das [X.] verwiesen hat. Mit der Klageerwiderung vom 30. Juli 2021 hat die Beklagte auf das fehlende Vorverfahren hingewiesen und zugleich Ausführungen zur Unbegründetheit der Klage gemacht. Mit Schreiben vom 14. Dezember 2021 hat die Klägerin den zwischenzeitlich ergangenen Widerspruchsbescheid des [X.] vom 16. November 2021 in das Klageverfahren einbezogen.

5

Die Klägerin beantragt,

den Ablehnungsbescheid des [X.]es vom 13. Oktober 2020 und dessen Widerspruchsbescheid vom 16. November 2021 aufzuheben,

die Beklagte zu verurteilen, der Klägerin ein Schmerzensgeld, dessen Höhe in das Ermessen des Gerichts gestellt wird, nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen, und die Zuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren für notwendig zu erklären.

6

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

7

Hinsichtlich weiterer Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte, die Verwaltungsvorgänge der [X.] und die Personalakten der Klägerin Bezug genommen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren.

Entscheidungsgründe

8

Die Klage ist nicht begründet. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Zahlung eines Schmerzensgeldes wegen Verletzung der beamtenrechtlichen Fürsorgepflicht durch die Beklagte.

9

1. Anspruchsgrundlage für das von der Klägerin geltend gemachte Begehren ist der beamtenrechtliche Schadensersatzanspruch wegen Verletzung der Fürsorgepflicht, mit dem auch ein Ersatz für immaterielle Schäden geltend gemacht werden kann (vgl. ausführlich Senatsurteil vom heutigen Tage - BVerwG 2 [X.] 6.21 -).

Voraussetzung hierfür ist, dass der Dienstherr die dem Beamten gegenüber bestehende Fürsorgepflicht schuldhaft verletzt hat, die Rechtsverletzung adäquat kausal für den Schadenseintritt war und der Beamte es nicht unterlassen hat, den Schaden durch Gebrauch eines ihm zumutbaren Rechtsmittels abzu[X.]den.

Diese Anforderungen gelten grundsätzlich auch, [X.]n Schmerzensgeld wegen "Mobbings" geltend gemacht wird. Mit der Bezugnahme auf "Mobbing" wird in der Rechtsprechung aber insoweit eine Erleichterung gewährt, als ein bestimmtes Gesamtverhalten als Verletzungshandlung im Rechtssinne qualifiziert wird.

Die rechtliche Besonderheit der als Mobbing bezeichneten tatsächlichen Erscheinungen liegt darin, dass nicht eine einzelne, abgrenzbare Handlung, sondern die Zusammenfassung mehrerer Einzelakte zu einer Rechtsverletzung des Betroffenen führen kann. Wesensmerkmal der als Mobbing bezeichneten Beeinträchtigung ist die systematische, sich aus vielen einzelnen Handlungen zusammensetzende Verletzungshandlung, wobei den einzelnen Handlungen bei isolierter Betrachtung eine rechtliche Bedeutung oft nicht zukommt (vgl. [X.], Urteil vom 16. Mai 2007 - 8 [X.] 709/06 - [X.]E 122, 304 Rn. 58 m. w. N.).

Die Beurteilung der vorgetragenen Rechtsverletzung darf sich daher nicht darauf beschränken, die geschilderten Maßnahmen jeweils für sich zu betrachten. Erforderlich ist vielmehr eine Gesamtschau der vorgetragenen Beeinträchtigungen, die auch die vorgetragene Zielrichtung der zusammengefassten Handlungen in den Blick nimmt (vgl. ausführlich Senatsurteil vom heutigen Tage - BVerwG 2 [X.] 6.21 -).

2. Die von der Klägerin dargelegten Geschehnisse lassen indes weder für sich genommen noch im Wege einer Gesamtbetrachtung Anhaltspunkte für eine Verletzung der beamtenrechtlichen Fürsorgepflicht erkennen.

a) Dies folgt schon daraus, dass der Vortrag der Klägerin in weiten Teilen unsubstantiiert, vage und pauschal geblieben ist.

Wie die Beklagte in der Klageerwiderung zutreffend ausgeführt hat, ist bereits das in der Klageschrift benannte - und der Klägerin danach vorliegende - Schreiben der Prozessbevollmächtigten ihrer geschiedenen Ehefrau, in dem von der unzulässigen Information über die Geschlechtsangleichung die Rede sein soll, nicht vorgelegt worden. Nachvollziehbare Anhaltspunkte dazu, wann und durch [X.] welche Angaben gemacht worden sein sollten, sind damit weder vorgetragen worden noch sonst ersichtlich. Die Klägerin ist hierauf auch in der mündlichen Verhandlung vor dem erkennenden Senat hingewiesen worden; sie hat aber keine weiteren Dokumente vorgelegt und sich auch nicht zu einer Präzisierung der Angaben in der Lage gesehen.

Entsprechendes gilt für ihren Vortrag, die hierauf bei einem Abteilungsleiter und dem [X.] erhobene Beschwerde sei nicht angemessen bearbeitet worden. Dokumente hierzu hat die Klägerin nicht vorgelegt. Sie hat es auch auf den Vorhalt der [X.] in der Klageerwiderung unterlassen, nähere Angaben dazu vorzutragen, wann sie welche Eingaben bei wem gemacht haben will und wer darauf in welcher Weise reagiert haben soll.

b) Soweit die Klägerin eine nicht amtsangemessene Beschäftigung rügt, fehlt jede hierauf bezogene Darlegung. Der Vortrag, der Klägerin habe - [X.]n sie gesundheitlich wieder in der Lage gewesen wäre, den Dienst anzutreten - weder ein Büro noch ein Arbeitsplatz zur Verfügung gestellt werden können, trägt diese Behauptung bereits nicht. Rechtsmittel zur Ab[X.]dung des behaupteten Schadens hat die Klägerin im Übrigen nicht ergriffen (vgl. § 839 Abs. 3 BGB).

Unabhängig hiervon kann aus dem Umstand, dass das Dienstzimmer der Klägerin - wie alle anderen Büros des Fachbereichs auch - im März 2019 geräumt worden ist, um Renovierungsarbeiten an den Fußböden und Fenstern zu ermöglichen, nicht gefolgert werden, die Beklagte habe die Klägerin "in den Ruhestand abschieben" wollen.

c) Der von der Klägerin erhobene Vorwurf, trotz der Empfehlung im Entlassungsbericht der ...-Klinik vom 19. Mai 2015 habe sich die Beklagte nicht veranlasst gesehen, einen Dienstpostenwechsel zu bewilligen, trifft bereits in tatsächlicher Hinsicht nicht zu. Vielmehr fand aufgrund der im Entlassungsbericht ausgesprochenen Empfehlungen im August 2015 eine amtsärztliche Untersuchung der Klägerin statt, in deren [X.] sie zum 1. Oktober auf einen neuen Dienstposten in der Abteilung ... umgesetzt wurde.

Die Beklagte hat [X.] der Klägerin auch nachfolgend wohlwollend aufgegriffen, ihr einen Verbleib am Standort [X.] ermöglicht und sie im März 2017 - unter Bewilligung einer stufenweisen Wiedereingliederung - in die Abteilung ... versetzt.

d) Hinsichtlich der von der Klägerin geltend gemachten fehlerhaften Ablehnung ihres Urlaubsantrags durch die Referatsleiterin im Gespräch vom 20. Dezember 2018 ist eine Benennung der Kolleginnen, die nach dem Vortrag der Klägerin bei dem Gespräch oder im Vorfeld anwesend gewesen sein sollen, unterblieben.

Eine Zeugenvernehmung der von der [X.] präsent in die Sitzung gestellten Referatsleiterin hat die Klägerin nicht beantragt. Für eine Beweiserhebung von Amts wegen bestand kein Anlass. Selbst [X.]n die Referatsleiterin in dem Gespräch auf die vorangegangenen Fehlzeiten der Klägerin verwiesen haben sollte, ist nicht ersichtlich, inwiefern hierin eine gezielte Schikane der Vorgesetzten gesehen werden könnte. Anhaltspunkte hierfür sind auch mit der Klage nicht vorgetragen worden. Die erheblichen Fehlzeiten der Klägerin seit Dienstantritt im Referat ... sind unbestritten und durch die bei den Personalakten befindlichen Abwesenheitsunterlagen dokumentiert. Die angeblich getätigte Äußerung der Referatsleiterin wäre nach den Schilderungen der Klägerin daher offenkundig hierauf bezogen gewesen und ergäbe keine Anhaltspunkte für eine personenbezogene Benachteiligung.

e) Entsprechendes gilt im Ergebnis für das Schreiben ihres ehemaligen [X.] vom 30. Mai 2016, in dem dieser eine schnellstmögliche Besetzung des vakanten Dienstpostens in der Abteilung ... anmahnt und dabei ausführt, die angedachte Nachfolge mit der Klägerin habe sich als "absolute Fehlbesetzung" herausgestellt.

Zwar ist diese Wortwahl unangemessen und grundsätzlich geeignet, die Klägerin in ihren Persönlichkeitsrechten zu verletzen. Aus dem Sachzusammenhang des weiteren Schreibens - in dem darauf verwiesen wird, dass das Referat nicht die personellen Möglichkeiten besitze, die Aufgaben des Dienstpostens vertretungsweise bearbeiten zu lassen - wird jedoch deutlich, dass der Bezugspunkt der kritisierten Dienstpostenbesetzung allein in den Fehlzeiten der Klägerin gesehen wurde.

Diesen Zusammenhang hat der Referatsleiter in seiner ergänzenden Stellungnahme vom 19. April 2017 verdeutlicht und auf die erheblichen Fehlzeiten der aus längerer Krankheit in den Dienst zurückgekehrten Klägerin verwiesen. Angesichts der kurzen Anwesenheitszeiten und den vielfach nicht planbaren Abwesenheiten sei eine geordnete Einarbeitung in den Dienstposten nicht möglich gewesen. Tatsächlich ist die Klägerin am 7. Juli 2016 durch den Amtsarzt für gegenwärtig dienstunfähig erklärt worden, sodass sich die Einschätzung, die Klägerin sei gesundheitsbedingt zur Wahrnehmung ihrer Dienstaufgaben nicht in der Lage, in der Sache bestätigt hat.

Die Beklagte ist den von der Klägerin erhobenen Vorwürfen auch nachgegangen und hat den Sachverhalt aufgeklärt. Die abschließende Einschätzung, das Schreiben des damaligen [X.] sei zwar "unglücklich formuliert", enthalte aber "keinen böswilligen Angriff auf die Person der Klägerin", hätte das Fehlverhalten des [X.] zwar deutlicher benennen müssen. In der Sache trifft sie aber zu.

Anhaltspunkte dafür, dass mit dem Schreiben eine gezielte Beeinträchtigung der Klägerin beabsichtigt worden wäre, die über die Bezugnahme auf ihre krankheitsbedingten Fehlzeiten hinausgeht, sind weder von der Klägerin vorgetragen noch sonst ersichtlich.

f) Auch die Gesamtschau der von der Klägerin vorgetragenen Geschehnisse lässt Anhaltspunkte für ein gegen sie gerichtetes Mobbing nicht erkennen. Insbesondere deutet nichts darauf hin, dass die Klägerin seit Bekanntwerden ihrer Geschlechtsangleichung gezielt diskriminiert worden wäre.

Anknüpfungspunkt aller vorgetragenen Vorkommnisse sind vielmehr ihre krankheitsbedingten Fehlzeiten, die ersichtlich nicht an die geschlechtsangleichenden Maßnahmen anknüpfen. Vielmehr war die Klägerin bereits in den Jahren 2003 und 2007 - und damit lange vor der im Jahr 2013 vorgenommenen Geschlechtsangleichung - in erheblichem Umfang dienstunfähig erkrankt. Auch in den nachfolgenden Jahren ist die Klägerin in erheblichem Maße aus gesundheitlichen Gründen nicht zum Dienst erschienen. [X.] Untersuchungen fanden folgerichtig auch bereits in den Jahren 2004, 2009 und 2012 statt.

Die Gesamtschau der mit der Klage vorgetragenen Vorkommnisse kann daher nicht als Verletzung der Fürsorgepflicht bewertet werden. Ein irgendwie geartetes System der gezielten Benachteiligung der Klägerin lässt sich nicht erkennen.

3. Die Klage ist daher mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen.

Meta

2 A 12/21

28.03.2023

Bundesverwaltungsgericht 2. Senat

Urteil

Sachgebiet: A

§ 78 BBG 2009

Zitier­vorschlag: Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 28.03.2023, Az. 2 A 12/21 (REWIS RS 2023, 3058)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2023, 3058

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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