Bundesgerichtshof, Beschluss vom 10.05.2011, Az. 3 StR 78/11

3. Strafsenat | REWIS RS 2011, 6914

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Gegenstand

Sexuelle Nötigung: Einsperren in einen umschlossenen Raum als Gewalt; vorangegangene Gewaltanwendung als konkludente Drohung gegenüber dem Opfer


Tenor

1. Auf die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des [X.] in [X.] vom 10. November 2010 wird

a) das Verfahren gemäß § 154a Abs. 2 StPO im Fall II. 1. der Urteilsgründe (Anklage vom 7. Juni 2010, 300 [X.]) auf den Vorwurf der Sachbeschädigung in neun Fällen beschränkt,

b) das vorgenannte Urteil im Schuldspruch dahin geändert, dass der Angeklagte des schweren sexuellen Missbrauchs eines Kindes in Tateinheit mit sexueller Nötigung, gefährlicher Körperverletzung, Freiheitsberaubung und mit unerlaubtem Besitz eines Butterflymessers sowie der Sachbeschädigung in neun Fällen schuldig ist.

2. Die weitergehende Revision wird verworfen.

3. Der Angeklagte hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.

Gründe

1

Das [X.] hat den Angeklagten wegen "Freiheitsberaubung in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung, mit einem Verstoß gegen das Waffengesetz sowie in weiterer Tateinheit mit einem schweren sexuellen Missbrauch eines Kindes und sexueller Nötigung in einem besonders schweren Fall" sowie wegen Sachbeschädigung in neun Fällen und des Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen zu der [X.] von drei Jahren und sechs Monaten verurteilt. Hiergegen wendet sich der Angeklagte mit seiner Revision, mit der er allgemein die Verletzung sachlichen Rechts rügt. Das Rechtsmittel führt zur teilweisen Beschränkung der Strafverfolgung und hat insoweit zum Schuldspruch den aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen ist es unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.

2

1. Mit Zustimmung des [X.] hat der Senat das Verfahren im Fall II. 1. der Urteilsgründe auf den Vorwurf der Sachbeschädigung in neun Fällen beschränkt und den des Verwendens eines Kennzeichens einer verfassungswidrigen Organisation von der Verfolgung ausgenommen. Die dadurch bedingte Änderung des Schuldspruchs führt hier nicht zur Aufhebung des Strafausspruchs. Dieser hat vielmehr Bestand. Angesichts der verbleibenden gewichtigen Taten und des festgestellten erheblichen Erziehungsbedarfs kann der Senat ausschließen, dass das [X.] bei entsprechender Beschränkung der Strafverfolgung auf eine niedrigere als die verhängte [X.] erkannt hätte.

3

Angesichts des geringen Erfolges des Rechtsmittels ist es nicht unbillig, den Angeklagten mit den gesamten Kosten seines Rechtsmittels zu belasten (§ 473 Abs. 4 StPO).

4

2. Zur Verurteilung des Angeklagten wegen sexueller Nötigung im Fall II. 2. der Urteilsgründe bemerkt der Senat:

5

a) Die Annahme des [X.]s, der Angeklagte habe die [X.] des § 177 Abs. 1 Nr. 1 und 3 StGB verwirklicht, begegnet rechtlichen Bedenken.

6

aa) Die Erfüllung der [X.] setzt Gewalt als vis absoluta oder [X.] voraus. Erforderlich ist eine gegen den Körper des Opfers gerichtete Kraftentfaltung, die von diesem als körperlicher Zwang empfunden wird. Die Gewalt muss Mittel zur Überwindung von Widerstand sein (st. Rspr.; vgl. [X.], StGB, 58. Aufl., § 177 Rn. 5 f. mwN). Zwar kann bereits ein - hier festgestelltes - Einsperren in einen umschlossenen Raum als Gewalt im Sinne des § 177 Abs. 1 Nr. 1 StGB ausreichen, wenn es dazu dient, das Opfer am Verlassen des Raumes zu hindern und so die sexuellen Handlungen zu ermöglichen; an der notwendigen finalen Verknüpfung der Gewalt mit der sexuellen Handlung kann es hingegen fehlen, wenn das Abschließen der Tür anderen Zwecken dient (vgl. [X.], Urteil vom 2. Oktober 2002 - 2 [X.], [X.], 42). Wozu der Angeklagte die Tür des [X.] verschlossen und den Geschädigten dadurch eingeschlossen hat, hat das [X.] nicht ausdrücklich festgestellt. [X.] Zweifel an dem Vorliegen der finalen Verknüpfung der in dem Einsperren liegenden Gewalt mit den sexuellen Handlungen ergeben sich daraus, dass der Angeklagte und sein Mittäter ersichtlich erst geraume Zeit danach sowie nach mehreren anderen Nötigungen und Bedrohungen, der abgeurteilten gefährlichen Körperverletzung sowie nach anderen, das Opfer quälenden Handlungen übereinkamen, durch den Geschädigten sexuelle Handlungen an sich vornehmen zu lassen. Soweit das [X.] das Tatgeschehen als Verwirklichung von § 177 Abs. 1 Nr. 1 StGB wegen des [X.] der vorangegangenen, ursprünglich zu anderen Zwecken eingesetzten Gewalthandlungen gewürdigt hat, fehlt es (zumindest) an der Feststellung, dass der Geschädigte dies als körperlichen Zwang empfunden hat. Das [X.] hat insofern lediglich festgestellt, dass der Geschädigte "unter dem Eindruck" des vorangegangenen Geschehens sexuelle Handlungen an dem Angeklagten vornehmen musste.

7

bb) Die Feststellungen belegen im Übrigen (ebenfalls) nicht hinreichend, dass der Angeklagte und sein Mittäter die Tatvariante des Ausnutzens einer Lage, in der das Opfer einer Einwirkung des [X.] schutzlos ausgeliefert ist (§ 177 Abs. 1 Nr. 3 StGB), verwirklicht haben. Dieser Tatbestand erfasst zunächst (nur) Fälle, in denen weder Gewalt ausgeübt noch mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben des Opfers gedroht wird (vgl. [X.], Beschluss vom 21. Dezember 2010 - 3 StR 401/10, NStZ-RR 2011, 116). Bereits dies hat das [X.] mit Blick auf die bejahte Variante des § 177 Abs. 1 Nr. 1 StGB verkannt.

8

Der Tatbestand setzt im Übrigen voraus, dass sich das Opfer in einer Lage befindet, in der es möglichen nötigenden Gewalteinwirkungen des [X.] schutzlos ausgeliefert ist. Hierfür kommt es auf eine Gesamtwürdigung aller tatbestandsspezifischer Umstände an, die in den äußeren Gegebenheiten, in der Person des Opfers oder des [X.] vorliegen ([X.], Urteil vom 25. Januar 2006 - 2 StR 345/05, [X.]St 50, 359, 362 f.). Neben den äußeren Umständen, wie etwa die Einsamkeit des Tatortes und das Fehlen von Fluchtmöglichkeiten, kann auch die individuelle Fähigkeit des Opfers, in der konkreten Situation mögliche Einwirkungen abzuwehren, wie zum Beispiel eine stark herabgesetzte Widerstandsfähigkeit aufgrund geistiger oder körperlicher Behinderung, von Bedeutung sein (vgl. Fischer, StGB, 58. Aufl., § 177 Rn. 27 f.). Diese spezifische Schutzlosigkeit gegenüber nötigenden Gewalteinwirkungen des [X.] muss ferner eine Zwangswirkung auf das Opfer dahin entfalten, dass es aus Angst vor [X.] oder gar Tötungshandlungen einen - ihm grundsätzlich möglichen - Widerstand unterlässt und entgegen seinem eigenen Willen sexuelle Handlungen vornimmt oder duldet ([X.] aaO 365 f.; Beschluss vom 21. Dezember 2010 - 3 StR 401/10, NStZ-RR 2011, 116). Der Täter muss das Ausgeliefertsein des Opfers dazu ausnutzen, dieses zur Duldung oder Vornahme sexueller Handlungen zu nötigen. Dies bedeutet, dass er die tatsächlichen Voraussetzungen der Schutzlosigkeit auch als Bedingung für das Erreichen seiner sexuellen Handlungen erkennen muss, so dass der subjektive Tatbestand zumindest bedingten Vorsatz dahin voraussetzt, dass das Opfer in die sexuellen Handlungen nicht einwilligt und dass es gerade wegen seiner Schutzlosigkeit auf einen grundsätzlich möglichen Widerstand verzichtet, das Opfer also die Handlungen nur wegen seiner Schutzlosigkeit vornimmt oder geschehen lässt (vgl. [X.], Beschluss vom 1. Dezember 2009 - 3 [X.], [X.], 273; [X.]. 53).

9

Derartige Feststellungen hat das [X.] nicht getroffen.

b) Hat der Täter zunächst (mit abweichender Intention) durch Gewalt auf sein Opfer eingewirkt, so kann sein späteres Verhalten, mit dem er das Opfer zu sexuellen Handlungen veranlassen will, jedoch die konkludente Drohung beinhalten, den körperlich wirkenden Zwang erneut anzuwenden, falls sein Vorhaben auf Widerstand stoßen sollte. Vorangegangene Gewalt kann in diesem Sinne fortwirken, wenn das Opfer angesichts der früheren Gewaltanwendung und der gegebenen Kräfteverhältnisse aus Furcht vor weiteren Gewalttätigkeiten von einer Gegenwehr absieht, sofern der Täter zumindest erkennt und billigt, dass das Opfer sein Verhalten als Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben empfindet (vgl. [X.], Beschluss vom 24. Juni 2010 - 4 StR 260/10, [X.], 570). Das Vorliegen dieser Voraussetzungen kann der Senat den Feststellungen hinreichend sicher entnehmen. Danach hat der Angeklagte eine sexuelle Nötigung dadurch begangen, dass er (und sein Mittäter) den Geschädigten durch qualifizierte Drohungen im Sinne von § 177 Abs. 1 Nr. 2 StGB zur Vornahme der sexuellen Handlungen genötigt hat.

Dass der Senat hierauf gestützt die Revision verwirft, wird durch § 265 StPO nicht gehindert; denn schon in der Anklageschrift hatte die Staatsanwaltschaft dem Angeklagten die Verwirklichung auch dieser Tatvariante vorgeworfen.

[X.]   

      

Ri[X.] [X.] befindet sich
im Urlaub und ist daher
gehindert zu unterschreiben.

      

   Hubert

       

       

[X.]

       

       

       

Schäfer   

       

   Mayer

       

Meta

3 StR 78/11

10.05.2011

Bundesgerichtshof 3. Strafsenat

Beschluss

Sachgebiet: StR

vorgehend LG Kleve, 10. November 2010, Az: 220 KLs 15/10 - 701 Js 322/10, Urteil

§ 177 Abs 1 Nr 1 StGB, § 177 Abs 1 Nr 3 StGB

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 10.05.2011, Az. 3 StR 78/11 (REWIS RS 2011, 6914)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2011, 6914

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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