Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 10.05.2011, Az. 3 StR 78/11

3. Strafsenat | REWIS RS 2011, 6872

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BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
3 StR 78/11
vom
10. Mai
2011
in der Strafsache
gegen

wegen
schweren sexuellen Missbrauchs eines Kindes u.a.

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Der 3. Strafsenat des [X.] hat nach Anhörung des [X.] und des [X.] -
zu 2. auf dessen Antrag -
am 10.
Mai 2011 gemäß §
154a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, Abs. 2, §
349 Abs. 2 und 4 StPO
beschlossen:

1.
Auf die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des [X.] in [X.] vom 10.
November 2010 wird
a) das Verfahren gemäß §
154a Abs. 2 StPO im Fall II. 1. der Urteilsgründe (Anklage vom 7.
Juni 2010, 300 [X.]) auf den Vorwurf der Sachbeschädigung in neun Fällen beschränkt,
b) das vorgenannte Urteil im Schuldspruch dahin geän-dert, dass der Angeklagte des schweren sexuellen Missbrauchs eines Kindes in Tateinheit mit sexueller Nötigung, gefährlicher Körperverletzung, Freiheitsbe-raubung und mit unerlaubtem Besitz eines Butterfly-messers sowie der Sachbeschädigung in neun Fällen schuldig ist.
2.
Die weitergehende Revision wird verworfen.
3.
Der Angeklagte hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.

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3
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Gründe:
Das [X.] hat den Angeklagten wegen "Freiheitsberaubung in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung, mit einem Verstoß gegen das Waffengesetz sowie in weiterer Tateinheit mit einem schweren sexuellen
Miss-brauch eines Kindes und sexueller Nötigung in einem besonders schweren Fall" sowie wegen Sachbeschädigung in neun Fällen und des Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen zu der [X.] von drei Jahren und sechs Monaten verurteilt. Hiergegen wendet sich der An-geklagte mit seiner Revision, mit der er allgemein die Verletzung sachlichen Rechts rügt. Das Rechtsmittel führt zur teilweisen Beschränkung der Strafver-folgung und hat insoweit zum Schuldspruch den aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen ist es unbegründet im Sinne von §
349 Abs.
2 StPO.

1. Mit Zustimmung des [X.] hat der Senat das Verfah-ren im Fall II. 1. der Urteilsgründe auf den Vorwurf der Sachbeschädigung in neun Fällen beschränkt und den des Verwendens eines Kennzeichens einer verfassungswidrigen Organisation von der Verfolgung ausgenommen. Die dadurch bedingte Änderung des Schuldspruchs führt hier nicht zur Aufhebung des Strafausspruchs. Dieser hat vielmehr Bestand. Angesichts der verbleiben-den gewichtigen Taten und des festgestellten erheblichen Erziehungsbedarfs kann der Senat ausschließen, dass das [X.] bei entsprechender Be-schränkung der Strafverfolgung auf eine niedrigere als die verhängte [X.] erkannt hätte.

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Angesichts des geringen Erfolges des Rechtsmittels ist es nicht unbillig, den Angeklagten mit den gesamten Kosten seines Rechtsmittels zu belasten (§
473 Abs. 4 StPO).

2. Zur Verurteilung
des Angeklagten wegen sexueller Nötigung im Fall II.
2. der Urteilsgründe bemerkt der Senat:

a) Die Annahme des [X.]s, der Angeklagte habe die Tatbe-standsvarianten des §
177 Abs. 1 Nr. 1 und 3 StGB verwirklicht, begegnet rechtlichen Bedenken.

aa) Die Erfüllung der [X.] setzt Gewalt als vis absoluta oder [X.] voraus. Erforderlich ist eine gegen den Körper des Opfers gerichtete Kraftentfaltung, die von diesem als körperlicher Zwang empfunden wird. Die Gewalt muss Mittel zur Überwindung von Widerstand sein (st. Rspr.; vgl. [X.], StGB, 58.
Aufl., §
177 Rn. 5
f. [X.]). Zwar kann [X.] ein -
hier festgestelltes
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Einsperren in einen umschlossenen Raum als Gewalt im Sinne des §
177 Abs. 1 Nr. 1 StGB ausreichen, wenn es dazu dient, das Opfer am Verlassen des Raumes zu hindern und so die sexuellen [X.] zu ermöglichen; an der notwendigen finalen Verknüpfung der Gewalt mit der sexuellen Handlung kann es hingegen fehlen, wenn das Abschließen der Tür anderen Zwecken dient (vgl. [X.], Urteil vom 2.
Oktober 2002 -
2 [X.], NStZ-RR
2003, 42). Wozu der Angeklagte die Tür des [X.] verschlossen und den Geschädigten dadurch eingeschlossen hat, hat das [X.] nicht ausdrücklich festgestellt. [X.] Zweifel an dem [X.] der finalen Verknüpfung der in dem Einsperren liegenden Gewalt mit den sexuellen Handlungen
ergeben sich daraus, dass der Angeklagte und sein [X.] ersichtlich erst geraume Zeit danach sowie nach mehreren anderen Nöti-3
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gungen und Bedrohungen, der abgeurteilten gefährlichen Körperverletzung so-wie nach anderen, das Opfer quälenden Handlungen übereinkamen, durch den Geschädigten sexuelle Handlungen an sich vornehmen zu lassen. Soweit das [X.] das Tatgeschehen als Verwirklichung von § 177 Abs. 1 Nr. 1 StGB wegen des [X.] der vorangegangenen, ursprünglich zu anderen Zwe-cken eingesetzten Gewalthandlungen gewürdigt hat, fehlt es (zumindest) an der Feststellung, dass der Geschädigte dies als körperlichen
Zwang empfun-den hat. Das [X.] hat insofern lediglich festgestellt, dass der [X.] "unter dem Eindruck"
des vorangegangenen Geschehens sexuelle [X.] an dem Angeklagten vornehmen musste.

[X.]) Die Feststellungen belegen im Übrigen (ebenfalls) nicht hinreichend, dass der Angeklagte und sein Mittäter die Tatvariante des Ausnutzens einer Lage, in der das Opfer einer Einwirkung des [X.] schutzlos ausgeliefert ist (§
177 Abs. 1 Nr. 3 StGB), verwirklicht haben. Dieser Tatbestand erfasst [X.] (nur) Fälle, in denen weder Gewalt ausgeübt noch mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben des Opfers gedroht wird (vgl. [X.], Beschluss vom 21.
Dezember 2010 -
3 StR 401/10, NStZ-RR
2011, 116). Bereits dies hat das [X.] mit Blick auf die bejahte Variante des §
177 Abs. 1 Nr. 1 StGB verkannt.

Der Tatbestand setzt im Übrigen voraus, dass sich das Opfer in einer Lage befindet, in der es möglichen nötigenden Gewalteinwirkungen des [X.] schutzlos ausgeliefert ist. Hierfür kommt es auf eine Gesamtwürdigung aller
tatbestandsspezifischer Umstände an, die in den äußeren Gegebenheiten, in der Person des Opfers oder des [X.] vorliegen ([X.], Urteil vom 25.
Januar 2006 -
2 StR 345/05, [X.]St
50,
359, 362 f.). Neben den äußeren Umständen, 7
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wie etwa die Einsamkeit des Tatortes und das Fehlen von Fluchtmöglichkeiten, kann auch die individuelle Fähigkeit des Opfers, in der konkreten Situation mögliche Einwirkungen abzuwehren, wie zum Beispiel eine stark herabgesetz-te Widerstandsfähigkeit aufgrund geistiger oder körperlicher Behinderung, von Bedeutung sein (vgl. Fischer, StGB, 58. Aufl., §
177 Rn. 27
f.). Diese spezifi-sche Schutzlosigkeit gegenüber nötigenden Gewalteinwirkungen des [X.] muss ferner eine Zwangswirkung auf das Opfer dahin entfalten, dass es aus Angst vor Körperverletzungs-
oder gar [X.] einen -
ihm grund-sätzlich möglichen -
Widerstand unterlässt und entgegen seinem eigenen Wil-len sexuelle Handlungen vornimmt oder duldet ([X.] aaO 365
f.; Beschluss vom 21.
Dezember 2010 -
3 StR 401/10, NStZ-RR
2011, 116). Der Täter muss das Ausgeliefertsein des Opfers dazu ausnutzen, dieses zur Duldung oder Vornahme sexueller Handlungen zu nötigen. Dies bedeutet, dass er die tat-sächlichen Voraussetzungen der Schutzlosigkeit auch als Bedingung für das Erreichen seiner sexuellen Handlungen erkennen muss, so dass der subjektive Tatbestand zumindest bedingten Vorsatz dahin voraussetzt, dass das Opfer in die sexuellen Handlungen nicht einwilligt und dass es gerade wegen seiner Schutzlosigkeit auf einen grundsätzlich möglichen Widerstand verzichtet, das Opfer also die Handlungen nur wegen seiner Schutzlosigkeit vornimmt oder geschehen lässt (vgl. [X.], Beschluss vom 1.
Dezember 2009 -
3 [X.], [X.], 273; [X.]. 53).

Derartige Feststellungen hat das [X.] nicht
getroffen.

b) Hat der Täter zunächst (mit abweichender Intention) durch Gewalt auf sein Opfer eingewirkt, so kann sein späteres Verhalten, mit dem er das Opfer 9
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zu sexuellen Handlungen veranlassen will, jedoch die konkludente Drohung beinhalten, den körperlich wirkenden Zwang erneut anzuwenden, falls sein Vorhaben auf Widerstand stoßen sollte. Vorangegangene Gewalt kann in die-sem Sinne fortwirken, wenn das Opfer angesichts der früheren Gewaltanwen-dung und der gegebenen Kräfteverhältnisse aus Furcht vor weiteren [X.] von einer Gegenwehr absieht, sofern der Täter zumindest erkennt und billigt, dass das Opfer sein Verhalten als Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben empfindet (vgl. [X.], Beschluss vom 24.
Juni 2010 -
4 [X.], NStZ
2010, 570). Das Vorliegen dieser Voraussetzungen kann der Se-nat den Feststellungen hinreichend sicher entnehmen. Danach hat der Ange-klagte eine sexuelle Nötigung dadurch begangen, dass er (und sein Mittäter) den Geschädigten durch qualifizierte Drohungen im Sinne von §
177 Abs. 1 Nr.
2 StGB zur Vornahme der sexuellen Handlungen genötigt hat.

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Dass der Senat hierauf gestützt die Revision verwirft, wird durch §
265 StPO nicht gehindert; denn schon in der Anklageschrift hatte die [X.] dem Angeklagten die Verwirklichung auch dieser Tatvariante vorgewor-fen.

[X.]Ri[X.] [X.] befindet sich Hubert

im Urlaub und ist daher

gehindert zu unterschreiben.

[X.]

Schäfer Mayer
11

Meta

3 StR 78/11

10.05.2011

Bundesgerichtshof 3. Strafsenat

Sachgebiet: StR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 10.05.2011, Az. 3 StR 78/11 (REWIS RS 2011, 6872)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2011, 6872

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