Bundesgerichtshof, Urteil vom 17.06.2010, Az. IX ZR 134/09

9. Zivilsenat | REWIS RS 2010, 5729

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Gegenstand

Insolvenzanfechtung: Zur Inkongruenz führender Vollstreckungsdruck


Tenor

Auf die Revision des [X.] wird das Urteil der 9. Zivilkammer des [X.] vom 9. Juni 2009 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als die Klage hinsichtlich der am 22. November 2007 und am 2. Januar 2008 erfolgten Zahlungen zuzüglich Zinsen abgewiesen worden ist.

Auf die Berufung des [X.] wird das Urteil des [X.] vom 30. Oktober 2008 wie folgt geändert:

Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 838,58 Euro zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 2. Februar 2008 zu zahlen.

Die weitergehenden Rechtsmittel des [X.] werden zurückgewiesen.

Von den Kosten des Rechtsstreits haben der Kläger 53 vom Hundert und die Beklagte 47 vom Hundert zu tragen.

Der Streitwert des Revisionsverfahrens wird auf 1.769 Euro festgesetzt.

Von Rechts wegen

Tatbestand

1

Der Kläger ist Insolvenzverwalter in dem auf Eigenantrag vom 9. Januar 2008 am 1. Februar 2008 eröffneten Insolvenzverfahren über das Vermögen der [X.] (fortan: Schuldnerin). Ab Oktober 2007 war die Schuldnerin zahlungsunfähig. Bereits seit Januar 2007 zahlte sie die der [X.] geschuldeten Sozialversicherungsbeiträge verspätet. Diese werden jeweils am drittletzten Bankarbeitstag des laufenden Kalendermonats fällig. Den Beitrag für den Monat Oktober 2007 überwies die Schuldnerin, nachdem ihr am 15. November 2007 eine Rückstandsanzeige der [X.] nebst Androhung der Zwangsvollstreckung zugegangen war, am 22. November 2007. Den Betrag für den Monat November erbrachte sie nach Eingang einer entsprechenden Mahnung vom 19. Dezember 2007 am 2. Januar 2008. Am 4. Januar 2008 überwies die Schuldnerin den Betrag für den Monat Dezember 2007, ohne zuvor besonders gemahnt worden zu sein.

2

Der Kläger hat die drei Zahlungen angefochten. Die Beklagte hat die Arbeitgeberanteile aus den Zahlungen vom 22. November 2007 und 2. Januar 2008 erstattet. Mit der vorliegenden Klage verlangt der Kläger Rückgewähr der Arbeitnehmeranteile aus den ersten beiden Zahlungen (838,58 [X.]) sowie Rückgewähr der Zahlung vom 4. Januar 2008 über 930,42 [X.], insgesamt 1.769 [X.] zuzüglich Zinsen. Die Vorinstanzen haben die Klage abgewiesen. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Kläger sein Begehren weiter.

Entscheidungsgründe

3

Die Revision ist bezüglich der ersten beiden Zahlungen begründet.

I.

4

Das Berufungsgericht hat gemeint: Hinsichtlich der Zahlungen der Arbeitnehmeranteile für die Monate Oktober und November 2007 in Höhe von insgesamt 838,58 Euro scheitere die Insolvenzanfechtung an der fehlenden objektiven Gläubigerbenachteiligung (§ 129 Abs. 1 [X.]). Insoweit greife schon die am 1. Januar 2008 in [X.] getretene Neuregelung des § 28e Abs. 1 Satz 2 SGB IV ein, wonach die Zahlung des vom Beschäftigen zu tragenden Teils des [X.] als aus seinem Vermögen erbracht gelte. Hinsichtlich der Arbeitnehmeranteile in der Zahlung vom 4. Januar 2008 gelte dasselbe. Bezüglich des [X.] der letzten Zahlung scheide eine Anfechtung nach § 131 Abs. 1 Nr. 1 [X.] aus, weil der Zahlung keine Mahnung vorausgegangen sei und die Schuldnerin ohne [X.] eine fällige Forderung ausgeglichen, mithin kongruent gehandelt habe. Die Zahlung vom 4. Januar 2008 sei auch nicht als kongruente Deckung nach § 130 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, Abs. 2 [X.] anfechtbar. Die Schuldnerin habe in den Vormonaten zwar häufig verspätet und erst nach Mahnung unter [X.] geleistet. Daraus sei aus Sicht der Beklagten jedoch nicht zwingend auf deren Zahlungsunfähigkeit zu schließen gewesen, weil es zu keinem dauerhaften Rückstand gekommen sei. Andere Umstände, die auf eine Kenntnis der Beklagten hätten schließen lassen, habe der Kläger nicht vorgetragen.

II.

5

Dies hält rechtlicher Prüfung nur teilweise stand.

6

1. Nach der erst nach Erlass des Berufungsurteils ergangenen Grundsatzentscheidung des Senats vom 5. November 2009 ([X.], [X.], 2301 f Rn. 8 ff, zur [X.] bestimmt in [X.]) kann die Zahlung der Arbeitnehmeranteile zu den Gesamtsozialversicherungsbeiträgen als Rechtshandlung des Arbeitgebers im Insolvenzverfahren über dessen Vermögen als mittelbare Zuwendung an die Einzugsstelle angefochten werden (siehe hierzu auch [X.], [X.]. v. 17. Februar 2010 - [X.], Rn. 1, zitiert nach juris). Danach kann die objektive Gläubigerbenachteiligung (§ 129 Abs. 1 [X.]) auch hinsichtlich der Arbeitnehmeranteile nicht verneint werden. Die Schuldnerin hat die Zahlungen vom 22. November 2007 und 2. Januar 2008 auf den durch die vorausgegangenen Schreiben der Beklagten erzeugten Druck hin erbracht, dass die Zwangsvollstreckung unmittelbar bevorstehe (vgl. [X.], [X.]. v. 15. Mai 2003 - [X.], [X.], 1304, 1305; v. 20. November 2008 - [X.], [X.], 83, 84 Rn. 13). Beide Zahlungen sind deshalb als inkongruente Deckungen gemäß § 131 Abs. 1 [X.] anfechtbar. Die erste Zahlung fällt in den von § 131 Abs. 1 Nr. 2 [X.] geschützten [X.]raum; die Anfechtung greift durch, weil die Schuldnerin zum maßgeblichen [X.]punkt (§ 140 Abs. 1 [X.]) zahlungsunfähig war. Die zweite Zahlung aus dem letzten Monat vor [X.] ist auch nach § 131 Abs. 1 Nr. 1 [X.] anfechtbar, ohne dass es weiterer Voraussetzungen bedarf.

7

2. Die Zahlung vom 4. Januar 2008, durch welche die Schuldnerin den Sozialversicherungsbeitrag für den Monat Dezember 2007 ausgeglichen hat, kann als kongruente Deckung nur unter den Voraussetzungen des § 130 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, Abs. 2 [X.] angefochten werden. Zu ihnen gehört die Kenntnis zumindest von den Umständen, die zwingend auf die Zahlungsunfähigkeit des Schuldners schließen lassen. Diese Kenntnis hat das Berufungsgericht rechtsfehlerfrei verneint.

8

a) Entgegen der Auffassung der Revision kann der zur [X.] führende [X.] nicht durch [X.] bezüglich der vorausgegangenen Monatsbeiträge erzeugt werden. [X.] wird durch den zumindest unmittelbar bevorstehenden hoheitlichen Zwang begründet ([X.] 136, 309, 311; 157, 242, 248). Der Schuldner leistet unter dem Druck einer unmittelbar drohenden Zwangsvollstreckung nur dann, wenn der Gläubiger zum Ausdruck gebracht hat, dass er alsbald die Mittel der Zwangsvollstreckung einsetzen werde, sofern der Schuldner die Forderung nicht erfülle. Dies beurteilt sich aus der objektivierten Sicht des Schuldners ([X.], [X.]. v. 7. Dezember 2006 - [X.], [X.], 136 Rn. 8). Die Schuldnerin hätte deshalb zur [X.] ihrer Leistung damit rechnen müssen, dass ohne sie die Beklagte nach dem kurz bevorstehenden Ablauf einer letzten Zahlungsfrist mit der ohne weiteres zulässigen Zwangsvollstreckung sofort beginne (vgl. [X.] 157, 242, 248; [X.], [X.]. v. 7. Dezember 2006, aaO [X.] Rn. 9). Dies war hier nicht der Fall. Die Beklagte hatte der Schuldnerin Anfang Januar 2008 noch nicht angekündigt, dass sie unmittelbar zur Zwangsvollstreckung schreiten werde, wenn der Beitrag für den Monat Dezember 2007 nicht unverzüglich ausgeglichen werde. Die Forderung war frühestens am 21. Dezember 2007 (Freitag vor den [X.]) fällig geworden. Bereits am dritten Bankarbeitstag im [X.] hatte die Schuldnerin für den Ausgleich gesorgt. Zu diesem [X.]punkt war aus objektiver Sicht allenfalls mit einer Rückstandsanzeige, aber noch nicht mit Vollstreckungsmaßnahmen zu rechnen.

9

b) Die Feststellung der subjektiven Voraussetzungen der Anfechtung - hier der Kenntnis von der Zahlungsunfähigkeit (§ 130 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 [X.]) - obliegt zuvörderst dem Tatrichter (vgl. [X.] 180, 63, 68 Rn. 15). Allerdings deutet gerade die Nichtzahlung von Sozialversicherungsbeiträgen, die typischerweise nur dann nicht bei Fälligkeit ausgeglichen werden, wenn die erforderlichen Geldmittel hierfür nicht vorhanden sind, gemäß § 130 Abs. 2 [X.] auf die Zahlungsunfähigkeit des Unternehmens hin ([X.] 149, 178, 187; 180, 63, 68 Rn. 16; [X.], [X.]. v. 12. Oktober 2006 - [X.], [X.], 2222, 2224 Rn. 24). Das hat das Berufungsgericht nicht verkannt. Es hat indes gemeint, der Umstand, dass die Rückstände auf die [X.] hin immer wieder kurzfristig ausgeglichen worden seien und daher in keinem Fall Maßnahmen der [X.] tatsächlich eingeleitet werden mussten, lasse die schleppende Zahlungsweise der Schuldnerin trotz der teilweisen Strafbewehrung der Forderungen noch nicht als derart gewichtig erscheinen, dass daraus zwingend auf die Zahlungsunfähigkeit geschlossen werden müsse. Die Verspätungen könnten ebenso gut als "Schlendrian" oder als Zeichen eines vorübergehenden Liquiditätsengpasses verstanden werden. Diese Würdigung, welche Ausmaß und Entwicklung des Rückstandes im Verhältnis zum späteren [X.] mit in den Blick nimmt, kann sich auf die Rechtsprechung des Senats stützen (vgl. [X.] 149, 178, 187). Das Revisionsgericht hat sie als Tatfrage hinzunehmen.

[X.]                              Gehrlein

                    Pape                                Grupp

Meta

IX ZR 134/09

17.06.2010

Bundesgerichtshof 9. Zivilsenat

Urteil

Sachgebiet: ZR

vorgehend LG Bochum, 9. Juni 2009, Az: I-9 S 174/08, Urteil

§ 129 Abs 1 InsO, § 131 Abs 1 InsO, § 140 Abs 1 InsO

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Urteil vom 17.06.2010, Az. IX ZR 134/09 (REWIS RS 2010, 5729)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2010, 5729

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Referenzen
Wird zitiert von

IX ZR 23/15

IX ZR 48/21

IX ZR 143/12

IX ZR 180/09

IX ZR 134/09

IX ZR 180/09

I-12 U 22/14

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