Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 17.06.2010, Az. IX ZR 134/09

IX. Zivilsenat | REWIS RS 2010, 5792

© REWIS UG (haftungsbeschränkt)

Tags hinzufügen

Sie können dem Inhalt selbst Schlagworten zuordnen. Geben Sie hierfür jeweils ein Schlagwort ein und drücken danach auf sichern, bevor Sie ggf. ein neues Schlagwort eingeben.

Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"

QR-Code

Entscheidungstext


Formatierung

Dieses Urteil liegt noch nicht ordentlich formatiert vor. Bitte nutzen Sie das PDF für eine ordentliche Formatierung.

PDF anzeigen

[X.]IM NAMEN DES VOLKES URTEIL [X.] ZR 134/09 Verkündet am: 17. Juni 2010 [X.] Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle in dem Rechtsstreit - 2 - Der [X.]. Zivilsenat des [X.] hat auf das am 18. Mai 2010 ge-schlossene schriftliche Verfahren durch [X.] [X.], Raebel, Prof. Dr. Gehrlein, [X.] und [X.] für Recht erkannt: Auf die Revision des [X.] wird das [X.]eil der 9. Zivilkammer des [X.] vom 9. Juni 2009 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als die Klage hinsichtlich der am 22. No-vember 2007 und am 2. Januar 2008 erfolgten Zahlungen zuzüg-lich Zinsen abgewiesen worden ist. Auf die Berufung des [X.] wird das [X.]eil des [X.] vom 30. Oktober 2008 wie folgt geändert: Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 838,58 • zuzüglich Zin-sen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen [X.] seit dem 2. Februar 2008 zu zahlen. Die weitergehenden Rechtsmittel des [X.] werden zurückge-wiesen. Von den Kosten des Rechtsstreits haben der Kläger 53 vom [X.] und die Beklagte 47 vom Hundert zu tragen. - 3 - [X.] wird auf 1.769 • festge-setzt. Von Rechts wegen Tatbestand: Der Kläger ist Insolvenzverwalter in dem auf Eigenantrag vom 9. Januar 2008 am 1. Februar 2008 eröffneten Insolvenzverfahren über das Vermögen der [X.] (fortan: Schuldnerin). Ab Oktober 2007 war die Schuldnerin zahlungsunfähig. Bereits seit Januar 2007 zahlte sie die der [X.] geschuldeten Sozialversicherungsbeiträge verspätet. Diese werden jeweils am drittletzten Bankarbeitstag des laufenden Kalendermonats fällig. Den Beitrag für den Monat Oktober 2007 überwies die Schuldnerin, nach-dem ihr am 15. November 2007 eine Rückstandsanzeige der [X.] nebst Androhung der Zwangsvollstreckung zugegangen war, am 22. November 2007. Den Betrag für den Monat November erbrachte sie nach Eingang einer ent-sprechenden Mahnung vom 19. Dezember 2007 am 2. Januar 2008. Am 4. Januar 2008 überwies die Schuldnerin den Betrag für den Monat Dezember 2007, ohne zuvor besonders gemahnt worden zu sein. 1 Der Kläger hat die drei Zahlungen angefochten. Die Beklagte hat die Ar-beitgeberanteile aus den Zahlungen vom 22. November 2007 und 2. Januar 2008 erstattet. Mit der vorliegenden Klage verlangt der Kläger Rückgewähr der Arbeitnehmeranteile aus den ersten beiden Zahlungen (838,58 •) sowie [X.] der Zahlung vom 4. Januar 2008 über 930,42 •, insgesamt 1.769 • zu-züglich Zinsen. Die Vorinstanzen haben die Klage abgewiesen. Mit der vom 2 - 4 - Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Kläger sein Begehren [X.]. Entscheidungsgründe: Die Revision ist bezüglich der ersten beiden Zahlungen begründet. 3 [X.] Das Berufungsgericht hat gemeint: Hinsichtlich der Zahlungen der Ar-beitnehmeranteile für die Monate Oktober und November 2007 in Höhe von insgesamt 838,58 • scheitere die Insolvenzanfechtung an der fehlenden objek-tiven Gläubigerbenachteiligung (§ 129 Abs. 1 [X.]). Insoweit greife schon die am 1. Januar 2008 in [X.] getretene Neuregelung des § 28e Abs. 1 Satz 2 SGB IV ein, wonach die Zahlung des vom Beschäftigen zu tragenden Teils des [X.] als aus seinem Vermögen erbracht gelte. Hinsichtlich der Arbeitnehmeranteile in der Zahlung vom 4. Januar 2008 gelte dasselbe. Bezüglich des [X.] der letzten Zahlung scheide eine Anfechtung nach § 131 Abs. 1 Nr. 1 [X.] aus, weil der Zahlung keine Mahnung vorausgegangen sei und die Schuldnerin ohne [X.] eine fällige Forderung ausgeglichen, mithin kongruent gehandelt habe. Die Zahlung vom 4. Januar 2008 sei auch nicht als kongruente Deckung nach § 130 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, Abs. 2 [X.] anfechtbar. Die Schuldnerin habe in den Vormonaten zwar häufig verspätet und erst nach Mahnung unter [X.] geleistet. Daraus sei aus Sicht der [X.] jedoch nicht zwingend auf deren Zahlungsunfähigkeit zu schließen gewesen, weil es zu keinem dauerhaften 4 - 5 - Rückstand gekommen sei. Andere Umstände, die auf eine Kenntnis der [X.] hätten schließen lassen, habe der Kläger nicht vorgetragen. I[X.] Dies hält rechtlicher Prüfung nur teilweise stand. 5 1. Nach der erst nach Erlass des Berufungsurteils ergangenen Grundsatzentscheidung des Senats vom 5. November 2009 ([X.] ZR 233/08, [X.], 2301 f Rn. 8 ff, zur [X.] bestimmt in [X.]) kann die Zahlung der Arbeitnehmeranteile zu den Gesamtsozialversicherungsbeiträgen als Rechtshandlung des Arbeitgebers im Insolvenzverfahren über dessen Vermö-gen als mittelbare Zuwendung an die Einzugsstelle angefochten werden (siehe hierzu auch [X.], [X.]. v. 17. Februar 2010 - [X.] ZR 66/09, Rn. 1, zitiert nach juris). Danach kann die objektive Gläubigerbenachteiligung (§ 129 Abs. 1 [X.]) auch hinsichtlich der Arbeitnehmeranteile nicht verneint werden. Die Schuldne-rin hat die Zahlungen vom 22. November 2007 und 2. Januar 2008 auf den durch die vorausgegangenen Schreiben der [X.] erzeugten Druck hin er-bracht, dass die Zwangsvollstreckung unmittelbar bevorstehe (vgl. [X.], [X.]. v. 15. Mai 2003 - [X.] ZR 194/02, [X.], 1304, 1305; v. 20. November 2008 - [X.] ZR 130/07, [X.], 83, 84 Rn. 13). Beide Zahlungen sind deshalb als inkongruente Deckungen gemäß § 131 Abs. 1 [X.] anfechtbar. Die erste [X.] fällt in den von § 131 Abs. 1 Nr. 2 [X.] geschützten [X.]raum; die Anfech-tung greift durch, weil die Schuldnerin zum maßgeblichen [X.]punkt (§ 140 Abs. 1 [X.]) zahlungsunfähig war. Die zweite Zahlung aus dem letzten Monat vor [X.] ist auch nach § 131 Abs. 1 Nr. 1 [X.] anfechtbar, ohne dass es weiterer Voraussetzungen bedarf. 6 - 6 - 2. Die Zahlung vom 4. Januar 2008, durch welche die Schuldnerin den Sozialversicherungsbeitrag für den Monat Dezember 2007 ausgeglichen hat, kann als kongruente Deckung nur unter den Voraussetzungen des § 130 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, Abs. 2 [X.] angefochten werden. Zu ihnen gehört die Kenntnis zumindest von den Umständen, die zwingend auf die Zahlungsunfähigkeit des Schuldners schließen lassen. Diese Kenntnis hat das Berufungsgericht rechts-fehlerfrei verneint. 7 a) Entgegen der Auffassung der Revision kann der zur [X.] füh-rende [X.] nicht durch [X.] bezüglich der vo-rausgegangenen Monatsbeiträge erzeugt werden. [X.] wird durch den zumindest unmittelbar bevorstehenden hoheitlichen Zwang begründet ([X.] 136, 309, 311; 157, 242, 248). Der Schuldner leistet unter dem Druck einer un-mittelbar drohenden Zwangsvollstreckung nur dann, wenn der Gläubiger zum Ausdruck gebracht hat, dass er alsbald die Mittel der Zwangsvollstreckung ein-setzen werde, sofern der Schuldner die Forderung nicht erfülle. Dies beurteilt sich aus der objektivierten Sicht des Schuldners ([X.], [X.]. v. 7. Dezember 2006 - [X.] ZR 157/05, [X.], 136 Rn. 8). Die Schuldnerin hätte deshalb zur [X.] ihrer Leistung damit rechnen müssen, dass ohne sie die Beklagte nach dem kurz bevorstehenden Ablauf einer letzten Zahlungsfrist mit der ohne [X.] zulässigen Zwangsvollstreckung sofort beginne (vgl. [X.] 157, 242, 248; [X.], [X.]. v. 7. Dezember 2006, aaO [X.] Rn. 9). Dies war hier nicht der Fall. Die Beklagte hatte der Schuldnerin Anfang Januar 2008 noch nicht angekün-digt, dass sie unmittelbar zur Zwangsvollstreckung schreiten werde, wenn der Beitrag für den Monat Dezember 2007 nicht unverzüglich ausgeglichen werde. Die Forderung war frühestens am 21. Dezember 2007 (Freitag vor den Weih-nachtsfeiertagen) fällig geworden. Bereits am dritten Bankarbeitstag im [X.] hatte die Schuldnerin für den Ausgleich gesorgt. Zu diesem [X.]punkt war aus objektiver Sicht allenfalls mit einer Rückstandsanzeige, aber noch nicht mit Vollstreckungsmaßnahmen zu rechnen. b) Die Feststellung der subjektiven Voraussetzungen der Anfechtung - hier der Kenntnis von der Zahlungsunfähigkeit (§ 130 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 [X.]) - obliegt zuvörderst dem Tatrichter (vgl. [X.] 180, 63, 68 Rn. 15). [X.] deutet gerade die Nichtzahlung von Sozialversicherungsbeiträgen, die typischerweise nur dann nicht bei Fälligkeit ausgeglichen werden, wenn die er-forderlichen Geldmittel hierfür nicht vorhanden sind, gemäß § 130 Abs. 2 [X.] auf die Zahlungsunfähigkeit des Unternehmens hin ([X.] 149, 178, 187; 180, 63, 68 Rn. 16; [X.], [X.]. v. 12. Oktober 2006 - [X.] ZR 228/03, [X.], 2222, 2224 Rn. 24). Das hat das Berufungsgericht nicht verkannt. Es hat indes ge-meint, der Umstand, dass die Rückstände auf die [X.] hin im-mer wieder kurzfristig ausgeglichen worden seien und daher in keinem Fall Maßnahmen der [X.] tatsächlich eingeleitet werden mussten, lasse die schleppende Zahlungsweise der Schuldnerin trotz der teil-weisen Strafbewehrung der Forderungen noch nicht als derart gewichtig er-scheinen, dass daraus zwingend auf die Zahlungsunfähigkeit geschlossen wer-den müsse. Die Verspätungen könnten ebenso gut als "Schlendrian" oder als Zeichen eines vorübergehenden Liquiditätsengpasses verstanden werden. [X.] Würdigung, welche Ausmaß und Entwicklung des Rückstandes im Verhältnis zum späteren [X.] mit in den Blick nimmt, kann sich auf die 9 - 8 - Rechtsprechung des Senats stützen (vgl. [X.] 149, 178, 187). Das [X.] hat sie als Tatfrage hinzunehmen. [X.] Raebel Gehrlein Pape [X.] Vorinstanzen: [X.], Entscheidung vom 30.10.2008 - 83 C 179/08 - [X.], Entscheidung vom 09.06.2009 - [X.]/08 -

Meta

IX ZR 134/09

17.06.2010

Bundesgerichtshof IX. Zivilsenat

Sachgebiet: ZR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 17.06.2010, Az. IX ZR 134/09 (REWIS RS 2010, 5792)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2010, 5792

Auf dem Handy öffnen Auf Mobilgerät öffnen.


Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

Ähnliche Entscheidungen

IX ZR 134/09 (Bundesgerichtshof)

Insolvenzanfechtung: Zur Inkongruenz führender Vollstreckungsdruck


IX ZR 104/07 (Bundesgerichtshof)


IX ZR 104/07 (Bundesgerichtshof)

Insolvenzanfechtung: Anfechtbarkeit des Erwerbs einer Aufrechnungslage


IX ZR 111/14 (Bundesgerichtshof)

Insolvenzanfechtung: Rückschluss von der erfolgreichen zwangsweisen Durchsetzung einer unbestrittenen Forderung auf die Kenntnis des Gläubigers …


IX ZR 144/05 (Bundesgerichtshof)


Referenzen
Wird zitiert von

Keine Referenz gefunden.

Zitiert

IX ZR 134/09

Zitieren mit Quelle:
x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.