Bundesgerichtshof, Urteil vom 24.04.2013, Az. IV ZR 23/12

4. Zivilsenat | REWIS RS 2013, 6327

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Gegenstand

Deckungsprozess gegen die Rechtsschutzversicherung: Festlegung des verstoßabhängigen Rechtsschutzfalls bei beabsichtigtem Aktivprozess nach Widerspruch gegen den Abschluss eines Lebensversicherungsvertrages infolge unzureichender Vertragsinformation


Leitsatz

1. Begehrt der Versicherungsnehmer einer Rechtsschutzversicherung Deckungsschutz für die Verfolgung eigener Ansprüche ("Aktivprozess"), richtet sich die Festlegung des verstoßabhängigen Rechtsschutzfalles i.S. von § 4 (1) Satz 1 Buchst. c) ARB 2004 allein nach der von ihm behaupteten Pflichtverletzung seines Anspruchsgegners, auf die er seinen Anspruch stützt (Fortführung der Senatsurteile vom 19. November 2008, IV ZR 305/07, VersR 2009, 109 Rn. 20-22; vom 28. September 2005, IV ZR 106/04, VersR 2005, 1684 unter I 2 und 3; des Senatsbeschlusses vom 17. Oktober 2007, IV ZR 37/07, VersR 2008, 113 Rn. 3 und 4 sowie des Senatsurteils vom 19. März 2003, IV ZR 139/01, VersR 2003, 638 unter 1).

2. Macht der Versicherungsnehmer einer Rechtsschutzversicherung geltend, er könne dem Abschluss eines Lebensversicherungsvertrages infolge unzureichender Vertragsinformationen noch Jahre später widersprechen und daraus Ansprüche gegen seinen Lebensversicherer herleiten, liegt dessen maßgeblicher Verstoß im Sinne von § 4 (1) Satz 1 Buchst. c) ARB 2004 in der Weigerung, das Widerspruchsrecht anzuerkennen, und nicht in der behaupteten mangelnden Information bei Vertragsschluss.

Tenor

Auf die Revision des [X.] wird das Urteil der 4. Zivilkammer des [X.] vom 23. Dezember 2011 aufgehoben und die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des [X.] vom 5. Juli 2011 zurückgewiesen.

Die Beklagte trägt die Kosten der Rechtsmittelverfahren.

Streitwert: 1.676,91 €

Von Rechts wegen

Tatbestand

1

Der Kläger begehrt die Feststellung, der beklagte Rechtsschutzversicherer müsse ihm für eine Auseinandersetzung mit seinem früheren Lebensversicherer um die Rückzahlung von Versicherungsprämien Deckungsschutz gewähren.

2

Er unterhielt bei der [X.] in der [X.] vom 4. August 2005 bis zum 31. Dezember 2010 eine Rechtsschutzversicherung, welcher die [X.] 2004 ([X.] 2004) zugrunde lagen. Darin heißt es unter anderem:

"§ 4 Voraussetzung für den Anspruch auf Rechtsschutz

(1) Anspruch auf Rechtsschutz besteht nach Eintritt eines Rechtsschutzfalles

a) im [X.] gemäß § 2 a) …

b) im [X.] für Familien-, Lebenspartnerschafts- und Erbrecht gemäß § 2 k) …

c) in allen anderen Fällen von dem [X.]punkt an, in dem der Versicherungsnehmer oder ein anderer einen Verstoß gegen Rechtspflichten oder Rechtsvorschriften begangen hat oder begangen haben soll.

Die Voraussetzungen nach a) bis c) müssen nach Beginn des Versicherungsschutzes gemäß § 7 und vor dessen Beendigung eingetreten sein. …

(2) Erstreckt sich der Rechtsschutzfall über einen [X.]raum, ist dessen Beginn maßgeblich. Sind für die Wahrnehmung rechtlicher Interessen mehrere Rechtsschutzfälle ursächlich, ist der erste entscheidend, wobei jedoch jeder Rechtsschutzfall außer Betracht bleibt, der länger als ein Jahr vor Beginn des Versicherungsschutzes für den betroffenen Gegenstand der Versicherung eingetreten oder, soweit sich der Rechtsschutzfall über einen [X.]raum erstreckt, beendet ist.

(3) Es besteht kein Rechtsschutz, wenn

a) eine Willenserklärung oder Rechtshandlung, die vor Beginn des Versicherungsschutzes vorgenommen wurde, den Verstoß nach Absatz 1 c) ausgelöst hat; …"

3

Beginnend am 1. Dezember 1995 hatte der Kläger eine Lebensversicherung abgeschlossen, für die er nachfolgend Prämienzahlungen in Höhe von insgesamt 2.815,61 € leistete, ehe er das Versicherungsverhältnis durch Kündigung zum 1. September 2006 beendete und vom Lebensversicherer einen Rückkaufswert in Höhe von 1.747,16 € ausgezahlt bekam. Mit anwaltlichem Schreiben vom 2. August 2010 widersprach der Kläger seiner Erklärung über den Abschluss des bereits abgewickelten [X.] und forderte vom Lebensversicherer die Rückerstattung sämtlicher Prämienzahlungen.

4

[X.]gleich wandte er sich an die Beklagte mit dem Begehren nach Deckungsschutz für die - gegebenenfalls auch klageweise - Geltendmachung dieses Rückzahlungsverlangens. Bei Abschluss des [X.] hätten ihm nicht alle für seine Willensbildung maßgeblichen Informationen, insbesondere die Vertragsbedingungen, zur Verfügung gestanden. Das stelle einen Verstoß gegen Art. 35 Abs. 1, 36 Abs. 1 i.V.m. Anhang III. A. a. 13 der Lebensversicherungsrichtlinie sowie gegen Art. 5 S. 1 und Anhang Nr. 1 lit. i der [X.] dar mit der Folge, dass ihm das Widerspruchsrecht unbefristet zustehe (vgl. dazu den Vorlagebeschluss des Senats an den [X.] vom 28. März 2012 - [X.], [X.], 608). Erst durch seine Ausübung des Widerspruchsrechts habe er den Rechtsschutzfall ausgelöst.

5

Mit Schreiben vom 10. August 2010 verweigerte der Lebensversicherer die begehrte Prämienrückzahlung.

6

Die Beklagte hält sich für leistungsfrei, weil der dem Lebensversicherer angelastete Verstoß gegen Rechtspflichten schon bei Abschluss des [X.] im Jahre 1995 - und mithin vor Beginn des Versicherungsschutzes in der Rechtsschutzversicherung ("vorvertraglich") - geschehen sei und im Übrigen der Lebensversicherer die Widerspruchsberechtigung des [X.] im [X.]punkt der Deckungsanfrage noch nicht bestritten gehabt habe.

7

Das Amtsgericht hat der Klage stattgegeben, das [X.] hat sie auf die Berufung der [X.] abgewiesen. Mit seiner Revision erstrebt der Kläger die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils.

Entscheidungsgründe

8

Das Re[X.]htsmittel hat Erfolg.

9

I. Na[X.]h Auffassung des Berufungsgeri[X.]hts ist der geltend gema[X.]hte Re[X.]htss[X.]hutzfall bereits vor Beginn des Versi[X.]herungss[X.]hutzes eingetreten. Den na[X.]h § 4 (1) Satz 1 Bu[X.]hst. [X.]) [X.] 2004 für den Eintritt des Versi[X.]herungsfalls maßgebli[X.]hen Pfli[X.]htenverstoß des Lebensversi[X.]herers habe der Kläger im Tatsä[X.]hli[X.]hen auf eine Verletzung europare[X.]htli[X.]her Vorgaben bei Abs[X.]hluss des Lebensversi[X.]herungsvertrages im Jahre 1995 gestützt. Darin liege die zentrale Begründung seines Rü[X.]kzahlungsbegehrens und ni[X.]ht ledigli[X.]h tatbestandli[X.]hes Beiwerk ("Kolorit"). S[X.]hon damit sei der Keim für die spätere re[X.]htli[X.]he Auseinandersetzung gelegt worden. Der Versi[X.]herungsnehmer einer Re[X.]htss[X.]hutzversi[X.]herung könne ni[X.]ht beliebig bestimmen, worin der Versi[X.]herungsfall liege. Ents[X.]heidend sei hier, dass die na[X.]h dem [X.] bereits 1995 begangene Pfli[X.]htverletzung des Lebensversi[X.]herers als Tatsa[X.]henkern fortwirke, wie si[X.]h daran zeige, dass der Kläger daraus sein fortbestehendes Widerspru[X.]hsre[X.]ht folgern wolle.

Zum Zeitpunkt der De[X.]kungsanfrage des [X.] habe der Lebensversi[X.]herer no[X.]h ni[X.]ht erklärt gehabt, dass er die Prämienrü[X.]kzahlung verweigere. Insoweit s[X.]heide die Annahme eines neuen, eigenständigen Re[X.]htss[X.]hutzfalles aus. Die inzwis[X.]hen erklärte Ablehnung des Lebensversi[X.]herers stehe in engem Zusammenhang mit dem vom Kläger s[X.]hon bei seiner De[X.]kungsanfrage erhobenen Begehren und stelle deshalb ebenfalls keinen neuen Versi[X.]herungsfall dar.

II. Das hält re[X.]htli[X.]her Na[X.]hprüfung ni[X.]ht stand. Die Beklagte ist na[X.]h den §§ 1, 2 Bu[X.]hst. d), 4 (1) Satz 1 Bu[X.]hst. [X.]) [X.] 2004 vertragli[X.]h verpfli[X.]htet, dem Kläger den begehrten De[X.]kungss[X.]hutz zu gewähren.

1. Anders als das Berufungsgeri[X.]ht angenommen hat, greift der [X.] der Beklagten ni[X.]ht dur[X.]h. Wie der Senat im Urteil vom 28. September 2005 ([X.], [X.], 1684 unter [X.] und 3) und dem Hinweisbes[X.]hluss vom 17. Oktober 2007 ([X.], [X.], 113 Rn. 3 und 4) dargelegt hat, ist für die Festlegung der dem Vertragspartner des Versi[X.]herungsnehmers vorgeworfenen Pfli[X.]htverletzung der Tatsa[X.]henvortrag ents[X.]heidend, mit dem der Versi[X.]herungsnehmer den Verstoß begründet. Als frühestmögli[X.]her Zeitpunkt kommt dabei das dem Anspru[X.]hsgegner vorgeworfene pfli[X.]htwidrige Verhalten in Betra[X.]ht, aus dem der Versi[X.]herungsnehmer seinen Anspru[X.]h herleitet (vgl. Senatsbes[X.]hluss vom 17. Oktober 2007 aaO; Senatsurteil vom 19. März 2003 - [X.], [X.], 638 unter 1 a).

2. Das ist hier die Weigerung des Lebensversi[X.]herers, das Widerspru[X.]hsre[X.]ht des [X.] anzuerkennen und ihm die verlangte Differenz aus Prämienzahlung und Rü[X.]kkaufswert zurü[X.]kzuzahlen. Zwar hat der Kläger - worauf die Revisionserwiderung hinweist - in seinem an die Beklagte geri[X.]hteten De[X.]kungsverlangen geltend gema[X.]ht, er selbst habe den Versi[X.]herungsfall mit der Ausübung des Widerspru[X.]hsre[X.]hts gegen den bereits abgewi[X.]kelten Lebensversi[X.]herungsvertrag ausgelöst; das ist aber s[X.]hon deshalb ni[X.]ht ri[X.]htig, weil der Kläger seinen Anspru[X.]h auf Prämienrü[X.]kzahlung ni[X.]ht auf eigenes pfli[X.]htwidriges Verhalten im Sinne von § 4 (1) Satz 1 Bu[X.]hst. [X.]) [X.] 2004, sondern eine Pfli[X.]htverletzung des Lebensversi[X.]herers stützen kann (vgl. dazu au[X.]h Senatsurteil vom 19. März 2003 aaO).

In Wahrheit hat der Kläger sein Begehren na[X.]h Re[X.]htss[X.]hutz von vornherein mit dem Vorwurf begründet, der Lebensversi[X.]herer bestreite vertrags- und insbesondere europare[X.]htswidrig seine Bere[X.]htigung, dem Abs[X.]hluss des Lebensversi[X.]herungsvertrages no[X.]h zu widerspre[X.]hen. Zwar ist diese Weigerung vom Lebensversi[X.]herer erst mit dessen S[X.]hreiben vom 10. August 2010 konkret erklärt worden und lag mithin im Zeitpunkt des an die Beklagte geri[X.]hteten ersten Verlangens na[X.]h Versi[X.]herungss[X.]hutz no[X.]h ni[X.]ht vor. Der Kläger hatte aber - wie si[X.]h seinem Leistungsverlangen entnehmen lässt - mit einer sol[X.]hen Ablehnung des Lebensversi[X.]herers fest gere[X.]hnet, weil Lebensversi[X.]herer häufig so ents[X.]hieden, und sie deshalb bereits vorausgesetzt.

3. Dieser dem Lebensversi[X.]herer angelastete Verstoß liegt in versi[X.]herter Zeit.

Der Re[X.]htskonflikt war bei Abs[X.]hluss des Lebensversi[X.]herungsvertrages im Jahre 1995 no[X.]h ni[X.]ht im Sinne der vorgenannten Senatsre[X.]htspre[X.]hung und des [X.] vom 19. November 2008 ([X.], [X.], 346 Rn. 20 ff.) vorprogrammiert. Der Kläger verfolgt einen Berei[X.]herungsanspru[X.]h, der erst mit Ausübung seines Widerspru[X.]hsre[X.]hts aus § 5a Abs. 1 [X.] a.F. entstanden sein kann. Dass der Lebensversi[X.]herer bei Vertragss[X.]hluss europare[X.]htli[X.]he Vorgaben missa[X.]htet und bei Übersendung der Versi[X.]herungspoli[X.]e ni[X.]ht ordnungsgemäß über das Widerspru[X.]hsre[X.]ht belehrt hatte, wirft der Kläger ihm ni[X.]ht als Pfli[X.]htenverstöße vor, die - ähnli[X.]h einer S[X.]hadensersatzleistung - dur[X.]h eine Ersatzleistung des Versi[X.]herers kompensiert werden müssten. Dem Kläger geht es au[X.]h ni[X.]ht darum, na[X.]hträgli[X.]h die Übergabe der bei Vertragss[X.]hluss vermissten Verbrau[X.]herinformationen dur[X.]hzusetzen, er mö[X.]hte vielmehr den Versi[X.]herungsvertrag rü[X.]kabwi[X.]keln (vgl. dazu [X.], r+s 2008, 221, 226) und dazu geltend ma[X.]hen, ihm sei das - wegen Vertragsabs[X.]hlusses na[X.]h dem Poli[X.]enmodell - gemäß § 5a Abs. 1 [X.] a.F. eröffnete Gestaltungsre[X.]ht (Widerspru[X.]hsre[X.]ht) erhalten geblieben. Unter Zugrundelegung dieses Vortrages liegt der dem Lebensversi[X.]herer angelastete Pfli[X.]htenverstoß erst im Bestreiten der Fortgeltung dieses Widerspru[X.]hsre[X.]htes.

4. Aus den vorgenannten Gründen haben die Umstände des Vertragss[X.]hlusses im Jahre 1995 den für den Versi[X.]herungsfall maßgebli[X.]hen Pfli[X.]htenverstoß au[X.]h ni[X.]ht in dem Sinne "ausgelöst", dass bereits die erste Stufe der Verwirkli[X.]hung der Gefahr einer re[X.]htli[X.]hen Auseinandersetzung errei[X.]ht gewesen wäre. Die Beklagte ist deshalb au[X.]h ni[X.]ht aufgrund des in § 4 (3) Bu[X.]hst. a) [X.] 2004 geregelten Haftungsauss[X.]hlusses, der keine zusätzli[X.]he Definition des Re[X.]htss[X.]hutzfalles enthält (vgl. dazu Senatsurteil vom 28. September 2005 - [X.], [X.], 1684 unter I 3 e), leistungsfrei (vgl. dazu Senatsbes[X.]hluss vom 17. Oktober 2007 - [X.], [X.], 113 Rn. 4).

Mayen                         [X.]                                      Fels[X.]h

              Lehmann                        Dr. Bro[X.]kmöller

Meta

IV ZR 23/12

24.04.2013

Bundesgerichtshof 4. Zivilsenat

Urteil

Sachgebiet: ZR

vorgehend LG Stuttgart, 23. Dezember 2011, Az: 4 S 210/11

§ 4 Abs 1 S 1 Buchst c ARB 2004

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Urteil vom 24.04.2013, Az. IV ZR 23/12 (REWIS RS 2013, 6327)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2013, 6327

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