Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 18.06.2008, Az. 1 StR 204/08

1. Strafsenat | REWIS RS 2008, 3327

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[X.]/08 vom 18. Juni 2008 in der Strafsache gegen wegen Betrugs u.a. - 2 - Der 1. Strafsenat des [X.] hat am 18. Juni 2008 beschlossen: Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des [X.] vom 10. September 2007 wird als unbegründet verwor-fen. Der Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels und die der Adhäsionsklägerin im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen. Gründe: Das [X.] hat den Angeklagten wegen Betrugs in 127 Fällen, [X.] in Tateinheit mit Urkundenfälschung, davon in 44 Fällen in Tateinheit mit Missbrauch von Scheck- und Kreditkarten, in Tatmehrheit mit gewerbsmäßigem Verschaffen von falschen amtlichen Ausweisen in 62 tateinheitlichen Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren und sechs Monaten verurteilt und gemäß § 66 Abs. 2 StGB die Sicherungsverwahrung angeordnet. Die gegen dieses Urteil gerichtete Revision des Angeklagten ist unbegründet, da die Überprüfung des Urteils auf Grund der [X.] keinen Rechts-fehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben hat (§ 349 Abs. 2 StPO). 1 Dies gilt neben der Sachrüge, die in allgemeiner Form erhoben ist, auch für die Verfahrensrüge, mit der die Verletzung der Grundsätze eines fairen [X.] geltend gemacht wird: 2 - 3 - 1. Folgender Verfahrensgang liegt zugrunde: 3 Zwischen dem 1. und dem 2. Hauptverhandlungstag fand zwischen den Berufsrichtern, dem [X.] der Staatsanwaltschaft und den [X.] ein Gespräch im Hinblick auf eine einvernehmliche Verfahrenserledigung statt. Auf Grund dieses Gesprächs gab der Vorsitzende am zweiten Verhand-lungstag zu Protokoll: "Dem Angeklagten wird seitens der [X.] in [X.] gestellt, bei einem Geständnis nach Anklage eine Strafobergrenze von fünf Jahren und sechs Monaten, ohne Anordnung einer Sicherungsverwahrung, unter Berücksichtigung eines heutigen Geständnisses und des Alters des [X.]". Die Staatsanwaltschaft erklärte sich hiermit nicht einverstanden. Der Angeklagte legte an diesem Verhandlungstag und an den folgenden Ver-handlungstagen kein Geständnis ab. Am 5. Verhandlungstag erklärte der [X.], dass sich die Kammer an ihre Erklärung vom 2. Verhandlungstag nur noch gebunden fühlen würde, wenn der Angeklagte bis zum nächsten [X.] ein Geständnis ablegen werde. Der Angeklagte und seine Verteidi-ger legten besonderen Wert auf eine Zustimmung der Staatsanwaltschaft zu dem Vorschlag des Gerichts, weil ihnen bewusst war, dass eine Absprache über die [X.] der Sicherungsverwahrung nicht zulässig ist und [X.] bei einer Nichteinbindung der Staatsanwaltschaft eine Korrektur im [X.] drohte. Der Angeklagte nahm deshalb zwischen dem 5. und dem 6. Verhandlungstag Kontakt zu der Staatsanwaltschaft auf und bot ihr Auf-klärungshilfe zu bestimmten Straftaten Dritter an. Daraufhin stellte die [X.] am 6. Verhandlungstag in Aussicht, dass sie einer Verurteilung zu fünf Jahren und sechs Monaten ohne die Verhängung der Sicherungsverwah-rung akzeptieren würde, wenn der Angeklagte substantielle [X.] in den anderen Verfahren leisten würde. Im [X.] ist hierzu vermerkt: "Im Hinblick darauf, dass es – zu einem Gespräch zwischen dem Angeklagten und der Staatsanwaltschaft gekommen ist und die sich daraus er-4 - 4 - gebenden Möglichkeiten einer Aufklärung oder [X.] bei anderen strafbaren Handlungen noch nicht abschließend beurteilt werden können, un-terbleibt der an sich für heute vorgesehene Hinweis an den Angeklagten, dass die ursprüngliche Strafobergrenze nicht mehr in Betracht kommt". Die Verneh-mungen des Angeklagten zu der angebotenen [X.] waren nach dem 7. Verhandlungstag abgeschlossen. Am 8. Verhandlungstag erklärte der [X.] der Staatsanwaltschaft, er könne "der vom Gericht dem [X.] in Aussicht gestellten Strafobergrenze bei einem umfassenden [X.] von fünfeinhalb Jahren" nicht näher treten, weil die Angaben des [X.] keine Ermittlungsansätze böten bzw. einer Überprüfung nicht stand-hielten. Nach einer kurzen Sitzungsunterbrechung gab der Angeklagte durch Verteidigererklärung ein Geständnis "nach Anklage in vollem Umfang" ab. Im [X.] hieran gab der Vorsitzende zu Protokoll, dass die Kammer das [X.] zur Kenntnis nehme, über die Frage der Sicherungsverwahrung könne jedoch erst nach Anhörung der Sachverständigen entschieden werden. [X.] wurde die Hauptverhandlung auf Antrag der Verteidigung "zur Vorbereitung eines unaufschiebbaren Antrags" unterbrochen. Sie wurde fortgesetzt, ohne dass ein solcher Antrag gestellt wurde. Nach weiterer Beweisaufnahme erstat-teten die Sachverständigen am 11. Verhandlungstag ihre Gutachten, in denen sie sich für die Verhängung der Sicherungsverwahrung aussprachen. Nach Schluss der Beweisaufnahme beantragte der Staatsanwalt eine Gesamtfrei-heitsstrafe in Höhe von acht Jahren sowie die Anordnung der Sicherungsver-wahrung. Die Verteidigung beantragte, die von der Kammer am 2. Verhand-lungstag in Aussicht gestellten Rechtsfolgen zu verhängen. 2. Die Frage der Anordnung der Sicherungsverwahrung ist einer Ver-ständigung im Strafverfahren nicht zugänglich (vgl. [X.], 39; NStZ 2005, 526). Gleichwohl haben die Verfahrensbeteiligten, denen dies [X.] war, eine solche Verständigung angestrebt. Sie taten dies im Laufe der 5 - 5 - Hauptverhandlung sogar auch noch aus sachfremden Gesichtspunkten (Aufklä-rungshilfe für andere Straftaten). Dieses Vorgehen lief auf eine erhebliche Rechtsverletzung hinaus. Dabei spielt es keine Rolle, dass die Anordnung der Maßregel hier nur nach § 66 Abs. 2 StGB in Betracht kam und deshalb im Er-messen der [X.] stand. Ein nach einem gerichtlichen Höchststrafange-bot abgegebenes Geständnis ist - gleichgültig, zu welchem Zeitpunkt es abge-geben wird - grundsätzlich nicht geeignet, die Ermessensausübung entschei-dend zu beeinflussen (vgl. [X.], 526). Die rechtswidrige Verfahrensweise der Beteiligten vermag - für sich [X.] - eine Verletzung des Rechts auf ein faires Verfahren nicht zu begründen. Ein Rechtsnachteil hätte dem Angeklagten hieraus nur erwachsen können, wenn die [X.] auf Grund dieser Vorgänge in ihrer Entscheidung über die Anordnung der Sicherungsverwahrung nicht mehr unbefangen gewesen wäre. Derartiges hat die Revision nicht vorgetragen noch hatte sie das [X.] zum Gegenstand eines - insoweit vorgreiflichen (vgl. [X.] aaO) - Befan-genheitsgesuchs gemacht. 6 Die Vorgehensweise des [X.]s hat auch nicht schon allein [X.], weil sie rechtswidrig ist, zur Konsequenz, dass das Urteil aufgehoben werden muss. Das würde nämlich dazu führen, dass das Revisionsgericht be-anstandenswertes Verhalten des Tatrichters - ohne Rücksicht auf die [X.] dieses Verhaltens auf die Verfahrensbeteiligten - durch die Aufhebung des Urteils "sanktioniert". Der [X.] hat wiederholt und in unter-schiedlichen Zusammenhängen ausgesprochen, dass das Revisionsgericht den Tatrichter nicht zu "sanktionieren" oder zu "maßregeln" hat ([X.], 196; NStZ-RR 2006, 112, 114 f.; [X.]St 51, 84, 87). 7 - 6 - 3. Bei einer Revision des Angeklagten ist vielmehr entscheidend, ob bei dieser Vorgehensweise gegen die Grundsätze des fairen Verfahrens, und zwar zum Nachteil des Angeklagten, verstoßen wurde. Diesen Verstoß sieht die [X.] darin, dass das [X.] sich nicht an seine Erklärung vom [X.] gehalten und trotz des Geständnisses die Sicherungsverwahrung angeordnet habe, obwohl der Angeklagte bei Abgabe seines Geständnisses noch auf die Erklärung vom 2. Verhandlungstag vertrauen konnte. Wäre [X.], dass das [X.] tatsächlich einen Vertrauenstatbestand geschaffen und der Angeklagte gerade deswegen das Geständnis abgelegt hat, dann läge freilich der gerügte Verstoß vor, und das hätte zur Aufhebung des Urteils ge-führt. 8 Der Senat hält es hingegen nicht für erwiesen, dass der Angeklagte das Geständnis im Vertrauen auf eine (weiter geltende) Zusage, bei einem [X.] werde keine Sicherungsverwahrung angeordnet, abgelegt hat. Für den Angeklagten - auf seine Sichtweise kommt es hier an - war vielmehr von Anfang an erkennbar, dass das Gericht zu einer Verständigung über die Sicherungs-verwahrung nur bei einem frühen Geständnis - vor oder zu Beginn der Beweis-aufnahme - bereit war; denn ein wesentlicher Zweck der Verständigung war für das Gericht ersichtlich die Vermeidung einer längeren Beweisaufnahme. Dies wurde dem Angeklagten noch verdeutlicht, als der Vorsitzende am 5. Verhandlungstag eine Bindung der Kammer an ihre Erklärung vom [X.] nur noch bis zum nächsten Verhandlungstermin kundtat. Da es - wie die dienstliche Erklärung des [X.] belegt - dem auch insoweit anwaltlich beratenen Angeklagten angesichts der auch seinen Vertei-digern bekannten Unzulässigkeit der vorgesehenen Verständigung über die Si-cherungsverwahrung vorrangig auf die Einbindung der Staatsanwaltschaft an-kam, stand für den weiteren Prozessablauf entscheidend die Frage im [X.], ob ihm diese Einbindung - durch [X.] in anderer Sache - ge-9 - 7 - lingt. Hiervon hing für den Angeklagten ab, ob es zu der Verständigung mit dem Gericht kommt. Von dem Gelingen einer Einbindung der Staatsanwaltschaft machte auch die [X.] ersichtlich ihre Entscheidung abhängig, wie sich insbesondere aus ihrem hierauf Bezug nehmenden Protokollvermerk vom 6. Verhandlungstag ergibt. Nachdem es dem Angeklagten nicht gelungen war, die Zustimmung der Staatsanwaltschaft zu erhalten, konnte er auf Grund dieses [X.] nicht mehr davon ausgehen, dass die Kammer doch noch auf ihre ursprüngliche Erklärung vom 2. Verhandlungstag zurückkommt. [X.] fehlt dem Senat insoweit eine ausreichend sichere Grundlage für eine er-folgreiche Verfahrensrüge. Die tatsächliche Richtigkeit des [X.], aus dem sich ein verfahrensrechtlicher Verstoß ergeben soll, muss erwiesen sein und kann nicht lediglich nach dem Grundsatz "im Zweifel für den Angeklag-ten" unterstellt werden (vgl. [X.]St 16, 164, 167; [X.] NStZ 2008, 353). Im Übrigen hat die [X.] durch ihre Protokollerklärung im [X.] an das Geständnis, das Geständnis werde zur Kenntnis genommen, über die Frage der Sicherungsverwahrung jedoch erst nach Anhörung der Sachverständigen entschieden, ihre Haltung bestätigt. Die Verteidigung hat dies auch dahin verstanden, dass das Geständnis nicht ohne weiteres zur [X.] führt, was sich aus ihrem auf die 10 - 8 - Erklärung des Gerichts folgenden Unterbrechungsantrag wegen eines unauf-schiebbaren Antrags (d.h. Befangenheitsantrags) ergibt. Die Verteidigung hatte daher die Möglichkeit, ihr weiteres prozessuales Vorgehen nach der von der Kammer vorgesehenen Verfahrensweise auszurichten. Ri[X.] Hebenstreit ist auf Dienstreise und deshalb an der Unterschrift gehindert. [X.] Nack Elf Graf

Meta

1 StR 204/08

18.06.2008

Bundesgerichtshof 1. Strafsenat

Sachgebiet: StR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 18.06.2008, Az. 1 StR 204/08 (REWIS RS 2008, 3327)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2008, 3327

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