Bundesgerichtshof, Beschluss vom 12.08.2020, Az. 4 StR 588/19

4. Strafsenat | REWIS RS 2020, 1479

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Gegenstand

Anordnung der Sicherungsverwahrung: Berücksichtigung zulässigen Verteidigungsverhaltens des Angeklagten


Tenor

I. Auf die Revisionen der Angeklagten   H.    , [X.]und [X.]    wird das Urteil des [X.] vom 11. März 2019, soweit es sie betrifft, im Schuldspruch dahingehend geändert, dass jeweils die tateinheitliche Verurteilung wegen gefährlicher Körperverletzung in den Fällen [X.] und II. 7 der Urteilsgründe entfällt.

II. Auf die Revision des Angeklagten [X.]wird das vorbezeichnete Urteil mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben, soweit die Unterbringung des Angeklagten in der Sicherungsverwahrung angeordnet worden ist. Die Feststellungen zu der am 31. Mai 2017 zum Nachteil des Geschädigten K.      in [X.].  begangenen Straftat können bestehen bleiben.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels des Angeklagten [X.], an eine andere Strafkammer des [X.] zurückverwiesen.

III. Die weiter gehenden Revisionen der Angeklagten werden verworfen.

[X.] Der Angeklagte    H.     hat die Kosten seines Rechtsmittels und die den [X.] im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen. Der Angeklagte [X.]   hat die Kosten seines Rechtsmittels und die den [X.] [X.]    und [X.].    im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.

Gründe

1

Das [X.] hat den Angeklagten    H.    wegen besonders schweren Raubes in elf Fällen, davon in zwei Fällen in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung und in einem Fall in Tateinheit mit unerlaubter Ausübung der tatsächlichen Gewalt über eine Kriegswaffe, wegen versuchten besonders schweren Raubes in drei Fällen, davon in zwei Fällen in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung und wegen Verabredung zu einem Verbrechen des besonders schweren Raubes in Tateinheit mit unerlaubter Ausübung der tatsächlichen Gewalt über Kriegswaffen und vorsätzlichem unerlaubtem Besitz von Schusswaffen und Munition zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 13 Jahren verurteilt und seine Unterbringung in der Sicherungsverwahrung angeordnet. Gegen den Angeklagten [X.]hat es wegen besonders schweren Raubes in zehn Fällen, davon in zwei Fällen in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung, wegen versuchten besonders schweren Raubes in zwei Fällen jeweils in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung sowie wegen unerlaubter Ausübung der tatsächlichen Gewalt über eine Kriegswaffe eine Gesamtfreiheitsstrafe von 13 Jahren und neun Monaten festgesetzt und seine Unterbringung in der Sicherungsverwahrung angeordnet. Den Angeklagten [X.]hat es wegen besonders schweren Raubes in fünf Fällen und wegen versuchten besonders schweren Raubes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung in zwei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 13 Jahren und neun Monaten verurteilt. Außerdem hat es gegen alle drei Angeklagten [X.] getroffen. Die hiergegen gerichteten Revisionen der Angeklagten haben den aus der [X.] ersichtlichen Erfolg; im Übrigen sind sie unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.

2

1. Die Schuldsprüche gegen die drei Angeklagten waren in den Fällen [X.] und II. 7 der Urteilsgründe dahingehend zu ändern, dass die tateinheitliche Verurteilung wegen gefährlicher Körperverletzung gemäß § 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB entfällt. Denn insoweit war, wie der [X.] zu Recht ausgeführt hat, bereits Verfolgungsverjährung eingetreten. Die Taten wurden am 23. Dezember 2002 (Fall [X.] der Urteilsgründe) und 29. April 2004 ([X.] 7 der Urteilsgründe) begangen. Die für jedes Delikt gesondert zu bestimmende Verjährungsfrist betrug für die gefährliche Körperverletzung gemäß § 224 Abs. 1 StGB zehn Jahre (§ 78 Abs. 3 Nr. 3 StGB) und war im Zeitpunkt der ersten gemäß § 78c Abs. 1 Nr. 4 StGB für eine Unterbrechung in Betracht kommenden Maßnahmen (Durchsuchungsbeschlüsse des [X.] vom 7. Juni 2017 in Bezug auf die Angeklagten     H.     und [X.]sowie vom 30. August 2017 in Bezug auf den Angeklagten [X.]) bereits abgelaufen. Der Senat ändert die Schuldsprüche entsprechend ab. § 265 StPO steht dem nicht entgegen.

3

Der Umstand, dass die [X.] in den Fällen [X.] und II. 7 der Urteilsgründe bei der Bestimmung der Einzelstrafen allen drei Angeklagten angelastet hat, dass sie tateinheitlich auch den Tatbestand des § 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB verwirklicht haben, stellt die Strafaussprüche nicht in Frage. Denn auch verjährte tateinheitlich verwirklichte [X.] können bei der Strafbemessung berücksichtigt werden (vgl. [X.], Beschluss vom 22. Dezember 2011 – 4 [X.], Rn. 3; Beschluss vom 24. Februar 2010 – 1 StR 14/10, Rn. 6 mwN).

4

2. Die auf § 66 Abs. 2 StGB gestützte Unterbringung des Angeklagten [X.]in der Sicherungsverwahrung hält revisionsrechtlicher Überprüfung nicht stand. Zwar hat die [X.] – entgegen der Auffassung des [X.]s – bei der Annahme der formellen Voraussetzungen für die Anordnung der Sicherungsverwahrung nach § 66 Abs. 2 StGB nicht gegen § 66 Abs. 4 Satz 3 StGB verstoßen, denn sie hat sich bei der Prüfung der formellen Voraussetzungen der Sicherungsverwahrung nicht auf die von ihr zwar festgestellte, aber von der zugelassenen Anklage nicht umfasste und deshalb im hiesigen Verfahren und auch anderweit bislang nicht ausgeurteilte Tat in [X.].   vom 31. Mai 2017 (vgl. dazu [X.], Urteil vom 8. November 1972 – 3 [X.], [X.]St 25, 44, 45 ff.; [X.] in: [X.] StGB, 46. Edition Stand 1. Mai 2020, § 66 Rn. 20; siehe hierzu auch [X.], Beschluss vom 14. Dezember 2001 – 3 [X.], BeckRS 2002, 870 Rn. 8), sondern letztlich zu Recht nur auf die von ihr in ausreichender Zahl ausgeurteilten Taten gestützt. Nur auf aktuell ausgeurteilte oder bereits anderweitig zur Verurteilung gelangte Taten, die zur Begründung der formellen Voraussetzungen in Betracht kommen, finden die Vorschriften über die Rückfallverjährung Anwendung (vgl. Fischer, StGB, 67. Aufl., § 66 Rn. 32 und 42 mwN). Die Unterbringungsanordnung erweist sich aber als rechtsfehlerhaft, weil die [X.] bei der Begründung eines [X.]ngs zu gefährlichen Straftaten gemäß § 66 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 StGB zulässiges Verteidigungsverhalten zum Nachteil des Angeklagten berücksichtigt hat.

5

a) Zulässiges Verteidigungsverhalten darf weder hangbegründend noch als Anknüpfungspunkt für die Gefährlichkeit des Angeklagten verwertet werden. Andernfalls wäre er gezwungen seine Verteidigungsstrategie aufzugeben, will er hinsichtlich der Sicherungsverwahrung einer ihm ungünstigen Entscheidung entgegenwirken (vgl. [X.], Beschluss vom 26. März 2020 – 4 [X.], Rn. 24; Beschluss vom 24. Oktober 2019 – 4 StR 200/19, NStZ-RR 2020, 15 mwN). Wenn der Angeklagte ihm zur Last gelegte Taten leugnet, bagatellisiert oder einem anderen die Schuld an der Tat zuschiebt, ist dies grundsätzlich zulässiges Verteidigungsverhalten. Die Grenze ist erst erreicht, wenn das Leugnen, Verharmlosen oder die Belastung des Opfers oder eines [X.] sich als Ausdruck besonders verwerflicher Einstellung des [X.] darstellt, etwa weil die Falschbelastung mit einer Verleumdung oder Herabwürdigung oder der Verdächtigung einer besonders verwerflichen [X.]ndlung einhergeht (vgl. [X.], Beschluss vom 24. Oktober 2019 – 4 StR 200/19, NStZ-RR 2020, 15; Beschluss vom 21. August 2014 ‒ 1 StR 320/14; Beschluss vom 26. Oktober 2011 – 5 StR 267/11, [X.], 9; Beschluss vom 25. April 1990 – 3 [X.], [X.]R StGB § 46 Abs. 2 Verteidigungsverhalten 8).

6

b) Die [X.] hat zur Begründung eines [X.]nges unter anderem herangezogen und festgestellt, dass der Angeklagte auch an einer am 31. Mai 2017 in [X.].   begangenen gravierenden Raubtat zum Nachteil des Geschädigten [X.]als „[X.]uptfigur“ beteiligt war. Im Hinblick auf diese Tat, die nicht Gegenstand der zugelassenen Anklage war, hatte der Angeklagte in der [X.]uptverhandlung lediglich eingeräumt, „Schmiere gestanden“ zu haben. Auch sei die Initiative zur Tatbegehung von der Tochter des Geschädigten ausgegangen. Diese habe ihrem Vater, der sie in der Kindheit missbraucht habe, einen „Denkzettel verpassen“ wollen. Die [X.] meint, der Angeklagte habe mit dieser Einlassung den Eindruck vermitteln wollen, es gebe eine moralische Rechtfertigung für die Tat und das Tatopfer sei nicht schützenswert. Dies lasse (neben weiteren Argumenten) den Schluss auf eine zustimmende innere [X.]ltung des Angeklagten zu seinen Taten zu. Auch finde der „antisoziale Denkstil“ des Angeklagten „vor allem“ in dieser Einlassung seinen Ausdruck. Beide Gesichtspunkte seien Indizien für das Vorliegen eines [X.]nges.

7

Damit hat die [X.] zulässiges Verteidigungsverhalten hangbegründend verwertet. Denn der Angeklagte hat in seiner Einlassung lediglich in zulässiger Weise versucht, ihm vorgeworfenes Verhalten anders darzustellen oder Umstände zu behaupten, die dieses in einem milderen Licht erscheinen lassen.

8

c) Die Entscheidung über die Unterbringung des Angeklagten [X.]in der Sicherungsverwahrung bedarf daher neuer Verhandlung und Entscheidung. Die rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen zu der Tat zum Nachteil des Geschädigten [X.]in [X.].  am 31. Mai 2017 können bestehen bleiben.

Sost-Scheible     

        

Ri[X.] Bender befindet sich im
Urlaub und ist daher gehindert zu
unterschreiben.

        

Quentin

                 

Sost-Scheible

                 
        

Bartel     

        

     Rommel     

        

Meta

4 StR 588/19

12.08.2020

Bundesgerichtshof 4. Strafsenat

Beschluss

Sachgebiet: StR

vorgehend LG Hagen (Westfalen), 11. März 2019, Az: 31 Ks 3/18

§ 66 Abs 1 S 1 Nr 4 StGB, § 261 StPO, § 267 StPO

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 12.08.2020, Az. 4 StR 588/19 (REWIS RS 2020, 1479)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2020, 1479

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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