Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 21.12.2004, Az. IXa ZB 142/04

IXa- Zivilsenat | REWIS RS 2004, 83

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[X.]BESCHLUSS [X.]
vom 21. Dezember 2004 in dem Zwangsvollstreckungsverfahren

Nachschlagewerk: ja [X.]: nein

ZPO § 850c Abs. 4

Die auf Antrag des Gläubigers vom Vollstreckungsgericht gemäß § 850 Abs. 4 ZPO zu treffende Bestimmung hat unter Einbeziehung aller wesentlichen Um-stände des Einzelfalles und nicht lediglich nach festen Berechnungsgrößen zu erfolgen.

[X.], Beschluß vom 21. Dezember 2004 - [X.] - [X.] - 2 - [X.] des [X.] hat durch [X.] [X.], [X.], von [X.], die Richterinnen Dr. [X.] und [X.]

am 21. Dezember 2004 beschlossen:
Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluß der 4. Zivilkammer des [X.] vom 8. Juni 2004 wird auf Kosten der Gläubigerin zurückgewiesen.

Der Gegenstandswert des [X.] wird auf 500 • festgesetzt.

Gründe:
[X.]

Die Gläubigerin hatte gegen die Schuldnerin einen Pfändungs- und Überweisungsbeschluß des Amtsgerichts erwirkt. Sie hat dann beantragt, den [X.] der Schuldnerin bei der Berechnung des pfändbaren Teils des Arbeits-einkommens nicht zu berücksichtigten. Für den am 5. Juli 1993 geborenen [X.] erhält die Schuldnerin monatliche Unterhaltszahlungen in Höhe von 222 •. Das Amtsgericht hat daraufhin gemäß § 850c Abs. 4 ZPO bestimmt, daß der [X.] bei der Bemessung des pfändbaren Betrags nach der Anlage zu § 850c ZPO nur zu 25 % der Spanne zwischen dem Betrag, der ohne [X.] 3 - sichtigung des [X.]es pfandfrei wäre und dem Betrag, der mit Berücksichti-gung des [X.]es pfandfrei wäre, berücksichtigt wird. Es hat die Unterhaltszah-lung als anzurechnendes Einkommen des [X.]es angesehen und den Betrag ins Verhältnis gesetzt zum Grundfreibetrag des § 850c Abs. 1 Satz 1 ZPO für einen Schuldner ohne Unterhaltsverpflichtung (930 •). Da der [X.] eigenes Einkommen in Höhe von etwa einem Viertel des [X.] habe, [X.] es billigem Ermessen, 25 % der Differenz pfändbar zu belassen. Die sofortige Beschwerde der Gläubigerin gegen diesen Beschluß hat das [X.] zurückgewiesen. Dagegen wendet sich die Gläubigerin mit ihrer zugelas-senen Rechtsbeschwerde.

I[X.]

Die gemäß § 574 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 3 Satz 2 ZPO statthafte und auch im übrigen zulässige Rechtsbeschwerde ist unbegründet.

1. Das Beschwerdegericht ist, wie das Amtsgericht, der Auffassung, daß der selbst über Einkommen verfügende Unterhaltsberechtigte dann bei der Berechnung des unpfändbaren Teils des Arbeitseinkommens unberücksichtigt bleibt, wenn seine Einkünfte den Grundfreibetrag des § 850c Abs. 1 Satz 1 ZPO für einen Schuldner ohne Unterhaltsverpflichtung erreichen oder über-steigen. [X.] das Einkommen des Unterhaltsberechtigten diesen Grundfreibetrag, entspreche es billigem Ermessen im Sinne des § 850c Abs. 4 ZPO, dem Schuldner den zusätzlichen [X.] für den Unterhaltsberechtigten mit eigenem Einkommen zu dem Bruchteil zu belassen, der sich aus dem Verhältnis des Einkommens des Unterhaltsberechtigten zum - 4 - dem Verhältnis des Einkommens des Unterhaltsberechtigten zum [X.] ergebe.

2. Demgegenüber hält es die Rechtsbeschwerde für geboten, als Orien-tierungshilfe für die Ausübung des billigen Ermessens den sozialrechtlichen Grundbedarf des Unterhaltsberechtigten gemäß § 22 [X.] zuzüglich eines 20%igen "[X.]" zugrunde zu legen. Die Orientierung am [X.] gewährleiste, daß der Unterhaltsberechtigte in ausreichendem Maße die zur Deckung eines angemessenen Lebensbedarfs erforderlichen Mit-tel erhalte, wobei er allerdings Abstriche in seiner Lebensführung hinnehmen müsse, soweit der Unterhaltspflichtige Schulden zu tilgen habe. Bei der gebo-tenen Anlehnung an den [X.] sei der [X.] bei der Berechnung des pfändbaren Teils des Arbeitseinkommens vollumfänglich nicht zu [X.].

3. Die Frage, ab welcher Höhe ein eigenes Einkommen des [X.] seine Berücksichtigung bei der Bestimmung der Pfändungsfreibe-träge aus Arbeitseinkommen des Unterhaltspflichtigen ausschließt, ist vom Ge-setzgeber bewußt nicht im einzelnen geregelt worden. Nach § 850c Abs. 4 ZPO kann das Vollstreckungsgericht vielmehr auf Antrag des Gläubigers nach billigem Ermessen bestimmen, daß eine unterhaltsberechtigte Person mit eige-nen Einkünften bei der Berechnung des unpfändbaren Teils des Arbeitsein-kommens ganz oder teilweise unberücksichtigt bleibt. Im Vorfeld der [X.] dieser Bestimmung in die Zivilprozeßordnung durch das Vierte Gesetz zur Änderung der Pfändungsfreigrenzen vom 28. Februar 1978 ([X.]) konnte keine Einigung erzielt werden, ab welchem Einkommensbetrag ein [X.] nicht mehr zu berücksichtigen sei. In den [X.] 5 - [X.] (BT-Drucks. 8/693 S. 48 f, auszugsweise abgedruckt bei [X.], [X.] 13. Aufl. Rn. 1059) heißt es hierzu:
"Der [X.] hatte bei den Beratungen des [X.] einen neuen § 850c Abs. 4 ZPO beschlossen, dem zufolge bei dieser Berech-nung eine Person außer Betracht bleiben sollte, deren Nettoein-künfte 300 DM monatlich übersteigen; weitere Personen sollten nicht berücksichtigt werden, wenn ihre monatlichen Nettoeinkünf-te höher als 225 DM liegen ([X.] 687/71). Der Bundesrat rief den Vermittlungsausschuß unter anderem mit dem Ziele der Streichung des § 850c Abs. 4 an, weil die Regelung in Einzelfällen zu unhaltbaren Ergebnissen führen könne ([X.] 687/71 - Beschluß -; Bundestagsdrucksache [X.]/2976). Der Vermittlungsausschuß schlug dann die Streichung der Vorschrift vor ([X.]), weil die [X.] Einkommensgrenze insbesondere in Grenzfällen zu groben Ungerechtigkeiten führe ([X.] - 6. Wahlperiode - Bericht über die 165. Sitzung, S. 9489).

Bei der Vorbereitung des vorliegenden Entwurfs sind von ver-schiedenen Seiten andere Beträge als Grenzen für die [X.] vorgeschlagen worden. So war angeregt worden, den [X.] dann außer Betracht zu lassen, wenn seine Einkünfte höher als die Grundfreibeträge für den alleinstehenden Schuldner nach Absatz 1 Satz 1 (559 DM monatlich) liegen. Auch wenn für diese Beträge als Richtschnur gewisse Gründe spre-chen, so wären sie doch, wie die Erörterungen in der V[X.] [X.] gezeigt haben, für eine feste Grenze zu starr. Der vor-geschlagene Absatz 4 gestaltet daher die Berücksichtigung des Berechtigten, der eigene Einkünfte bezieht, flexibel. Er läßt dem Gericht bei seiner Ermessensentscheidung genügend Raum, um
den Umständen des Einzelfalles Rechung zu [X.]"

Die Rechtsprechung hat demgegenüber verschiedene standardisierte Modelle als Richtschnur entwickelt, wie eigenes Einkommen des Unterhaltsbe-- 6 - rechtigten zu berücksichtigen ist. Unberücksichtigt bleiben nach allgemeiner Meinung unbedeutende Einkünfte.

a) Nach einer Auffassung, der sich das Beschwerdegericht angeschlos-sen hat, ist vom vollstreckungsrechtlichen Grundfreibetrag des § 850c Abs. 1 Satz 1 ZPO für den nicht unterhaltspflichtigen Schuldner auszugehen (grund-legend [X.] [X.] 1995, 48 f; so auch [X.] [X.] 1995, 217; [X.] Rpfleger 2002, 370; [X.] Rpfleger 1996, 469 m. Anm. [X.]; [X.] [X.] 1999, 662; [X.] [X.] 1995, 492, 493). Die Orientierung am Grundfreibetrag entspreche der Intention des Gesetzgebers, wie sich aus der Begründung des Entwurfs eines [X.] zur Änderung der Pfändungsfreigrenzen ergebe. Sie habe gegen-über einer Berücksichtigung des [X.] den großen Vorteil, daß sich der in Betracht kommende Betrag ohne weiteres aus § 850c Abs. 1 Satz 1 ZPO entnehmen lasse und sich damit eine umständliche Feststellung des [X.] Sozialhilfeanspruchs bzw. eine Anwendung der regional unterschiedli-chen Unterhaltstabellen erübrige. Bei Unterschreitung des Grundfreibetrags sei das eigene Einkommen teilweise anzurechnen, indem es zum Grundfreibetrag ins Verhältnis gesetzt werde und der entsprechende Anteil des [X.] zwischen der für alle Unterhaltsberechtigten geltenden und der vorherge-henden Tabellenstufe dem pfändbaren Betrag nach der für alle Unterhaltsbe-rechtigten geltenden Tabellenstufe hinzuzurechnen sei.

b) Nach einer anderen Meinung ist ein Unterhaltspflichtiger dann nicht mehr zu berücksichtigen, wenn sein Einkommen den [X.] zuzüglich eines "[X.]" von 20 % überschreitet ([X.] DGVZ 2000, 87; Rpfleger 2000, 402; [X.] [X.] 2003, 660 f; [X.] - 7 - [X.] 2002, 97 f, 211; [X.] 2003, 409; [X.] [X.] 2000, 47; [X.] [X.] 2003, 155 f, 548). Der Unterhaltsberechtigte müsse aus seinen Einkünften seinen Lebensbedarf bestreiten können. Dieser Bedarf sei zweckmäßigerweise nach den Regelungen des Bundessozialhilfegesetzes zu bemessen, welche in nicht allzugroßen Zeitabständen regelmäßig aktualisiert würden. Da es im Rahmen der nach § 850c ZPO zu berücksichtigenden Unter-haltsverpflichtung nicht darum gehe, lediglich den "notwendigen" Unterhalt der Angehörigen des Schuldners zu sichern, sondern einen gewöhnlichen, sei es erforderlich und ausreichend, den [X.] um 20 % zu erhöhen. [X.] beziehe sich der Grundfreibetrag des § 850c ZPO auf einen arbeiten-den, allein lebenden Schuldner, und es entspreche der Lebenserfahrung, daß der Unterhaltsbedarf eines solches Schuldners höher sei als der Bedarf eines Unterhaltsberechtigten, der mit ihm in einem gemeinsamen Haushalt lebe.

c) Des weiteren wird die Ansicht vertreten, daß der [X.] bei der Berechnung des pfändbaren Teils des Arbeitseinkommens nicht zu berücksichtigen sei, wenn seine eigenen Einkünfte so hoch seien, daß sich nach den unterhaltsrechtlichen Leitlinien kein Unterhaltsanspruch mehr gegen den Schuldner ergebe ([X.] [X.] 1995, 384; [X.] [X.] 2001, 657 f; [X.] [X.] 1996, 271).

d) Nach anderer Auffassung (LG Rostock [X.] 2003, 411; [X.] aaO Rn. 1062 f; [X.]/[X.], ZPO 25. Aufl. § 850c Rn. 15a; vgl. auch [X.], ZPO 2. Auf. § 850c Rn. 23) verbietet sich grundsätzlich eine schematisierende Betrachtung. Schon nach dem Gesetzeswortlaut habe das Gericht eine Entscheidung nach billigem Ermessen zu treffen. Es habe dabei zu ermitteln, in welchem Umfang der zu berücksichtigende Angehörige durch - 8 - eigene Einkünfte für seinen Lebensunterhalt aufkommen könne, so daß den Schuldner in diesem Umfang keine Unterhaltsverpflichtung treffe und ihm keine zusätzlichen Mittel belassen werden müßten. Es sei unter Würdigung der [X.] Umstände des Einzelfalles und der Interessen der Beteiligten in [X.] billigen Ermessens festzustellen, ob und in welchem Umfang die eige-nen Einkünfte des Angehörigen die Leistungspflicht des Schuldners diesem gegenüber minderten. Ein Rückgriff auf die verschiedenen [X.] schließe eine solche Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalles aus. Soweit die Tätigkeit des Gerichts in diesen Fällen auf rein rechnerische Aufga-ben beschränkt werde, fehle es an jeglicher Ermessensausübung. Diese sei aber Gegenstand der Entscheidung nach § 850c Abs. 4 ZPO.

4. Der Senat stimmt der letztgenannten Auffassung zu, daß die von [X.] wegen nach billigem Ermessen zu treffende Bestimmung des Vollstrek-kungsgerichts eine schematisierende Betrachtungsweise verbietet. Der Ge-setzgeber hat es ausdrücklich abgelehnt, einen Einkommensbetrag zu bestim-men, bei dessen Erreichen ein unterhaltsberechtigter Angehöriger nicht mehr zu berücksichtigen ist. Die Berücksichtigung des Berechtigten, der eigene [X.] bezieht, ist absichtlich flexibel gestaltet worden, um dem Gericht bei [X.] Ermessensentscheidung genügend Raum zu lassen, den Umständen des Einzelfalles Rechnung zu tragen. Bei der Ermessensausübung hat das Gericht seine Entscheidung unter Abwägung der wirtschaftlichen Lage des Gläubigers und des Schuldners sowie der von ihm unterhaltenen Angehörigen zu treffen. Dabei können Pfändungsfreibeträge und Unterhaltstabellen Gesichtspunkte für die Ausübung des Ermessens geben; eine einseitige Orientierung an bestimm-ten Berechnungsmodellen scheidet jedoch aus, weil sie dem Sinn des § 850c Abs. 4 ZPO widerspricht. Dementsprechend fordert auch der [X.] - 9 - bei der Forderungspfändung im abgabenrechtlichen Vollstreckungsverfahren durch das Finanzamt eine Abwägung gemäß § 319 AO, § 850c Abs. 4 ZPO nach billigem Ermessen ([X.] 1999, 6).

Das Beschwerdegericht hat sich demgegenüber schematisch am Grund-freibetrag des § 850c Abs. 1 Satz 1 ZPO orientiert. Es hat der Schuldnerin 75 % des [X.] zwischen den Tabellenstufen bei einem und bei zwei Unterhaltsberechtigten belassen und 25 % des [X.] als zu-sätzlich pfändbar angesehen. Dies nötigt im vorliegenden Fall jedoch nicht zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung; denn der Ermessensfehler hat sich nicht zu Lasten der Gläubigerin ausgewirkt.

Fraglich erscheint bereits die Grundannahme des [X.], den Unterhaltsanspruch des [X.]es der Schuldnerin gegen seinen Vater als eigenes Einkommen im Sinne von § 850c Abs. 4 ZPO anzusehen (für die Be-rücksichtigung von Unterhaltsleistungen als Einkommen auch [X.] [X.] 2000, 47 f; [X.] [X.] 2003, 378; [X.] Rpfleger 2001, 142 f; [X.] [X.] 2001, 141 f; [X.] [X.] 2003, 326; [X.]/[X.], ZPO 4. Aufl. § 850c Rn. 11; [X.]/Walker, Vollstreckung und Vorläufiger Rechtsschutz 3. Aufl. § 850c ZPO Rn. 11; [X.] aaO Rn. 1060a; [X.]/[X.] aaO Rn. 12). Ob diese Auffassung zutrifft oder ob sich die [X.] von Unterhaltsleistungen als eigenes Einkommen verbietet (so [X.] 1994, 621), braucht der Senat hier nicht zu entscheiden. Eine Unterhaltszahlung von 222 • monatlich ist jedenfalls so geringfügig, daß [X.] die Unterhaltsverpflichtung der Schuldnerin nicht wesentlich gemindert wird.
- 10 - Umstände, die die hier getroffene Bestimmung, der Schuldnerin 75 % des [X.] zwischen den Tabellenstufen zu belassen, zu Lasten der Gläubigerin ermessensfehlerhaft erscheinen lassen, sind nicht erkennbar und werden auch von der Rechtsbeschwerde nicht vorgetragen. Auch wenn der [X.] im Haushalt der Mutter lebt und angesichts deren Verschuldung gewisse Abstriche in der Lebensführung hinzunehmen hat, reichen eine Unterhaltszah-lung von 222 • monatlich und das staatliche Kindergeld ersichtlich nicht für einen angemessenen Lebensunterhalt eines 11jährigen Jungen. [X.] hat das Interesse der Gläubigerin an geringfügig höheren Pfändungsbe-trägen zurückzustehen.

[X.] [X.] v. [X.]

[X.] [X.]

Meta

IXa ZB 142/04

21.12.2004

Bundesgerichtshof IXa- Zivilsenat

Sachgebiet: ZB

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 21.12.2004, Az. IXa ZB 142/04 (REWIS RS 2004, 83)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2004, 83

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