Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 26.04.2012, Az. III ZR 215/11

III. Zivilsenat | REWIS RS 2012, 6879

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BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
III ZR 215/11
vom

26. April
2012

in dem Rechtsstreit

Nachschlagewerk:
ja
[X.]Z:
nein
[X.]R:
ja

Private Spielhallen
AEUV Art. 340; [X.]/[X.] des Rates vom 17. Mai 1977 Art. 13 Teil [X.]. f; UStG 1980 § 4 Nr. 9 Buchst. b

a)
Die [X.] hat durch die Regelung in §
4 Nr.
9 Buchst.
b UStG 1980 nicht in einer einen unionsrechtlichen Staatshaftungsanspruch begründenden hinreichend qualifizierten Weise gegen Art.
13 Teil [X.].
f der [X.]/[X.] verstoßen, indem sie die öffentlichen Spielbanken hinsichtlich der aus dem Betrieb von Geldspielautomaten erzielten Umsätze von der Entrichtung der Umsatzsteuer befreit hat, die Betreiber privater Spielhallen jedoch nicht.

b)
Aus dem Umstand, dass die [X.] die [X.]/[X.] nicht rechtzeitig bis zum 1.
Januar 1979 in nationales Recht umgesetzt hat, ergibt sich in Bezug auf die Ungleichbehandlung öffentlicher Spielbanken
und privater Spielhallen kein hinreichend qualifizierter Verstoß.

[X.], Beschluss vom 26. April 2012 -
III ZR 215/11 -
KG Berlin

[X.]
-

2

-

Der III.
Zivilsenat des [X.] hat am
26.
April
2012
durch den
Vizepräsidenten
Schlick
und
die Richter [X.], [X.], [X.] und Tombrink

beschlossen:

Die Beschwerde der Kläger gegen die Nichtzulassung der Revi-sion in dem Urteil des 9. Zivilsenats des [X.]s vom 24.
Juni
2011
wird zurückgewiesen.

Von den
Kosten des Beschwerdeverfahrens haben die Klägerin zu
1 91,4
%, die Klägerin zu
2 0,2
%, die Klägerin zu
3 3,3
%,
die Klägerin zu
4
2,5
% und der Kläger zu
5 sowie die Klägerin zu
6 je
1,3
% zu tragen.

Der [X.] wird auf 5.858.181,49

Gründe:

Die Kläger
zu
1 bis 3 und der Rechtsvorgänger der Kläger zu
4 bis 6
be-trieben in Spielhallen Glücksspielautomaten mit Gewinnmöglichkeit und wurden wegen der insoweit
anfallenden Umsätze zur Umsatzsteuer
herangezogen. Die Kläger nehmen die beklagte [X.] wegen der Umsatzsteuerzahlun-gen in den Jahren 1979 bis 1998 im Wege des unionsrechtlichen Staatshaf-tungsanspruchs auf Schadensersatz in Anspruch, weil sie der Auffassung sind, sie seien im Hinblick auf die
[X.]/[X.] des Rates vom 17.
Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten 1
-

3

-

über die Umsatzsteuern -
Gemeinsames Mehrwertsteuersystem: einheitliche steuerpflichtige Bemessungsgrundlage ([X.]. EG Nr.
L 145 S.
1, im Folgenden: Sechste Richtlinie)
-, die die [X.] nicht ordnungsgemäß in das nationale Recht umgesetzt habe, nicht zur Entrichtung von Umsatzsteuer verpflichtet ge-wesen.

Die Vorinstanzen haben die auf Schadensersatz in Höhe von insgesamt 5.858.181,49

Das Landgericht hat die Ansprüche für verjährt gehalten. Das [X.] hat lediglich die auf den Veranlagungszeitraum 1979 bezogenen Ansprüche als
verjährt angesehen. Im Übrigen hat es zwar angenommen, die [X.] habe Art.
13 Teil
[X.].
f der [X.] durch §
4 Nr.
9 Buchst. b UStG 1980 nicht ordnungsgemäß in nationales Recht umgesetzt. Es hat jedoch einen Scha-densersatzanspruch überhaupt verneint, weil die angeführte [X.] nicht das Ziel habe, dem Einzelnen ein Recht zu verleihen, weil es
-
abgesehen vom Veranlagungsjahr 1979
-
an einem hinreichend qualifizierten Verstoß gegen das Gemeinschaftsrecht fehle und weil kein unmittelbarer [X.] bestehe. Es dürfe nämlich
berücksichtigt werden, dass die vom Gerichtshof der [X.]
beanstandete Ungleichbehandlung der Spielgeräteaufsteller im Verhältnis zu den
öffentlichen Spielbanken -
wie später durch Art.
2 des Gesetzes zur Eindämmung missbräuchlicher Steuerge-staltungen
vom 28.
April 2006 ([X.]
I S.
1095) geschehen
-
dadurch hätte vermieden werden können, dass auch die öffentlichen Spielbanken
der [X.] unterworfen worden wären. Bei einer solchen rechtmäßigen Umsetzung der Richtlinie wäre es bei der Umsatzsteuerpflicht der Kläger ver-blieben.

Mit ihrer Beschwerde begehren
die Kläger die Zulassung der Revision.
2
-

4

-

II.

Die Voraussetzungen für eine Zulassung der Revision liegen nicht vor (§
543 Abs.
2 ZPO).

1.
Art 13 der [X.], die -
nach Verlängerung -
bis zum 1.
Ja-nuar 1979 in nationales Recht umzusetzen war, sieht in Teil B (Sonstige Steu-erbefreiungen) Buchst. f vor, dass die Mitgliedstaaten unter den Bedingungen, die sie zur Gewährleistung einer korrekten und einfachen Anwendung
der nachstehenden Befreiungen sowie zur Verhütung von Steuerhinterziehungen, Steuerumgehungen und etwaigen Missbräuchen
festsetzen, von der Umsatz-steuer unbeschadet sonstiger Gemeinschaftsvorschriften "Wetten, Lotterien und sonstige Glücksspiele mit Geldeinsatz unter den Bedingungen und [X.], die von jedem Mitgliedstaat festgelegt werden,"
befreien. In der [X.] blieb insoweit die Bestimmung des §
4 Nr.
9 Buchst. b Satz
1 UStG vom 29.
Mai 1967 ([X.] I S.
545) durch das zur Umsetzung der
[X.] verabschiedete Gesetz zur Neufassung des [X.]es und zur Änderung anderer Gesetze vom 26.
November 1979 ([X.] I S.
1953) unverändert, nach der von den unter §
1 fallenden Umsätzen die Umsätze steuerfrei sind, "die unter das Rennwett-
und Lotteriegesetz fallen, sowie die Umsätze der zugelassenen öffentlichen Spielbanken, die durch den Betrieb der Spielbank bedingt sind".
Nach dieser Bestimmung gehörten die Unternehmen der Kläger keinem [X.] an und wurden daher zur [X.] veranlagt.

2.
Was die Frage der Umsetzung der angeführten Richtlinienbestimmung angeht, ist nach den Urteilen des Gerichtshofs der [X.]
vom 11.
Juni 1998 ([X.]/95
-
Fischer, [X.]. 1998, I-3388
Rn. 27, 30 f) und 17.
Fe-3
4
5
-

5

-

bruar 2005 ([X.]/02 und [X.]/02
-
[X.] und [X.], [X.]. 2005,
[X.]
Rn.
29
f) davon auszugehen, dass dem nationalen Gesetzgeber zwar die Befugnis zusteht, die Bedingungen und Grenzen der Befreiung von der [X.] festzulegen, dass er aber in Beachtung des Grundsatzes der steuerlichen Neutralität nicht berechtigt ist, die Steuerbefreiung von der Identität des Veranstalters oder Betreibers dieser Spiele oder Geräte abhängig zu ma-chen. Danach ist hier das Recht der [X.] verletzt worden, weil der nationale Gesetzgeber die öffentlichen Spielbanken (auch) hinsichtlich der aus dem Betrieb von Geldspielautomaten erzielten Umsätze von der Entrich-tung der Umsatzsteuer befreit hat, die privaten Unternehmen der Kläger jedoch nicht.

3.
Wegen dieses Verstoßes der Legislative prüft das Berufungsgericht als einzig mögliche Haftungsgrundlage den vom Gerichtshof der [X.] entwickelten unionsrechtlichen Staatshaftungsanspruch, dessen Voraus-setzungen es zutreffend wiedergibt.
Hiernach kommt eine Haftung des Mitglied-staats in Betracht, wenn er gegen eine Norm des [X.]srechts verstoßen hat, die bezweckt, dem Einzelnen Rechte zu verleihen, der Verstoß hinreichend qualifiziert ist und zwischen diesem Verstoß und dem dem Einzelnen
entstan-denen Schaden ein unmittelbarer Kausalzusammenhang besteht (vgl. [X.], Urteile vom 5.
März 1996 -
C-46/93 und [X.]/93 -
Brasserie du Pêcheur und Factortame, [X.]. 1996, [X.] = NJW 1996, 1267 Rn.
51; vom 24.
März 2009
-
C-445/06 -
Danske Slagterier, [X.]. 2009, I-2168
= EuZW 2009, 334 Rn.
20; Senatsurteile vom 4.
Juni 2009 -
III
ZR 144/05, [X.]Z 181, 199 Rn.
13; vom 12.
Mai 2011 -
III
ZR 59/10, [X.], 1670 Rn.
13,
insoweit in
[X.]Z 189, 365 nicht abgedruckt, [X.]. [X.]). Die Auffassung des Berufungsgerichts,
keine der vorgenannten Voraussetzungen sei gegeben, ist indes nicht frei von Rechtsfeh-lern.
6
-

6

-

a) Das Berufungsgericht
ist der Auffassung, die verletzte Norm des Art.
13 Teil [X.]. f der [X.] verleihe den Klägern kein Recht, weil die Bestimmung nicht die Umsatzsteuerbefreiung für Glücksspiele mit Geldeinsatz zum Ziel habe, sondern nur die Harmonisierung der Rechtsvor-schriften der Mitgliedstaaten zur Schaffung eines gemeinsamen Mehrwertsteu-ersystems anstrebe. Daran ist nur richtig, dass eine ordnungsgemäße [X.] der Richtlinie es nicht ausschließt, dass der nationale Gesetzgeber unter Berücksichtigung des Grundsatzes der steuerlichen Neutralität und unter [X.] ihm verbleibenden Regelungsermessens zu einer Lösung kommen kann, nach der Unternehmen wie diejenigen der Kläger nicht von der Entrich-tung der Umsatzsteuer befreit sind, wie dies der Gerichtshof in der Rechtssache [X.] durch Urteil vom 10.
Juni 2010 ([X.]/09, [X.]. 2010, [X.]
=
BFH/NV 2010, 1590) auf die durch die Neufassung des §
4 Nr.
9 Buchst.
b UStG durch das [X.] missbräuchlicher Steuergestaltungen vom 28.
April 2006 ([X.] I S.
1095) veranlasste Vorlage des [X.] ([X.], 156) entschieden hat.

Die
Beschwerde
macht
jedoch mit Recht darauf aufmerksam, dass der Gerichtshof in seinem Urteil in der Rechtssache [X.] festgestellt hat, Art.
13 Teil [X.]. f der [X.] entfalte unmittelbare Wirkung in dem Sinne, dass sich ein
Veranstalter von Glücksspielen
oder ein
Betreiber von Glücksspielgeräten
vor den nationalen Gerichten auf sie berufen könne,
um die Anwendung mit dieser Bestimmung unvereinbarer innerstaatlicher Rechtsvor-schriften zu verhindern ([X.]. 2005, [X.] Rn.
38).
Er hat darüber hinaus betont, dass
ein Mitgliedstaat, der -
wie hier
-
mit seiner Regelung gegen den Grund-satz der steuerlichen Neutralität verstoße, sich nicht auf diese Bedingungen oder Beschränkungen stützen könne, um dem Veranstalter solcher Glücks-7
8
-

7

-

spiele die Steuerbefreiung, auf die dieser nach der [X.] einen Rechtsanspruch habe, zu verweigern (aaO Rn.
37; vgl. auch Urteil vom 10.
November 2011 -
C-259/10 und [X.]/10 -
Rank Group, [X.], 104 Rn.
68 bis 74).
Es kann daher nicht zweifelhaft sein, dass sich der Einzelne un-ter Berufung auf Art.
13 Teil [X.].
f dagegen wehren kann, auf der [X.] einer mit dieser Bestimmung nicht vereinbaren nationalen Regelung zur Umsatzsteuer herangezogen zu werden. Dem entspricht es, dass in Verfahren des Primärrechtsschutzes
in Fällen, in denen
ein noch nicht bestandskräftiger Steuerbescheid vorlag oder der Steuerbescheid noch unter dem Vorbehalt der Nachprüfung stand, die Steuerfreiheit der entsprechenden Umsätze anerkannt wurde (vgl. die Fallgestaltung in der Sache [X.], [X.], 149 und [X.],
164, 166
).
Wie der [X.] bereits in der Rechtssache Brasserie du Pêcheur ausgeführt hat, stellt die dem Einzelnen eingeräumte Möglichkeit, sich auf die unmittelbare Wirkung einer gemeinschaftsrechtlichen Vorschrift zu berufen, nur eine Mindestgarantie dar, die für sich allein nicht ausreicht, die uneingeschränkte Anwendung des [X.]srechts zu gewährleisten. Deswegen betrachtet der Gerichtshof den Ent-schädigungsanspruch als notwendige Ergänzung der unmittelbaren Wirkung, die den Gemeinschaftsvorschriften zukommt, auf deren Verletzung der entstan-dene Schaden beruht ([X.].
1996, [X.] Rn.
20, 22 f).
Die Richtlinie gewährt daher den Klägern das Recht, sich für einen
[X.]raum, der -
wie hier
-
einer Re-gelung im Wege des Primärrechtsschutzes nicht mehr zugänglich ist, im Rah-men des unionsrechtlichen Staatshaftungsanspruchs
darauf zu berufen, dass §
4 Nr.
9 Buchst. b UStG 1980 nicht anwendbar ist.

b) Problematisch ist auch die Erwägung des Berufungsgerichts, es fehle an der unmittelbaren Kausalität des Umsetzungsfehlers, weil die Kläger zur Zahlung von Umsatzsteuer verpflichtet gewesen wären, wenn die [X.] die 9
-

8

-

Richtlinie von Anfang an ordnungsgemäß umgesetzt hätte, indem sie -
wie [X.] geschehen -
alle Spielgeräteaufsteller einschließlich der öffentlichen Spiel-banken der Besteuerung unterworfen hätte.
Die Beschwerde sieht hierin eine unzulässige Leugnung der steuerlichen Ungleichbehandlung der Kläger für ei-nen zurückliegenden [X.]raum, die weder nach nationalem Recht noch nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs unkorrigiert bleiben dürfe. Habe die [X.]
-
wie hier aus verfassungsrechtlichen Gründen
-
davon abgesehen, die öffentlichen Spielbanken für die zurückliegende [X.] der Umsatzsteuerpflicht zu unterziehen, und sie damit steuerlich begünstigt, müsse sie den privaten Spiel-hallen aufgrund der unter dem Gesichtspunkt des Gleichheitssatzes gebotenen Selbstbindung die gleiche Vergünstigung zukommen lassen (vgl. BVerwGE 118, 379,
383
f). Der Gerichtshof habe in [X.] auch [X.] ausgesprochen, dass die benachteiligte [X.] einen Anspruch darauf ha-be, rückwirkend in den Genuss der ihr vorenthaltenen Vergünstigung gesetzt zu werden (vgl. [X.], Urteile vom 8.
März 1988 -
C-80/87 -
Dik, [X.]. 1988, 1612
Rn.
10; vom 11.
Juli 1991 -
C-87/90 u.a. -
Verholen, [X.]. 1991, I-3783
Rn.
28
ff).

Der
Senat neigt zu der Annahme, dass die Veranlagung der Kläger zur Umsatzsteuer unmittelbar auf der angegriffenen früheren Regelung des §
4 Nr.
9 Buchst. b UStG beruht, mag der hierdurch entstandene Schaden auch im Verwaltungsvollzug entstanden sein, weil das Finanzamt die genannte [X.] angewendet hat. Das wäre jedenfalls auch mit einer wertenden, auf den Haftungstatbestand
bezogenen Zurechnung der Haftungsfolgen (vgl. zu diesem Gesichtspunkt Senatsurteil vom 24.
Oktober 1996 -
III
ZR 127/91, [X.]Z 134, 30, 39 f) zu vereinbaren. Ob ein
rechtmäßiges
Alternativverhalten
berücksichtigt werden könnte, wenn es die Folge hätte, die
Wirkungen eines Verstoßes gegen den Grundsatz der steuerlichen Neutralität zu perpetuieren, während der [X.]
-

9

-

onsrechtliche Staatshaftungsanspruch auf [X.] gerade dem Recht der [X.] volle Wirksamkeit verschaffen will, könnte nur in einem Revisionsverfahren geklärt werden, weil es sich insoweit um eine Frage von grundsätzlicher Bedeutung handelt.

c) Die angefochtene Entscheidung wird jedoch durch die Erwägung ge-tragen, dass der Verstoß der [X.]n gegen Art.
13 Teil [X.]. f der
[X.] nicht hinreichend qualifiziert ist.

aa) Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs ist ein Verstoß gegen das [X.]srecht hinreichend qualifiziert, wenn der betreffende Mitgliedstaat bei der Wahrnehmung seiner Rechtssetzungsbefugnisse die Grenzen, die der Aus-übung seiner Befugnisse gesetzt sind, offenkundig und erheblich überschritten hat ([X.], Urteile vom 5.
März 1996 -
C-46/93 und [X.]/93
-
Brasserie du Pêcheur und Factortame, [X.]. 1996, [X.] Rn.
55; vom 13.
März 2007
-
C-524/04
-
Test Claimants in [X.],
[X.]. 2007, I-2157
Rn.
118; aus der Rechtsprechung des Senats vgl. Urteile vom 24.
Oktober 1996
-
III ZR 127/91,
[X.]Z 134, 30, 38
ff; vom 22.
Januar
2009 -
III
ZR 233/07,
NJW 2009, 2534 Rn.
22; Beschluss vom 24.
Juni 2010 -
III
ZR 140/09, NJW 2011,
772
Rn.
7). Diesem
restriktiven Haftungsmaßstab, den der Gerichtshof seiner Rechtsprechung zur außervertraglichen Haftung der [X.] (vgl. jetzt Art.
340 AEUV) entnommen hat, liegt die Erwägung zugrunde, dass die
Wahrnehmung gesetzgeberischer Tätigkeit, insbesondere bei wirtschaftspolitischen Entschei-dungen, [X.] durch die Möglichkeit von Schadensersatzklagen [X.] werden darf, wenn [X.] den Erlass von Maßnahmen gebieten, die die Interessen des Einzelnen beeinträchtigen können ([X.],
Urteile vom 5.
März 1996 aaO
Rn.
45; vom 26.
März 1996 -
C-392/93
-
British Telecommunications,
[X.]. 1996, [X.]
Rn.
40). Nur wenn der Mitgliedstaat 11
12
-

10

-

zum [X.]punkt der Rechtsverletzung über einen erheblich verringerten oder
gar auf Null reduzierten Gestaltungsspielraum verfügte, kann schon die bloße Verletzung des Gemeinschaftsrechts ausreichen, um einen hinreichend qua-lifizierten Verstoß anzunehmen ([X.], Urteile vom 8.
Oktober 1996
-
C
178/94 -
[X.], [X.]. 1996, I-4867 Rn.
25; vom 13.
März 2007 aaO Rn.
118). Um festzustellen, ob ein hinreichend qualifizierter Verstoß vorliegt, sind alle Gesichtspunkte des Einzelfalls zu berücksichtigen, die für den dem nationalen Gericht vorgelegten Sachverhalt kennzeichnend sind. Zu diesen [X.] gehören insbesondere das Maß an Klarheit und Genauigkeit der verletzten Vorschrift, die Frage, ob der Verstoß oder der Schaden vorsätzlich begangen beziehungsweise
zugefügt wurde oder nicht, die Frage, ob ein etwai-ger Rechtsirrtum entschuldbar ist oder nicht, und die Frage, ob möglicherweise das Verhalten eines Gemeinschaftsorgans dazu beigetragen hat, dass [X.] Maßnahmen oder Praktiken in [X.] Weise eingeführt oder aufrechterhalten wurden ([X.], Urteile vom 4.
Dezember 2003
-
C-63/01
-
Evans, [X.]. 2003, I-14492 Rn.
86; vom 25.
Januar 2007 -
C-278/05
-
Robins, [X.]. 2007, [X.] Rn.
77; vom 13.
März 2007 aaO Rn.
119).

bb) Gemessen an diesen Maßstäben, die das Berufungsgericht zutref-fend wiedergegeben hat, gibt die angefochtene Entscheidung aus der Sicht der Kläger zu einer Zulassung der Revision keinen Anlass.

(1) Zu Recht weist das Berufungsgericht darauf hin, dass
Art.
13 Teil [X.]. f der [X.] keine eindeutigen Vorgaben für die vom [X.] Gesetzgeber festzulegenden [X.] enthielt
(vgl. in-soweit auch [X.], 159), sondern im Gegenteil dem Mitgliedstaat einen nicht näher eingegrenzten Ermessensspielraum
überließ, die Bedingungen und Beschränkungen für die [X.] festzulegen. Das
Letztere
hat 13
14
-

11

-

auch der Gerichtshof in der Rechtssache [X.] in Bezug auf die insoweit wortgleiche Regelung des Art.
135 Abs.
1 Buchst. i der "Nachfolge"-Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28.
November 2006 über das gemeinsame Mehr-wertsteuersystem ([X.]. EG Nr.
L 347 S.
1)
ausdrücklich bestätigt, indem er dort ausgeführt hat, aus der Formulierung der Richtlinie selbst ergebe sich, dass den Mitgliedstaaten
hinsichtlich der Befreiung oder Besteuerung der [X.] Umsätze ein weiter [X.] eingeräumt worden sei (vgl. Urteil vom 10.
Juni 2010 -
[X.]/09, [X.]. 2010, [X.] Rn. 26, 35; zu Art.
13 Teil [X.]. d Nr.
1 der [X.] Urteil vom 19.
Januar 1982 -
C-8/81
-
Becker,
[X.]. 1982, 53 Rn.
29). Danach war es zunächst dem nationalen Ge-setzgeber überlassen, darüber zu befinden, ob er die fraglichen Tätigkeiten ausnahmslos von der Umsatzsteuer befreien wollte,
oder im anderen Fall die Kriterien festzulegen, nach denen sich die Steuerbarkeit von Umsätzen richten sollte.

(2) In der Rechtssache [X.] hat die [X.], wie sich aus den Schlussanträgen der Generalanwältin [X.] vom 8.
Juli 2004 ergibt, die Regelung in §
4 Nr.
9 Buchst. b UStG 1980 damit verteidigt, die in
den öffentli-chen Spielbanken aufgestellten Geldspielautomaten
seien mit den
in Spielhal-len betriebenen Automaten
der privaten Anbieter hinsichtlich des Ablaufs, der Gewinnmöglichkeiten, der Spieldauer und der Einsatzhöhe nicht vergleichbar und stünden demzufolge nicht zueinander in Konkurrenz. Die einseitige Befrei-ung der öffentlichen Spielbanken von der Umsatzsteuer werde auch dadurch gerechtfertigt, dass diese im Ergebnis mit der Spielbankenabgabe erhoben werde (vgl. [X.]. 2004, I-1134 Rn.
22
bis
24). Dieser
nicht völlig von der Hand zu weisenden
Argumentation
(vgl. zu diesem Kriterium
[X.], Urteil vom 26.
März 1996
-
C-392/93
-
British Telecommunications, [X.]. 1996, [X.] Rn.
43), die in ähnlicher Weise durch die Regierung des [X.] in der 15
-

12

-

Rechtssache Fischer vertreten
wurde
(vgl. [X.], Urteil vom 11.
Juni 1998
-
[X.]/95, [X.].
1998, 3388 Rn.
26), ist der Gerichtshof in seinen Entscheidun-gen Fischer und [X.] zwar nicht gefolgt;
die Generalanwältin hat jedoch im Verfahren [X.] die Auffassung vertreten, es könnten nicht sämtliche Glücksspiele mit Geldeinsatz als gleichartige Dienstleistungen im Sinne der steuerlichen Neutralität anzusehen sein, weil dies den Mitgliedstaaten praktisch jedes Ermessen nehmen würde, und im Weiteren verschiedene Überlegungen angestellt, wie die Gleichartigkeit von Glücksspielen bestimmt werden könne. Sie hat dabei erkennen lassen, dass die Grenze zwischen verschiedenen Glücksspielen oder Formen von Glücksspielen naturgemäß schwer zu ziehen sei
(vgl. [X.]. 2004, I-1134 Rn.
41 ff).

(3) Zutreffend weist das Berufungsgericht darauf hin, dass die vorerörter-ten Fragen in der Rechtsprechung des Gerichtshofs erst mit den Urteilen [X.] vom 11.
Juni 1998 und [X.] vom 17.
Februar 2005 in ihrer ganzen Tragweite geklärt wurden, wobei der [X.] noch in seinem Be-schluss vom 6.
November 2002 zur Frage Klärungsbedarf hatte, ob die [X.] in öffentlichen Spielbanken und gewerblichen Spielhallen nicht eine unterschiedliche mehrwertsteuerliche Behandlung [X.] (vgl. [X.], 149, 153
f). Mangels Vorliegens früherer Auslegungs-richtlinien aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs ist es daher nicht zu bean-standen, dass das Berufungsgericht für die [X.] vor Erlass des Urteils in der Rechtssache [X.] -
und damit auch für die hier zur Entscheidung ste-hende [X.] bis einschließlich 1998
-
einen hinreichend qualifizierten Verstoß verneint hat.

cc) Die Beschwerde setzt sich mit diesen Überlegungen des Berufungs-gerichts nicht im Einzelnen auseinander, sondern vertritt die Auffassung, der 16
17
-

13

-

Gesetzgebungsakt, durch den §
4 Nr.
9 Buchst.
b UStG 1980 Gesetz geworden sei, erweise sich als erhebliche sowie offenkundige Verletzung des [X.], was zum Einen
aus dem Verfassungsrang des verletzten Diskri-minierungsverbots und zum anderen aus dem Umstand folge, dass die Gewäh-rung der Umsatzsteuerbefreiung nach dem klaren und eindeutigen Wortlaut der Richtlinienbestimmung der gesetzliche Regelfall sei. Dem ist nicht zu folgen
und ein Zulassungsgrund wegen einer Verletzung des rechtlichen Gehörs ergibt sich
hieraus nicht. Wie ausgeführt, überließ die Richtlinie dem Mitgliedstaat ein weites [X.], das gerade die Frage einer möglichen Differenzie-rung einschloss. Darüber hinaus hat der Gerichtshof in der Rechtssache [X.] bestätigt, dass auch eine gesetzliche Regelung mit dem Recht der [X.] vereinbar ist, bei der weniger als die Hälfte der von ihr erfassten Umsätze dem [X.] der Richtlinie unterliegt
(vgl. [X.].
2010, [X.] Rn.
37).

dd) Anders als das Berufungsgericht meint, ist ein hinreichend qualifizier-ter Verstoß auch nicht für das Veranlagungsjahr 1979 anzunehmen.
Zwar ist
die Sechste Richtlinie, die nach ihrem Art.
1 zunächst bis zum 1.
Januar 1978 umzusetzen war, aber nach Verlängerung der Umsetzungsfrist aufgrund der Neunten Richtlinie 78/583/[X.] des Rates
vom 26.
Juni 1978 zur Harmonisie-rung der
Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern ([X.]. EG Nr. L 194 S.
16) unter anderem in der [X.] Deutschland erst zum 1.
Januar 1979 umgesetzt sein musste, mit dem am 1.
Januar 1980
in [X.] getretenen Gesetz zur Neufassung des [X.]es und zur Änderung anderer Gesetze vom 26.
November 1979 ([X.]
I S.
1953)
erst ein Jahr nach Ablauf dieser Frist in das nationale Recht umgesetzt worden.
Hieraus ergibt sich jedoch unter den besonderen Umständen dieses Falles kein hinrei-chend qualifizierter Verstoß.

18
-

14

-

Zwar ist in der Rechtsprechung des Gerichtshof
die verspätete Um-setzung einer Richtlinie der klassische Fall eines hinreichend qualifizierten Ver-stoßes, weil die Umsetzungsfrist klar bestimmt ist und der Mitgliedstaat kein Ermessen hat, von sich aus eine andere -
spätere
-
Frist vorzusehen, um der Richtlinie nachzukommen. Trifft also
ein Mitgliedstaat unter Verstoß gegen Art.
288 Abs.
3 AEUV (vgl. früher Art.
189 Abs.
3 [X.]-Vertrag und Art.
249 Abs.
3 EGV) keinerlei Maßnahmen, obwohl dies zur Erreichung des durch die Richtlinie vorgeschriebenen Ziels erforderlich wäre, so überschreitet er [X.] und erheblich die Grenzen, die der Ausübung seiner Befugnisse gesetzt sind (vgl. [X.], Urteil vom
8.
Oktober 1996 -
C-178/94 u.a.
-
[X.], [X.].
1996, I-4867 Rn.
26). Gleiches hat der Gerichtshof angenommen, wenn der Mitgliedstaat zwar rechtzeitige Umsetzungsmaßnahmen vorgenommen hat, sie aber in Einzelpunkten so ausgestaltet, dass der Einzelne das ihm verliehene Recht nicht bereits in dem [X.]punkt wahrnehmen kann, zu dem die [X.]sfrist verstrichen ist, weil der Mitgliedstaat auch insoweit keinen Entschei-dungsspielraum hat, die Wirkungen der Richtlinie erst zu einem späteren [X.]-punkt eintreten zu lassen ([X.], Urteil vom 15.
Juni 1999 -
C-140/97 -
Rech-berger, [X.]. 1999, I-3522 Rn.
51).

Der hier zu entscheidende Fall ist mit den Konstellationen, die den Urtei-len des Gerichtshofs in den Rechtssachen [X.] und [X.] lagen, nicht zu vergleichen. Die nicht hinreichende Umsetzung von Art.
13 Teil [X.]. f der [X.] beruht hier nicht auf einer -
auch partiel-len
-
Untätigkeit des Gesetzgebers, sondern auf dem Umstand, dass die [X.] in dieser Hinsicht mit Rücksicht auf den ihr in dieser [X.] eingeräumten weiten [X.] die Auffassung vertrat, die im damals geltenden §
4 Nr.
9 Buchst.
b UStG vorgenommene Differenzierung zwischen Umsätzen öffentlicher Spielbanken und anderer privater Glücksspiel-19
20
-

15

-

veranstalter sei im Hinblick auf die Richtlinie unbedenklich. Dem entspricht es, dass die Bundesregierung
unter dem 5.
Mai 1978 einen Gesetzentwurf für das [X.] 1979 eingebracht hat, der der Anpassung des [X.] an die Sechste Richtlinie dienen sollte und der namentlich zu §
4, wie der Einzelbegründung zu entnehmen ist, auch Änderungen im Hinblick auf den Katalog der in Art.
13 der [X.] aufgeführten [X.] vorsah (vgl. BT-Drucks. 8/1779 S.
31 ff). Dass das [X.] nicht -
wie an sich vorgesehen
-
bis zum 1.
Januar 1979 verwirklicht [X.] konnte, beruhte
auf dem Umstand, dass wegen anderer Fragen, die mit der Umsetzung der hier in Rede stehenden Richtlinienbestimmung nicht im Zu-sammenhang standen, dreimal der Vermittlungsausschuss angerufen werden musste, ehe das Gesetz endgültig verabschiedet werden konnte (vgl. hierzu Zimmermann, [X.] 1979,
2339). Wäre das Gesetz rechtzeitig verabschiedet worden, hätte es aus den erörterten Gründen, die keinen hinreichend qualifizier-ten Verstoß gegen das Recht der [X.] darstellen, denselben Inhalt gehabt.

ee) Eine
Vorlage nach Art.
267 AEUV an den Gerichtshof der Europäi-schen [X.] ist wegen dieser Frage nicht erforderlich. Denn es entspricht der ständigen Rechtsprechung des Gerichtshofs, dass es grundsätzlich Sache des nationalen Gerichts ist, anhand der vom Gerichtshof genannten Kriterien (siehe oben 3
c aa) die erforderlichen Feststellungen zu treffen und damit darüber zu befinden, ob ein Verstoß gegen das Recht der [X.] hinreichend qualifiziert ist (vgl. Urteile vom 30.
September 2003 -
Rs. [X.]/01
-
Köbler,
[X.]. 2003, [X.] =
NJW 2003, 3539 Rn.
54; vom 25.
Januar 2007
-
C-278/05
-
Robins, [X.]. 2007, [X.] Rn.
76).

21
-

16

-

4.
Mit Rücksicht hierauf kann offenbleiben, ob mögliche Ansprüche der Klä-ger verjährt sind.

Schlick
[X.]

[X.]

[X.]

Tombrink
Vorinstanzen:
[X.], Entscheidung vom 10.09.2010 -
23 O 86/09 -

KG Berlin, Entscheidung vom 24.06.2011 -
9 [X.] -

22

Meta

III ZR 215/11

26.04.2012

Bundesgerichtshof III. Zivilsenat

Sachgebiet: ZR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 26.04.2012, Az. III ZR 215/11 (REWIS RS 2012, 6879)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2012, 6879

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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