Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 26.04.2012, Az. III ZR 210/11

III. Zivilsenat | REWIS RS 2012, 6925

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BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
III ZR 210/11
vom

26. April 2012

in dem Rechtsstreit

-

2

-

Der III.
Zivilsenat des [X.] hat am 26.
April 2012 durch den
Vizepräsidenten [X.] und [X.], [X.], [X.] und Tombrink

beschlossen:

Die Beschwerde der Kläger gegen die Nichtzulassung der Revi-sion in dem Urteil des 9. Zivilsenats des [X.] vom 24.
Juni 2011 wird zurückgewiesen.

Von den Kosten des Beschwerdeverfahrens haben die Klägerin zu
1 27,7
%, der Kläger zu
2 67,9
%
und die Klägerin zu
3 4,4
% zu tragen.

Der [X.] wird auf 631.837,93

Gründe:

Die Kläger zu
1 bis 3 und die frühere Klägerin zu
4 betrieben in Spiel-hallen Glücksspielautomaten mit Gewinnmöglichkeit und wurden wegen der insoweit anfallenden Umsätze zur Umsatzsteuer herangezogen. Die Kläger zu

1 bis 3 -
der Kläger zu
2 zusätzlich als Rechtsnachfolger der Klägerin zu
4
-
nehmen die beklagte [X.] wegen der Umsatzsteuerzahlungen in den Jahren 1987 bis 1994 im Wege des unionsrechtlichen Staatshaftungsan-spruchs auf Schadensersatz in Anspruch, weil sie der Auffassung sind, sie [X.] im Hinblick auf die [X.]/EWG des Rates vom 17.
Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über
1
-

3

-

die Umsatzsteuern -
Gemeinsames Mehrwertsteuersystem: einheitliche steuer-pflichtige Bemessungsgrundlage ([X.]. EG Nr.
L 145 S.
1, im Folgenden: [X.]), die die Beklagte nicht ordnungsgemäß in das nationale Recht umgesetzt habe, nicht zur Entrichtung von Umsatzsteuer verpflichtet gewesen.

Die Vorinstanzen haben die auf Schadensersatz in Höhe von insgesamt 631.837,93

die Ansprüche für seit Ende 2006 verjährt gehalten und gemeint, es fehle an der Kausalität des Verstoßes für den eingetretenen Schaden, weil es im Er-messen der Beklagten gestanden habe, die erzielten Umsätze diskriminierungs-frei zu besteuern. Das [X.] hat lediglich die Ansprüche der Klägerin zu
3 und des [X.] zu
2 als Rechtsnachfolger der Klägerin zu
4 mit Ablauf des Jahres 2008 als verjährt angesehen. Im Übrigen hat es zwar angenommen, die Beklagte habe Art.
13 Teil [X.]. f der [X.] durch §
4 Nr.
9 Buchst. b UStG 1980 nicht ordnungsgemäß in nationales Recht umge-setzt. Es hat jedoch einen Schadensersatzanspruch überhaupt verneint, weil die angeführte Richtlinienbestimmung nicht das Ziel habe, dem Einzelnen ein Recht zu verleihen, weil es an einem hinreichend qualifizierten Verstoß gegen das Gemeinschaftsrecht fehle und weil kein unmittelbarer Kausalzusammen-hang bestehe. Es dürfe nämlich berücksichtigt werden, dass die vom Gerichts-hof der [X.] beanstandete Ungleichbehandlung der Spielgerä-teaufsteller im Verhältnis zu den öffentlichen Spielbanken -
wie später durch Art.
2 des Gesetzes zur Eindämmung missbräuchlicher Steuergestaltungen vom 28.
April 2006 ([X.]
I S.
1095) geschehen
-
dadurch hätte vermieden werden können, dass auch die öffentlichen Spielbanken der Umsatzsteuer-pflicht unterworfen worden wären. Bei einer solchen rechtmäßigen Umsetzung der Richtlinie wäre
es bei der Umsatzsteuerpflicht der Kläger verblieben. Mit ihrer Beschwerde begehren die Kläger die Zulassung der Revision.
2
-

4

-

II.

Die Voraussetzungen für eine Zulassung der Revision liegen nicht vor (§
543 Abs.
2 ZPO).

1.
Art.
13 der [X.], die -
nach Verlängerung
-
bis zum 1.
Ja-nuar 1979 in nationales Recht umzusetzen war, sieht in Teil B (Sonstige Steu-erbefreiungen) Buchst.
f vor, dass die Mitgliedstaaten unter den Bedingungen, die sie zur Gewährleistung einer korrekten und einfachen Anwendung der nachstehenden Befreiungen sowie zur Verhütung von Steuerhinterziehungen, Steuerumgehungen und etwaigen Missbräuchen festsetzen, von der Umsatz-steuer unbeschadet sonstiger Gemeinschaftsvorschriften "Wetten, Lotterien und sonstige Glücksspiele mit Geldeinsatz unter den Bedingungen und [X.], die von jedem Mitgliedstaat festgelegt werden," befreien. In der [X.] blieb insoweit die Bestimmung des §
4 Nr.
9 Buchst. b Satz
1 UStG vom 29.
Mai 1967 ([X.]
I S.
545) durch das zur Umsetzung der [X.] verabschiedete Gesetz zur Neufassung des [X.]es und zur Änderung anderer Gesetze vom 26.
November 1979 ([X.] I S.
1953) unverändert, nach der von den unter §
1 fallenden Umsätzen die Umsätze steuerfrei sind, "die
unter das Rennwett-
und Lotteriegesetz fallen, sowie die Umsätze der zugelassenen öffentlichen Spielbanken, die durch den Betrieb der Spielbank bedingt sind". Nach dieser Bestimmung gehörten die Unternehmen der Kläger keinem Befreiungstatbestand an und wurden daher zur Umsatzsteu-er veranlagt.

3
4
-

5

-

2.
Was die Frage der Umsetzung der angeführten Richtlinienbestimmung angeht, ist nach den Urteilen des [X.]s der [X.] vom 11.
Juni 1998 ([X.]/95 -
Fischer, [X.]. 1998, I-3388 Rn.
27, 30
f) und 17.
Fe-bruar 2005 ([X.]/02 und [X.]/02 -
[X.] und [X.], [X.]. 2005, [X.] Rn.
29
f) davon auszugehen, dass dem nationalen Gesetzgeber zwar die Befugnis zusteht, die Bedingungen und Grenzen der Befreiung von der [X.] festzulegen,
dass er aber in Beachtung des Grundsatzes der steuerlichen Neutralität nicht berechtigt ist, die Steuerbefreiung von der Identität des Veranstalters oder Betreibers dieser Spiele oder Geräte abhängig zu ma-chen. Danach ist hier das Recht der [X.] verletzt worden, weil der nationale Gesetzgeber die öffentlichen Spielbanken (auch) hinsichtlich der aus dem Betrieb von Geldspielautomaten erzielten Umsätze von der Entrich-tung der Umsatzsteuer befreit hat, die privaten Unternehmen der Kläger jedoch nicht.

3.
Wegen dieses Verstoßes der Legislative prüft das Berufungsgericht als einzig mögliche Haftungsgrundlage den vom [X.] der [X.] entwickelten unionsrechtlichen Staatshaftungsanspruch, dessen Voraus-setzungen es zutreffend wiedergibt. Hiernach kommt eine Haftung des [X.]s in Betracht, wenn er gegen eine Norm des [X.]srechts verstoßen hat, die bezweckt, dem Einzelnen Rechte zu verleihen, der Verstoß hinreichend qualifiziert ist und zwischen diesem Verstoß und dem dem Einzelnen entstan-denen Schaden ein unmittelbarer Kausalzusammenhang besteht (vgl. [X.], Urteile vom 5.
März 1996 -
C-46/93 und [X.]/93 -
Brasserie du Pêcheur und Factortame, [X.]. 1996, [X.] = NJW 1996, 1267 Rn.
51; vom 24.
März 2009
-
C-445/06
-
Danske Slagterier, -
[X.]. 2009, [X.] = [X.], 334 Rn.
20; Senatsurteile vom 4.
Juni 2009 -
III
ZR 144/05, [X.], 199 Rn.
13; vom 12.
Mai 2011 -
III
ZR 59/10, [X.], 1670 Rn.
13, insoweit in [X.], 365 5
6
-

6

-

nicht abgedruckt, [X.]. [X.]). Die Auffassung des Berufungsgerichts, keine der vorgenannten Voraussetzungen sei gegeben, ist indes nicht frei von Rechtsfeh-lern.

a) Das Berufungsgericht ist der Auffassung, die verletzte Norm des Art.
13 Teil [X.]. f der [X.] verleihe den Klägern kein Recht, weil die Bestimmung nicht die Umsatzsteuerbefreiung für Glücksspiele mit Geldeinsatz zum Ziel habe, sondern nur die Harmonisierung der Rechtsvor-schriften der Mitgliedstaaten zur Schaffung eines gemeinsamen Mehrwertsteu-ersystems anstrebe. Daran ist nur richtig, dass eine ordnungsgemäße [X.] der Richtlinie es nicht ausschließt, dass der nationale Gesetzgeber unter Berücksichtigung des Grundsatzes der steuerlichen Neutralität und unter [X.] ihm verbleibenden Regelungsermessens zu einer Lösung kommen kann, nach der Unternehmen wie diejenigen der Kläger nicht von der Entrich-tung der Umsatzsteuer befreit sind, wie dies der [X.] in der Rechtssache [X.] durch Urteil vom 10.
Juni 2010 ([X.]/09, [X.]. 2010, [X.] =
[X.], 1590) auf die durch die Neufassung des §
4 Nr.
9 Buchst.
b UStG durch das [X.] missbräuchlicher Steuergestaltungen vom 28.
April 2006 ([X.]
I S.
1095) veranlasste Vorlage des [X.] ([X.], 156) entschieden hat.

Die Beschwerde macht jedoch mit Recht darauf aufmerksam, dass der [X.] schon in seinem Urteil in der Rechtssache [X.] zu Art.
13 Teil
[X.].
d Nr.
1 der [X.] entschieden hat, der Einzelne könne sich auf diejenigen Bestimmungen berufen, die angesichts ihres Gegenstands geeignet seien, aus dem Gesamtzusammenhang gelöst und gesondert ange-wendet zu werden (vgl. Urteil vom 19.
Januar 1982 -
C-8/81, [X.]. 1982, 53 Rn.
29). Darüber hinaus hat er in seinem Urteil in der Rechtssache [X.] 7
8
-

7

-

festgestellt, Art.
13 Teil
[X.].
f der [X.] entfalte unmittelbare Wirkung in dem Sinne, dass sich ein Veranstalter von Glücksspielen oder ein Betreiber von [X.] vor den nationalen Gerichten auf sie berufen könne, um die Anwendung mit dieser Bestimmung unvereinbarer innerstaatli-cher Rechtsvorschriften zu verhindern ([X.]. 2005, [X.] Rn.
38). Er hat [X.] hinaus betont, dass ein Mitgliedstaat, der -
wie hier
-
mit seiner Regelung gegen den Grundsatz der steuerlichen Neutralität verstoße, sich nicht auf diese Bedingungen oder Beschränkungen stützen könne, um dem Veranstalter sol-cher Glücksspiele die Steuerbefreiung, auf die dieser nach der Sechsten Richt-linie einen Rechtsanspruch habe, zu verweigern (aaO Rn.
37; vgl. auch Urteil vom 10.
November 2011 -
C-259/10 und [X.]/10 -
Rank Group, [X.], 104 Rn.
68 bis 74). Es kann daher nicht zweifelhaft sein, dass sich der Einzelne un-ter Berufung auf Art.
13 Teil
[X.].
f dagegen wehren kann, auf der [X.] einer mit dieser Bestimmung nicht vereinbaren nationalen Regelung zur Umsatzsteuer herangezogen zu werden. Dem entspricht es, dass in Verfahren des Primärrechtsschutzes in Fällen, in denen ein noch nicht bestandskräftiger Steuerbescheid vorlag oder der Steuerbescheid noch unter dem Vorbehalt der Nachprüfung stand, die Steuerfreiheit der entsprechenden Umsätze anerkannt wurde (vgl. die Fallgestaltung in der Sache [X.], [X.], 149 und [X.], 164, 166 ). Wie der [X.] bereits in der
Rechtssache Brasserie du Pêcheur ausgeführt hat, stellt die dem Einzelnen eingeräumte Möglichkeit, sich auf die unmittelbare Wir-kung einer gemeinschaftsrechtlichen Vorschrift zu berufen, nur eine Mindestga-rantie dar, die für sich allein nicht ausreicht, die uneingeschränkte Anwendung des [X.]srechts zu gewährleisten. Deswegen betrachtet der [X.] den Entschädigungsanspruch als notwendige Ergänzung der unmittelbaren Wir-kung, die den Gemeinschaftsvorschriften zukommt, auf deren Verletzung der entstandene Schaden beruht ([X.].
1996, [X.] Rn.
20, 22
f). Die Richtlinie ge--

8

-

währt daher den Klägern das Recht, sich für einen [X.]raum, der -
wie hier
-
einer Regelung im Wege des Primärrechtsschutzes nicht mehr zugänglich ist, im Rahmen des unionsrechtlichen Staatshaftungsanspruchs darauf zu berufen, dass §
4 Nr.
9 Buchst. b UStG 1980 nicht anwendbar ist.

b) Problematisch ist auch die Erwägung des Berufungsgerichts, es fehle an der unmittelbaren Kausalität des Umsetzungsfehlers, weil die Kläger zur Zahlung von Umsatzsteuer verpflichtet gewesen wären, wenn die Beklagte die Richtlinie von Anfang an ordnungsgemäß umgesetzt hätte, indem sie -
wie spä-ter geschehen
-
alle Spielgeräteaufsteller einschließlich der öffentlichen Spiel-banken der Besteuerung unterworfen hätte. Die Beschwerde hält diese Überle-gung unter Bezugnahme auf das Urteil des [X.]s in der Rechtssache Francovich für rechtsfehlerhaft, weil der [X.] erkannt habe, ein [X.], der seine Verpflichtungen zur Umsetzung einer Richtlinie verletzt habe, könne die durch die Richtlinie begründeten Rechte des Einzelnen nicht unter Berufung darauf vereiteln, dass er den -
in der Richtlinie vorgesehenen
-
Garan-tiebetrag hätte begrenzen können, wenn er die notwendigen Maßnahmen zur Durchführung der Richtlinie getroffen hätte (vgl. Urteil vom 19.
November 1991 -
C-6/90 und [X.], [X.]. 1991, [X.] Rn.
21).

Der Senat neigt zu der Annahme, dass die Veranlagung der Kläger zur Umsatzsteuer unmittelbar auf der angegriffenen früheren Regelung des §
4 Nr.
9 Buchst.
b UStG beruht, mag der hierdurch entstandene Schaden auch im Verwaltungsvollzug entstanden sein, weil das Finanzamt die genannte [X.] angewendet hat. Das wäre jedenfalls auch mit einer wertenden, auf den [X.] bezogenen Zurechnung der Haftungsfolgen (vgl. zu diesem Gesichtspunkt Senatsurteil vom 24.
Oktober 1996 -
III
ZR 127/91, [X.], 30, 39
f) zu vereinbaren. Ob ein rechtmäßiges Alternativverhalten berücksichtigt 9
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-

9

-

werden könnte, wenn es die Folge hätte, die Wirkungen eines Verstoßes gegen den Grundsatz der steuerlichen Neutralität zu perpetuieren, während der [X.] auf [X.] gerade dem Recht der [X.] volle Wirksamkeit verschaffen will, könnte nur in einem Revisionsverfahren geklärt werden, weil es sich insoweit um eine Frage von grundsätzlicher Bedeutung handelt.

c) Die angefochtene Entscheidung wird jedoch durch die Erwägung ge-tragen, dass der Verstoß der Beklagten gegen Art.
13 Teil [X.].
f der [X.] nicht hinreichend qualifiziert ist.

aa) Nach der Rechtsprechung des [X.]s ist ein Verstoß gegen das [X.]srecht hinreichend qualifiziert, wenn der betreffende Mitgliedstaat bei der Wahrnehmung seiner Rechtssetzungsbefugnisse die Grenzen, die der Aus-übung seiner Befugnisse gesetzt sind, offenkundig und erheblich überschritten hat ([X.], Urteile vom 5.
März 1996 -
C-46/93 und [X.]/93
-
Brasserie du Pêcheur und Factortame, [X.]. 1996, [X.] Rn.
55; vom 13.
März 2007
-
C-524/04 -
Test Claimants in the Thin Cap
Group Litigation, [X.]. 2007, I-2157 Rn.
118; aus der Rechtsprechung des Senats vgl. Urteile vom 24.
Oktober 1996
-
III ZR 127/91, [X.], 30, 38
ff; vom 22.
Januar 2009 -
III
ZR 233/07, [X.], 2534 Rn.
22; Beschluss vom 24.
Juni 2010 -
III
ZR 140/09, NJW 2011, 772 Rn.
7). Diesem restriktiven Haftungsmaßstab, den der [X.] seiner Rechtsprechung zur außervertraglichen Haftung der [X.] (vgl. jetzt Art.
340 AEUV) entnommen hat, liegt die Erwägung zugrunde, dass die Wahrnehmung gesetzgeberischer Tätigkeit, insbesondere bei wirtschaftspolitischen Entschei-dungen, [X.] durch die Möglichkeit von Schadensersatzklagen [X.] werden darf, wenn [X.] den Erlass von Maßnahmen gebieten, die die Interessen des Einzelnen beeinträchtigen können ([X.],
11
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-

10

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Urteile vom 5.
März 1996 aaO Rn.
45; vom 26.
März 1996 -
C-392/93
-
British Telecommunications, [X.]. 1996, [X.] Rn.
40). Nur wenn der Mitgliedstaat zum [X.]punkt der Rechtsverletzung über einen erheblich verringerten oder
gar auf Null reduzierten Gestaltungsspielraum verfügte, kann schon die bloße Verletzung des Gemeinschaftsrechts ausreichen, um einen hinreichend
qualifizierten Verstoß anzunehmen ([X.], Urteile vom 8.
Oktober 1996
-
C
178/94
-
[X.], [X.].
1996, I-4867 Rn.
25; vom 13.
März 2007 aaO Rn.
118). Um festzustellen, ob ein hinreichend qualifizierter Verstoß vorliegt, sind alle Gesichtspunkte des Einzelfalls zu berücksichtigen, die für den dem nationalen Gericht vorgelegten Sachverhalt kennzeichnend sind. Zu diesen [X.] gehören insbesondere das Maß an Klarheit und Genauigkeit der verletzten Vorschrift, die Frage, ob der Verstoß oder der Schaden vorsätzlich begangen beziehungsweise
zugefügt wurde oder nicht, die Frage, ob ein etwai-ger Rechtsirrtum entschuldbar ist oder nicht, und die Frage, ob möglicherweise das Verhalten eines Gemeinschaftsorgans dazu beigetragen hat, dass natio-nale Maßnahmen oder Praktiken in [X.] einge-führt oder aufrechterhalten wurden ([X.], Urteile vom 4.
Dezember 2003
-
C-63/01
-
Evans, [X.]. 2003, I-14492 Rn.
86; vom 25.
Januar 2007 -
C-278/05
-
Robins, [X.]. 2007, [X.] Rn.
77; vom 13.
März 2007 aaO Rn.
119).

bb) Gemessen an diesen Maßstäben, die das Berufungsgericht zutref-fend wiedergegeben hat, gibt die angefochtene Entscheidung zu einer Zulas-sung der Revision keinen Anlass.

(1) Zu Recht weist das Berufungsgericht darauf hin, dass Art.
13 Teil
[X.].
f der [X.] keine eindeutigen Vorgaben für die vom [X.] Gesetzgeber festzulegenden [X.] enthielt (vgl. in-soweit auch [X.], 159), sondern im Gegenteil dem Mitgliedstaat einen 13
14
-

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-

nicht näher eingegrenzten Ermessensspielraum überließ, die Bedingungen und Beschränkungen für die [X.] festzulegen. Das Letztere hat auch der [X.] in der Rechtssache [X.] in Bezug auf die insoweit wortgleiche Regelung des Art.
135 Abs.
1 Buchst. i der "Nachfolge"-Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28.
November 2006 über das gemeinsame Mehr-wertsteuersystem ([X.]. EG Nr.
L 347 S.
1) ausdrücklich bestätigt, indem er dort ausgeführt hat, aus der Formulierung der Richtlinie selbst ergebe sich, dass den Mitgliedstaaten hinsichtlich der Befreiung oder Besteuerung der [X.] Umsätze ein weiter [X.] eingeräumt worden sei (vgl. Urteil vom 10.
Juni 2010 -
[X.]/09, [X.]. 2010, [X.] Rn.
26, 35; zu Art.
13 Teil [X.].
d Nr.
1 der [X.] Urteile vom 19.
Januar 1982
-
C-8/81 -
[X.], [X.]. 1982, 53 Rn.
29; vom 17.
Februar 2005 -
[X.]/02 und [X.]/02 -
[X.], [X.].
2005, [X.] Rn.
34). Danach war es zunächst dem nationalen Gesetzgeber überlassen, darüber zu befinden, ob er die fragli-chen Tätigkeiten ausnahmslos von der Umsatzsteuer befreien wollte, oder im anderen
Fall die Kriterien festzulegen, nach denen sich die Steuerbarkeit von Umsätzen richten sollte.

(2) In der Rechtssache [X.] hat die Beklagte, wie sich aus den Schlussanträgen der Generalanwältin [X.] vom 8.
Juli 2004 ergibt, die Regelung in §
4 Nr.
9 Buchst. b UStG 1980 damit verteidigt, die in den öffentli-chen Spielbanken aufgestellten Geldspielautomaten seien mit den in [X.] betriebenen Automaten der privaten Anbieter hinsichtlich des Ablaufs, der Gewinnmöglichkeiten, der Spieldauer und der Einsatzhöhe nicht vergleichbar und stünden demzufolge nicht zueinander in Konkurrenz. Die einseitige Befrei-ung der öffentlichen Spielbanken von der Umsatzsteuer werde auch dadurch gerechtfertigt, dass diese im Ergebnis mit der Spielbankenabgabe erhoben werde (vgl. [X.]. 2004, I-1134 Rn.
22 bis 24). Dieser nicht völlig von der Hand zu 15
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12

-

weisenden Argumentation (vgl. zu diesem Kriterium [X.], Urteil vom 26.
März 1996 -
C-392/93
-
British Telecommunications, [X.]. 1996, [X.]
Rn.
43), die in ähnlicher Weise durch die Regierung des [X.] in der Rechtssache Fischer vertreten wurde (vgl. [X.], Urteil vom 11.
Juni 1998
-
[X.]/95, [X.].
1998, 3388 Rn.
26), ist der [X.] in seinen Entscheidun-gen Fischer und [X.] zwar nicht gefolgt; die Generalanwältin hat jedoch im Verfahren [X.] die Auffassung vertreten, es könnten nicht sämtliche Glücksspiele mit Geldeinsatz als gleichartige Dienstleistungen im Sinne der steuerlichen Neutralität anzusehen sein, weil dies den Mitgliedstaaten praktisch jedes Ermessen nehmen würde, und im Weiteren verschiedene Überlegungen angestellt, wie die Gleichartigkeit von Glücksspielen bestimmt werden könne. Sie hat dabei erkennen lassen, dass die Grenze zwischen verschiedenen Glücksspielen oder Formen von Glücksspielen naturgemäß schwer zu ziehen sei (vgl. [X.]. 2004, I-1134 Rn.
41
ff).

(3) Zutreffend weist das Berufungsgericht darauf hin, dass die vorerörter-ten Fragen in der Rechtsprechung des [X.]s erst mit den Urteilen [X.] vom 11.
Juni
1998 und [X.] vom 17.
Februar 2005 in ihrer ganzen Tragweite geklärt wurden, wobei der [X.] noch in seinem Be-schluss vom 6.
November 2002 zur Frage Klärungsbedarf hatte, ob die [X.] in öffentlichen Spielbanken und gewerblichen Spielhallen nicht eine unterschiedliche mehrwertsteuerliche Behandlung [X.] (vgl. [X.], 149, 153
f). Mangels Vorliegens früherer Auslegungs-richtlinien aus der Rechtsprechung des [X.]s ist es daher nicht zu bean-standen, dass das Berufungsgericht für die [X.] vor Erlass des Urteils in der Rechtssache [X.] -
und damit auch für die hier zur Entscheidung ste-hende [X.] bis einschließlich 1994
-
einen hinreichend qualifizierten Verstoß verneint hat.
16
-

13

-

cc) Die Beschwerde, die von einem qualifizierten Verstoß gegen das Recht der [X.] ausgeht, beschränkt sich im Wesentlichen darauf, den Sach-verhalt anders als das Berufungsgericht zu würdigen. Das ist ihr aber im Nicht-zulassungsbeschwerde-
und Revisionsverfahren verschlossen. Zulassungsbe-gründende Rechtsfehler zeigt sie in dieser Hinsicht nicht auf.

(1) Soweit sie sich darauf bezieht, die Beklagte habe die Richtlinie nicht in das nationale Recht umgesetzt, ist die Auffassung des Berufungsgerichts, die verspätete Umsetzung berühre die Schäden nicht, die durch [X.] ab dem Veranlagungsjahr 1987 entstanden seien, im Ergebnis nicht zu beanstanden.

Richtig ist allerdings, dass die Sechste Richtlinie, die nach ihrem Art.
1 zunächst bis zum 1.
Januar 1978 umzusetzen war, aber nach Verlängerung der Umsetzungsfrist aufgrund der [X.] vom 26.
Juni 1978 zur Harmonisierung der
Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern ([X.]. EG Nr. L 194 S.
16) unter anderem in der [X.] Deutschland erst zum 1.
Januar 1979 umgesetzt sein musste, mit dem am 1.
Januar 1980 in [X.] getretenen Gesetz zur Neufassung des [X.] und zur Änderung anderer Gesetze vom 26.
November 1979 ([X.]
I S.
1953) erst ein Jahr nach Ablauf dieser Frist in das nationale Recht umgesetzt worden ist. Hieraus ergibt sich jedoch unter den besonderen Umständen dieses Falles kein hinreichend qualifizierter Verstoß.

17
18
19
-

14

-

Zwar ist in der Rechtsprechung des [X.] die verspätete [X.] einer Richtlinie der klassische Fall eines hinreichend qualifizierten [X.], weil die Umsetzungsfrist klar bestimmt ist und der Mitgliedstaat kein Er-messen hat, von sich aus eine andere -
spätere
-
Frist vorzusehen, um der Richtlinie nachzukommen. Trifft also ein Mitgliedstaat unter Verstoß gegen Art.
288 Abs.
3 AEUV (vgl. früher Art.
189 Abs.
3 EWG-Vertrag und Art.
249 Abs.
3 EGV) keinerlei Maßnahmen, obwohl dies zur Erreichung des durch die Richtlinie vorgeschriebenen Ziels erforderlich wäre, so überschreitet er [X.] und erheblich die Grenzen, die der Ausübung seiner Befugnisse gesetzt sind (vgl. [X.], Urteil vom 8.
Oktober 1996 -
C-178/94 u.a. -
[X.], [X.].
1996, I-4867 Rn.
26). Gleiches hat der [X.] angenommen, wenn der Mitgliedstaat zwar rechtzeitige Umsetzungsmaßnahmen vorgenommen hat, sie aber in Einzelpunkten so ausgestaltet, dass der Einzelne das ihm verliehene Recht nicht bereits in dem [X.]punkt wahrnehmen kann, zu dem die [X.]sfrist verstrichen ist, weil der Mitgliedstaat auch insoweit keinen Entschei-dungsspielraum hat, die Wirkungen der Richtlinie erst zu einem späteren [X.]-punkt eintreten zu lassen ([X.], Urteil vom 15.
Juni 1999 -
C-140/97
-
Rechberger, [X.]. 1999, I-3522 Rn.
51).

Der hier zu entscheidende Fall ist mit den Konstellationen, die den Urtei-len des [X.]s in den Rechtssachen [X.] und [X.] lagen, nicht zu vergleichen. Die nicht hinreichende Umsetzung von Art.
13 Teil [X.].
f der [X.] beruht hier nicht auf einer -
auch partiel-len
-
Untätigkeit des Gesetzgebers, sondern auf dem Umstand, dass die [X.] in dieser Hinsicht mit Rücksicht auf den ihr in dieser Richtlinienbestim-mung eingeräumten weiten [X.] die Auffassung vertrat, die im
damals geltenden §
4 Nr.
9 Buchst.
b UStG vorgenommene Differenzierung zwischen Umsätzen öffentlicher Spielbanken und anderer privater Glücksspiel-20
21
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-

veranstalter sei im Hinblick auf die Richtlinie unbedenklich. Dem entspricht es, dass die Bundesregierung unter dem 5.
Mai 1978 einen Gesetzentwurf für das [X.] 1979 eingebracht hat, der der Anpassung des [X.] an die Sechste Richtlinie dienen sollte und der namentlich zu §
4, wie der Einzelbegründung zu entnehmen ist, auch Änderungen im Hinblick auf den Katalog der in Art.
13 der [X.] aufgeführten [X.] vorsah (vgl. BT-Drucks. 8/1779 S.
31
ff). Dass das [X.] nicht -
wie an sich vorgesehen
-
bis zum 1.
Januar 1979 verwirklicht [X.] konnte, beruhte auf dem Umstand, dass wegen anderer Fragen, die mit der Umsetzung der hier in Rede stehenden Richtlinienbestimmung nicht im Zu-sammenhang standen, dreimal der Vermittlungsausschuss angerufen werden musste, ehe das Gesetz endgültig verabschiedet werden
konnte (vgl. hierzu Zimmermann, [X.] 1979,
2339). Wäre das Gesetz rechtzeitig verabschiedet worden, hätte es aus den erörterten Gründen, die keinen hinreichend qualifizier-ten Verstoß gegen das Recht der [X.] darstellen, denselben Inhalt gehabt.

(2) Für einen hinreichend qualifizierten Verstoß kann schließlich auch nicht angeführt werden, der [X.] habe es in der Rechtssache Linnewe-ber abgelehnt, die Wirkungen seiner Entscheidung zeitlich zu beschränken. Vielmehr hat der [X.] insoweit nur den Grundsatz betont, durch die Aus-legung einer Vorschrift des Gemeinschaftsrechts, die er in Ausübung seiner Befugnisse vornehme, werde verdeutlicht, in welchem Sinne und mit welcher Tragweite diese Vorschrift seit ihrem Inkrafttreten zu verstehen und anzuwen-den sei oder gewesen wäre. Daraus folge, dass die Gerichte die Vorschriften in dieser Auslegung auch auf Rechtsverhältnisse anzuwenden hätten, die vor Er-lass des auf das Ersuchen um Auslegung ergangenen Urteils entstanden seien. Nur ausnahmsweise könne sich der [X.] nach dem der Gemeinschafts-rechtsordnung innewohnenden Grundsatz der Rechtssicherheit veranlasst [X.]
-

16

-

hen, mit Wirkung für die Betroffenen die Möglichkeit zu beschränken, sich auf die Auslegung einer Bestimmung durch den [X.] zu berufen, um in gu-tem Glauben begründete Rechtsverhältnisse in Frage zu stellen (vgl. Urteil vom
17.
Februar 2005, [X.]/02 und [X.]/02, [X.]. 2005, [X.]
Rn.
41
f). Insoweit hat er einen Ausnahmetatbestand verneint, weil die Beklagte sich nicht mit [X.] auf das Verhalten der [X.] im [X.] an das Urteil in der Rechtssache Glawe (Urteil vom 5.
Mai 1994 -
C-38/93, [X.]. 1994, [X.]) stüt-zen könne; denn in dieser Sache sei es nur um die Bestimmung der Besteue-rungsgrundlage und nicht um die hier in Rede stehende unterschiedliche Be-handlung von öffentlichen Spielbanken und sonstigen Glücksspielveranstaltern gegangen (aaO Rn.
43). Der [X.] hat daher einen entsprechenden [X.] verneint, ohne damit zugleich eine Aussage über die [X.] der Beklagten gegen das Recht der [X.] zu verbinden.

dd) Eine Vorlage nach Art.
267 AEUV an den [X.] der Europäi-schen [X.] ist wegen dieser Frage nicht erforderlich. Denn es entspricht der ständigen Rechtsprechung des [X.]s, dass es grundsätzlich Sache des nationalen Gerichts ist, anhand der vom [X.] genannten Kriterien (siehe oben 3 [X.]) die erforderlichen Feststellungen zu treffen und damit darüber zu befinden, ob ein Verstoß gegen das Recht der [X.] hinreichend qualifiziert ist (vgl. Urteile vom 30.
September 2003 -
Rs. [X.]/01
-
Köbler, [X.]. 2003, [X.] = NJW 2003, 3539 Rn.
54; vom 25.
Januar 2007
-
C-278/05
-
Robins, [X.]. 2007, [X.] Rn.
76).

23
-

17

-

4.
Mit Rücksicht hierauf kann offen bleiben, ob mögliche Ansprüche der Kläger verjährt sind.

[X.]

[X.]

[X.]

[X.]
Tombrink
Vorinstanzen:
[X.], Entscheidung vom 02.07.2010 -
23 O 40/09 -

KG Berlin, Entscheidung vom 24.06.2011 -
9 [X.] -

24

Meta

III ZR 210/11

26.04.2012

Bundesgerichtshof III. Zivilsenat

Sachgebiet: ZR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 26.04.2012, Az. III ZR 210/11 (REWIS RS 2012, 6925)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2012, 6925

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