Bundesgerichtshof, Beschluss vom 08.10.2010, Az. 1 StR 347/10

1. Strafsenat | REWIS RS 2010, 2542

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Gegenstand

Verständigung im Strafverfahren: Beschwer des Angeklagten bei fehlender Angabe einer Strafuntergrenze in der Bekanntgabe des Inhalts einer möglichen Verständigung durch das Gericht


Tenor

Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des [X.] vom 25. Februar 2010 wird als unbegründet verworfen.

Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen.

Gründe

1

1. Das [X.] hat den nach vorausgegangener Verständigung geständigen Angeklagten [X.] wegen unerlaubter Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit unerlaubtem Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu einer Freiheitsstrafe von sechs Jahren und sechs Monaten verurteilt. Hiergegen wendet sich der Angeklagte mit Verfahrensrügen und der hinsichtlich des Strafausspruchs näher ausgeführten Sachrüge. Das Rechtsmittel bleibt erfolglos (§ 349 Abs. 2 [X.]). Der Erörterung bedürfen lediglich die erhobenen Verfahrensrügen.

2

2. Mit den Verfahrensrügen macht die Revision Verstöße gegen das bei einer Verständigung zu beachtende Verfahren gemäß § 257c Abs. 3 [X.] und die [X.] gemäß § 257c Abs. 5 [X.] geltend.

3

a) Den [X.] liegt folgendes Verfahrensgeschehen zugrunde:

4

Die Hauptverhandlung wurde kurz nach deren Beginn durch eine Anordnung des Vorsitzenden unterbrochen. In der sich anschließenden [X.] fand zwischen dem Gericht, dem Vertreter der Staatsanwaltschaft und den Verteidigern des Angeklagten sowie des nicht revidierenden Mitangeklagten ein Gespräch zur Vorbereitung einer Verständigung statt. Das Ergebnis dieses Gesprächs hat der Vorsitzende nach dem Wiedereintritt in die Hauptverhandlung wie folgt zu Protokoll gegeben:

"Die Angeklagten räumen den angeklagten Sachverhalt in objektiver und subjektiver Hinsicht vollumfänglich ein.

Die Staatsanwaltschaft wird die Einstellung des Verfahrens gemäß § 154 Abs. 2 [X.] hinsichtlich des unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln bezogen auf 4,1 Gramm Opium am 29. April 2009 in Richtung des ([X.].: nicht revidierenden) Angeklagten [X.] beantragen. Im Übrigen wird die Frage der Einziehung des verfahrensgegenständlichen Lkw gemäß § 430 [X.] ausgeschieden.

Für diesen Fall schlägt die Kammer hinsichtlich des Angeklagten [X.] eine Freiheitsstrafe von nicht mehr als sechs Jahren und sechs Monaten vor und hinsichtlich des Angeklagten [X.] eine solche von fünf Jahren und sechs Monaten."

5

Ohne über die Voraussetzungen und Folgen einer Abweichung des Gerichts von dem in Aussicht gestellten Ergebnis gemäß § 257c Abs. 5 [X.] belehrt worden zu sein, stimmte der Angeklagte - wie auch der Vertreter der Staatsanwaltschaft und der nicht revidierende Mitangeklagte - dem Vorschlag des Gerichts zu. Anschließend legte er ein Geständnis ab.

6

b) Die Revision beanstandet ohne Erfolg, das [X.] habe entgegen der gesetzlichen Regelung in § 257c Abs. 3 Satz 2 [X.] lediglich eine Strafobergrenze, aber keine [X.] angegeben.

7

aa) Nach dieser Vorschrift kann das Gericht - im Rahmen seiner Pflicht zur Bekanntgabe des Inhalts einer möglichen Verständigung (§ 257c Abs. 3 Satz 1 [X.]) - unter freier Würdigung aller Umstände des Falles sowie der allgemeinen Strafzumessungserwägungen auch eine Ober- und Untergrenze der Strafe angeben. Die Vereinbarung einer bestimmten Strafe (sog. Punktstrafe; vgl. hierzu [X.], Beschluss vom 22. August 2006 - 1 StR 293/06, [X.]St 51, 84, 86) bleibt damit nach der gesetzlichen Neuregelung des [X.] nach wie vor unzulässig ([X.], Beschluss vom 27. Juli 2010 - 1 StR 345/10). Ob allerdings nach dieser Regelung das Gericht bei der Bekanntgabe des möglichen [X.] zwingend auch einen Strafrahmen anzugeben hat oder ob - im Hinblick auf die Ausgestaltung als "[X.]" - die isolierte Angabe einer Strafober- oder [X.] ausreicht, wird unterschiedlich beurteilt (letzteres bejahend: Niemöller in N/Sch/W, [X.], § 257c Rn. 46; [X.]/[X.], § 257c Rn. 21; [X.], [X.], 415; verneinend Meyer-Goßner, [X.], 53. Aufl., § 257c Rn. 20; vgl. auch [X.], Beschluss vom 4. Februar 2010 - 1 StR 3/10, [X.], 152). Angesichts des Wortlauts der Vorschrift ("Ober- und Untergrenze der Strafe"; "der in Aussicht gestellte Strafrahmen [§ 257c Abs. 4 Satz 1]") und der Gesetzesmaterialien (BT-Drucks. 16/13095 S. 3 [Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses]: "wobei das Gericht eine […] tat- und [X.] und [X.] anzugeben hat") sprechen gewichtige Gründe dafür, dass nach dem Willen des Gesetzgebers das Gericht nach fallbezogener Verengung des gesetzlichen Strafrahmens stets einen konkreten Rahmen für die schuldangemessene Strafe, bestehend aus einer Strafober- und einer [X.], anzugeben hat.

8

bb) Der [X.] kann diese Frage indessen offen lassen, da der Angeklagte nicht beschwert ist.

9

Der Gesetzgeber ist mit der Regelung in § 257c Abs. 3 Satz 2 [X.] einer Forderung der Generalstaatsanwälte nachgekommen, die in der Festlegung einer unteren Strafgrenze ein legitimes Anliegen der Staatsanwaltschaft gesehen haben, ihre Vorstellung von einem gerechten Schuldausgleich nicht nur nach oben, sondern auch nach unten abgesichert zu sehen (NJW Sonderdruck "Der Deal im Strafverfahren" 2006, 9, 10). Die Benennung einer [X.] trägt daher vordringlich den Interessen der Staatsanwaltschaft Rechnung (vgl. AnwK-[X.]/[X.], 2. Aufl., § 257c Rn. 22 mwN; hinsichtlich einer daneben bestehenden Informationsfunktion für den Angeklagten vgl. BT-Drucks. 16/11736 S. 12), deren Zustimmung für das Zustandekommen einer Verständigung im Unterschied zu der Rechtslage vor dem Inkrafttreten des § 257c [X.] nunmehr unerlässlich ist. Fehlt es an der Angabe einer [X.] durch das Gericht, kann dies in der Regel nur von der Staatsanwaltschaft im Rahmen einer Revision zum Nachteil des Angeklagten beanstandet werden.

Im vorliegenden Fall ist keine Ausnahme gegeben, wonach der Angeklagte erfolgreich eine Beschwer geltend machen kann. Denn es sind hier weder Anhaltspunkte dafür ersichtlich noch vorgetragen, dass er im Fall der Angabe einer [X.] durch das Gericht der Verständigung nicht zugestimmt hätte. Auch sein Geständnis kann daher von der fehlenden Benennung einer [X.] nicht berührt sein.

c) Auch die Verfahrensrüge, mit der von der Revision ein Verstoß gegen die [X.] nach § 257c Abs. 5 StGB geltend gemacht wird, ist unbegründet. Der [X.] schließt aus, dass das Urteil auf der unterbliebenen Belehrung beruhen könnte. Das [X.] hat die zugesagte Strafobergrenze eingehalten. Zudem sind auch hier keine Gründe erkennbar, die den Angeklagten, der schon im Ermittlungsverfahren voll umfänglich geständig war und umfassende Aufklärungshilfe leistete, hätte veranlassen können, nach erfolgter Belehrung die schließlich getroffene und für ihn günstige Verständigung abzulehnen (vgl. [X.], Beschluss vom 17. August 2010 - 4 [X.]; [X.], Beschluss vom 8. Oktober 2010 - 1 [X.]). Solche Gründe werden auch von der Revision nicht vorgetragen.

[X.]     

Wahl     

Jäger     

Ri[X.] Prof. Dr. [X.] befindet sich in
Urlaub und ist deshalb an der Unterschrift
gehindert

[X.]

Meta

1 StR 347/10

08.10.2010

Bundesgerichtshof 1. Strafsenat

Beschluss

Sachgebiet: StR

vorgehend LG Regensburg, 25. Februar 2010, Az: 1 KLs 137 Js 92037/09, Urteil

§ 257c Abs 3 S 2 StPO, § 349 Abs 2 StPO

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 08.10.2010, Az. 1 StR 347/10 (REWIS RS 2010, 2542)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2010, 2542

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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