Bundesfinanzhof, Urteil vom 20.03.2014, Az. VI R 74/13

6. Senat | REWIS RS 2014, 6885

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Gegenstand

Regelmäßige Arbeitsstätte bei längerfristiger Tätigkeit auf einer Baustelle


Leitsatz

Eine auswärtige (Groß-)Baustelle ist keine regelmäßige Arbeitsstätte i.S. des § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 EStG, auch wenn sie der Arbeitnehmer fortdauernd und immer wieder aufsucht.

Tatbestand

1

I. Streitig ist, ob Aufwendungen für die Wege zwischen Wohnung und einer Tunnelbaustelle nach Maßgabe der Entfernungspauschale oder nach [X.] als Werbungskosten zu berücksichtigen sind.

2

Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) schloss am 23. August 2006 mit der [X.] ([X.]), die ihren Sitz (Baubüro) in [X.] hat, einen Arbeitsvertrag. Nach diesem Arbeitsvertrag sollte der Kläger befristet für die [X.] vom 14. August 2006 bis 30. Juni 2008 bei der [X.] beschäftigt werden. Als Dienstort wurde die Baustelle in [X.] vereinbart. Nachdem das Arbeitsverhältnis in der [X.]olgezeit bis zum 31. Dezember 2008 verlängert worden war, vereinbarten der Kläger und die [X.] im November 2008 die unbefristete [X.]ortführung des Arbeitsverhältnisses über den 1. Januar 2009 hinaus bis zum Ende der Betonarbeiten des Bauvorhabens in [X.].

3

In den Einkommensteuererklärungen für die Streitjahre 2008 und 2009 machte der Kläger bei seinen Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit u.a. für die [X.]ahrten zwischen seiner Wohnung in [X.] und der Baustelle in [X.] [X.]ahrtkosten im Rahmen einer Auswärtstätigkeit geltend, weil eine regelmäßige Arbeitsstätte nicht vorhanden sei. Dementsprechend machte er die tatsächlichen [X.]ahrtkosten mit 0,30 € pro gefahrenem Kilometer als Werbungskosten geltend, und zwar für 48 [X.]ahrten von [X.] nach [X.] (Entfernung = 200 km) und für 230 [X.]ahrten von der Baustellenunterkunft in [X.] zur Baustelle (Entfernung = 18 km).

4

Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das [X.]inanzamt --[X.]A--) folgte den Steuererklärungen insoweit nicht und berücksichtigte lediglich die Entfernungspauschale als Werbungskosten. Einspruch und Klage blieben erfolglos. Das Urteil ist in Entscheidungen der [X.]inanzgerichte 2014, 28 veröffentlicht.

5

Mit der Revision rügt der Kläger die Verletzung von § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 des Einkommensteuergesetzes (EStG). Das [X.]inanzgericht ([X.]G) habe den Begriff der regelmäßigen Arbeitsstätte fehlerhaft ausgelegt.

6

Er beantragt,
das angefochtene Urteil des [X.]G Berlin-Brandenburg vom 7. Mai 2013  11 K 11138/11 und die Einspruchsentscheidung vom 21. Juni 2011 aufzuheben und die Einkommensteuerbescheide für das [X.] vom 26. [X.]ebruar 2010 und das [X.] vom 14. Juni 2010 dahingehend abzuändern, dass bei den Einkünften des [X.] aus nichtselbständiger Arbeit im [X.] und im [X.] jeweils weitere [X.]ahrtkosten in Höhe von 3.501 € als Werbungskosten berücksichtigt werden.

7

Das [X.]A beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

8

II. Die Revision des [X.] ist begründet. Sie führt zur Stattgabe der Klage (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung --[X.]O--). Das [X.] hat die regelmäßige Arbeitsstätte des [X.] zu Unrecht auf der [X.] verortet.

9

1. Beruflich veranlasste Fahrtkosten sind Erwerbsaufwendungen und gemäß § 9 Abs. 1 Satz 1 EStG in Höhe des dafür tatsächlich entstandenen Aufwands als Werbungskosten zu berücksichtigen. Erwerbsaufwendungen sind grundsätzlich auch die Aufwendungen des Arbeitnehmers für Wege zwischen Wohnung und regelmäßiger Arbeitsstätte. Allerdings sind die Aufwendungen dafür nach § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 EStG in der in den Streitjahren geltenden Fassung nur begrenzt nach Maßgabe einer Entfernungspauschale als Werbungskosten zu berücksichtigen.

a) Eine regelmäßige Arbeitsstätte kann nur eine ortsfeste, dauerhafte betriebliche Einrichtung des Arbeitgebers sein, der der Arbeitnehmer zugeordnet ist und die er nicht nur gelegentlich, sondern mit einer gewissen Nachhaltigkeit, d.h. fortdauernd und immer wieder (dauerhaft) aufsucht. Regelmäßig handelt es sich dabei um den Betrieb des Arbeitgebers oder einen Zweigbetrieb, nicht aber um die Tätigkeitsstätte in einer betrieblichen Einrichtung des Kunden des Arbeitgebers (z.B. [X.] vom 10. Juli 2008 VI R 21/07, [X.], 391, [X.], 818; vom 9. Juli 2009 VI R 21/08, [X.], 449, [X.], 822; VI R 42/08, [X.], 1806; vom 17. Juni 2010 VI R 35/08, [X.], 147, [X.], 852; vom 19. Januar 2012 VI R 23/11, [X.], 351, [X.], 472; vom 9. Februar 2012 VI R 44/10, [X.], 431, [X.], 234; vom 18. September 2012 VI R 65/11, [X.], 517; vom 17. Juni 2010 VI R 20/09, [X.], 533, [X.], 32, zum weiträumigen Arbeitsgebiet).

b) Ist der Arbeitnehmer nicht an einer solchen dauerhaften betrieblichen Einrichtung des Arbeitgebers tätig, liegt regelmäßig eine Auswärtstätigkeit vor mit der Folge, dass die Kosten für beruflich veranlasste Fahrten gemäß § 9 Abs. 1 Satz 1 EStG uneingeschränkt zum Abzug zuzulassen sind.

2. Nach diesen Grundsätzen hatte der Kläger keine regelmäßige Arbeitsstätte i.S. des § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 EStG.

Bauausführungen oder Montagen (§ 12 Satz 2 der Abgabenordnung --AO--) sind keine regelmäßigen Arbeitsstätten i.S. von § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 EStG. Es handelt sich dabei um vorübergehende und nicht um dauerhafte Tätigkeitsstätten, auch wenn dort nach § 12 Satz [X.] eine Betriebsstätte oder Geschäftseinrichtung des Arbeitgebers belegen sein sollte (s. Senatsurteil vom 11. Juli 2013 VI R 62/12, [X.], 147, m.w.N.). Dies gilt auch --wie vorliegend-- für auswärtige (Groß-)Baustellen. Eine auswärtige Baustelle ist typisiert betrachtet kein dauerhafter, sondern nur ein vorübergehender --bis zur Fertigstellung des Bauvorhabens zeitlich begrenzter-- Tätigkeitsort des Arbeitnehmers (vgl. [X.]/[X.], EStG, 33. Aufl., § 9 Rz 116). Welche infrastrukturellen Gegebenheiten der Arbeitgeber dort vorhält ist deshalb unerheblich. Ohne Bedeutung ist weiter, ob der Arbeitnehmer die Baustelle fortdauernd und immer wieder (dauerhaft) --u.U. für die gesamte Dauer seines (befristeten) [X.] aufsucht. Denn eine auswärtige Tätigkeitsstätte --wie eine Baustelle (Senatsurteil vom 11. Mai 2005 VI R 70/03, [X.], 508, [X.] 2005, 785)-- wird nicht durch bloßen Zeitablauf zu einer regelmäßigen Arbeitsstätte i.S. von § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 EStG (vgl. Senatsurteile vom 8. August 2013 VI R 72/12, [X.], 358, [X.] 2014, 68, und vom 24. September 2013 VI R 51/12, [X.], 220; [X.] in [X.]/[X.]/ [X.], § 9 EStG Rz 288, 453).

3. Die Sache ist spruchreif. Denn Einwände gegen die vom Kläger vorgelegte Berechnung der tatsächlichen Fahrtkosten für die Fahrten zwischen Wohnung und der [X.] sind vom [X.] weder vorgetragen noch ersichtlich. Die Berechnung der Steuer wird dem [X.] übertragen (§ 100 Abs. 2 Satz 2 [X.]O).

Meta

VI R 74/13

20.03.2014

Bundesfinanzhof 6. Senat

Urteil

vorgehend Finanzgericht Berlin-Brandenburg, 7. Mai 2013, Az: 11 K 11138/11, Urteil

§ 9 Abs 1 S 3 Nr 4 EStG 2002, § 12 S 2 AO, § 9 Abs 1 S 3 Nr 4 EStG 2009, EStG VZ 2008, EStG VZ 2009

Zitier­vorschlag: Bundesfinanzhof, Urteil vom 20.03.2014, Az. VI R 74/13 (REWIS RS 2014, 6885)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2014, 6885

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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