Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 10.10.2017, Az. XI ZR 450/16

XI. Zivilsenat | REWIS RS 2017, 4293

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[X.]:[X.]:[X.]:2017:101017UXIZR450.16.0

BUN[X.]SGERICHTSHOF
IM
NAMEN
[X.]S
VOLKES
URTEIL
XI ZR 450/16
Verkündet am:
10.
Oktober 2017
Herrwerth
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit

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2
-
Der XI.
Zivilsenat des [X.] hat auf die mündliche Verhandlung vom 10.
Oktober 2017 durch den Vizepräsidenten Prof.
Dr.
Ellenberger, [X.]
Grüneberg und [X.] sowie
die Richterinnen Dr.
Menges und Dr.
Derstadt

für Recht erkannt:
Auf die Revision der Beklagten wird unter Zurückweisung der [X.] der Kläger das Urteil des 8.
Zivilsenats des [X.] vom 29.
Juli 2016 in der Fassung des [X.] vom 14.
September 2016 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als zum Nachteil der Beklagten erkannt
worden ist.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens,
an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen

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3
-
Tatbestand:
Die Parteien streiten um die Wirksamkeit des Widerrufs der auf den [X.] eines Verbraucherdarlehensvertrags
gerichteten Willenserklärungen der Kläger.
Die Parteien schlossen im Mai
2007 zwecks Finanzierung einer Immobi-lie einen Darlehensvertrag über 210.000

für zehn Jahre
festen Zinssatz von
nominal
4,98%
p.a. Zur Sicherung der Ansprüche der Beklagten diente eine Buchgrundschuld. Die Beklagte belehrte die Kläger wie folgt über ihr Widerrufsrecht:
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Die Kläger verkauften das Grundstück. Sie lösten die [X.] aufgrund einer im Mai 2014 geschlossenen Aufhebungsvereinbarung im Juni
2014 ab. Die Beklagte forderte und die Kläger zahlten ein [X.] in Höhe von 13.537,52

, "Verwaltungskosten"
in Höhe von 90

und ein
Bearbeitungsentgelt
in Höhe von 150

Mit
Schreiben ihres [X.] vom 19.
September 2014 widerriefen die Kläger ihre auf Abschluss des Darlehensvertrags gerichteten Willenserklärungen und forderten die [X.] zur Zahlung bis zum 4.
Oktober 2014 auf.
Die Klage auf Rückzahlung des Aufhebungsentgelts, der "Verwaltungs-kosten"
und des [X.] nebst
Erstattung vorgerichtlich veraus-lagter
Anwaltskosten und Zinsen hat das [X.] abgewiesen. Auf die Be-rufung der Kläger hat das Berufungsgericht unter Zurückweisung der Berufung im Übrigen das erstinstanzliche Urteil teilweise abgeändert und die Beklagte verurteilt, an die Kläger 13.687,52

(Aufhebungsentgelt und Bearbeitungsent-gelt) nebst Zinsen "in Höhe von 5% über dem Basiszinssatz hieraus seit dem 5.
Oktober 2014 zu zahlen". Mit ihrer vom Berufungsgericht zugelassenen Re-vision erstrebt die Beklagte die vollständige Zurückweisung der klägerischen Berufung. Die Kläger, die die Zurückweisung ihrer Berufung betreffend die "Verwaltungskosten"
hinnehmen,
verfolgen mit ihrer [X.] ihr Be-gehren auf Erstattung vorgerichtlich verauslagter Anwaltskosten weiter.

Entscheidungsgründe:

A.
Die Revision der Beklagten hat Erfolg.
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I.
Das Berufungsgericht ([X.], Urteil vom 29.
Juli 2016

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[X.], juris)
hat zur Begründung seiner Entscheidung

soweit für das Revisi-onsverfahren von Bedeutung

im Wesentlichen ausgeführt:
Zwischen den
Parteien sei
im Mai
2007 ein
Verbraucherdarlehensvertrag
zustande gekommen, so dass den Klägern das Recht zugestanden habe, ihre auf Abschluss des Darlehensvertrags
gerichteten Willenserklärungen zu [X.].
Die Beklagte habe die Kläger unzureichend deutlich über die Vorausset-zungen für das Anlaufen der Widerrufsfrist belehrt. Auf die Gesetzlichkeitsfiktion des Musters für die Widerrufsbelehrung nach der maßgeblichen Fassung der [X.] könne sich die Beklagte nicht berufen, weil die Widerrufsbelehrung der Beklagten dem Muster nicht vollständig ent-sprochen habe. Mangels ordnungsgemäßer Belehrung sei die Widerrufsfrist nicht angelaufen, so dass die Kläger den Widerruf noch 2014 hätten erklären können.
Dass die Parteien vor Ausübung des Widerrufsrechts einen Aufhebungs-vertrag
geschlossen hätten, stehe weder dem
Widerruf der auf Abschluss des Darlehensvertrags
gerichteten Willenserklärungen noch einem Anspruch auf Erstattung des Aufhebungsentgelts und [X.]
entgegen. Durch diese Vereinbarung hätten die Parteien den Darlehensvertrag
nicht beseitigt, sondern lediglich die Bedingungen für dessen Beendigung modifiziert. Einen selbständigen Rechtsgrund für das Behaltendürfen der anschließend von den Klägern erbrachten Leistungen habe der
Aufhebungsvertrag
nicht geschaffen.
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Die Kläger hätten ihr Widerrufsrecht nicht verwirkt. Zwar sei eine [X.] auch ohne Rücksicht auf die Kenntnis und Willensrichtung des Berechtig-ten möglich, wenn der Verpflichtete bei objektiver Beurteilung aus dem Verhal-ten des Berechtigten habe schließen dürfen, dass der Berechtigte sein Recht nicht mehr geltend machen wolle, so dass der Verpflichtete mit einer Rechts-ausübung durch den Berechtigten nicht mehr habe zu rechnen brauchen und sich entsprechend darauf habe einrichten dürfen. Diese Voraussetzungen seien indessen nicht gegeben. Der Umstand, dass dem Berechtigten das ihm zu-stehende Recht unbekannt gewesen sei, stehe einer Verwirkung jedenfalls dann entgegen, wenn die Unkenntnis des Berechtigten in den [X.] des Verpflichteten falle. Der Unternehmer, der gegen seine Pflicht ver-stoßen habe, dem Verbraucher eine ordnungsgemäße Widerrufsbelehrung zu erteilen, dürfe nicht darauf vertrauen, er habe durch seine Belehrung die [X.] in Lauf gesetzt. Gegen die Schutzwürdigkeit des Unternehmers spreche zudem, dass er den Schwebezustand durch eine Nachbelehrung beenden kön-ne.
Vom Vorliegen des [X.] sei auch nicht deshalb auszuge-hen, weil die Parteien eine Aufhebungsvereinbarung geschlossen hätten. Die beiderseitige vollständige Vertragserfüllung führe nicht zum Verlust des Wider-rufsrechts und könne allein auch nicht ausreichen, um die Annahme der [X.] zu rechtfertigen. Hinzu komme, dass zwischen der Aufhebungsvereinba-rung und dem Widerruf der Kläger lediglich ein Zeitraum von rund drei bis vier Monaten verstrichen sei. Dieser Zeitraum bleibe schon hinter der regelmäßigen Verjährungsfrist zurück. Ein schutzwürdiges Vertrauen der Beklagten darauf, dass sie sich "auf den Bestand der Ablösung"
habe verlassen dürfen, sei "zu diesem Zeitpunkt jedenfalls noch nicht begründet worden".
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Darüber hinaus sei weder vorgetragen noch unter Beweis gestellt, dass sich die Beklagte
im Vertrauen auf den Bestand der Aufhebungsvereinbarung so eingerichtet habe, dass ihr durch die verspätete Durchsetzung des Rechts ein unzumutbarer Nachteil entstünde. Die Kläger hätten das Widerrufsrecht auch nicht rechtsmissbräuchlich ausgeübt. Auf die Motive, die sie zur
Ausübung des Widerrufsrechts bewogen hätten, komme es nicht an.
Auf der Grundlage des durch den Widerruf entstandenen Rückgewähr-schuldverhältnisses könnten die Kläger das Aufhebungsentgelt und das Bear-beitungsentgelt zurückverlangen. Zinsen stünden den Klägern darauf aus dem Gesichtspunkt des [X.] zu, weil sich die Beklagte aufgrund der Fristsetzung mit Schreiben vom 19.
September 2014 ab dem 5.
Oktober 2014 in Verzug befunden habe.

II.
Diese Ausführungen halten einer revisionsrechtlichen Nachprüfung nicht in allen Punkten stand.
1. Das Berufungsgericht hat allerdings im Ausgangspunkt richtig erkannt, den Klägern
sei gemäß §
495 Abs.
1 [X.] zunächst das Recht zugekommen, ihre auf Abschluss des Darlehensvertrags
gerichteten Willenserklärungen
nach §
355 Abs.
1 und
2 [X.] in der hier nach Art.
229 §
9 Abs.
1 Satz
1 Nr.
2, §
22 Abs.
2, §§
32, 38 Abs.
1 Satz
1 EG[X.] maßgeblichen, zwischen dem 1.
August 2002 und dem 10.
Juni 2010 geltenden Fassung
zu widerrufen.
2. Die Folgerung des
Berufungsgerichts, die Beklagte habe die Kläger unzureichend über das ihnen zukommende Widerrufsrecht belehrt, so dass die 12
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Widerrufsfrist bei Erklärung des Widerrufs noch nicht abgelaufen gewesen sei, hält revisionsrechtlicher Überprüfung indessen nicht stand.
Das Berufungsgericht hat keine Feststellungen dazu getroffen, ob der zwischen den Parteien geschlossene Darlehensvertrag

wie von der Beklagten behauptet

im Wege des Fernabsatzes zustande gekommen ist. Davon hängt aber, was der Senat nach Erlass des Berufungsurteils klargestellt hat,
ab, ob die Widerrufsbelehrung der Beklagten fehlerfrei war oder nicht (vgl. einerseits Senatsurteil vom 21.
Februar 2017

XI
ZR
467/15, WM
2017, 906 Rn.
46
ff., andererseits Senatsurteile vom 24.
März 2009

XI
ZR
456/07, WM
2009, 1028 Rn.
14
und vom 16.
Mai 2017

XI
ZR
586/15, WM
2017, 1258 Rn.
22
ff.). [X.] hinreichender Feststellungen des Berufungsgerichts ist im [X.] zugunsten der Beklagten davon auszugehen, dass die Parteien ein Fernabsatzgeschäft geschlossen haben. Unter diesen Umständen entsprach die Widerrufsbelehrung anders als vom Berufungsgericht angenommen den gesetzlichen Anforderungen
(Senatsurteil vom 21.
Februar 2017, aaO).
3. [X.] Überprüfung anhand der neueren Senatsrecht-sprechung (Senatsurteile vom 12.
Juli 2016

XI
ZR
501/15, [X.]Z
211, 105 Rn.
40 und

XI
ZR
564/15, [X.]Z
211, 123 Rn.
37, vom 11.
Oktober 2016

XI
ZR
482/15, WM
2016, 2295 Rn.
30
f. und vom 14.
März 2017

XI
ZR
442/16, WM
2017, 849 Rn.
27
f.) nicht stand halten außerdem
die Erwägungen, mit denen das Berufungsgericht eine Verwirkung des Widerrufsrechts verneint hat. Dass die Beklagte davon ausging oder ausgehen musste, die Kläger hätten von ihrem Widerrufsrecht keine Kenntnis, schloss entgegen der Rechtsmeinung des Berufungsgerichts
eine Verwirkung nicht aus (vgl. [X.], Urteile vom 27.
Juni 1957

II
ZR
15/56, [X.]Z
25, 47, 53 und vom 16.
März 2007

V
ZR 190/06, WM
2007, 1940 Rn.
8). Gleiches gilt für den Umstand, dass die [X.] "die Situation selbst herbeigeführt hat", weil sie eine ordnungsgemäße Wider-17
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-
11
-
rufsbelehrung nicht erteilt hat. Gerade bei beendeten [X.]

wie hier

kann das Vertrauen des Unternehmers auf ein Unterbleiben des Widerrufs schutzwürdig sein, auch wenn die von ihm erteilte Widerrufsbe-lehrung ursprünglich den gesetzlichen Vorschriften nicht entsprach und er es in der Folgezeit versäumt hat, den Verbraucher nachzubelehren (Senatsurteil vom 12.
Juli 2016

XI
ZR
501/15, aaO,
Rn.
41). Das gilt in besonderem Maße,
wenn die Beendigung des Darlehensvertrags auf einen Wunsch des Verbrauchers zurückgeht (Senatsurteil vom 11.
Oktober 2016,
aaO,
Rn.
30; Senatsbeschluss vom 12.
September 2017 -
XI
ZR
365/16, [X.], Rn.
8).
4. Das Berufungsgericht, das den Klägern Verzugszinsen wie beantragt ab dem 5.
Oktober 2014 zugesprochen
hat, hat schließlich übersehen, dass sich die Beklagte jedenfalls mit Ablauf des 4.
Oktober 2014 nach Maßgabe der mit Senatsurteil vom 21.
Februar 2017 (XI
ZR
467/15, WM
2017, 906 Rn.
23
ff.) aufgestellten Grundsätze mit der Erfüllung ihrer Verpflichtungen aus §
357 Abs.
1 Satz
1 [X.] in der bis zum 12.
Juni 2014 geltenden Fassung (künftig: aF)
in Verbindung mit §§
346
ff. [X.] nicht in Schuldnerverzug befand.

III.
Das Berufungsurteil unterliegt
wegen der rechtsfehlerhaften Ausführun-gen des Berufungsgerichts der Aufhebung (§
562 Abs.
1 ZPO), weil es sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig darstellt (§
561 ZPO). Eine eigene Sachentscheidung zugunsten der Beklagten (§
563 Abs.
3 ZPO) kann der [X.] nicht fällen, weil die Modalitäten des Zustandekommens des [X.] nicht geklärt sind und der Senat einer Subsumtion des Tatrichters unter §
242 [X.] nicht vorgreifen kann.
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-
12
-
Sollte das Berufungsgericht zu dem Ergebnis gelangen, der Darlehens-vertrag habe sich aufgrund des Widerrufs der Kläger in ein Rückgewährschuld-verhältnis umgewandelt, wird es klarstellend zu berücksichtigen haben, dass
die Kläger, wie der Senat mit Urteil vom heutigen Tage in der Sache XI
ZR
449/16 entschieden hat,
[X.] nach §
432 [X.]
der aus §
357
Abs.
1 Satz
1 [X.] aF in Verbindung mit §§
346 ff. [X.] resultierenden Ansprü-che sind.
Bei
der Entscheidung über den geltend gemachten Zinsanspruch wird das Berufungsgericht das Senatsurteil vom 21.
Februar 2017 (XI
ZR
467/15,
WM
2017, 906 Rn.
23
ff.) zu den Voraussetzungen des Verzugs des [X.] zu beachten haben.

B.
Die [X.] der Kläger hat dagegen keinen Erfolg.

I.
Das Berufungsgericht hat die [X.] betreffend ausgeführt, ein Anspruch der Kläger auf Erstattung
vorgerichtlich verauslagter
Anwaltskos-ten folge weder aus Verzug noch aus dem Gesichtspunkt einer Pflichtverlet-zung wegen einer Falschbelehrung. Die Beklagte habe sich in einem unver-meidbaren Rechtsirrtum befunden.

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-
13
-
II.
Dies hält revisionsrechtlicher Prüfung jedenfalls
stand, weil das [X.] auch von seinem Standpunkt aus im Ergebnis zutreffend einen Anspruch aus Schuldnerverzug verneint hat (Senatsurteil vom 21.
Februar 2017

XI
ZR
467/15, WM
2017, 906 Rn.
23
ff.). Das nimmt die [X.] hin. Der von ihr behauptete Anspruch auf Schadensersatz wegen einer unzutreffen-den Belehrung der Kläger besteht nicht (Senatsurteil vom 21.
Februar 2017, aaO, Rn.
35).

Ellenberger
Grüneberg
[X.]

Menges
Derstadt
Vorinstanzen:
[X.], Entscheidung vom 13.07.2015 -
5 [X.]/14 -

[X.], Entscheidung vom 29.07.2016 -
8 [X.] -

25

Meta

XI ZR 450/16

10.10.2017

Bundesgerichtshof XI. Zivilsenat

Sachgebiet: ZR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 10.10.2017, Az. XI ZR 450/16 (REWIS RS 2017, 4293)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2017, 4293

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