Bundessozialgericht, Beschluss vom 07.07.2011, Az. B 14 AS 35/11 B

14. Senat | REWIS RS 2011, 4987

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Gegenstand

Nichtzulassungsbeschwerde - Verfahrensmangel - Verletzung rechtlichen Gehörs - Ablehnung eines Antrags auf Terminsverlegung wegen Erkrankung - kurzfristig gestellter Antrag - Glaubhaftmachung - fehlende anwaltliche Vertretung


Tenor

Auf die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des [X.] vom 14. Juli 2010 wird das Urteil aufgehoben und der Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an dieses Gericht zurückverwiesen.

Gründe

1

I. Der am 30.3.1960 geborene Kläger bezieht von dem Beklagten seit Juni 2005 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem [X.]. Am 13.10.2008 erhob er eine Klage beim Sozialgericht ([X.]) [X.], mit der er sich gegen Sanktionen sowie die Untätigkeit und verzögerte Bearbeitung seiner Angelegenheiten durch den Beklagten wandte. Die Klage wies das [X.] nach Anhörung der Beteiligten mit Gerichtsbescheid vom 11.12.2009 ab. Gegen den Gerichtsbescheid legte der Kläger Berufung ein und machte geltend, dass der Tatbestand im Gerichtsbescheid teilweise fehlerhaft sei. Eine umfassende Begründung reiche er im Laufe der Folgewoche nach. Im Februar 2010 telefonierte er mit der Geschäftsstelle und teilte mit, er habe eine schwere Erkrankung und bitte um Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist. In der Folge entschuldigte er sich aus Krankheitsgründen erneut und legte ein Attest des behandelnden Arztes Dr. J. K vom [X.] vor, wonach er wegen einer Lungenentzündung und eines Wirbelsäulensyndroms voraussichtlich bis 9.4.2010 arbeitsunfähig sei und auch keinen Gerichtstermin wahrnehmen könne. Am [X.] teilte der Kläger mit, er fühle sich nicht imstande das Haus zu verlassen, um sich weitere Unterlagen zur Begründung der Berufung zu verschaffen. Daraufhin wurde ihm fernmündlich erneut Verlängerung zur Begründung der Berufung bis zum 1.6.2010 gewährt.

2

Am [X.] bestimmte der Vorsitzende Termin zur mündlichen Verhandlung auf den [X.], 9:00 Uhr. Mit Schreiben vom [X.], das bei Gericht am [X.] einging, beantragte der Kläger Terminverlegung um eine Woche. Er trug vor, es sei ihm momentan wieder nicht möglich selbstständig das Bett zu verlassen und an der Verhandlung teilzunehmen. Es seien zustehende Leistungen nicht ausgezahlt worden, sodass er weder die notwendigen Medikamente noch die Fahrkosten zahlen könne. Am [X.] versuchte der Berichterstatter den Kläger zweimal telefonisch zu erreichen, um ihn unter Bezugnahme auf einen Beschluss des [X.] ([X.]) vom 7.4.2004 (Az: [X.]/03) darauf hinzuweisen, dass die Verlegungsgründe in verschiedener Hinsicht (vor allem durch Vorlage eines nachvollziehbaren Attests) glaubhaft zu machen seien. Er erreichte den Kläger nicht. In einem Schreiben vom 12.7.2010, das bei Gericht ebenfalls am [X.] einging, nahm der Kläger Bezug auf ein Telefongespräch mit der Geschäftsstelle am Morgen des 12.7. und teilte mit, dass nunmehr sein Telefonanschluss gesperrt sei und er nur noch über ein fremdes Fax kommunizieren könne.

3

Am [X.] erschien zum Termin zur mündlichen Verhandlung für den Kläger niemand. Das [X.] (L[X.]) wies die Berufung mit Urteil vom selben Tage ab. Dem [X.] habe der Senat nicht nachkommen müssen. Auch in der Sache habe die Berufung keinen Erfolg, weil das [X.] die Klage zutreffend als unzulässig angesehen habe.

4

Gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des L[X.] wendet sich der Kläger mit seiner Beschwerde. Er macht die Verletzung des rechtlichen Gehörs geltend, weil das L[X.] seinem Antrag auf Verlegung des Termins zur mündlichen Verhandlung wegen seiner Erkrankung und seiner fehlenden Möglichkeit, die Fahrkosten zum Termin zu bestreiten, nicht nachgekommen ist. Zudem macht er die Verletzung von § 153 Abs 2 Sozialgerichtsgesetz ([X.]G) geltend und hält die Klage insgesamt für zulässig. Insbesondere seien L[X.] und [X.] fehlerhaft davon ausgegangen, dass eine Klageerweiterung nach § 99 [X.]G nicht zulässig gewesen sei.

5

II. Die Nichtzulassungsbeschwerde des [X.] ist zulässig und begründet. Auf die Beschwerde des [X.] war das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das L[X.] zurückzuverweisen (vgl § 160a Abs 5 [X.]G).

6

Der Kläger hat formgerecht (§ 160a Abs 2 Satz 3 [X.]G) gerügt, vom L[X.] nicht ausreichend rechtlich gehört worden zu sein (§ 62 [X.]G) . Er hat die Verletzung des § 62 [X.]G hinreichend bezeichnet; die Rüge trifft auch zu. Der Anspruch auf rechtliches Gehör gebietet, den an einem gerichtlichen Verfahren Beteiligten Gelegenheit zu geben, sich zu dem der Entscheidung zugrunde liegenden Sachverhalt vor Erlass der Entscheidung zu äußern. Wird aufgrund mündlicher Verhandlung entschieden, muss den Beteiligten unabhängig davon, ob sie die Möglichkeit zur schriftlichen Vorbereitung des Verfahrens genutzt haben, Gelegenheit gegeben werden, ihren Standpunkt in der Verhandlung darzulegen. Dabei ist dem Anspruch auf rechtliches Gehör in der Regel dadurch genügt, dass das Gericht die mündliche Verhandlung anberaumt (§ 110 Abs 1 Satz 1 [X.]G), der Beteiligte ordnungsgemäß geladen und die mündliche Verhandlung zu dem festgesetzten [X.]punkt eröffnet wird. Eine Entscheidung aufgrund mündlicher Verhandlung trotz Abwesenheit eines Beteiligten ist dann ohne Verletzung seines Anspruchs auf Gewährung rechtlichen Gehörs möglich, wenn dieser in der Ladung darauf hingewiesen worden ist, dass auch im Falle seines Ausbleibens verhandelt und entschieden werden kann (vgl [X.] in [X.]/[X.]/[X.], [X.]G, 9. Aufl 2008, § 110 Rd[X.] 11; BVerwG NVwZ-RR 1995, 549).

7

Etwas anderes gilt allerdings dann, wenn erhebliche Gründe für eine Terminsverlegung oder -vertagung vorliegen ([X.], aaO, § 110 Rd[X.] 4b) und diese beantragt wird bzw ein unvertretener Beteiligter wenigstens seinen Willen zum Ausdruck bringt, an der mündlichen Verhandlung teilnehmen zu wollen (vgl B[X.] vom 12.2.2003 - B 9 SB 5/02 R - Juris Rd[X.] 11). Ein iS des § 227 Abs 1 Satz 1 Zivilprozessordnung (ZPO) ordnungsgemäß gestellter [X.] mit einem hinreichend substanziiert geltend gemachten Terminsverlegungsgrund begründet grundsätzlich eine entsprechende Pflicht des Gerichts zur Terminsverlegung (B[X.] vom 10.8.1995, [X.]-1750 § 227 [X.]; B[X.] vom [X.] - [X.] [X.]/98 R - Juris Rd[X.] 16 und vom 12.2.2003 - B 9 SB 5/02 R - Juris Rd[X.] 11). Die Behandlung von Anträgen auf Terminsverlegung hat dabei der zentralen Gewährleistungsfunktion der mündlichen Verhandlung für den Anspruch der Beteiligten auf rechtliches Gehör zu genügen (vgl hierzu B[X.] vom 16.11.2000, [X.]-1500 § 160 [X.]), insbesondere, wenn - wie vorliegend - eine mündliche Verhandlung vor dem [X.] nicht stattgefunden hat. Voraussetzung für den Erfolg einer solchen Rüge ist jedoch, dass der Beteiligte seinerseits alles getan hat, um sich rechtliches Gehör zu verschaffen (B[X.] [X.]-1500 § 160 [X.] 22; vgl auch B[X.]E 68, 205, 210 = [X.]-2200 § 667 [X.] 1).

8

Der Kläger hat in seinem Gesuch auf Terminsverlegung um eine Woche darauf hingewiesen, dass er wegen Krankheit zum Termin nicht erscheinen könne, er aber unbedingt an der mündlichen Verhandlung teilnehmen wolle (zur Anerkennung von Krankheit als erheblicher Grund iS des § 227 Abs 1 Satz 1 ZPO: B[X.] vom [X.] - [X.] [X.]/98 R; B[X.] vom 12.2.2003 - B 9 SB 5/02 R; B[X.] vom 25.3.2003 - B 7 [X.] 76/02 R; B[X.] vom 21.7.2005 - [X.]/11 [X.] 261/04 B; alle veröffentlicht in Juris; vgl auch B[X.] vom 6.12.1983, [X.] 1750 § 227 [X.] 2). Ob daneben die fehlende Möglichkeit die Fahrkosten aufzubringen, einen erheblichen Grund zur Verlegung des Termins darstellt, ist jedenfalls für den Fall eines so kurzfristig gestellten Gesuchs zweifelhaft, braucht vorliegend aber nicht entschieden zu werden. Dabei hat der Kläger vorgetragen, das Bett aufgrund seiner Erkrankung nicht verlassen zu können, sodass die Auswirkung der Erkrankung - nicht zum Termin erscheinen zu können - schlüssig vorgetragen ist. Zwar hat der Kläger seine Erkrankung nicht durch Atteste der behandelnden Ärzte belegt. Eine Erkrankung als Verlegungsgrund ist aber nicht zwingend bei Antragstellung durch Attest glaubhaft zu machen, denn nach § 202 [X.]G iVm § 227 Abs 2 ZPO sind die erheblichen Gründe erst auf Verlangen des Vorsitzenden glaubhaft zu machen. Der Kläger hat im Übrigen seinerseits alles ihm Obliegende getan, um sich rechtliches Gehör zu verschaffen. Er hat offenbar am 12.7.2010 (mithin zwei Tage vor dem Termin) mit der Geschäftsstelle des Gerichts telefoniert, um Klarheit über sein [X.] zu gewinnen. Er musste als unvertretener Beteiligter nicht allein aufgrund der Kürze der noch verbleibenden [X.] davon ausgehen, dass dem [X.] zwingend ein Attest beizufügen gewesen wäre.

9

Anderes kann gelten, wenn offenkundig [X.] besteht. Hiervon konnte das L[X.] jedoch nach dem bisherigen Stand des Berufungsverfahrens nicht ohne Weiteres ausgehen. Der Kläger hatte zwar zweimal um Verlängerung der vom Gericht gesetzten Frist zur Begründung der Berufung gebeten und die Berufung auch bis zum Termin nicht begründet. Er hatte diesen Vortrag im März 2010 jedoch mit ärztlichen Unterlagen belegt, die das Gericht nicht (für ihn erkennbar) in Zweifel gezogen hat. Soweit beim Gericht bereits im Laufe des schriftlichen Verfahrens der Eindruck entstanden sein sollte, die Gründe für die verzögerten Stellungnahmen des [X.] seien aus prozesstaktischen Motiven vorgeschoben, hätte es seiner Pflicht entsprochen, den Kläger darauf hinzuweisen, dass weiterer Aufschub und ggf eine Verlegung des Termins nur nach entsprechender Glaubhaftmachung durch im einzelnen nachvollziehbare Atteste in Betracht komme. Ohne dass es dem [X.] Kläger zuvor Hinweise dahin gegeben hatte, dass sein bisheriger Vortrag im Hinblick auf seine Erkrankungen künftig nicht mehr als ausreichend angesehen werde, durfte es auch den kurzfristig gestellten [X.] nicht übergehen.

Aus der vom L[X.] zitierten Rechtsprechung des [X.], der sich das [X.] (B[X.]) insoweit bereits angeschlossen hat, folgt kein anderes Ergebnis. [X.] und B[X.] haben die strengeren Voraussetzungen bei der Prüfung kurzfristig gestellter Terminverlegungsgesuche auf die Fälle beschränkt, in denen der Kläger anwaltlich vertreten ist. Wenn der Betroffene nicht anwaltlich vertreten ist, ist das Gericht auch bei kurzfristig gestellten Anträgen zu einem Hinweis oder zur Aufforderung an den Betroffenen, seinen Vortrag zu ergänzen, oder zu eigenen Nachforschungen verpflichtet (vgl zuletzt B[X.] vom 13.10.2010 - [X.] [X.]/10 B - Juris Rd[X.] 13 unter Hinweis auf B[X.] vom [X.], [X.] 99111 [X.] f = Juris Rd[X.] 17; B[X.] vom 13.11.2008 - B 13 R 277/08 B - Juris Rd[X.] 17; B[X.] vom 21.7.2009 - B 7 [X.] 9/09 B - Juris Rd[X.] 5; ebenso [X.] vom 19.8.2003, [X.] 2004, 540, 541 = Juris Rd[X.] 21 iVm 25). Andernfalls hat es dem [X.] nachzukommen. Der Berichterstatter am L[X.] hat zwar versucht, den Kläger zu erreichen, aber erfolglos, sodass die aufgezeigten Voraussetzungen nicht vorlagen.

Die angefochtene Entscheidung kann auf diesem Verfahrensmangel beruhen. Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass der Kläger zum [X.]punkt der anberaumten mündlichen Verhandlung in der Tat verhandlungsunfähig war. Im Übrigen ist grundsätzlich davon auszugehen, dass eine Verletzung des rechtlichen Gehörs, die einen Verfahrensbeteiligten daran gehindert hat, an der mündlichen Verhandlung teilzunehmen, die daraufhin ergangene Entscheidung beeinflusst hat; einer Angabe, welches Vorbringen durch das beanstandete Verfahren verhindert worden ist, bedarf es nicht (vgl nur B[X.] vom 16.11.2000, [X.]-1500 § 160 [X.] 33 S 62).

Der Senat kann offen lassen, ob die gerügten weiteren (Verfahrens)Fehler vorliegen.

Das L[X.] wird auch über die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu entscheiden haben.

Meta

B 14 AS 35/11 B

07.07.2011

Bundessozialgericht 14. Senat

Beschluss

Sachgebiet: AS

vorgehend SG Stuttgart, 11. Dezember 2009, Az: S 24 AS 6825/08, Gerichtsbescheid

§ 160a Abs 1 S 1 SGG, § 160a Abs 5 SGG, § 160 Abs 2 Nr 3 Halbs 1 SGG, § 227 Abs 1 S 1 ZPO, § 227 Abs 2 ZPO, § 62 SGG, Art 103 Abs 1 GG

Zitier­vorschlag: Bundessozialgericht, Beschluss vom 07.07.2011, Az. B 14 AS 35/11 B (REWIS RS 2011, 4987)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2011, 4987

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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